Klinische Neurophysiologie 2015; 46(02): 56-64
DOI: 10.1055/s-0035-1552683
Fort- und Weiterbildung
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Botulinumtoxin-Therapie in der Neurologie: Indikationen, Technik und Ultraschallsteuerung

Botulinum Toxin Treatment in Neurology: Indications, Technique and Ultrasound-Guidance
U. Walter
1   Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsmedizin Rostock
,
D. Dressler
2   Sektion Bewegungsstörungen, Klinik für Neurologie und Klinische Neurophysiologie, Medizinische Hochschule Hannover
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Uwe Walter
Klinik und Poliklinik für Neurologie
Universitätsmedizin Rostock
Gehlsheimer Straße 20
18147 Rostock

Publication History

Publication Date:
30 June 2015 (online)

 

Lernziele

  • Grundkenntnisse des Muskel-Ultraschalls

  • Topografische Grundkenntnisse des Ultraschallbildes von Muskeln und Drüsen

  • Neurologische Anwendungsgebiete der Botulinumtoxin-Therapie

  • Einsatzgebiete der ultraschallgeführten Botulinumtoxin-Injektion


Einleitung

Botulinumtoxin (BT) blockiert hoch selektiv und sehr effektiv die cholinerge synaptische Transmission an der Endplatte der Muskulatur und führt nach lokaler Injektion zur teilreversiblen Parese der Muskeln. BT blockiert über den synaptischen Mechanismus auch die Sekretion exokriner Drüsen sehr effektvoll. Die Wirkung von BT beginnt einige Tage nach der lokalen Injektion, erreicht das Maximum der Wirkung innerhalb von 1 – 2 Wochen und klingt nach 2 – 3 Monaten in der Regel wieder ab. Dieser Effekt wird in der Literatur bei vielen Anwendungen beschrieben und stellt die Indikationsgrundlage zur fokalen Behandlung spezifischer Krankheitsbilder dar [1]. Die höchsten Anwendungszahlen erfährt BT allerdings in der Schönheitsmedizin.

Häufige neurologische Indikationen zur BT-Behandlung

Dystonien:

  • kraniale (Blepharospasmus, oromandibuläre, periorale) Dystonie

  • zervikale Dystonie

  • pharyngeale Dystonie

  • spasmodische Dysphonie

  • Schreibkrampf

  • Musiker-Dystonie

  • segmentale Dystonien

Periphere Dyskinesien:

  • Spasmus hemifacialis

  • Reinnervations-Synkinesien

Spastik:

  • Schlaganfall mit Spastik in Nacken, Schulter, Arm, Hand, Fingern, Becken, Knien, Fußgelenken, Großzehe und Zehen

  • Zerebralparese, Querschnittssyndrome

Weitere Indikationen:

  • chronische Migräne

  • Bruxismus

  • tardive Dyskinesie

  • Tremor

  • Tics

  • Fibromyalgie?

Drüseninjektion:

  • Hyperhidrosis

  • Hypersalivation

  • vermehrte Tränensekretion

In der Neurologie wird BT häufig eingesetzt für die Behandlung der Syndrome hyperaktiver Muskeln, wie z. B. bei Spastik nach Schlaganfall oder bei frühkindlichen Zerebralparesen, Dystonien, dem Spasmus hemifacialis, fazialen Synkinesien, Tics und manchen Tremores. Weitere BT-Anwendungen sind zur therapeutischen Schwächung normaler Muskulatur im Kontext von Engpasssyndromen beschrieben, um betroffene Nerven zu dekomprimieren (z. B. neurogenes Thoracic-outlet-Syndrom, Piriformis-Syndrom) oder anatomische Besonderheiten zu behandeln (z. B. Omohyoid-Muskel-Syndrom) [2] [3] [4]. Die Behandlung hat entweder eine Funktionsverbesserung (z. B. bei Schreibkrampf, moderater Spastik) oder eine Schmerzreduktion und Erleichterung der Pflege (z. B. Handöffnung, Reduktion einer Adduktorenspastik) zum Ziel. Ein weiteres Indikationsgebiet für BT ist die Behandlung exokriner Drüsen z. B. bei Hyperhidrose, Hypersalivation mit Aspirationsgefahr oder sog. Krokodilstränen. Eine neue Zulassung für BT ist die therapieresistente chronische Migräne [5].

