Pneumologie 2015; 69(07): 400-402
DOI: 10.1055/s-0034-1392241
Historisches Kaleidoskop
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Autoskopie der Luftwege (Selbstschau, Besichtigung ohne Spiegel)[*]

(Aus der III. medicin. Klinik und Universitäts-Poliklinik des Herrn Geheimrath Senator) von Dr. Alfred Kirstein
R. Kropp
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Dr. Robert Kropp
Sturmiusstraße 8
36037 Fulda

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Publication Date:
14 July 2015 (online)

 

    Auf dem Gebiete der seit Decennien als unerschütterlich fest fundirt geltenden laryngologischen Untersuchungsmethoden vollzieht sich gegenwärtig ein revolutionärer Process, der sich Ende April dieses Jahres in einer Mittheilung von wenigen Zeilen[1] ankündigte, in drei mit Demonstrationen verbundenen Vorträgen[2] greifbare Gestalt gewann und jetzt[3], wie es scheint, zu vorläufigem Abschlusse gelangt ist. Ich habe erkannt, dass das Innere des Kehlkopfes und der Luftröhre des Menschen direct sichtbar ist, während man bisher sich damit begnügen musste, Spiegelbilder dieser Theile zu gewinnen. Aus unpractischen Anfängen herauswachsend hat die Autoskopie[4] (Selbstschau, im Gegensatz zur Spiegelschau) sehr schnell einen technischen Aufschwung genommen, der die Alleinherrschaft des Kehlkopfspiegels ernstlich bedroht. – Dem Wunsche des Herausgebers der Therapeutischen Monatshefte Folge leistend, gebe ich in den folgenden Zeilen eine Darstellung der von mir erfundenen Methode, die Luftwege ohne Spiegel zu besichtigen.

    Das Instrument (Autoskop) besteht aus einer gradlinig verlaufenden Rinne aus vernickeltem Stahl, etwa 12 cm lang, 3 cm breit und von verschiedener Höhe; die bisher gebrauchten Nummern der Serie variiren ungefähr zwischen 2 und 2,5 cm[5]. Der vordere Rand der Rinne ist in der Mitte ein wenig concav geschweift und ist derartig verdickt und abgerundet, dass es unmöglich ist, mit dieser stumpfen Kante eine Schleimhautverletzung zu machen. Die Rinne wird rechtwinklig in einem Haltegriff befestigt und ähnelt so einem gynäkologischen Spekulum.

    Der Arzt stellt oder setzt sich vor den in gewöhnlicher aufrechter Haltung auf einem Stuhl sitzenden Patienten und führt die oben offene Rinne, den Griff abwärts haltend, unter geeigneter Beleuchtung in den Mund des Patienten ein. Die Beleuchtung kann mittels Stirnspiegels von jeder beliebigen Lichtquelle (Petroleumflamme, Gaslicht, Gasglühlicht) entnommen werden, selbstverständlich mit der Maassgabe, dass je schwächer die Beleuchtung ist, um so dunkler der Untersuchungsraum sein muss. Zur vollständigen Ausnutzung der Autoskopie wird allerdings nur derjenige gelangen, der, im Besitze eines Accumulators oder des Anschlusses an eine Centralleitung, sich des Comforts elektrischer Beleuchtung zu erfreuen hat. Als Lampe eignet sich mein „leuchtendes Auge“: eine Stirnlampe für indirectes Licht[6]; gewöhnliche, directes Licht gebende Stirnlampen sind für die Autoskopie vollständig unbrauchbar, ebenso die gewöhnlichen Stativspiegel. Am allerzweckmässigsten ist es, wenn die Beleuchtungseinrichtung an dem Handgriff des Autoskops selbst fixirt ist; dann fällt das Licht stets von selbst, ohne jede Justirung, in der erforderlichen Richtung in die Rinne. [Figur 1] zeigt das Autoskop in fester rechtwinkliger Verschraubung mit dem sehr brauchbaren ursprünglich für die Harnröhre construirten Casper’schen Elektroskop, einer elektrischen Handlampe, deren Licht durch eine Convexlinse gesammelt und durch ein Prisma um 90° abgelenkt wird. Eine besondere Einrichtung, deren Beschreibung an dieser Stelle zu weit führen würde, ermöglicht es in bequemster Weise, an dem Elektroskop vorbei mit geraden Operationsinstrumenten in die Rinne einzugehen. Beiläufig sei bemerkt, dass man die Beleuchtung sogar in die Mundhöhle selbst verlegen kann: zwischen Autoskop und hartem Gaumen ist Platz genug für eine kleine Glühlampe, die auch nicht zu stark hitzt. Ich besitze ein solches Instrument, finde es aber im Gebrauch nicht practisch.

