Wir wurden eingeladen, entgegengesetzte Positionen in einer Debatte zu der These einzunehmen,
dass der Psychiater als Beruf und die Psychiatrie als medizinische Disziplin vom Verschwinden
bedroht ist. Wir fanden jedoch bald heraus, dass wir in allen wesentlichen Punkten
in dieser Angelegenheit übereinstimmen. Dies ließ es schwierig erscheinen, gegensätzliche
Positionen zu formulieren.
Deshalb verwandelte sich die Debatte in eine Aufzählung der Dinge, die zu tun sind,
wenn der Psychiater als Beruf und die Psychiatrie als Fach überleben sollen. Während
wir beide hinsichtlich der Bedeutung der nachfolgend aufgelisteten Punkte übereinstimmen,
mag es andere geben, die unsere Empfehlungen für weder wichtig noch notwendig halten.
Dies könnte in der Tat eine Debatte generieren, an deren Ende klar wird, dass es Aufgaben
gibt, die das Überleben der Psychiatrie als Disziplin und der Professionellen, die
sie praktizieren, sichern.
Im vergangenen Vierteljahrhundert haben diverse Entwicklungen die Psychiatrie erschüttert:
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In Westeuropa und in den USA gab es einige größere medizinische und psychiatrische
Skandale, die unter Psychiatern zu Demoralisierung und Entfremdung führten;
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es gab Berichte über aufregende Forschungsergebnisse hinsichtlich der Entschlüsselung
der Hirnregionen und ihrer Funktionen, der Entwicklung der Psychopharmakagenomik und
der Neurowissenschaften der Emotionen;
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Forscher und Betroffenenorganisationen stellten fest, dass das Stigma psychischer
Erkrankungen nicht abgenommen hat und dass Diskriminierung aufgrund von Stigma und
chronischer Unterfinanzierung psychiatrischer Einrichtungen rund um den Globus große
Herausforderungen für die Psychiatrie bleiben;
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der ökonomische Abschwung und seine Folgen fügten eine Reihe weiterer Probleme hinzu,
ebenso wie die Politik mancher Regierungen. Die Bürokratie hat sich vermehrt und verbraucht
mehr und mehr Mittel, welche der Krankenpflege zugeordnet waren;
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sich verändernde Patientenerwartungen und Probleme, Nachwuchs für die Psychiatrie
zu gewinnen, sind in vielen Teilen der Welt zusätzlich Gegenstand der Sorge;
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verschiedene Berufsgruppen haben Verschreibungsrechte bekommen;
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zu den von außen kommenden Bedrohungen der Psychiatrie gehören auch die strikte Trennung
der Arbeitsaufgaben zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen und eine vermehrte Konsumhaltung
aufseiten der Nutzer;
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auch interne Bedrohungen bestehen in erheblichem Maße, zum Beispiel die Selbststigmatisierung
von Psychiatern und die zunehmende Super-Spezialisierung, die bedeutet, dass die Spezialisten
für ihr Fachgebiet, aber nicht für die Profession als Ganzes sprechen und dass diejenigen,
die Psychiatrie in der Breite betreiben, oft als zweitklassig angesehen und auch so
behandelt werden.
Was kann also getan werden?
Der Weg in die Zukunft
Es kann kein Zweifel bestehen, dass dies in der Tat aufregende Zeiten für die Psychiatrie
sind und dass die Psychiatrie eine glänzende Zukunft hat unter der Voraussetzung,
dass der Berufsstand in der Lage ist, eine Führungsrolle zu übernehmen. Wir schlagen
vor:
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Die Profession muss die fachlichen Qualifikationen im Hinblick auf technische Kompetenz,
klare Kommunikation, Interessensvertretung für Patienten, uneigennützigen Rat an die
Politik und die vernünftige Verwendung der verfügbaren Ressourcen erkennen und wertschätzen.
