physiopraxis 2015; 13(05): 18-22
DOI: 10.1055/s-0035-1554753
physiowissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York

Internationale Studienergebnisse


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22 May 2015 (online)

 

Periphere Arterielle Verschlusskrankheit – Gehtraining genauso gut wie Stent

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Durch regelmäßiges Gehen können Patienten mit einer pAVK eine Stent-OP vermeiden.
Abb.: Gajus/fotolia.com

Die vaskuläre Claudicatio ist das häufigste Symptom der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) und führt mit der Zeit dazu, dass die Patienten weniger gehen, ihre Aktivitäten einschränken, einen sitzenden Lebensstil entwickeln und damit an Lebensqualität verlieren. Liegt der Verschluss im aortoiliakalen Bereich, sind die Patienten beim Gehen eingeschränkter als mit einer weiter distal gelegenen Verengung.

Um die Gehstrecke bei Patienten mit einer pAVK langfristig zu verlängern, wird ihnen häufig ein Stent eingesetzt. Eine Forschergruppe aus den USA und Kanada legte nun jedoch die Langzeitergebnisse ihrer sogenannten CLEVER-Studie vor (Claudication: Exercise Versus Endoluminal Revascularisation). Diese zeigen: Laufbandtraining ist eine gute Alternative zum Stent. Die Wissenschaftler hatten 111 Patienten über 40 Jahre rekrutiert, bei denen eine signifikante aortoiliakale arterielle Stenose diagnostiziert worden war. In ihre Studie schlossen sie diejenigen ein, die Symptome einer moderaten bis schweren intermittierenden Claudicatio zeigten – also mindestens zwei und höchstens elf Minuten in einem Tempo von 3,2 km/h (2 miles/hour) auf dem Laufband gehen konnten. Die Teilnehmer ordneten sie zufällig drei Gruppen zu:

  • > Gruppe 1: „Optimale medizinische Betreuung“ (optimal medical care; OMC)

  • > Gruppe 2: OMC plus Training unter Supervision

  • > Gruppe 3: OMC plus Stent

Die OMC basierte auf den Leitlinien der American Heart Association und beinhaltete folgende Maßnahmen: eine Diät- und Übungsberatung, ein Management der Risikofaktoren für pAVK sowie die Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern und anderen Medikamenten. Gruppe 2 absolvierte zusätzlich über sechs Monate dreimal pro Woche ein einstündiges progredientes Laufbandtraining. Nach dieser Zeit erfolgte für die Gruppe während weiterer zwölf Monate eine regelmäßige Übungsberatung per Telefon. Die Probanden der dritten Gruppe bekamen statt des Laufbandtrainings einen Stent eingesetzt – je nach Stenose in die Aorta oder die Beckenarterie.

Zu Beginn, nach sechs und 18 Monaten ließen die Forscher alle Patienten verschiedene Tests durchlaufen. Dabei bestimmten sie die maximale Gehzeit auf dem Laufband, die Lebensqualität anhand von Fragebögen und die durchschnittliche Gehstrecke mithilfe eines Schrittzählers, den die Probanden sieben Tage vor dem zweiten Messzeitpunkt trugen.

Die Ergebnisse zeigten: Sowohl die Stentals auch die Laufbandgruppe hatten sich nach sechs Monaten bezüglich der Gehstrecke in einer Woche gleichermaßen verbessert. Bei der maximalen Gehzeit auf dem Laufband waren die Teilnehmer der Gruppe „OMC plus Laufband“ sogar noch besser: Sie konnten schon nach sechs Monaten durchschnittlich 5,8 Minuten länger gehen als zu Beginn der Studie. Auch die ersten Symptome einer Claudicatio traten beim Laufbandtest in dieser Gruppe durchschnittlich 3 Minuten später ein als noch am Anfang. Die Teilnehmer der Gruppe „OMC plus Stent“ konnten sogar noch länger gehen, bevor sie Symptome bekamen, nämlich durchschnittlich 3,6 Minuten. Insgesamt konnten sie sich bezüglich der Gehstrecke auf dem Laufband um 3,7 Minuten steigern, die der Gruppe „Nur OMC“ um 1,2 Minuten. Auch nach 18 Monaten waren die Teilnehmer der Gruppen „OMC plus Laufband“ und „OMC plus Stent“ noch auf demselben Leistungsniveau, hatten sich aber nicht weiter verbessert. Die Teilnehmer der Gruppe „Nur OMC“ dagegen hatten sich sogar wieder verschlechtert.

