Der Klinikarzt 2014; 43(07/08): 340-341
DOI: 10.1055/s-0034-1393683
Medizin & Management
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Chefarzt darf außerordentlich kündigen – Nicht genügend Personal zur Verfügung gestellt

Isabel Häser
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Dr. iur. Isabel Häser
Rechtsanwältin ECOVIS Lüdemann Wildfeuer & Partner
Sonnenstr. 9
80331 München

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Publication Date:
11 September 2014 (online)

 

Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (Urteil vom 11.10.2013, Az.: 12 Sa 15/13) kann die außerordentliche Eigenkündigung eines leitenden Krankenhausarztes begründet sein, wenn ihm der Krankenhausträger entgegen seinen vertraglichen Verpflichtungen trotz Abmahnung kein ausreichendes nichtärztliches Personal zur Verfügung stellt.


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Der Fall

Der Chefarzt war seit 2005 als Facharzt für Plastische Chirurgie in einem (vom Krankenhaus räumlich getrennten) Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) angestellt. Laut Arbeitsvertrag leitete der Chefarzt die plastisch-chirurgische Abteilung des MVZ. Ärztliches Personal war ihm nicht unterstellt. Der Arbeitsvertrag enthielt darüber hinaus eine Nebentätigkeitsgenehmigung zur Behandlung von „selbst zahlenden Patienten“. Als Kündigungsfrist war ein Zeitraum von 6 Monaten zum Jahresende vereinbart. Der Arzt hatte zuvor zugunsten des MVZ auf seine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung verzichtet. Notwendige Materialien wurden vom MVZ beschafft. Arbeitsverträge mit ärztlichen und nichtärztlichen Mitarbeitern wurden ebenfalls durch den Träger des MVZ abgeschlossen. Darüber hinaus sah der Arbeitsvertrag folgende Regelung vor: „Der Träger des MVZ stellt Herrn R. für dessen Nebentätigkeitsbereich ausreichend Personal, Räume, Einrichtungen und Material im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten und Erfordernisse zur Verfügung. (...)“. Der Chefarzt führte dienstags und donnerstags im MVZ ambulante Operationen durch. Jeden zweiten Montag überließ der Krankenhausträger dem Chefarzt einen von 3 Operationssälen des Krankenhauses für stationäre Operationen. Von dieser Möglichkeit machte der Chefarzt nicht immer Gebrauch.


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Chefarzt mahnt Krankenhaus-träger mehrfach ab

Das MVZ verfügte über eine einzige Arzthelferin. Diese war seit dem 12.11.2010 arbeitsunfähig. Der Krankenhausträger hatte weder für den 12. noch für den 15.11.2010 eine Vertretungskraft bereitgestellt, weshalb der Chefarzt den Krankenhausträger mit Schreiben vom 16.11.2010 abmahnte. Der Chefarzt wies auf seinen Arbeitsvertrag hin und forderte den Krankenhausträger auf, ihm bei zukünftigen Erkrankungen des nichtärztlichen Personals unverzüglich Ersatzkräfte zur Verfügung zu stellen. Ab Dezember 2010 arbeitete eine Leiharbeitnehmerin als Arzthelferin im MVZ. Anfang Dezember 2010 wurde dem Chefarzt von dem Krankenhausträger eröffnet, dass man beabsichtige, die plastische Chirurgie zum Ende des Jahres 2010 aufzugeben und ihn freizustellen. Der Chefarzt wies darauf hin, dass eine derart schnelle Schließung schon wegen der Patientenversorgung nicht möglich sei. Mitte Dezember 2010 beantragte der Chefarzt seine Zulassung als Vertragsarzt. Seine Zulassung erfolgte am 23.03.2011. Zugleich endete die Genehmigung für den Krankenhausträger, den Chefarzt als angestellten Arzt zu beschäftigen, zum 30.04.2011. Dem Träger des MVZ wurde vom Zulassungsausschuss eine sechsmonatige Frist zur Nachbesetzung der Arztstelle eingeräumt. Dem schlossen sich weitere Gespräche der Parteien über eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses an. Es konnte keine Einigung erzielt werden. In der Folge stellten sich an mehreren Tagen erhebliche Personalprobleme ein. Aufgrund dieser Personalsituation und aus Sicht des Krankenhausträgers vorrangiger Operationen stand dem Chefarzt kein nichtärztliches OP-Personal zur Verfügung. Der Chefarzt mahnte daraufhin den Krankenhausträger erneut ab, weil er ihm keine OP-Kräfte zur Verfügung stellen konnte. Er wies in der Abmahnung auf die arbeitsvertragliche Beschäftigungspflicht hin und die damit verbundene Verpflichtung, ihm das erforderliche OP-Personal zur Verfügung zu stellen. Für den Fall, dass er dieser Verpflichtung nicht nachkomme, drohte der Chefarzt arbeitsrechtliche Maßnahmen bis hin zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses an. Da sich die Situation nicht verbesserte, kündigte der Chefarzt das Arbeitsverhältnis außerordentlich. Hiergegen klagte der Krankenhausträger. Im Juni 2011 kündigte der Krankenhausträger das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.12.2011. Er war der Auffassung, dass die außerordentliche Kündigung des Chefarztes nicht berechtigt gewesen sei, da sie nicht aus wichtigem Grund ausgesprochen wurde. Er habe zum einen den Personalbedarf für die stationären und ambulanten Operationen nicht ordnungsgemäß und rechtzeitig angemeldet. Zum anderen sei ihm – soweit möglich – OP-Personal zur Verfügung gestellt worden. Einen Anspruch auf eine bestimmte Personalausstattung habe er nicht. Der Chefarzt hielt dem entgegen, dass es ihm nicht zumutbar gewesen sei, das Arbeitsverhältnis bis zum 31.12.2011 aufrechtzuerhalten, nachdem ihn der Krankenhausträger trotz Abmahnungen nicht mit ausreichend nichtärztlichem Personal versorgt habe.