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Wo Psychiater Rollen übernehmen, die kongruent mit den oben genannten professionellen
Werten sind, sollten sie eine klare Führungsrolle übernehmen und ihre Fähigkeiten
in Teamarbeit dazu nutzen, Einrichtungen zu entwickeln und zu gestalten, die angemessen,
wirksam und kosteneffektiv sind.
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Psychiater müssen einen Weg finden, mit einer Stimme zu sprechen. Gegenwärtig besteht
über wesentliche Dinge keine Übereinstimmung, z. B. über die Dauer, die Methoden und
die Inhalte der Weiterbildung (bis zum Facharzt und danach) und die optimalen Bedingungen
der Behandlung und Versorgung. Die Profession muss mit einer einzigen klaren Stimme
sprechen. Psychiater müssen auch die Grenzen ihrer Kompetenz und ihrer Verantwortung
definieren. Gegenwärtig sind sie mit einer Vielzahl von Problemen beschäftigt, die
von einer medikalisierten Form der Behandlung von Problemen des täglichen Lebens bis
zur Gestaltung der sozialen Versorgung für schwerbehinderte Menschen, die gegenwärtig
keine psychiatrische Erkrankung haben, reichen. Die Profession muss die Führung darin
übernehmen, klar zu definieren, wofür wir stehen, was unsere Stärken sind und was
wir tun sollten.
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Psychiater sollten ihre Positionen und ihre Rollen definieren, die sie in öffentlichen
Gesundheitsprogrammen spielen wollen. Längere Zeit haben sich Psychiater gescheut,
Aufgaben zu Fragen der Prävention und der öffentlichen Gesundheitsfürsorge wahrzunehmen,
obwohl sie über Evidenz verfügen, dass viele psychische Störungen verhindert werden
können und dass Frühinterventionen wirksam sind.
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Psychiater sollten alle evidenzbasierten Behandlungen in ihr therapeutisches Arsenal
integrieren und der Tendenz widerstehen, sich auf Psychopharmakotherapie zu beschränken.
Leitlinien für die Therapie sind hilfreich und Psychiater müssen Pharmakotherapie
mit Psychotherapie und sozialen Interventionen kombinieren, wo dies indiziert und
angemessen ist.
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Die Kompetenzen von Psychiatern sollten auch weiterhin diejenigen von Ärzten sein,
die in der Lage und willens sind, sich mit körperlichen Krankheiten bei ihren Patienten
zu beschäftigen. Die Integration von körperlicher und psychischer Gesundheit ist von
überragender Bedeutung. In ihrer Eigenschaft als Ärzte müssen Psychiater die Fähigkeiten
und Kompetenzen haben, körperliche Gesundheitsstörungen zu erkennen und angemessene
Hilfe zu realisieren.
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Psychiater müssen gegen die Medikalisierung von Problemen des täglichen Lebens eintreten,
während sie umgekehrt sicherstellen müssen, dass tatsächliche psychische Störungen
behandelt werden. Psychiater sollten eine Meisterschaft in den Behandlungstechniken
ihrer Disziplin erwerben und ihrer Banalisierung und der Tendenz, sie als simple Techniken
darzustellen, entgegentreten. Psychiater sollten evidenzbasierte Behandlungen nutzen
und sich an translationaler Forschung und in jedem Stadium klinischer Studien beteiligen.
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Psychiatrische Einrichtungen der Zukunft sollten Patienten, den für ihre Versorgung
zuständigen Professionellen und ihren Familien helfen, die Fähigkeiten des Selbstmanagements
zu erlernen und dabei auch die Erfahrungen und Fähigkeiten anderer Patienten nutzen,
die die Rolle als „Peer Support“-Mitarbeiter übernommen haben.
Psychische Erkrankungen werden weiter ein großes gesellschaftliches Problem darstellen
und seine Lösung wird die Beiträge von Psychiatern erfordern, die kompetent in ihren
Rollen der Diagnostik und Behandlung von psychischen Krankheiten sind und die bereit
sind, eine Führungsaufgabe beim Umgang der Gesellschaft mit psychischen Erkrankungen
übernehmen.