BT muss direkt in das Zielgewebe injiziert werden. Daher ist die exakte Positionierung der Injektionsnadel relevant, um den richtigen Muskel oder das Drüsengewebe zu „treffen“ und damit den maximalen Wirkstoffeffekt bei minimalen Nebenwirkungen mit einer geringen Dosis zu erzielen.

Die Botulinumtoxin-Behandlung in der Neurologie soll eine Funktionsverbesserung, eine Schmerzreduktion, eine Risikoreduktion (z. B. der Aspiration) oder eine Pflegeerleichterung bewirken.


Konventionelle Methode der BT-Injektionstechnik

Klinische Inspektion und anatomische Landmarken der Muskelbehandlung

Die Indikation für BT wird nach dem klinischen Befund entsprechend dem Krankheitsbild und der Funktionalität gestellt. Die klinische Untersuchung beruht auf der Inspektion und der Palpation des Zielmuskels. Durch aktive oder passive Bewegungen wird der Muskel am Sehnenverlauf identifiziert. Nützlich zur Identifikation der Zielmuskeln ist die Orientierung an anatomischen Landmarken. Die Bewegung der Injektions- oder EMG-Nadel bei passiver Bewegung des Zielmuskels kann ebenso helfen, die richtige Injektionsstelle zu sichern. Diese Methoden stoßen dann an ihre Grenzen, wenn tiefere Muskeln unter meist pathologischen Bedingungen (Atrophie, massive Spastik) identifiziert werden müssen. Am Unterarm stellen folgende Muskeln immer eine Herausforderung dar: M. flexor carpi radialis, M. pronator teres, M. flexor digitorum superficialis II/III und der M. flexor pollicis longus [6]. In einer klinischen Studie an 226 Kindern mit frühkindlicher Spastik wurde die Trefferquote der BT-Injektion durch inspektorische und palpatorische Identifikation des Muskels mit EMG-gesteuerter Injektion verglichen. Die Quote für die 1. Gruppe war deutlich niedriger für Unterarmmuskeln (13 % versus 35 %), den medialen Kopf des M. gastrocnemius (46 %) und den M. tibialis posterior (11 %) [7]. Bei Erwachsenen ergab sich eine erstaunlich hohe Fehlinjektionsrate von 57 % für den lateralen Kopf des M. gastrocnemius [8] [9]. Demgegenüber scheint die rein klinische Methode bei den großen und gut zugänglichen Muskeln in der Behandlung der zervikalen Dystonie und der Adduktorenspastik völlig ausreichend zu sein [10] [11].

Die EMG-kontrollierte Botulinumtoxin-Injektion kann gerade in tieferen Muskelschichten zu einer deutlich gezielteren Applikation des Wirkstoffs beitragen.


EMG- und kontrastmittelunterstützte BT-Injektion

Überaktive Muskeln und deren Funktionsstörung können elektrophysiologisch mittels EMG identifiziert werden. Durch die Verwendung von speziellen, elektrisch isolierten Injektionsnadeln kann gleichzeitig das EMG abgeleitet und so die BT-Applikation verbessert werden [12]. Jedoch gibt es Einschränkungen der EMG-geführten Technik, da der Zielmuskel häufig nicht alleine überaktiv ist und Patienten mit hochgradigen spastischen Paresen die Muskulatur nicht selektiv innervieren können. Gerade Patienten mit Dystonie bzw. Spastik zeigen typischerweise eine Koaktivierung aller Umgebungsmuskeln [10]. Die EMG-gesteuerte Injektion kann durch eine fokale elektrische Stimulation des Muskels verbessert werden (aktive EMG-Steuerung) [12]. Nachteile der EMG-gesteuerten Injektion sind die relativ großen und schmerzhaften Nadeln, die potenzielle Schädigung benachbarter Nerven und Gefäße und die fehlende Kontrolle über den Injektionsort. Die EMG-Methode ist zur Injektion exokriner Drüsen natürlich ungeeignet.

