Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2014; 21(05): 223-225
DOI: 10.1055/s-0034-1395316
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Proskpektive Studie: Ursachen von Durchfallerkrankungen bei Ausländern in Jakarta und Kairo – Diagnose und gezielte Behandlung der Diarrhö im Reiseland

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Publication Date:
17 November 2014 (online)

 

In Zusammenarbeit mit der amerikanischen Marineeinheit NAMRU (NAvy Medical Research Unit) wurden in Jakarta (2007 bis 2010) und Kairo (2011 bis 2013) bei insgesamt 676 Ausländern mit Diarrhö Stuhlproben auf ätiologische Ursachen untersucht. In Jakarta fanden sich am häufigsten Cyclospora, gefolgt von den pathologischen Escherichia-coli-Formen und Rotaviren. In Kairo waren es an erster Stelle die pathologischen Escherichia-coli-Formen, gefolgt von Rotaviren und Shigellen. Für den südostasiatischen Raum wird eine Stand-by-Therapie mit Azithromycin und Tinidazol, für Nordafrika und Nahost mit Ciprofloxacin empfohlen.

Die Reisediarrhö, die Durchfallerkrankung bei Aufenthalt in fernen Ländern, wird in der medizinischen Fachliteratur seit Jahren ausführlich beschrieben. In vielen Fällen wurde dabei aber die anhaltende Symptomatik nach der Rückkehr untersucht. In unseren Studien war es von Bedeutung vor Ort, also im Reiseland und während des Aufenthalts in der Ferne, eine Diagnose zu stellen, um – wenn möglich – umgehend mit einer gezielten Behandlung zu beginnen.

Material und Methoden

In Zusammenarbeit mit den jeweiligen amerikanischen Marineeinheiten (NAMRU-2 in Jakarta, 2007 bis 2010 und NAMRU-3 in Kairo, 2011 bis 2013) wurden Vor-Ort-Lebende oder durchreisende Ausländer mit Diarrhö in eine prospektive Studie aufgenommen, um die Ursache der Durchfallerkrankung zu klären: „Prospective study of diarrhoea and its etiological agents in expatriates relocating in Jakarta/Cairo“. Alle Studienteilnehmer waren Patienten der deutschen Regionalarztpraxis, der Health Unit der US Botschaft oder der japanischen und australischen (nur Jakarta) Botschaftskliniken.

Vor Aufnahme in die Studie erfolgte eine ausführliche Aufklärung mit Einwilligungserklärung (Erwachsene über 18 Jahre, keine Einheimischen). Anschließend wurde gemeinsam mit dem Patienten ein ausführlicher Fragebogen ausgefüllt, der Essgewohnheiten, Aufenthaltsdauer im Land, Reiseanamnese, Beginn, Dauer und Art der Symptomatik, Medikamenteneinnahme, Vorerkrankungen und Untersuchungsdaten genau erfasste.

Die immer in der Praxis produzierte Stuhlprobe wurde umgehend auf verschiedenen Nährböden zur Kultur angesetzt, als Nativpräparat mit und ohne Färbung unter dem Mikroskop untersucht oder mittels ELISA oder PCR im Zentrallabor von NAMRU weiterverarbeitet (Abb. [ 1 ]).

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Abb. 1 Die Stuhlproben wurden umgehend untersucht und im Labor weiterverarbeitet. (Quelle: Dr. Volker Jorge Klinnert, Dr. Dagmara Banisch, Kairo)

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Ergebnisse

Insgesamt wurden 676 Patienten mit Diarrhö in die Studie aufgenommen, 514 in Jakarta und 162 in Kairo. Die größte Anzahl der Probanden kam aus der deutschen Regionalarztpraxis (68 %, überwiegend EU-Nationalitäten), gefolgt von der Health Unit der US-Botschaften (22 %, nur US-Bürger) und der australischen (6 %, Australier, nur in Jakarta) und japanischen (4 %, nur Japaner) Botschaftskliniken.

