physiopraxis 2015; 13(06): 6-9
DOI: 10.1055/s-0035-1557116
physioforum
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Physios zu Gast in Singapur

Gesine Seeber

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Publication Date:
24 June 2015 (online)

 

Der Kongress der WCPT wird bei den Teilnehmern noch lange nach klingen: In einer faszinierenden Stadt trafen sie auf führende Experten aus allen Fachbereichen und jede Menge aktuelle Forschungsergebnisse. Einblicke in vier Tage Singapur.


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Gesine Seeber

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Gesine Seeber arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Orthopädie an der Universität Oldenburg, in einer Physiotherapiepraxis und zudem für die International Academy of Orthopaedic Medicine (IAOM–EU). Für sie war es der erste WCPT-Kongress – aber sicher nicht der letzte.

Joachim Schwarz

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Joachim Schwarz ist Physiotherapeut (OMT) und arbeitet seit sechs Jahren bei Thieme. Für ihn war es der zweite Weltkongress – und mit Abstand der beste.
  • • Es gab etwa 50 Vortragsreihen mit jeweils bis zu 10 Vorträgen und über 1.000 Posterpräsentationen.

  • • An dem Kongress nahmen rund 3.500 Menschen aus 114 Ländern teil.

  • Mildred Elson Award Zur Preisträgerin des Mildred Elson Awards, der höchsten Auszeichnung des WCPT, wurde Kari Bø aus Norwegen gekürt. Sie ist eine international anerkannte Forscherin auf dem Gebiet der Beckenbodendysfunktion bei Frauen und machte unter anderem durch intensive Medienarbeit weltweit auf diese Problematik aufmerksam.

  • Neue WCPT-Präsidentin Emma Stokes löst Marilyn Moff at als WCPT-Präsidentin ab. Sie ist Associate Professor am Department of Physiotherapy des Trinity College in Dublin.

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Abb. 2 Nicht nur die Vorträge, auch die Posterpräsentationen waren gut besucht.
J. Schwarz/Thieme Verlagsgruppe
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Abb. 3 WCPT und der Stadtstaat Singapur ein Fest für Augen und Ohren.
J. Schwarz/Thieme Verlagsgruppe
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Abb. 4 Die Stimmung auf dem Kongress war hervorragend.
J. Schwarz/Thieme Verlagsgruppe
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Abb. 5 Beeindruckend: das Bankenviertel an der Marina Bay
J. Schwarz/Thieme Verlagsgruppe

Hochintensives Krafttraining hilft Patienten mit Multipler Sklerose

Absolvieren Patienten mit einer leichten bis moderaten Multiplen Sklerose ein hochintensives Krafttraining, steigern sie nicht nur ihre Kraft, sondern verbessern auch ihre Lebensqualität, Fatigue und Entzündungsparameter signifikant. In der von Marie Kierkegaard aus Schweden vorgestellten Studie hatten 15 Patienten zwölf Wochen lang jeweils zweimal pro Woche acht Übungen durchgeführt. Bei jeder Übung absolvierten sie sieben bis zehn Wiederholungen mit jeweils 80 % des ersten Wiederholungsmaximums (1 RM).

Kierkegaard M. High-intensity resistance training in Multiple Sclerosis – An exploratory study


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Woher kommt das Knacken im Gelenk?

In einer Studie, die auch in den Medien vielfach aufgegriffen wurde, ermittelten Greg Kawchuk und sein Team, woher das Knacken in einem Gelenk kommt. Dazu legten sie einen Mann ins MRT, der seine Finger knacken lassen konnte. Die Forscher erkannten, dass im Moment der Gelenktraktion – wenn sich die Gelenkflächen voneinander lösen – ein Hohlraum im Gelenk entsteht. Dies löst offenbar das Knacken aus.

