Der Klinikarzt 2014; 43(11): 495
DOI: 10.1055/s-0034-1398476
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Des einen Freud, des anderen Leid – oder: wieviel darf ein einzelnes Medikament kosten?

Achim Weizel
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Publication Date:
15 December 2014 (online)

Die Preise für Medikamente sind praktisch ständig in der Diskussion. In einigen Ländern werden die Preise staatlich vorgeschrieben, bei uns werden sie von innovativen Medikamenten nach der Nutzenbewertung durch das IQWiG im ersten Jahr der Einführung in Verhandlungen zwischen Kassen und Herstellern festgesetzt.

Die Einführung der Generika hat auf dem Arzneimittelmarkt bei vielen Medikamenten zu deutlichen Preiskorrekturen nach unten geführt, trotzdem steigen die Ausgaben der Kassen für Medikamente seit Jahren ständig. Aufsehen und öffentliche Aufmerksamkeit erregen immer preisliche „Ausreißer“ nach oben, das heißt Medikamente, die als Einzeltherapie teuer, teilweise sehr teuer sind. Ein Fünftel an den gesamten Arzneimittelausgaben entfällt zum Beispiel auf Krebsmittel mit Therapiekosten von 60 000 bis 100 000 Euro pro Jahr. Kritiker bemängeln hier den angeblich zu geringen Zusatznutzen.

Medizinisch zumindest eindeutig klarer liegen die Verhältnisse bei dem neuen Hepatitis-C-Medikament Sofosbuvir (Sovaldi®), das eine eindeutig bessere Wirkung zeigt als die bisher eingesetzten Präparate. Während Hepatitis A und B durch Impfung bzw. Therapie viel von ihrem Schrecken verloren haben, waren die Behandlungserfolge bei Hepatitis C bisher nicht überzeugend. Die Spätfolgen der Infektion (Leberzirrhose, Leberzellkarzinom) waren eine ständige Bedrohung für Patienten. Durch die neue Therapie mit Sofosbuvir konnten die Heilungsdaten auf eindrucksvolle 80–90 % gesteigert werden, allerdings zu einem ebenfalls eindrucksvollen Preis.

In der Laienpresse ist das Präparat plakativ als die „1000 Dollar Pille“ bekannt. Dies ist der Einzelpreis. Da über 12 Wochen je eine Tablette eingenommen werden muss, belaufen sich die Therapiekosten auf 60 000 Euro pro Fall. Bei geschätzten 300 000 Hepatitis-C-Patienten in Deutschland würde dies Gesamtkosten von 18 Milliarden Euro verursachen, vorsichtigere Schätzungen liegen immerhin noch bei 5 Milliarden Euro.

Bei allen Neueinführungen von Medikamenten gibt es neben dem medizinischen Aspekt auch noch die finanzielle Seite. Jede Medikamentenentwicklung ist ein großes finanzielles Risiko, Erfolg oder Misserfolg können das Ergebnis einer Firma entscheidend beeinflussen. Erfolg und Misserfolg liegen nahe beieinander. So musste eine große deutsche Firma innerhalb weniger Monate die Entwicklung von 2 neuen Medikamenten, darunter ein onkologisches Präparat, komplett einstellen, was einem Verlust in Milliardenhöhe entspricht.

Die Entwicklung von Sofosbuvir hingegen ist ein Beispiel einer erfolgreichen wirtschaftlichen Spekulation, bei der sich die Erwartungen mehr als erfüllt haben. Zwei Wissenschaftler der Emory University gründeten 1998 die Firma Pharmasset mit dem Ziel, eine orale Medikation gegen Hepatitis C zu entwickeln. Die Entwicklung lief erfolgversprechend. Wie zu erwarten war, wurde die Firma dadurch zu einem Übernahmekandidaten. Im Jahre 2011 kaufte die Firma Gilead Pharmasset für 10,4 Milliarden US-Dollar.

Diese Übernahme war von kaufmännischer Seite her ein unglaublicher Erfolg, denn Sofobusvir entwickelte sich zu dem, was im Pharmajargon ein „Blockbuster“ (mehr als eine Milliarde Umsatz im Jahr) genannt wird. Das Präparat wurde im Dezember 2013 in den USA und im Januar 2014 in Deutschland zugelassen. Allein im ersten Halbjahr nahmen die Hersteller 5,8 Milliarden US-Dollar ein. Der Aktienkurs lag im September 2013 bei 48 US-Dollar je Aktie, im Juli 2014 lag der Kurs bei 107 US-Dollar je Aktie.

Bei einem solchen Erfolg kann man davon ausgehen, dass sich die nicht unbeträchtlichen Entwicklungskosten relativ schnell amortisieren. Kritiker bringen vor, dass vonseiten der Firmen keine Transparenz in Bezug auf die Entwicklungskosten besteht.

Es ist überhaupt keine Frage, dass das Präparat einen ganz wesentlichen Fortschritt in der Hepatitis-Therapie darstellt und vielen Patienten Leid und Siechtum erspart. Die Zukunft wird zeigen, ob das Sozialsystem diese Kosten auf Dauer tragen kann. Eine Hoffnung hat sich allerdings schon zerschlagen. Durch einen weiteren Wettbewerber wäre eine Preissenkung denkbar gewesen. Dies wird nun nicht eintreten. Im Juni 2014 gab die Firma Boehringer Ingelheim in einer kurzen Pressemitteilung bekannt, dass sie, als Resultat einer aktuellen Strategie-Überprüfung, ihre Entwicklungsprojekte auf dem Therapiegebiet Hepatitis C einstellt. Nach Aussagen der Firma bestehe kein medizinischer Bedarf mehr nach dem Produktkandidaten Faldaprevir.

Offensichtlich gilt auch hier: „ Wer zu spät kommt…“.