Für besondere Indikationen ist eine Kombination von EMG und Fluoroskopie beschrieben worden, um z. B. die Injektion in den M. piriformis bei Piriformis-Syndrom, in den M. scalenus anterior und M. scalenus medius beim neurogenen Thoracic-outlet-Syndrom und in den M. longus colli bei Antecollis zu optimieren [13] [14] [15]. Die Fluoroskopie ist aber mit einer Strahlenbelastung und intramuskulärer Kontrastmittel-Injektion verbunden.


Bildgebungskontrolle der Injektion mit CT und MRT

Computertomografie (CT) und Magnetresonanztomografie (MRT) ermöglichen eine hochauflösende Darstellung von Muskulatur, Drüsen und benachbarten anatomischen Strukturen. Die kombinierte Injektion von Kontrastmittel und BT erlaubt eine sehr genaue Dokumentation der Injektionsstelle, allerdings nicht in Echtzeit [16] [17] [18]. In einer prospektiven klinischen Studie an 146 CT-gesteuerten BT-Injektionen in den M. scalenus anterior wurde eine nicht vernachlässigbare Komplikationsrate berichtet, darunter die transiente Plexusblockade (3,4 %) und das Horner-Syndrom (0,7 %) [19]. Darüber hinaus schlägt neben einer relevanten Strahlenbelastung eine hohe zeitliche Personalbindung für diese Behandlung zu Buche, die damit insgesamt aufwendig und kostenintensiv ist.



Ultraschallgeführte Injektion

Im B-Bild des Ultraschalls (US) ist es möglich, nicht invasiv und in Echtzeit sowohl Muskulatur und exokrine Drüsen als auch deren anatomische Umgebungsstrukturen darzustellen. Damit erlaubt US eine kontinuierliche Injektionskontrolle während der gesamten Behandlung. Die US-geführte BT-Injektion wurde erstmalig von japanischen Neurologen und später durch deutsche Neuropädiater beschrieben [20] [21]. Die US-Anwendung erfordert genaue anatomische Kenntnisse über die Lokalisation der Drüsen und der Muskeln, die mittels anatomischer Lehrbücher zu erarbeiten bzw. zu wiederholen sind und ggf. an Leichen oder Phantomen vertieft werden können [22]. Hierfür werden zahlreiche Kurse und internetbasierte Anleitungen angeboten.

Technische Voraussetzungen für den Ultraschall

Die konventionellen US-Systeme, die üblicherweise in der Neurologie genutzt werden, um z. B. den extrakraniellen Gefäßstatus zu erheben, sind in der Regel für Muskelsonografie oder Drüsendarstellung ausreichend. Im B-Bild der Linearsonden erreichen Schallfrequenzen um 6 – 12 MHz ausreichende Gewebetiefen zur Darstellung der Muskeln und Drüsen, z. B. im Nacken, Bein oder Rücken, während höhere Schallfrequenzen (10 – 18 MHz) eine bessere Bildqualität für oberflächliche Muskeln bieten [23]. Die „Thorax-Abdomen-Sonden“ mit Grundfrequenzen um 2 – 3 MHz sind weniger geeignet. Die Hersteller empfehlen für ihre Geräte meist eine vorgegebene Grundeinstellung bzgl. der Bildrate und -verarbeitungsfunktion. Zur optimalen Muskeldarstellung wird eine rechtwinklige Sondenstellung zur Haut mit nur leichtem Druck auf das unterliegende Gewebe empfohlen. Die Gewebeechogenität hängt sowohl vom Beschallungswinkel als auch vom Druck auf das Gewebe ab. Die Ausrichtung der Sondenposition wird gemäß Richtlinien der DEGUM wie folgt empfohlen: Die linke Seite auf dem Bildschirm entspricht der medialen bzw. ulnaren oder kranialen bzw. proximalen Seite der untersuchten Körperregion [24]. Abweichend von dieser Konvention kann auch ein eigener Laborstandard festgelegt werden bzw. nimmt man im Einzelfall eine entsprechende Beschriftung im B-Bild vor.

