Der Klinikarzt 2014; 43(11): 542-543
DOI: 10.1055/s-0034-1395916
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Antikoagulation – Frühe Therapieinitiierung bei ACS-Patienten

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Publication Date:
15 December 2014 (online)

 
 

Pro Jahr werden in deutschen Krankenhäusern 400.000 Patienten wegen eines akuten Koronarsyndroms (ACS) behandelt. Wann aber ist der beste Zeitpunkt für die Therapieinitiierung? Auf einem Symposium von AstraZeneca bei der diesjährigen Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) diskutierten führende Experten über die jüngst veröffentlichten Ergebnisse der ATLANTIC-Studie. Diese untersuchte die prähospitale Gabe des Thrombozytenaggregationshemmers Ticagrelor bei ACS-Patienten. 344.345 Patienten werden jährlich (2012) in deutschen Krankenhäusern wegen ACS behandelt. Etwa 65 % Prozent nach einem Herzinfarkt und 35 % Prozent kommen mit einer instabilen Angina Pectoris (IA) ins Krankenhaus [ 1 ].

Kardiovaskuläre Sterblichkeit gesenkt

Entsprechend der aktuellen Leitlinien sollten ACS-Patienten in der Akutphase möglichst schnell Acetylsalicylsäure (ASS) und Heparin als Standardmedikation erhalten. Bei Patienten mit ST-Streckenhebungsinfarkt (STEMI) und geplanter perkutaner Koronarintervention (PCI) sollte zudem eine Initiierung der dualen Plättchenhemmung mit Ticagrelor oder Prasugrel beim medizinischen Erstkontakt erfolgen (Empfehlungsgrad I, Evidenzgrad B). Ticagrelor wird auch empfohlen für NSTE-ACS-Patienten mit moderatem bis hohem Risiko für ischämische Ereignisse unabhängig von der initialen Behandlungsstrategie (I B) [ 2 ].

Ticagrelor (Brilique™) ist ein Adenosindiphosphat (ADP)-Rezeptorantagonist aus der Wirkstoffklasse der Cyclo-Pentyl-Triazolo-Pyrimidine (CPTP). Der orale Plättchenhemmer gleichzeitig eingenommen mit ASS ist bei allen Formen des ACS, d. h. bei STEMI, NSTEMI und instabiler Angina pectoris zugelassen [ 3 ].

In der PLATO-Studie (PLATelet Inhibition and Patient Outcomes) wurde an mehr als 18.600 stationär behandelten ACS-Patienten die Wirksamkeit und Sicherheit von Ticagrelor plus ASS gegenüber Clopidogrel plus ASS verglichen [ 4 ]. Primärer Studienendpunkt war eine Kombination der Ereignisse kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt oder Schlaganfall; primärer Sicherheitsendpunkt waren schwere Blutungen. Für Prof. Christian Hamm, Gießen/Bad Nauheim, gehört die PLATO-Studie zu den wichtigsten im Bereich des akuten Koronarsyndroms. Sie zeige unter Ticagrelor eine signifikante Senkung der kardiovaskulären Sterblichkeitsrate im Vergleich zu Clopidogrel um relative 21 % (Abb. [ 1 ]) [ 4 ]. Darüber hinaus wurde unter Ticagrelor in Bezug auf den kombinierten Endpunkt eine signifikante Risikoreduktion um relative 16 % nachgewiesen [ 4 ]. Mit Ticagrelor behandelte Patienten erlitten häufiger leichte Blutungen wie Nasenbluten und Hämatome und zeigten ein erhöhtes Risiko für schwere Blutungen, die nicht auf eine koronare Bypass-Operation zurückzuführen waren. Weitere Nebenwirkungen waren Dyspnoe und bradykarde Ereignisse. Die Gesamtzahl der schweren Blutungen war unter Ticagrelor nicht häufiger als unter Clopidogrel [ 4 ].

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Abb. 1 Ticagrelor senkt die kardiovaskuläre Mortalität signifikant stärker als Clopidogrel.

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ATLANTIC-Studie: Prähospitale Gabe von Ticagrelor

Der Fokus der jüngst veröffentlichten ATLANTIC-Studie lag auf der Frage, ob ein früherer Beginn der Behandlung mit Ticagrelor, z. B. im Notarztwagen, den Koronarfluss (TIMI Grad 3) verbessert und zu einem Rückgang der ST-Hebung führt (kombinierter primärer Endpunkt).

Untersucht wurden Wirksamkeit und Sicherheit einer prähospitalen Ticagrelor-Gabe im Vergleich zur intrahospitalen Gabe bei STEMI-Patienten mit geplanter PCI. An der 30-tägigen Studie, ebenfalls eine internationale, multizentrische, randomisierte Doppelblind-Studie, nahmen 1.862 STEMI-Patienten teil. Es gab in ATLANTIC in Bezug auf den kombinierten primären Endpunkt keine signifikanten Wirksamkeitsunterschiede zwischen der prähospitalen und der intrahospitalen Gabe von Ticagrelor sowie keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich Blutungen [ 5 ]. Bemerkenswert waren die Ergebnisse bei einem sekundären Endpunkt: Die prähospitale Gabe von Ticagrelor führte nach 24 Stunden bzw. 30 Tagen zur signifikanten Reduktion von Stentthrombosen (Abb. [ 2 ]) [ 5 ].