Somit liefern das Laufbandtraining und der Einsatz eines Stents vergleichbare, dauerhaft gute funktionelle Ergebnisse für Patienten mit arteriellen Stenosen.

smo

J Am Coll Cardiol 2015; 65: 999–1009

KOMMENTAR

Lasst uns die Patienten motivieren

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Die CLEVER-Studie beweist den guten Effekt eines strukturierten Laufbandtrainings bei der arteriellen Verschlusskrankheit. Ich halte das für eine sehr gute Botschaft für uns Physiotherapeuten. Denn die Patienten brauchen für dieses Training eine fachliche Anleitung, Motivation und das Know-how von Trainingsspezialisten.


Dr. Jörn Dopheide, Facharzt für Angiologie der Universitätsmedizin Mainz, kommentiert auf der Homepage „Medscape Deutschland“, einer Plattform für deutsche Ärzte, unter anderem die CLEVER-Studie. Auch er hält die Ergebnisse für relevant und bedauert, dass entsprechende Angebote eines angeleiteten Gehtrainings für die Patienten fehlen. Seiner Meinung nach sei gerade bei diesem Training eine fachliche Betreuung unerlässlich, da Gehtraining ein steiniger Weg sei und die Patienten motiviert werden müssten, um ihren „inneren Schweinehund“ zu überwinden. Für Patienten, die keine 200 Meter mehr gehen können, sei der Stent wohl die richtige Wahl, alle anderen sollten es erst einmal für ein halbes Jahr mit Training versuchen. Dafür wären jedoch mehr Gefäßspor tgruppenangebote oder zumindest ein detailliert ausgearbeiteter Trainingsplan für diese Patienten notwendig.


Die CLEVER-Forschergruppe um Dr. Timothy Murphy (USA) ist der Ansicht, dass verschiedene Mechanismen für den Erfolg des Gehtrainings verantwortlich sind: eine Verbesserung der Endothelfunktion, der Angiogenese, der kapillaren Dichte, des oxidativen Stoffwechsels, der Gehökonomie, aber auch eine verringerte Blutviskosität. All diese Mechanismen können wir Physiotherapeuten den Patienten mit Claudicatio durch ein gut strukturiertes Laufbandtraining bieten. Lasst uns also die Patienten motivieren bei dem manchmal mühsamen Weg auf dem Laufband. Das positive Ergebnis der Studie unterstützt uns dabei.


Stephanie Moers


http://www.medscapemedizin.de/artikelansicht/4903438

5%

der über 55- Jährigen ...

... sind von einer peripheren Verschlusskrankheit betroffen. Sie ist damit eine der häufigsten kardiovaskulären Erkrankungen.

J Am Coll Cardiol 2015;
65: 999–1009


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Zitat

» DAS BESTE TRAINING LIEGT IM SELBSTSTÄNDIGEN MACHEN. «

Cyril Northcote Parkinson (1909–1993), britischer Historiker, Soziologe, Publizist


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Botox bei Spastizität – Nach der Spritze ist die Therapie uneinheitlich

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Abb.: nikilitov/fotolia.com

Australische Physio- und Ergotherapeuten behandeln Patienten mit spastischem Syndrom uneinheitlich, um die Effekte nach einer Injektion mit Botulinum-Neurotoxin Typ A (BoNT-A) zu optimieren. Zu diesem Ergebnis kam ein Team um die Ergotherapeutin Dr. Natasha Lannin von der University of Sydney.