Die Auswertung der ausführlichen Fragebogen ergab eine symptomatische Spanne von 2 bis 10 Tagen (Median: 4 Tage) mit täglichen Stuhlfrequenzen zwischen 4 und 12 Absetzungen (Median: 6 Entleerungen). Häufigste Beschwerden waren Übelkeit und Erbrechen (80 %), gefolgt von abdominellen Krämpfen (72 %) und Tenesmen (40 %). Nur bei 27% der Patienten wurde Fieber beschrieben und relativ selten (6 %) kam es zur Blutbeimengung im Stuhl. Immerhin 18 % der Patienten hatten vor Aufnahme in die Studie bereits ein Antibiotikum erhalten. Bei dieser Gruppe war die häufigste Vordiagnose Typhus (typhoides Fieber), Amöbiasis oder Lambliasis. In keinem Fall konnte eine eindeutige Zuordnung bestimmter Symptomgruppen zu einzelnen Erregern hergestellt werden.

Die Auswertungen der Stuhlproben zeigten in Jakarta und Kairo etwas unterschiedliche Ergebnisse. Bei der deutlich größeren Patientengruppe und dem längeren Beobachtungszeitraum in Indonesien fand sich als häufigste Ursache ein Infekt mit Cyclospora, gefolgt von der Gruppe pathologischer Escherichia-coli-Arten (ETEC, EAEC, EIEC) und Rotaviren. Infektionen mit Shigella, Campylobacter, Lamblien und Cryptosporidien lagen alle unter 10 %, während Salmonellenarten (0,4 %, keine Salmonella typhi) und Amöben (0,4 %) nur ganz vereinzelt nachgewiesen werden konnten (Abb. [ 2 ]). In Kairo fand sich bei der kleineren Probandengruppe und dem kürzeren Beobachtungszeitraum als häufigste Ursache von Durchfallerkrankungen die Gruppe der pathogenen Eschrichia-coli-Arten (30 %), gefolgt von Rotavirus (7 %). Auch hier lagen Infektionen mit Shigella, Campylobacter, Lamblien und Cryptosporidien jeweils deutlich unter 10 %. Nur jeweils ein einziges Mal konnten Salmonellen (keine Salmonella typhi) und Entamoeba histolytica diagnostiziert werden (Abb. [ 3 ]). In beiden Studienorten lag der Anteil der pathologischen Befunde aller untersuchten Proben über 50 % (Jakarta 52 %, Kairo 53 %).

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Abb. 2 Ergebnisse der Stuhlproben in Jakarta. (Quelle: Dr. Volker Jorge Klinnert, Dr. Dagmara Banisch, Kairo)
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Abb. 3 Ergebnisse der Stuhlproben in Kairo. (Quelle: Dr. Volker Jorge Klinnert, Dr. Dagmara Banisch, Kairo)

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Diskussion

Gemeinsames Ziel dieser Studie an 2 verschiedenen Standpunkten war die Bewertung ätiologischer Ursachen der Diarrhö bei Ausländern vor Ort zum Zeitpunkt des Aufenthalts in der Ferne. Bei Reisenden wird in 20 bis 60 % aller Fälle von einer Durchfallepisode während eines Auslandsaufenthalts ausgegangen. In den meisten Fällen normalisieren sich diese Zwischenfälle in wenigen Tagen mit und ohne Therapie wieder von selbst [ 1 ]. Die Untersuchung von Stuhlproben bei noch symptomatischen Reisenden nach Rückkehr stellt deshalb schon an sich eine gewisse Selektion dar. So mögen sich auch die unterschiedlichen Ergebnisse bei Rückkehrern erklären, bei denen oft in über der Hälfte der Fälle kein pathologischer Hinweis mehr in der Stuhluntersuchung zu finden ist. Auch die Erkenntnis, dass bei länger andauernder Symptomatik eher eine bakterielle als parasitäre Infektion zu erwarten ist, kann darauf zurückgeführt werden [ 2 ].