Kawchuk GN, Fryjer J et al. Real-time visualization of joint cavitation. PLoS One 2015; 10: e0119470


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Physiotherapeuten sollen diagnostischen Ultraschall benutzen

Dr. Tiziano Marovino präsentierte eine Studie, in der er festgestellt hatte, dass Physiotherapeuten Risse in der Rotatorenmanschette zuverlässig mittels diagnostischem Ultraschall erkennen können. Er ermutigte Physiotherapeuten dazu, die Technik des diagnostischen Ultraschalls zu erlernen und ihn in Praxis und Forschung einzusetzen – bevor andere Berufsgruppen diese Methode für sich entdecken und den alleinigen Anspruch für den Einsatz des Ultraschalls für sich erheben. Dies geschehe derzeit laut Dr. Marovino schon teilweise durch Ärzte in den USA.

Marovino T. Concurrent validity of physical therapist performed muskuloskeletal diagnostic ultra sound imaging vs. MRI in detecting shoulder RTC tears


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Vorderes Kreuzband: Form der Notch ist Risikofaktor für Ruptur

Bei Patienten mit Ruptur des vorderen Kreuzbands, von denen auch ein Geschwister eine VKB-Ruptur hatte, steht die femorale Notch signifikant enger als bei Betroffenen, deren Geschwister bislang keine VKB-Ruptur hatten. Dies fanden Susan A. Keays und Kollegen heraus. Sie folgert: Notches mit „A-Form“ (kranial enger stehend als kaudal) prädisponieren für einen Kreuzbandriss. Somit könnte diese Form – neben Hypermobilität und weib lichem Geschlecht – ein weiterer Risikofaktor für eine vordere Kreuzbandruptur sein.

Keays SA. What predisposes siblings to anterior cruciate ligament injury? Femoral notch width size in siblings with and without ACL injury


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VKB-Rekonstruktion wirkt sich positiv auf Kniegelenkkinematik aus

Eva Tengman und Kollegen überprüften, inwiefern sich die Kinematik des Kniegelenks nach 20 Jahren bei drei verschiedenen Probandengruppen unterscheidet: Patienten mit VKB-Rekonstruktion, Patienten mit konservativer Therapie nach VKB-Ruptur und Personen ohne Kreuzbandriss. Es zeigte sich, dass die Kinematik der Unverletzten derjenigen mit rekonstruiertem VKB tatsächlich ähnlicher ist als der von Patienten, die konservativ versorgt worden waren.

Tengmann E. ACL injury about 20 years post treatment: A kinematic analysis of one-leg vertical jump


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Vordere Kreuzbandruptur: Auch unverletztes Bein betroffen

Nach einem Riss des vorderen Kreuzbands weist auch das nicht verletzte Bein signifikante Veränderungen in der Kinematik und Kinetik auf. Zudem ist die Sprungperformance des gesunden Beins zu etwa 25 % geringer als bei einer gematchten Kontrollgruppe. Studienautor Benoit Pairot de Fontenay betonte die Wichtigkeit dieser Erkenntnis, da im Rehabilitationsprozess das nichtverletzte Bein oft als Referenz bezüglich Übungsprogredienz oder Return to Sport genutzt wird. Er empfiehlt, das gesunde Bein direkt nach der Verletzung zu testen, um eine wirkliche Referenz zu erhalten. Zudem sollte dieses Bein auch verstärkt in den Rehaprozess eingebunden werden.

de Fontenay BP, Argaud F et al. Contralateral limb deficit seven months after ACL-reconstruction: An analysis of single-leg hop tests. http://dx.doi.org/10.1016/j.knee.2015.04.012

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Abb. 6 Typisch für asiatische Großstädte: die Hausbegrünung
J. Schwarz/Thieme Verlagsgruppe
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Abb. 7 Die „Gardens by the Bay“
J. Schwarz/Thieme Verlagsgruppe
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Abb. 8 Joachim Schwarz (rechts) mit Kinesiotape-Entwickler Kenzo Kase.
J. Schwarz/Thieme Verlagsgruppe
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Abb. 9 In Singapur leben Menschen vieler Religionen vereint. Hier einer der Hindu-Tempel.
J. Schwarz/Thieme Verlagsgruppe
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Abb. 10 Paul Hodges und Linda Steyn bei der Diskussionsrunde zur globalen Gesundheitsinitiative „Exercise is Medicine“
J. Schwarz/Thieme Verlagsgruppe
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Abb. 11 Lorimer Moseley (links) und David Walton gaben ein Update zum Thema „Chronischer Schmerz“.
J. Schwarz/Thieme Verlagsgruppe