Die Forscher führten eine anonymisierte Online-Befragung durch, an der 128 erfahrene Physio- und Ergotherapeuten teilnahmen. Ihren Angaben zufolge lassen sich die Patienten das Nervengift am häufigsten in den M. biceps brachii, die tiefen und oberflächlichen Fingerflexoren sowie den M. brachioradialis injizieren. In der Regel nehmen sie vor der Injektion an zwei und nach der Injektion an acht Therapiesitzungen teil. Die Therapeuten nutzen verschiedene Assessments, um Informationen über die Bewegungsperformanz, Schmerzen und Funktionen zu ermitteln. Die Therapieziele formulieren sie in der Regel zusammen mit ihren Patienten. Im Anschluss daran setzen sie Interventionen wie Stretching, aufgabenorientiertes Funktionstraining, Krafttraining und Heimprogramme ein.

Die Forscher führen die Vielfalt der Interventionen darauf zurück, dass bislang keine Leitlinien für die physio- und ergotherapeutische Behandlung von neurologischen Patienten nach BoNT-A-Therapie existieren. Diese könnten eine fundierte Orientierung bieten und eine qualitativ hochwertige Versorgung sicherstellen.

fk

Aust Occup Ther J 2015; 62: 27–40

Botox

weckt Hoffnungen, ...

... denn die Patienten möchten durch eine Injektion in den Arm ihre Spastizität und die Schmerzen reduzieren, das Ausmaß und die Funktion ihrer Bewegungen erweitern sowie das Erscheinungsbild und die Hygiene ihrer Hand verbessern.

fk

Aust Occup Ther J 2015; 62: 27–40

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Saubere Begrüßung: Berufsgruppen mit viel Patientenkontakt sollten aus hygienischen Gründen in Zukunft vom klassischen Händedruck auf den „fist bump“ umsteigen.
Abb.: Evgeniy Agarkov/fotolia.com

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Hygiene – Forscher empfehlen den Faust-Gruß

„Ey Digga, alles klar?“ – zwei Fäuste prallen aufeinander. Was man bisher nur aus jugendlichen Begrüßungsritualen kennt, könnte schon bald Einzug in Physiotherapiepraxen halten. Zwar nicht die Worte, jedoch der Gruß. Denn Forscher raten aus hygienischen Gründen vom klassischen Händeschütteln ab und empfehlen stattdessen den Faust-auf-Faust-Gruß.

Für ihre Untersuchung hatten Forscher Probanden rekrutiert, die sie willkürlich als „Testgrüßer“ oder „Begrüßte“ einsetzten. Die Testgrüßer zogen einen Handschuh an und tauchten diesen in einen Bottich mit einer bakterienverseuchten Flüssigkeit. Nachdem der Handschuh getrocknet war, teilten sie die Testgrüßer in drei Gruppen. Die erste begrüßte ihren Partner mit einem traditionellen Händeschütteln, die zweite mit einem „high five“, die dritte mit dem Faust-auf-Faust-Gruß. Danach bestimmten die Wissenschaftler die Menge an Bakterien an der Hand des Begrüßten.

Ihr Ergebnis: Beim Faust-auf-Faust-Gruß waren nur halb so viele Bakterien übertragen worden wie beim Händeschütteln und auch signifikant weniger als bei der High-five-Begrüßung. Die Autoren raten deshalb vor allem Berufsgruppen mit viel Patienten- oder Kundenkontakt, vom klassischen Händedruck auf den „fist bump“ umzusteigen.

rrn

Am J Infect Control 2014; 42: 916–917

THIEME WEBSITE FÜR PHYSIOTHERAPEUTEN

Aktuelle Studienergebnisse


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Morbus Parkinson – Was ist die ausgereifteste Therapiemethode?

In der Parkinson-Therapie gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten. Dr. Gerald Küther von der medizinischen Hochschule Hannover wollte herausfinden, welche davon am effektivsten ist. Dabei ging er davon aus, dass eine Methode, die mit einer Metaanalyse untersucht wurde, wirksamer ist als eine Methode, die „nur“ in wenigen Einzelstudien untersucht wurde.