In beiden Teilen der von uns durchgeführten Studien fand sich in mehr als der Hälfte der Proben der Nachweis eines pathologischen Agens. Das war insbesondere für die umgehend erfolgte Behandlung der Patienten ein großer Vorteil, auch wenn zum Beispiel die Diagnose einer Rotavirusinfektion nur die blinde Gabe eines Antibiotikums verhinderte. Virale Durchfallerkrankungen in Entwicklungsländern werden von einheimischen Laboren bei Erwachsenen kaum in Betracht gezogen, weil die meisten dort bereits in der Kindheit einen Infekt durchgemacht haben – Rotavirus ist in vielen dieser Ländern häufigste Todesursache bei Kleinkindern – und dann im Erwachsenenalter immun sind. Bei Fremden in diesen Ländern sind virale Gastroenteritiden aber eben wesentlich häufiger, bei uns lagen die Zahlen allein für Rotavirus immerhin bei 10 % (Jakarta) und 7 % (Kairo).


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Häufigste Infektionsursachen

In vielen Studien der letzten Jahre werden die Infekte mit pathogenen Escherichia-coli-Arten als häufigste Ursache von gastrointestinalen Infekten bei Reisenden angegeben [ 3 ]. Diese große Bakteriengruppe (ETEC, EAEC, EIEC oder EHEC) war auch in unserer Studie stark vertreten – häufigste Ursache in Kairo, zweithäufigste in Jakarta. Hier muss aber deutlich hervorgehoben werden, dass die häufigste Infektionsursache in Jakarta – Cyclospora – so in der Fachliteratur bisher an keiner Stelle erwähnt wird. Das mag mehrere Gründe haben, unter anderem dass eine Infektion erst bei längerem Aufenthalt in der Ferne wahrscheinlicher ist, dass die Symptome weniger akut sind – viele Einheimische können damit ein Leben lang leben – und dass das geschulte Auge dafür am Mikroskop vielleicht nicht so verbreitet ist (Abb. [ 4 ]). Die gezielte Behandlung mit dem sonst bei Durchfallerkrankungen eher selten eingesetzten Sulfamethoxazol/Trimethoprim hat bei vielen unserer Patienten jedoch – oft nach Einnahme mehrerer anderer Antibiotika – zu einer entscheidenden Besserung geführt.

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Abb. 4 Cyclospora im Lichtmikroskop. (Quelle: Dr. Volker Jorge Klinnert, Dr. Dagmara Banisch, Kairo)

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Häufige Fehldiagnosen: Amöben und Thypus

Hingewiesen werden muss noch auf den seltenen Nachweis von Amöben und Salmonellenarten. Dies steht im Widerspruch zu den vor Ort häufig anzutreffenden Diagnosen dieser Erreger, insbesondere als typhoides Fieber. Die oft eingeschränkten Laborbedingungen in Entwicklungsländern könnten dafür eine Ursache sein.

Bei den Amöben erfolgt eine Diagnose in der Regel durch den Nachweis von Zysten von Entamoeba histolytica – nicht von den ausgewachsenen Trophozoiten –, die sich mikroskopisch aber kaum von den apathogenen Zysten von Endolimax nana unterscheiden lassen und somit eine große Zahl falsch-positiver Befunde erklären. In unserer Studie konnte bei insgesamt 676 ausführlich untersuchten Stuhlproben nur in einem einzigen Fall eine Amöbe mikroskopisch nachgewiesen werden.

Die Diagnose typhoides Fieber ist bekanntermaßen in Entwicklungsländer sehr häufig, basiert in der Regel aber ausschließlich auf dem Widal-Test, der in modernen Laboren wegen der geringen Spezifität und der hohen Zahl falsch-positiver Ergebnisse nicht mehr angewendet wird. Der Nachweis von Salmonellenarten – in keinem Fall Salmonella typhi – gelang bei allen unseren untersuchten Proben nur in 3 Fällen (0,4 %). Typhus (typhoides Fieber) ist sicherlich eine ernste Erkrankung, allerdings keine typische Durchfallerkrankung. Die Notwendigkeit einer Impfung dagegen – zumal nur mit einem bedingten Schutz zu rechnen ist – muss deshalb sicherlich überdacht werden. Auch die Inzidenz in den betroffenen Gebieten wird in der Literatur inzwischen mit deutlich unter 10 von 100 000 Reisenden angegeben [ 4 ].