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„Exercise is Medicine“ – Lebenswandel widerspricht gesellschaftlichen Werten

Bei der Diskussion zum Thema „Exercise is Medicine“ („Übungen sind Medizin“) gab Linda Steyn (a Abb. 10) aus Südafrika zu bedenken, dass gesundheitliche Wertvorstellungen bzw. gesellschaftliche Probleme häufig historisch gewachsen sind. Daher sei es für Menschen oftmals schwer nachzuvollziehen, warum Dinge, die immer gut waren, plötzlich nicht mehr gut sein sollen: In Afrika etwa seien eine übergewichtige Familie und ein eigenes Transportmittel Zeichen dafür, dass der Mann seine Familie gut ernährt und er es durch seine Arbeit zu Wohlstand gebracht hat. Nun solle man sich laut Linda Steyn vorstellen, es komme ein Physiotherapeut daher und sage dem Mann, seine Familie müsse weniger essen und sich mehr bewegen ...


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Periphere Neuropathien: Wurden die kleinen Nervenfasern ignoriert?

Annina Schmidt zeigte in ihrer Studie, dass bei peripheren Neuropathien überwiegend – zu etwa 80 % – die kleinen Nervenfasern betroffen sind, also die A-delta- und die C-Fasern. Mikroskopbilder belegen, dass diese Nervenfasern bei Patienten mit Karpaltunnelsyndrom (CTS) fast vollständig verschwunden sind. Testen kann man diese Fasern mit der Unterscheidung kalt/warm. Patienten mit CTS haben deutlich mehr Probleme, Temperaturen zu unterscheiden, als Gesunde.

Um die Diagnose CTS zu stellen werden derzeit jedoch nur die großen Fasern getestet, beispielsweise mittels Prüfung der Nervenleitgeschwindigkeit. Darin unterscheiden sich die Betroffenen jedoch oft nicht von Gesunden, sodass viele Patienten mit CTS falsch negativ getestet werden.

Schmidt AB, Bland JPD et al. The relationship of nerve fibre pathology to sensory function in entrapment neuropathy. Brain 2014; 137: 3186–3199


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Zusammenhänge zwischen Fitness, Körperstruktur und Kognition

Jennifer Fortune zeigte Zusammenhänge zwischen Fitness, Körperstruktur und Kognition:

  • > Je schlechter die kardiorespiratorische Fitness ist, desto schlechter ist die Reaktionsgeschwindigkeit.

  • > Je besser die kardiorespiratorische Fitness, desto besser das Arbeitsgedächtnis.

  • > Übergewicht korreliert negativ mit der Leistung des Arbeitsgedächtnisses – sowohl bei jungen als auch bei älteren Probanden.

Fortune J. The association between cognitive performance, cardiorespiratory fitness and body composition


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Brustkrebs: Moderate Bewegung verbessert Überlebenschancen

Laut einer Studie von Gunn Amitzbøll und Kollegen verbessert moderate körperliche Bewegung, bestehend aus drei bis vier Wochenstunden Walking, Radfahren, Hausarbeit etc., die Überlebenschancen bei Zustand nach Brustkrebs um 59 %. Ein höheres Level an Aktivität bringt keinen zusätzlichen Benefit.

Amitzbøll G. Move to survive (Poster)


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Wahrnehmungsstörungen bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen

Bei chronischen Rückenschmerzen scheint die Wahrnehmung von Becken und LWS gestört zu sein, was sich in einer schlechten Repositionsquote für LWS-Positionen zeigt. Die Literatur dazu ist allerdings sehr heterogen und die Studienqualität bislang nicht gut genug, um eine sichere Aussage treffen zu können.