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Abb. 2 Die prähospitale Gabe von Ticagrelor führt nach 24 Stunden bzw. 30 Tagen zur signifikanten Reduktion von Stentthrombosen.
(mod. nach [ 5 ])

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G-BA Beschluss nach § 35a SGB V

Der G-BA hat am 15.12.2011 als Abschluss der Frühen Nutzenbewertung von Ticagrelor nach § 35a SGB V einen Beschluss veröffentlicht. Darin hat der G-BA Ticagrelor für nachfolgende Indikationen einen Zusatznutzen anerkannt: Instabile Angina pectoris / Myokardinfarkt ohne ST-Strecken-Hebung im Vergleich zu Clopidogrel, Myokardinfarkt mit ST-Strecken-Hebung und perkutaner Koronarintervention im Vergleich zu Prasugrel, sofern diese Patienten ≥ 75 Jahre alt sind und nach einer individuellen Nutzen-Risiko-Abwägung nicht für eine Therapie mit Prasugrel + ASS infrage kommen oder Patienten, die eine transitorische ischämische Attacke oder einen ischämischen Schlaganfall in der Anamnese haben. Für die Indikationen STEMI PCI < 75 J. im Vergleich zu Prasugrel, STEMI medikamentös behandelt im Vergleich zu Clopidogrel und STEMI CABG im Vergleich zu ASS Monotherapie hat der G-BA keinen Zusatznutzen festgestellt.

Anne Marie Feldkamp, Bochum

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Quelle: Symposium „ACS im Fokus – von der Akutversorgung bis zur Nachbehandlung“ auf der DGK-Herbsttagung am 10. Oktober 2014 in Düsseldorf. Der Text entstand mit freundlicher Unterstützung der AstraZeneca GmbH.


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Interview – Prähospitale Versorgung von Notfallpatienten

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Prof. Christian Hamm, Gießen

? ASS und Heparin sind in der Akutphase des ACS obligat. Reichen die beiden Substanzen für den sogenannten „First medical contact“?

Prof. Hamm: Sowohl ASS als auch Heparin werden traditionell beim ersten ärztlichen Kontakt mit dem Patienten gegeben. Dieses ist nicht durch Studien gesichert, erscheint jedoch gerechtfertigt. Die Gabe weiterer antithrombotischer Substanzen ist bisher nicht ausreichend durch die Studienlage belegt. In Ausnahmefällen kann leitliniengerecht ein GPIIb/IIIa-Antagonist (z. B. Tirofiban) gegeben werden, insbesondere wenn es sich um sehr frische Infarkte handelt, d. h. der Schmerzbeginn weniger als 2 Stunden zurückliegt.

? Ist der Thrombozytenaggregationshemmer „Clopidogrel“ veraltet?

Prof. Hamm: Sowohl Ticagrelor als auch Prasugrel haben sich Clopidogrel gegenüber als überlegen erwiesen. Deshalb ist Clopidogrel nur die Substanz der zweiten Wahl.

? Ziel der ATLANTIC-Studie war es, festzustellen, ob mit der Ticagrelor-Behandlung bereits zu einem früheren Zeitpunkt, also vom Notarzt im Rettungswagen begonnen werden soll. Bringt das aus Ihrer Sicht eine Verbesserung für den Patienten?

Prof. Hamm: Die ATLANTIC-Studie zeigt, dass es kein Nachteil ist, wenn Patienten bereits im Notarztwagen Ticagrelor erhalten. Auf der anderen Seite ist aber auch für Patienten kein Vorteil zu erkennen gewesen, was möglicherweise daran liegt, dass die Vorbehandlungszeit nur 31 Minuten betrug. Dieser kurze Zeitgewinn führt noch zu keinem verbesserten Behandlungsergebnis. Wichtig ist aber, dass die frühe Gabe von Ticagrelor im Rettungswagen nicht zu mehr Blutungen geführt hat, also genauso verträglich ist.

? Was kann man dem Notarzt als Rat für die Akutversorgung geben?

Prof. Hamm: Der Notarzt muss dem Patienten zusätzlich zu ASS keinen weiteren Plättchenhemmer in der prähospitalen Phase geben. Besonders, wenn er gleichzeitig Morphin gibt, ist nicht zu erwarten, dass er hiermit schon eine effektive Plättchenhemmung zum Zeitpunkt der Herzkatheteruntersuchung erreichen kann. Andererseits ist eine prähospitale Gabe auch nicht von Nachteil für den Patienten, so dass es bei einer individuellen Entscheidung bleibt.

? Sehen Sie einen Einfluss der prähospitalen Gabe von Ticagrelor auf Stentthrombosen?

Prof. Hamm: In der ATLANTIC-Studie zeigte die prähospitale Gabe von Ticagrelor nach 24 Stunden sowie nach 30 Tagen signifikante Risikoreduktionen bei Stentthrombosen nach einer PCI. Diese Daten müssen allerdings in weiteren Untersuchungen geprüft werden.


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Abb. 1 Ticagrelor senkt die kardiovaskuläre Mortalität signifikant stärker als Clopidogrel.
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Abb. 2 Die prähospitale Gabe von Ticagrelor führt nach 24 Stunden bzw. 30 Tagen zur signifikanten Reduktion von Stentthrombosen.
(mod. nach [ 5 ])
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Prof. Christian Hamm, Gießen