Z Geburtshilfe Neonatol 2015; 219(2): 65
DOI: 10.1055/s-0034-1397684
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Neonatologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zustandsbeurteilung – Ist der Apgar-Score noch zeitgemäß?

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Publication Date:
22 April 2015 (online)

Hintergrund: Der Apgar-Score wird weltweit zur Zustandsbeurteilung Neugeborener in den ersten Lebensminuten herangezogen. Er wurde vor mehr als 60 Jahren, in Zeiten knapper Ressourcen und fehlender effektiver Behandlungsmöglichkeiten, entwickelt. Die schottische Arbeitsgruppe untersucht, ob der 5-Minuten-Apgar-Wert auch in der heutigen Zeit bei Verfügbarkeit hochentwickelter Techniken der Neugeboren-Erstversorgung seine prognostische Bedeutung hinsichtlich der Mortalität im Neugeborenen- und Säuglingsalter behält.

Methoden: Im Rahmen einer populations-basierten Kohortenstudie wurden mit Hilfe verschiedener nationaler Register gewonnene Daten von 1 029 207 zwischen 1992 und 2010 in Schottland lebend geborenen Einlingen (Gestationsalter 24–44 SSW) ausgewertet. Todesfälle aufgrund kongenitaler Anomalien oder Isoimmunisierung wurden ausgeschlossen. Nach Adjustierung für Faktoren, die bekannterweise die Mortalitätsrate bei Reif- und Frühgeborenen beeinflussen, wurde das Mortalitätsrisiko der Neugeborenen mit niedrigem (0–3), intermediärem (4–6) und normalem (7–10) 5-Minuten-Apgar-Score in der frühen (bis 7 d post partum) und späten (7–28 d) Neonatalperiode sowie im Säuglingsalter (bis 1 Jahr) berechnet. Sekundäre Outcome-Parameter umfassten die ursachenspezifische Mortalität.

Ergebnisse: In der untersuchten Kohorte verstarben 1395 Neugeborene (0,1 %) und 2307 (0,2 %) Säuglinge. 98,5 % der Neugeborenen hatten einen normalen 5 min Apgar-Score. Aufgrund einer signifikanten Interaktion von Gestationsalter und Apgar-Score erfolgte eine Stratifizierung der Analyse gemäß dem Gestationsalter bei der Geburt. In allen Gestationsalter-Gruppen war ein niedriger 5 min Apgar-Score mit einer erhöhten neonatalen und Säuglingssterblichkeit verknüpft. Die stärkste Assoziation zeigte sich hierbei für am Termin geborene Kinder (adjustiertes relatives Risiko [aRR]; 95 %-Konfidenzintervall mit Apgar 7–10 als Referenz; p < 0,0001). Ein niedriger Apgar-Score (0–3) war mit einem aRR von 359,4 (95 %-KI 277,3–465,9) bzw. von 30,5 (95 %-KI 18,0–51,6) für ein Versterben in der frühen bzw. späten Neonatalperiode sowie mit einem aRR von 50,2 (95 %-KI 42,8–59,0) für ein Sterben im Säuglingsalter assoziiert. Für den intermediären Apgar-Bereich (4–6) zeigten sich gleichartige, wenn auch schwächer ausgeprägte Assoziationen. Die stärkste Assoziation zwischen einem niedrigen Apgar-Score und der Mortalität fand sich in der Gruppe der aufgrund einer Hypoxie gestorbenen reif- (RR 961,7; 95 %-KI 681,3–1357,5) bzw. frühgeborenen Kinder (RR 141,7; 95 %-KI 90,1-222,8). Unter den reifen Neugeborenen zeigte sich zudem eine Assoziation eines niedrigen Apgar-Werts mit der infektionsbedingten Mortalität (RR 49,3; 95 %-KI 24,1-100,9). Weder im Kollektiv der Reif- noch der Frühgeborenen fand sich eine Korrelation des 5-Minuten-Apgar-Score mit dem Risiko für den plötzlichen Kindstod (RR 0,6; 95 %-KI 0,1–4,6 bzw. RR 1,2; 95 %-KI 0,3-4,8).

Fazit

Im dem mehr als eine Million Geburten umfassenden Kollektiv konnte eine starke prognostische Bedeutung niedriger 5-Minuten-Apgar-Werte hinsichtlich des Risikos für ein Versterben des Kindes im ersten Lebensjahr nachgewiesen werden. Trotz der enormen Fortschritte der neonatalen Intensivtherapie, so das Fazit der Autoren, ist der Apgar-Score auch mehr als 60 Jahre nach seiner Erstbeschreibung ein wichtiges Instrument zur postnatalen Beurteilung von Reif- und Frühgeborenen.

Dr. Judith Lorenz, Künzell