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Therapieoptionen

Auf Grund der Ergebnisse unserer Studien und der bekannten Resistenzen in den unterschiedlichen Regionen würden wir als mögliche Stand-by-Therapie für schwere symptomatische Diarrhö im Raum Südostasien die Kombination von Azithromycin (500 mg täglich an 3 aufeinanderfolgenden Tagen) und Tinidazol (2 g als Einmaldosis) empfehlen. Damit wären die nicht viralen Erreger, wie die pathologischen Escherichia-coli-Arten, Shigellen, Campylobacter und Lamblien – bei der bekannten zunehmenden Resistenz gegen Ciprofloxacin in der Region – abgedeckt. Nicht abgedeckt wäre allerdings die relativ häufige Infektionsursache Cyclospora. In diesen Fällen ist die Sympt omatik in der Regel aber milder. Für den Raum Nordafrika und Nahost erscheint aufgrund der nachgewiesenen, nicht viralen Erreger eine Stand-by-Therapie mit Ciprofloxacin (500 mg 2-mal täglich über 5 Tage) nach wie vor sinnvoll.

Dr. Volker Jorge Klinnert, Dr. Dagmara Banisch
Regionalarztpraxis, Deutsche Botschaft Kairo


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Danksagung

Ich bedanke mich bei Claudia Schubert, Pamela Cieslik, Renate Culley und Antje Vincentz, Laborassistentinen der Regionalarztpraxis in Jakarta und Kairo, für die vielen Stunden hervorragender Arbeit am Mikroskop.


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  • Literatur

  • 1 Hearn P, Doherty T. Diarrhoea in travellers. Medicine 2014; 42: 84-88
  • 2 McGregor AC, Whitty CJ, Wright SG. Geographic, symptomatic andlaboratory predictors of parasitic and bacterial causesof diarrhoea in travellers. Trans R Soc Trop Med Hyg 2012; 106: 549-553
  • 3 Herman J, Hill D. Advising the traveller. Medicine 2014; 42: 107-111
  • 4 Kimura M, Fujii T, Carroll B. Prioritising immunisations for travel: International and Japanese perspectives. Travel Med Infect Dis 2014; 12: 118-128

  • Literatur

  • 1 Hearn P, Doherty T. Diarrhoea in travellers. Medicine 2014; 42: 84-88
  • 2 McGregor AC, Whitty CJ, Wright SG. Geographic, symptomatic andlaboratory predictors of parasitic and bacterial causesof diarrhoea in travellers. Trans R Soc Trop Med Hyg 2012; 106: 549-553
  • 3 Herman J, Hill D. Advising the traveller. Medicine 2014; 42: 107-111
  • 4 Kimura M, Fujii T, Carroll B. Prioritising immunisations for travel: International and Japanese perspectives. Travel Med Infect Dis 2014; 12: 118-128

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Abb. 1 Die Stuhlproben wurden umgehend untersucht und im Labor weiterverarbeitet. (Quelle: Dr. Volker Jorge Klinnert, Dr. Dagmara Banisch, Kairo)
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Abb. 2 Ergebnisse der Stuhlproben in Jakarta. (Quelle: Dr. Volker Jorge Klinnert, Dr. Dagmara Banisch, Kairo)
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Abb. 3 Ergebnisse der Stuhlproben in Kairo. (Quelle: Dr. Volker Jorge Klinnert, Dr. Dagmara Banisch, Kairo)
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Abb. 4 Cyclospora im Lichtmikroskop. (Quelle: Dr. Volker Jorge Klinnert, Dr. Dagmara Banisch, Kairo)