Für die US-geführte BT-Injektion sind Linearsonden mit Schallfrequenzen von 6 – 12 MHz geeignet.


Ultraschallbildgebung der Muskeln

Ein normaler Muskel imponiert im US-B-Querschnittsbild wie ein „Sternenhimmel“ und im longitudinalen Schnittbild als gefiederte Struktur. Das Aussehen verändert sich bei Kontraktion des Muskels teils erheblich [22] [23]. Das Muskelgewebe ist vornehmlich schwach echogen; die Echogenität steigt mit zunehmender Fibrose, Degeneration oder Verfettung [25] [26] [27]. Eine Größen- bzw. Durchmesserabschätzung gelingt im Allgemeinen gut mittels US für Extremitätenmuskeln, paraspinale Muskulatur, kraniale und Gesichtsmuskulatur [28] [29] [30] [31]. Einzelne Muskelfibrillen können im US nicht aufgelöst werden, während die Muskelbündel (Faszikel), die vom Bindegewebe umschlossen sind (Perimysium), mit den hoch auflösenden, hoch frequenten Linearsonden hyperechogen darstellbar sind. Das relativ dicke Epimysium erlaubt die Unterscheidung verschiedener Muskeln [23]. [Abb. 1] zeigt ein Beispiel für die US-Darstellung normaler Muskeln. Durch zusätzliche Dopplereigenschaften können im Farbduplex-Modus auch die Gefäße dargestellt werden.

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Abb. 1 Ultraschall-geführte BT-Injektion in der lateralen Halsregion. a) Position der Ultraschallsonde und der Nadel bei Anzielung des M. scalenus anterior („Off-plane“-Injektionstechnik). Der Pfeil gibt die Richtung der Sonde an (Pfeilspitze entspricht der linken Seite des B-Bildes in [b]). b) B-Bild zeigt den M. sternocleidomastoideus (SCM), M. omohyoideus (OH), M. scalenus anterior (aSC) und M. scalenus medius (mSC). CA = A. carotis communis; VJ = Vena jugularis interna; 5, 6, 7 = 5., 6., 7. zervikale Nervenwurzeln. Die Haut ist hyperechogen zu erkennen, das Fettgewebe hat eine mittlere Echogenität. Die gestrichelte Linie ist der mutmaßliche Injektionsweg der Nadel in den M. scalenus anterior.

Der normale gesunde Muskel zeigt im Ultraschall ein schwach echogenes Muster mit typischer Fiederung.


Ultraschallbildgebung der Speicheldrüsen

Mittels US-B-Bild sind Speicheldrüsen gut abbildbar [32]. Während bereits durch Palpation der oberflächliche Anteil der Glandula parotis gut identifizierbar ist, gelingt dies für den retromandibulären Anteil oder die Glandula submandibularis nur in 30 % der Fälle. Im Ultraschall sind Glandula parotis und Glandula submandibularis ähnlich wie das Schilddrüsengewebe als homogene Textur mit leichter Hyperechogenität gut vom Umgebungsgewebe differenzierbar ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Ultraschall-geführte BT-Injektion in die Glandula submandibularis. a) Position der Ultraschallsonde und der Nadel für die Injektion in die Glandula submandibularis. Der Pfeil gibt die Richtung der Sonde an (Pfeilspitze entspricht der linken Seite des B-Bildes in [b]). b) B-Bild der Gl. submandibularis mit ihren Nachbarstrukturen: HG = M. hyoglossus; MH = M. myohyoideus; PT = Tonsilla palatina; SCM = M. sternocleidomastoideus. Die gestrichelte Linie zeigt den erwarteten Injektionskanal.