Baur H. Measuring lumbar reposition accuracy in patients with unspecific LBP – systematic review and meta-analysis (Poster)


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Nach Schleudertrauma: Fetteinlagerungen im zervikalen M. multifidus

Mittels MRT-Aufnahmen fanden Annelie Peolsson und ihre Kollegen heraus, dass Patienten mit chronischem schwerem Schleudertrauma (WAD) in den zervikalen Mm. multifidi – gemessen von C 4 bis C 7 – signifikant mehr Fetteinlagerungen haben als Gesunde und Patienten mit leichtem bis mittelschwerem WAD. Zwischen Patienten mit milden Beschwerden und Gesunden besteht hinsichtlich des Verfettungsgrads kein Unterschied.

Peolsson A. Increased fatty infiltration of the multifidus muscle in individuals with severe disability due to chronic whiplash-associated disorders


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Keine Evidenz für Stoßwellentherapie bei Tendinopathien

Derzeit gibt es keine Evidenz für eine positive Wirkung von Stoßwellentherapie bei Achillesoder Patellarsehnentendinopathie. Die Studien sind zu heterogen und zum Teil von schlechter Qualität. So bleibt unter anderem unklar, welche Art der Stoßwelle (radiale oder fokussierte) anzuwenden ist und in welcher Dosis. Nach Studienautor Anuj Punnoose ist es für Patienten sinnvoller, ihr Geld zu sparen, sich an eine Treppenstufe zu stellen und exzentrisch zu trainieren.

Punnoose A. The effectiveness of shockwave therapy on achilles and patellar tendinopathy: A systematic review and meta-analysis

„Wenn Übungen eine Tablette wären, wäre diese sicherlich das am meisten verordnete Medikament.“

Paul Hodges, Australien

„Die Therapie wird sich meiner Meinung nach in Richtung eines biopsychosozialen Ansatzes verändern – also richtig biopsychosozial, nicht, wie derzeit, ,bio‘ und ‚psychosozial‘.

Lorimer Moseley, Australien

„Wir nehmen bei Patienten inzwischen sogar Stuhlproben. Gott sei Dank gibt es dafür Studenten!“

David Walton, Physiotherapeut und Schmerzforscher aus Kanada


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Gesine Seeber arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Orthopädie an der Universität Oldenburg, in einer Physiotherapiepraxis und zudem für die International Academy of Orthopaedic Medicine (IAOM–EU). Für sie war es der erste WCPT-Kongress – aber sicher nicht der letzte.
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Joachim Schwarz ist Physiotherapeut (OMT) und arbeitet seit sechs Jahren bei Thieme. Für ihn war es der zweite Weltkongress – und mit Abstand der beste.
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Abb. 2 Nicht nur die Vorträge, auch die Posterpräsentationen waren gut besucht.
J. Schwarz/Thieme Verlagsgruppe
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Abb. 3 WCPT und der Stadtstaat Singapur ein Fest für Augen und Ohren.
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Abb. 4 Die Stimmung auf dem Kongress war hervorragend.
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Abb. 5 Beeindruckend: das Bankenviertel an der Marina Bay
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Abb. 6 Typisch für asiatische Großstädte: die Hausbegrünung
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Abb. 7 Die „Gardens by the Bay“
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Abb. 8 Joachim Schwarz (rechts) mit Kinesiotape-Entwickler Kenzo Kase.
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Abb. 9 In Singapur leben Menschen vieler Religionen vereint. Hier einer der Hindu-Tempel.
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Abb. 10 Paul Hodges und Linda Steyn bei der Diskussionsrunde zur globalen Gesundheitsinitiative „Exercise is Medicine“
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Abb. 11 Lorimer Moseley (links) und David Walton gaben ein Update zum Thema „Chronischer Schmerz“.
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