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    Fig. 1

    Kehren wir nun zur Einführung des Autoskopes zurück. Der Patient öffnet den Mund, der Arzt verfährt ganz genau so, wie es der üblichen Spateltechnik entspricht, er drückt die Zunge einfach mit dem Autoskop nach unten und sieht das, was wir bei Druck auf die Zunge zu sehen von jeher gewohnt sind, die Mundhöhle und die Pars oralis pharyngis: Erste Position (Pharyngoskopie).

    Der Arzt lässt jetzt das Instrument weiter nach hinten gleiten und hebt, beständig auf die Zunge drückend und die Höhlung der Rinne entlang schauend, den Griff: Zweite Position (Autoskopie des tiefen Pharynx). Es präsentirt sich die Epiglottis in ihrer ganzen Vorderfläche sowie die durch das Ligamentum glosso-epiglotticum medium in die beiden Valleculae getheilte Fossa glossa-epiglottica, ferner von der Hinterwand und den Seitentheilen des Pharynx nach unten hin soviel, als die Größe, Form und Lage der Epiglottis zu sehen gestattet: häufig sieht man schon in der zweiten Position die Aryknorpel und die Sinus pyriformes.

    Zur Herstellung der dritten Position (Autoskopie des Larynx und der Trachea) wird erstens der Griff noch höher gehoben, sodass die Ränder des Autoskopes sich der oberen Zahnreihe nähern, meist bis zur Berührung. Dabei ist jeder Druck gegen die Zähne streng verpönt; es ist absolut unstatthaft, die obere Zahnreihe etwa als Drehpunkt zur Erzielung einer Hebelwirkung zu benutzen, vielmehr hat man lediglich den Zungengrund, über welchem das Autoskop jetzt liegt, aus freier Hand nach vorn und unten zu ziehen. Zur Herstellung der dritten Position gehört zweitens, dass man mit der stumpfen vorderen Kante des Autoskopes auf das Ligamentum glosso-epiglotticum medium drückt. Dieser Druck, vereint mit dem Druck auf die Zunge, bringt die Epiglottis dazu, sich steil aufzurichten und in die Autoskoprinne zu legen (bekanntes Princip des Reichert’schen Kehldeckelhebers). Jetzt erblickt man die volle Höhe der hinteren Pharynxwand, die trichterförmig sich verengende Pars laryngea pharyngis, die Sinus pyriformes, die Ary- und Santorini’schen Knorpel, die aryepiglottischen Falten, die Hinterfläche der Epiglottis (letztere in perspectivischer Verkürzung), die Taschenbänder, die Stimmbänder bis zum vorderen Winkel, die hintere Larynxwand. Um nun das volle Trachealbild zu erlangen, fordert man drittens den Patienten auf, den Hals nach vorn zu recken, ohne dabei den Kopf (die Blickebene) zu heben oder zu senken; dadurch bekommt das tracheolaryngeale Rohr eine solche Neigung, dass die Verlängerung seiner Längsaxe den Körper durch die Mundöffnung (nahe ihrer oberen Umrandung) verlässt. In der durch die beschriebenen 3 Bewegungen vollendeten dritten Position, [Text unwesentlich gekürzt] erblickt man ausser den oben beschriebenen Rachen- und Kehlkopftheilen noch die ganze Trachea, vorn und hinten, rechts und links, mit der Bifurcation und den Anfängen der Bronchen. Alle diese Theile in ihrer reichgegliederten Architektonik und in der Fülle ihrer farbigen Nuancen glänzend beleuchtet greifbar dicht vor Augen zu haben – das ist ein Anblick von bisher gänzlich ungeahnter Pracht und Schönheit.

    Der Uebergang von der ersten Position bis zur dritten erfolgt natürlich nicht ruckweise, sondern allmählich, die ganze Untersuchung beansprucht wenige Secunden (doch braucht man sich durchaus nicht zu beeilen) und belästigt manche Patienten (selbst solche, die schon sehr oft gespiegelt worden sind) erheblich weniger als die Untersuchung mit dem Kehlkopfspiegel.