Ultraschallgeführte BT-Injektion

Allgemeine Informationen

BT-Injektionen werden gewöhnlich mit einer 20 mm- (27 Gauge; Außendurchmesser: 0,40 mm) oder 40 mm-Nadel (27 Gauge) durchgeführt. Für tiefere Muskelschichten werden 80 mm- (23 Gauge; 0,60 mm) oder sogar 120 mm-Nadeln (25 Gauge; 0,50 mm) benutzt. Sehr tief gelegene Muskeln (> 6 cm unter Hautoberfläche) sind im Allgemeinen ungeeignet für die ultraschallgesteuerte BT-Injektion. Für die Hautdesinfektion sollte eine alkoholfreie Lösung benutzt werden, um die empfindliche gummierte Schutzschicht der US-Sonde und damit die Ultraschallkristalle nicht zu beschädigen. Das gewöhnliche handelsübliche US-Gel hat keine nachweislichen Auswirkungen auf die Infektionsrate oder Hautreaktionen. Ein besonderes bakteriostatisch wirksames US-Gel ist nicht notwendig [33]. Wir empfehlen aber speziell bei der Injektion tiefer Muskeln (Tiefe > 2 cm) entweder das Abwischen des Gels und die nochmalige Desinfektion der Injektionsstelle vor der Nadelinsertion oder die Verwendung eines sterilen Gels. Selbstverständlich ist nach jedem Gebrauch die US-Sonde gemäß den geltenden Hygienestandards zu reinigen und zu desinfizieren.

Prinzipiell sind 2 US-geführte Injektionstechniken möglich: Die „In-plane“- und die „Off-plane“-Technik. Bei der „In-plane“-Technik wird die Injektionsnadel seitlich neben der US-Sonde positioniert und die Nadel in ihrem gesamten Verlauf in der Bildebene dargestellt und geführt. Für diese Technik gibt es z. T. spezielle Nadelhalterungen an der Sonde, die vorwiegend für Biopsien benutzt werden [34]. Nach unserer Erfahrung ist die „Off-plane“-Technik mit freihändiger Nadelführung in aller Regel für die BT-Injektion ausreichend. Hierfür wird die Nadel in der Mitte über (oder unter) der US-Sonde platziert – dabei wird die Nadelspitze erst bei Erreichen der Zielstruktur im US-Bild sichtbar. Die US-Sonde sollte dabei so positioniert sein, dass die Zielstruktur in der Bildmitte liegt ([Abb. 1, 2]). Damit hat man durch die Sondengeometrie in Relation zur Haut eine Orientierungshilfe für die Nadelführung. Durch Druck der noch bekappten Nadel auf die Haut („Anklopfmanöver“) mit resultierenden Bewegungsartefakten bzw. die Bewegungsartefakte der eingeführten Nadel kann man die Nadelposition im US-Bild kontrollieren [33] [35]. Die Nadel selbst wird im Ultraschallbild als dunkler Strich dargestellt, abhängig vom Nadeldurchmesser. Die Nadelspitze ist oft nur indirekt erkennbar. Bei Verwendung ultraschall-optimierter Injektionsnadeln ist die Nadel kräftig echogen, mit der „In-plane“-Technik z. T. sogar als Doppellinie, sichtbar. Die injizierte BT-Lösung kann als echoarmes Depot im Bild dokumentiert werden, dies ergibt dann einen Nachweis der Lokalisation und des Injektionsvolumens. Wir empfehlen neben einem Ausdruck des US-Bildes (Zielstruktur, BT-Depot) auch eine schriftliche Dokumentation der verwendeten Nadelgröße, die Art der verwendeten US-Sonde und eine Anmerkung, wie der Patient die Prozedur vertragen hat [35] [36].

Die Technik der US-gesteuerten Injektion sollte zu Beginn am Phantom bzw. an einem im Lebensmittelhandel erworbenen Fleischstück trainiert werden. Dann sollte sukzessive die „Auge-Hand“-Koordination anhand der Behandlung zunächst größerer Muskeln verbessert werden [35]. Der Einsatz von US zur BT-Injektion erfordert in der Regel einen höheren Zeitbedarf als die Injektion nach rein klinischen Kriterien („Aus-der-Hand“-Methode). Bei ausreichender Erfahrung wird dieser zusätzliche Zeitaufwand jedoch kleiner, sodass die US-geführten Injektion in größeren BT-Ambulanzen zunehmend eingesetzt wird [37].