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Abb.: Ed Samuel/shutterstock.com

Er analysierte insgesamt acht Reviews, die Studien zu einem oder mehreren Behandlungsansätzen zusammenfassen. Mithilfe der Evidenzgrade stufte er die Reviews nach Stärke der Beweiskraft ein – je höher der Evidenzgrad, desto wirksamer der Therapieansatz. Seine Auswertung ergab, dass mit einem Evidenzgrad von 1a die Trainingstherapie, das Laufbandtraining, die Tanztherapie und das Cueing am wirksamsten sind. Bei Letzterem nutzt der Therapeut externe Stimulationsstrategien wie Rhythmen oder visuelle Hinweisreize, um Bewegungen zu beschleunigen oder zu vergrößern. Einen Evidenzgrad von 1b und damit ebenfalls eine hohe Evidenz konnte der Autor für Tai-Chi/Qigong und die Lee-Silverman-Voice-Therapie (BIG) bestimmen, bei der der Therapeut mit dem Patienten großräumige, verbal geführte Bewegungen übt. Zur konventionellen Physiotherapie, bestehend aus Dehnung, Gleichgewichtsübungen, Kräftigung, aktiven und passiven Bewegungen oder Gangschule, konnte der Autor lediglich drei Studien auswerten. Aufgrund der geringen Studienzahl zog er den Schluss, dass diese Form der Therapie eine geringe bis moderate Evidenz hat. Auch das repetitive Training von Ausfallschritten hatte in der Auswertung eine moderate Evidenz (2b). Hierbei trainieren die Patienten Schutzschritte, um das Sturzrisiko zu verringern und die Schrittlänge beim Gehen zu vergrößern.

Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem die neuen physiotherapeutischen Konzepte einen vielversprechenden Ansatz bieten. Auf dieser Grundlage „das“ optimale Therapieprogramm aufzustellen ist jedoch schwierig, so der Autor. Vielmehr scheint – wie immer – der wirksamste Weg zu sein, die Behandlungsmethode individuell an den Patienten anzupassen.

hoth

Phys Med Rehab Kuror 2015; 25: 11–18

KOMMENTAR

Und nun?

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Diese Studie stellt ein Meta-Review dar, bei dem der Autor Übersichtsarbeiten und bereits erstellte Metaanalysen zusammenfasst. Diese Meta-Reviews dienen nicht als Behandlungsempfehlung, bieten jedoch meist wichtige Hinweise für die Therapie.


Dafür müssen die Autoren jedoch bestimmte Schritte einhalten: Neben der vollständigen Suche in Datenbanken sollten sie die Methodik der Studien bewerten. Aus den Ergebnissen entwickeln sie dann Empfehlungen für Praxis und Forschung.


Der Autor der Studie verzichtet darauf, die Methodik zu bewerten, sodass die Qualität der Reviews unklar bleibt. Stattdessen stellt er lediglich den Evidenzgrad der Arbeiten dar und leitet daraus den Therapie- Effekt ab. Sinnvoll wäre jedoch darzustellen, welcher Ansatz mit welchem Effekt etwa auf die Gehgeschwindigkeit oder das Sturzrisiko wirkt. Zudem fehlen Informationen über die Durchführung, Intensität und Frequenz der Behandlungen. Für Therapeuten lohnt sich daher ein Blick in die europäische Leitlinie zur Physiotherapie bei Parkinson: http://parkinsonnet.info/guidelines/ european-guidelines.


Dr. Holm Thieme


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Durch regelmäßiges Gehen können Patienten mit einer pAVK eine Stent-OP vermeiden.
Abb.: Gajus/fotolia.com
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Abb.: nikilitov/fotolia.com
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Saubere Begrüßung: Berufsgruppen mit viel Patientenkontakt sollten aus hygienischen Gründen in Zukunft vom klassischen Händedruck auf den „fist bump“ umsteigen.
Abb.: Evgeniy Agarkov/fotolia.com
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Abb.: Ed Samuel/shutterstock.com
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