    Wer meine frühere Methode kennt, der wird bemerkt haben, dass die jetzige vor derselben vier Errungenschaften voraus hat: kein Cocaїn, kein Druck auf die Zähne, kein Rückwärtsbeugen des Kopfes, kein Verdecken der Epiglottis.

    Verläuft die Untersuchung programmmäßig, so wie eben geschildert, so dürfte wohl Niemand danach Verlangen tragen, den betreffenden Patienten noch mit dem Spiegel zu untersuchen. Ein gutes Spiegelbild ist mir lieber als ein mangelhafter Einblick mit dem Autoskop; aber eine wohlgelungene Autoskopie übertrifft das beste Spiegelbild nach allen Richtungen, extensiv und intensiv, so ausserordentlich, dass die Frage für mich heute nur so stehen kann: lässt der Patient sich ohne Cocaїn gut autoskopiren oder nicht? Im Falle der Bejahung kann ich den Spiegel überhaupt bei Seite lassen. Ob nun der Patient sich ohne Cocaїn gut autoskopiren lässt, das hängt zunächst von der Reflexerregbarkeit seines Zungengrundes ab, über die man ja schon bei der fast immer ausführbaren zweiten Position ein Urtheil gewinnt. Im Ganzen erregt mein Instrument, da es verhältnissmässig schwer ist und mit fester Hand (ich möchte sagen: dreist, natürlich nicht roh) dirigirt werden muss, weit weniger Würgereiz, als man erwarten sollte. Würgt der Patient bei der ersten Einführung, so vermeide man jede Forcirung, sondern strebe unter beruhigendem Zuspruche mit mehreren geduldigen Versuchen zum Ziele; man muss da, ebenso wie bei der Laryngoskopie, sich eine gewisse Routine im Verkehr mit den Patienten aneignen. Ueberhaupt ist die Autoskopie eine Kunst und will gelernt sein – dem Anfänger misslingt so ziemlich alles. Da man mit dem Autoskop vom Pharynx fast immer mehr sieht als mit dem gewöhnlichen Zungenspatel, sei es auch bei reizbaren Patienten nur auf einen Moment, so hat man mit dem Versuch der Autoskopie jedenfalls nie etwas verloren und kann, wenn die Reflexerregbarkeit sich als zu stark für die dritte Position erwiesen hat, sich nun schlüssig machen, ob man zum Kehlkopfspiegel greifen will (der für solche reflexerregbare Patienten auch kein sehr angenehmes Instrument ist) oder – zum Cocaїn, dem Helfer in der Noth. Pinseln wir die tiefen Rachentheile mit einem in 20 proc. Lösung getauchten Wattebausch, so ist die erste und grösste Schwierigkeit der Autoskopie überwunden. Immerhin wird man das Cocaїn wegen des durch dasselbe erzeugten peinlichen Schwellungsgefühles und der nie ganz auszuschliessenden Vergiftungsgefahr gerne vermeiden, und so ist schon um dieses einen Umstandes willen dem Kehlkopfspiegel eine dauernde practische Bedeutung gesichert. Das Verhältniss beider Methoden könnte sich freilich wohl einmal noch viel weiter zu Gunsten der Autoskopie verschieben, wenn die Chemie uns ein dem Cocaїn in der Abstumpfung der Reflexe gleichwerthiges Mittel bescheeren sollte, das der störenden Nebenwirkungen ermangelt.

    Ein ferneres Hinderniss für das Gelingen der dritten Position liegt darin, dass die Epiglottis sich keineswegs immer so gut aufrichtet, wie zum vollen Einblick erforderlich ist. Dann sehen wir eben weniger als Alles, aber immer noch manches, was der Spiegel nicht so gut zeigt, z. B. die hintere Larynxwand, die sich oft ausgezeichnet flächenhaft einstellt. Träufeln wir auf die Rückseite der Epiglottis ein Paar Tropfen Cocaїnlösung, so kommen wir unter allen Umständen mit der Autoskopie zum Ziel, denn wir können jetzt zur directen instrumentellen Aufhebung der Epiglottis schreiten, indem wir dazu entweder eine Art Sonde benutzen, oder das Autoskop selbst statt vor, hinter die Epiglottis einführen. Dazu eignen sich dann solche Rinnen, die nach Art meiner alten röhrenförmigen Autoskope in einen dünnen blattförmigen Kehldeckelheber auslaufen (siehe das mittlere Bild in Figur 1). Welche der genannten beiden Methoden zur instrumentellen Aufhebung des Kehldeckels vorzuziehen ist, das möge jeder selbst ausprobiren – ich glaube, dass die Meinungen da auseinandergehen werden wie überall, wo zwei Wege zum Ziele führen.

