Der Klinikarzt 2014; 43(11): 503
DOI: 10.1055/s-0034-1398479
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Horizonterweiterung in der Herzinsuffizienz: Komorbiditäten bestimmen das Bild

Wolfram Döhner
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Publication Date:
15 December 2014 (online)

Die Welt der Herzinsuffizienz ändert sich. In vielfacher Hinsicht. Einerseits sehen wir die dramatische Steigerung der Prävalenzzahlen mit geschätzten bis zu 300 000 neuen Patienten jährlich allein in Deutschland. Die Erkrankungsrate steigt mit dem Lebensalter von ca. 1–2 % im mittleren Erwachsenenalter bis zu > 10 % über dem 70. Lebensjahr [1]. Andererseits ist aber auch eine Veränderung in der klinischen Präsentation der Patienten zu beobachten. Akute kardiale Ereignisse und kardiale Dekompensationen – früher oft lebensbedrohlich – werden durch moderne Interventionen und intensivierte Therapien zunehmend besser beherrscht. Die Phase der kompensierten, stabilen Herzinsuffizienz kann heute erheblich besser und sehr viel länger aufrechterhalten werden. In der Folge treten zwangsläufig Langzeitkomplikationen der Herzinsuffizienz und Komorbiditäten in den Vordergrund und in die Wahrnehmung der Patienten. Und schließlich ist auch unser pathophysiologisches Verständnis der Herzinsuffizienz von zunehmender Komplexität und Interaktion auf systemischem Level geprägt. Das hämodynamische Konzept einer Volumenüberlastung und myokardialen Pumpschwäche ist längst um das Konzept der neuroendokrinen Aktivierung erweitert worden, welches dem Prinzip einer adaptiven und letztlich maladaptiven Überaktivierung folgt.

Darüber hinaus wurden aber auch weitere komplexe Systeme und Funktionen als entscheidende Faktoren in der Pathophysiologie der Herzinsuffizienz erkannt. Beispiele dafür sind eine systemische inflammatorische Aktivierung mit erhöhten Zytokin- und Sauerstoffradikalspiegeln, komplexe metabolische Dysregulationen mit Störung sowohl im Energiestoffwechsel (Stichwort: Insulinresistenz) als auch im Strukturstoffwechsel (Stichwort: kardiale Kachexie) und peripher-zentrale Rückkopplungssignale wie Ergo- und Chemoreflexe [2]. Sie alle tragen zur klinisch präsentierten Symptomatik als auch zur Progression der Herzinsuffizienz bei.

Mehr noch, in diesen komplexen hämoynamischen, neuroendokrinen, inflammatorischen und metabolischen Prozessen ist die Herzinsuffizienz stark mit einer Vielzahl von vermeintlichen Komorbiditäten verknüpft [Abb. 1]. Statt einer – dem Wortsinne nach – unabhängigen, koexistierenden Manifestation von Krankheiten muss daher eine starke Interaktion mit wechselseitiger Verstärkung aller pathologischen Prozesse festgestellt werden. Die umfassende Wahrnehmung der Herzinsuffizienz im Zusammenspiel mit wichtigen Komorbiditäten wird daher zunehmend die bestmögliche Versorgung dieser Patienten bestimmen.

Eine Reihe von Komorbiditäten der Herzinsuffizienz und ihr Stellenwert in der Interaktion mit der Grunderkrankung werden in dieser Ausgabe diskutiert. So ist die obstruktive Lungenerkrankung (siehe Güder et al.; S. 504) durch inflammatorische Prozesse pathophysiologisch und durch Kardinalsymptome wie Dyspnoe auch symptomatisch eng mit der Herzinsuffizienz verknüpft, was auch in der diagnostischen Differenzierung eine Herausforderung darstellt. Die Wechselwirkung der Herzinsuffizienz mit einem ischämischen Schlaganfall (siehe Häusler et al.; S. 510) ist nicht nur über das Risiko des Vorhofflimmerns gegeben. Eine schlafbezogene Atemstörung (siehe Fox et al.; S. 530) ist in vielen Fällen vom Patienten selber bisher nicht wahrgenommen, obwohl sie mit einer Prävalenz von über 70 % bei Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz vorkommt und bei etwa 50 % der Patienten eine mittel- bis schwergradige Ausprägung hat. Anämie (siehe von Haehling; S. 518) wurde lange als klinischer Befund bei Herzinsuffizienz dokumentiert, aber oft nicht weiter abgeklärt. Die häufigste Ursache der Anämie ist dabei ein Eisenmangel und insbesondere das Auftreten eines funktionellen Eisenmangels (bei scheinbar hinreichend gefüllten Eisenspeichern). Dies ist ein erst seit kurzem erkanntes Problem, das erfolgreich behandelt werden kann. Eine Depression (siehe Wallenborn et Angermann; S. 524) stellt vielleicht eine der größten Herausforderungen als Komorbidität der Herzinsuffizienz dar. Obwohl der Einfluss einer Depression sowohl auf die Symptomatik, die Lebensqualität als auch die Mortalität der Patienten als belegt angesehen werden kann, ist eine optimale Therapie speziell für herzinsuffiziente Patienten derzeit noch Gegenstand laufender Studien.

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Abb. 1 Klassische und neue pathophysiologische Konzepte der Herzinsuffizienz und vielfache Interaktion und wechselseitige Verstärkung mit Komorbiditäten.
 
  • Literatur

  • 1 ESC Committee for Practice Guidelines. Eur Heart J 2012; 33: 1878-1847
  • 2 Doehner W et al. JACC 2014; 64: 1388-1400