Intramuskuläre BT-Injektion

Die Empfehlungen der Autoren zur Anwendung der US-Führung bei der BT-Injektion in die muskulären und glandulären Zielstrukturen sind in [Tab. 1] zusammengestellt. Einige Muskelgruppen sind nicht (M. pterygoideus) oder nur eingeschränkt für die US-geführte BT-Injektion geeignet (Gesichtsmuskulatur, Pharynxmuskeln, Larynxmuskeln) [31] [38] [39]. Die laryngealen Muskeln (M. vocalis, M. cricoarythenoideus posterior) können transoral bei Verwendung eines Endoskops oder transdermal injiziert werden, wobei hier eher die EMG-geführte Methode empfohlen wird [40, 41]. Die supra- and infrahyoidale Muskulatur ist im US gut sichtbar [38] [42], wobei hier nur selten eine BT-Behandlungsindikation besteht. Die US-geführte Applikation ist empfehlenswert für die laterale und dorsale Nackenmuskulatur, Schultermuskulatur, proximale und distale Armmuskulatur, Handmuskulatur und generell an der unteren Extremität. Vor allem der Einsatz von US zur Injektion spastischer, schon umgebauter Muskelgruppen ist sehr hilfreich. Bei Kindern mit spastischer Zerebralparese sollte laut einer europäischen Konsensus-Empfehlung die BT-Applikation prinzipiell EMG- oder US-geführt erfolgen [43]. Die Akzeptanz bei Kindern ist höher für die US-geführte Methode.

Tab. 1

Graduierte Empfehlungen zur US-Führung der BT-Injektion in verschiedene muskuläre and glanduläre Zielstrukturen.

Empfehlungsgrad der US-Führung

Zielstrukturen

Niedrig[1]

mimische Muskeln[2]

supra- und infrahyoidale Muskeln[2]

pharyngeale Muskeln[3]

M. temporalis

M. masseter

M. sternocleidomastoideus

M. trapecius

Schultermuskeln

proximale Armmuskeln

intrinsische Handmuskeln

oberflächliche paravertebrale Muskeln

oberflächliche abdominelle Muskeln

glutäale Muskeln

Oberschenkel-Adduktoren

M. tibialis anterior

Glandula sublingualis

Glandula lacrimalis[2]

Schweißdrüsen

Intermediär

M. splenius capitis

M. semispinalis capitis

M. levator scapulae

ischiokrurale Muskeln

M. gastrocnemius

Glandula parotis

Hoch[5]

M. longus colli[3] [4]

M. longus capitis[3] [4]

laryngeale Muskeln[2]

M. psoas (inguinaler Anteil)[6]

M. psoas (spinaler Anteil)[3]

M. obliquus capitis inferior[6]

M. scalenus anterior[6]

M. scalenus intermedius[6]

M. omohyoideus[7]

M. longissimus capitis

M. longissimus cervicis

einzelne Unterarmmuskeln

einzelne Fingerflexoren

einzelne Fingerextensoren

M. gracilis

M. soleus

M. tibialis posterior[6]

M. extensor hallucis longus

Glandula submandibularis

1 niedriger Empfehlungsgrad wegen einfacher visueller/manueller Anzielung bzw. wegen geringer Fallzahlen


2 technisch schwierig wegen der geringen Größe der Zielstruktur


3 technisch schwierig wegen der tiefen Lage der Zielstruktur


4 technisch schwierig wegen gefährdeter Nachbarstrukturen


5 hoher Empfehlungsgrad bei Dystonie, milder Spastik, infantiler Zerebralparese


6 beachte die korrekte Injektionstechnik


7 bei M.-omohyoideus-Syndrom


Die US-geführte Technik hat den Vorteil, dass dem Zielmuskel anliegende Nerven und Gefäße visualisiert und damit potenzielle Nebenwirkungen durch Fehlinjektion verringert werden können.