    In operativen Fällen kann die Sache wohl gelegentlich so stehen, dass sich zur ersten Diagnose der Spiegel besser eignet, zur Operation das Autoskop. In der That liegen ja bei einer operativen Sitzung die Verhältnisse für die Autoskopie viel günstiger; denn erstens muss das Larynxinnere ohnehin cocaїnisirt werden, und zweitens besorgt das operirende Instrument bei der Einführung in den Larynx eo ipso die Hochhebung der Epiglottis. In einem besonders schwierigen Fall eines wichtigen operativen Eingriffs in der vorderen Larynxhälfte würde ich übrigens ohne Bedenken einen Faden als Zügel durch die Epiglottis ziehen, wie es schon Türck empfohlen hat; ein nach dem Tobold’schen[7] Princip gearbeitetes gerades Nähinstrument, welches die Nadel selbstthätig durchführt und auszieht, lasse ich jetzt anfertigen.

    Zum Schluss noch eine kleine Mahnung und ein kleiner Kunstgriff. Man hüte sich, dass nicht die Oberlippe zwischen das Autoskop und die Zähne komme! Wenn man auch nicht gerade gegendrückt – es kann doch weh thun. – Sieht man sich von oben her durch einen grossen Schnurrbart oder durch einen vereinzelt stehenden Zahn oder dergleichen genirt, so kann man das Autoskop oben abschliessen, indem man eine entsprechend geformte Platte (siehe das untere Bild in Figur 1) aufschiebt.

    Autoskope nebst sämmtlichem Zubehör liefert Herr W. A. Hirschmann, Johannisstrasse 14/15.


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    * Erstveröffentlichung in: Therapeutische Monatshefte 1895; IX. Jahrgang: 361 – 364


    1 Laryngoscopia directa und Tracheoscopia directa (Besichtigung des Kehlkopfes und der Luftröhre ohne Spiegel). Eine vorläufige Mittheilung. Allg. med. Central-Zeitung. 1895, No. 34.


    2 a) Autoskopie des Larynx und der Trachea (Besichtigung ohne Spiegel). Vortrag mit Demonstration, gehalten in der Berliner medicinischen Gesellschaft am 15. Mai 1895. Berl. Klin. Wochenschrift 1895, No. 22.
    b) Autoskopie des Larynx und der Trachea (directe Besichtigung ohne Spiegel). Vortrag mit Demonstration, gehalten in der laryngologischen Gesellschaft zu Berlin am 24. Mai 1895. Archiv für Laryngologie und Rhinologie. III. Bd. 1. und 2. Heft.
    c) Autoskopie des Larynx und der Trachea (Besichtigung ohne Spiegel). Sitzungsbericht der Versammlung süddeutscher Laryngologen zu Heidelberg am 4. Juni 1895.


    3 a) Fortschritte in der Untersuchung des Rachens und des Kehlkopfes ohne Spiegel (Autoskopie). Vorläufige Mittheilung. Allg. med. Central-Zeitung. 1895 No. 48.
    b) Meine verbesserte Methode der Autoskopie der Luftwege. Allg. med. Central-Zeitung. 1895 No. 51.


    4 Das Wort αυτοσκοπια soll dasselbe bedeuten wie das Wort αυτοψια, dem es nachgebildet ist: quum quis suis oculis vidit (Henr. Stephan. Thesaur. Graec. Linguae). Es ist wohl kaum zu erwarten, dass jemand die Autoscopia laryngis mit der Autolaryngoskopie confundiren wird.


    5 Bei einer zum Durchblick geeigneten Lücke der oberen Schneidezähne kann man sogar mit einem flachen Spatel autoskopiren. Ich habe schon gelegentlich mit einem ganz gewöhnlichen Fränkel’schen Zungenspatel brillant autoskopirt – bis zur Bifurcation.


    6 Eine neue elektrische Stirn-, Hand- und Stativlampe für Hals, Nase und Ohr. Deutsche med. Wochenschrift 1895 No. 29.


    7 Tobold, Lehrbuch der Laryngoskopie. 2. Aufl., Berlin 1869, S. 171.



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