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Die Entscheidung

Das Arbeitsgericht gab in erster Instanz zunächst dem Krankenhausträger Recht und hielt die außerordentliche Kündigung des Chefarztes für unwirksam. Hiergegen ging der Chefarzt in Berufung. Das Landesarbeitsgericht änderte das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe ab und wies die Klage nun ab. Die außerordentliche Kündigung des Chefarztes hat nach Auffassung des Gerichts das Arbeitsverhältnis fristlos beendet. Das Landesarbeitsgericht stellt fest, dass der Träger gegenüber dem Chefarzt wiederholt seine arbeitsvertragliche Pflicht, ihm das für seine Arbeit erforderliche nichtärztliche Personal zur Verfügung zu stellen, schuldhaft verletzt habe. Hierin sah das Gericht einen wichtigen Grund, um das Arbeitsverhältnis außerordentlich aufzulösen.


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Träger muss das notwendige Personal stellen

Das Gericht sah in dem Arbeitsvertrag eine Verpflichtung des Trägers sozusagen als Gegenleistung für den Verzicht des Chefarztes auf seine Zulassung als Vertragsarzt, dass sich der Träger um die wirtschaftlichen Voraussetzungen des MVZ kümmert. Dazu gehöre ausdrücklich auch der Abschluss von Arbeitsverträgen mit nichtärztlichen Personen. Das Gericht ging davon aus, dass der Träger das MVZ so mit Personal auszustatten habe, wie es ein niedergelassener Arzt in Eigenregie tun würde, um seinen Praxisbetrieb einschließlich der ambulanten Operationen sicherzustellen. Schon die ausdrücklichen Regelungen des Arbeitsvertrages begründen nach Auffassung der Richter somit sowohl im Rahmen der arbeitsvertraglichen Aufgaben des Chefarztes als auch für die Nebentätigkeit die Verpflichtung des Trägers, dem Chefarzt das zu seiner Arbeit erforderliche nichtärztliche Personal zu überlassen. Dieselbe Verpflichtung, bezogen auf die arbeitsvertraglichen Aufgaben des Chefarztes, folge darüber hinaus aus der arbeitsvertraglichen Beschäftigungspflicht des Trägers. Der Träger konnte den Chefarzt nur bei entsprechender Personalausstattung vertragsgemäß als leitenden Arzt der plastisch-chirurgischen Abteilung beschäftigen. Hierzu bedurfte es sowohl einer Organisations- und Sprechstundenassistenz (Arzthelferin) als auch einer Operationsassistenz (bei stationären Operationen mindestens 3 Assistenzkräfte). Hiergegen habe der Träger mehrfach verstoßen. Dass das Nicht-zur-Verfügung-stellen auf einer verspäteten OP-Anmeldung des Chefarztes beruhen sollte, sei in keinem Fall ersichtlich gewesen.


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Unzureichende Personalplanung

Dem Träger wurde vom Gericht eine unzureichende Personalplanung attestiert. Eine Regelbesetzung mit 8,75 bzw. 9,75 Pflegekräften im OP-Dienst müsse bei 3 Operationssälen und mindestens einer Ambulanz (MVZ) in Krankheitsfällen oder bei Urlaub unweigerlich zu Personalengpässen führen. Das wiederholt vertragswidrige Vorenthalten von Personal kann nach Auffassung der Richter in einem Arztverhältnis wie dem vorliegenden grundsätzlich dessen außerordentliche Kündigung begründen, weil die Vertragsbeziehungen massiv gestört werden. Das Gericht würdigte insoweit, dass das Vorenthalten von Personal sich unter anderem auch unmittelbar auf die Vergütung des Arztes und auch seinen Ruf als zuverlässigen Arzt auswirken könne. Da der Chefarzt mehrfach den Sachverhalt abgemahnt hatte, sah es das Gericht nicht mehr als zumutbar an, das Arbeitsverhältnis weitere mehr als 8 Monate aufrechtzuerhalten. Er musste damit rechnen, dass der Träger das MVZ weiterhin nur unzureichend mit nichtärztlichem Personal versorgen werde.


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Fazit

Dieser eher ungewöhnliche Fall einer eigenen außerordentlichen Kündigung eines Chefarztes wegen unzureichender Personaldecke macht deutlich, dass sich die kritische Personalsituation auch einmal sehr schnell gegen den Krankenhausträger wenden kann. Maßgeblich sind hierbei immer die einzelvertraglichen Regelungen im Arbeitsvertrag und die Interessenabwägung im Rahmen der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei außerordentlicher Kündigung. Ärzten, die entsprechende Konstruktionen wie im vorliegenden Fall (Verzicht auf die Zulassung zugunsten einer Anstellung im MVZ) anstreben, ist zu raten, bei der Vertragsgestaltung insbesondere auch auf die notwendige vertragliche Verpflichtung zur Ausstattung mit dem notwendigen Personal zu achten.

Wie das Urteil deutlich macht, kann der Anspruch auf ausreichend Personal aber unter Umständen bereits aus dem arbeitsrechtlichen Beschäftigungsanspruch – ohne vertragliche Regelung – hergeleitet werden.


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