Das gilt insbesondere für Behandlung des M. scalenus anterior, des M. longus colli, der Unterarmmuskeln, des M. psoas und der Beinmuskeln ([Abb. 1, 3]) [44] [45] [46] [47] [48]. Besonders dünne Muskeln wie z. B. der M. omohyoideus oder der M. longissimus capitis können nur richtig mittels US identifiziert werden ([Abb. 1]). Die Nebenwirkung der Dysphagie nach BT-Injektion in den M. sternocleidomastoideus konnte signifikant durch die US-geführte Injektionstechnik reduziert werden [49]. Eine kleine prospektive randomisierte Studie verglich die US-geführte und die EMG-geführte Injektion mit der konventionellen BT-Applikation zur Reduktion der Spastik im Unterarm bei Schlaganfallpatienten [50]. Diese ergab eine klare Überlegenheit der US-geführten Methode. Die Überlegenheit von US-geführter über die rein manuelle Injektionstechnik zur Reduktion einer Armspastik nach Schlaganfall konnte kürzlich in einer weiteren randomisierten Studie bestätigt werden [51].

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Abb. 3 Ultraschall-geführte BT-Injektion in Beinmuskeln. a) Position der Sonde und der Injektionsnadel („Off-plane“-Technik) zur geplanten Injektion in den M. tibialis posterior. Der Pfeil gibt die Richtung der Sonde an (Pfeilspitze entspricht der linken Seite des B-Bildes in [b]). b) Das B-Bild zeigt den M. soleus, M. flexor hallucis longus (FHL) und M. tibialis posterior (TP), die Tibia (T) und die Membrana interossea (M).
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Abb. 4 Ultraschall-geführte BT-Injektion in der Nackenregion. a) Position der Ultraschallsonde und der Nadel bei Anzielung des M. splenius capitis. Der Pfeil gibt die Richtung der Sonde an (Pfeilspitze entspricht der linken Seite des B-Bildes in [b]). b) B-Bild des M. trapezius (TR), M. splenius capitis (SPL), M. semispinalis capitis (SSC), M. multifidus (MF); PS = Processus spinosus. Die gestrichelte Linie zeigt den erwarteten Injektionskanal.

Eine ähnliche Studie verglich die US-geführte Applikation mit der rein manuellen Injektion und EMG-geführter Injektion in den lateralen und medialen Kopf des M. gastrocnemius bei Erwachsenen mit spastischem Pes equinovarus nach Schlaganfall [52]. Diese zeigte ebenfalls eine Überlegenheit der technischen Anwendung. Die EMG- oder US-geführte Injektionsmethode (oder deren Kombination) ist besonders erfolgreich bei der Behandlung der Unterarmmuskulatur bei tätigkeitsbezogener Dystonie [53]. Bei vielen unserer Patienten mit Schreibkrampf konnte die BT-Dosis durch Anwendung der US-geführten Injektion reduziert werden.

Bei Kindern mit spastischer Zerebralparese sollte prinzipiell die intramuskuläre BT-Applikation mit Unterstützung des EMG oder des US erfolgen.
Bei milder Armspastik und bei tätigkeitsbezogener Dystonie ermöglicht die US-geführte BT-Injektion durch die resultierende Standardisierung der Therapie einen reproduzierbaren Funktionsgewinn.


Intraglanduläre BT-Applikation

Die US-Führung der BT-Injektion in die Glandula submandibularis ist empfehlenswert ([Abb. 2]). Die retromandibuläre Portion der Glandula parotis lässt sich mittels US ebenfalls besser anzielen und sich somit die gefürchtete Nebenwirkung einer Fehlinjektion in die parapharyngeale Muskulatur mit resultierender Schluckstörung vermeiden. In kleinen Studien wurde eine Überlegenheit der US-geführten Injektion zur Behandlung der Sialorrhö beim Parkinson-Syndrom berichtet [54]. Gute Therapieerfolge wurden auch für die Behandlung der Hypersalivation mittels US-geführter BT-Injektion in die Glandula submandibularis und Glandula parotis bei Kindern und Erwachsene mit verschiedenen neurologischen Erkrankungen publiziert [55] [56] [57] [58] [59]. Die Glandula sublingualis und die Glandula lacrimalis können ebenfalls mittels US dargestellt werden, sind aber in der Praxis weniger relevant [32] [60].

Zusammenfassung
  • Die Therapie mit Botulinumtoxin (BT) wird in der Neurologie zur lokalen Behandlung von hyperaktiven Muskeln und zur Blockierung von exokrinen Drüsen eingesetzt.

  • Typische BT-Indikationen sind die Dystonie, die Spastik, Reinnervations-Synkinesien, Engpasssyndrome, Hyperhidrose und Hypersalivation.

  • Um eine optimale Behandlung mit hoher Effektivität und geringen Nebenwirkungen zu erzielen, sind die richtige Indikationsstellung, adäquate BT-Dosis und die exakte BT-Applikation im Zielgewebe entscheidend.

  • Die Ultraschall-Bildgebung (US) ist eine nichtinvasive Methode zur Echtzeit-Darstellung von Muskeln und exokrinen Drüsen.

  • Mittels US kann die Injektion von Substanzen unter Sicht gesteuert werden.

  • Die US-geführte Injektion ergibt eine Qualitätsverbesserung der BT-Behandlung.




Interessenkonflikt: U. Walter erhielt Vortragshonorare von Ipsen und Merz Pharma und Reisekosten-Erstattung von Allergan.
D. Dressler erhielt Beraterhonorare von Allergan, Ipsen, Merz, Eisai, Addex und Syntaxin Pharma.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Uwe Walter
Klinik und Poliklinik für Neurologie
Universitätsmedizin Rostock
Gehlsheimer Straße 20
18147 Rostock


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Abb. 1 Ultraschall-geführte BT-Injektion in der lateralen Halsregion. a) Position der Ultraschallsonde und der Nadel bei Anzielung des M. scalenus anterior („Off-plane“-Injektionstechnik). Der Pfeil gibt die Richtung der Sonde an (Pfeilspitze entspricht der linken Seite des B-Bildes in [b]). b) B-Bild zeigt den M. sternocleidomastoideus (SCM), M. omohyoideus (OH), M. scalenus anterior (aSC) und M. scalenus medius (mSC). CA = A. carotis communis; VJ = Vena jugularis interna; 5, 6, 7 = 5., 6., 7. zervikale Nervenwurzeln. Die Haut ist hyperechogen zu erkennen, das Fettgewebe hat eine mittlere Echogenität. Die gestrichelte Linie ist der mutmaßliche Injektionsweg der Nadel in den M. scalenus anterior.
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Abb. 2 Ultraschall-geführte BT-Injektion in die Glandula submandibularis. a) Position der Ultraschallsonde und der Nadel für die Injektion in die Glandula submandibularis. Der Pfeil gibt die Richtung der Sonde an (Pfeilspitze entspricht der linken Seite des B-Bildes in [b]). b) B-Bild der Gl. submandibularis mit ihren Nachbarstrukturen: HG = M. hyoglossus; MH = M. myohyoideus; PT = Tonsilla palatina; SCM = M. sternocleidomastoideus. Die gestrichelte Linie zeigt den erwarteten Injektionskanal.
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Abb. 3 Ultraschall-geführte BT-Injektion in Beinmuskeln. a) Position der Sonde und der Injektionsnadel („Off-plane“-Technik) zur geplanten Injektion in den M. tibialis posterior. Der Pfeil gibt die Richtung der Sonde an (Pfeilspitze entspricht der linken Seite des B-Bildes in [b]). b) Das B-Bild zeigt den M. soleus, M. flexor hallucis longus (FHL) und M. tibialis posterior (TP), die Tibia (T) und die Membrana interossea (M).
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Abb. 4 Ultraschall-geführte BT-Injektion in der Nackenregion. a) Position der Ultraschallsonde und der Nadel bei Anzielung des M. splenius capitis. Der Pfeil gibt die Richtung der Sonde an (Pfeilspitze entspricht der linken Seite des B-Bildes in [b]). b) B-Bild des M. trapezius (TR), M. splenius capitis (SPL), M. semispinalis capitis (SSC), M. multifidus (MF); PS = Processus spinosus. Die gestrichelte Linie zeigt den erwarteten Injektionskanal.