tk 2015; 11(03): 5-9
DOI: 10.1055/s-0035-1557796
Fachartikel
Enke Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Trennungsangst beim Hund

Symptome, Therapieansätze und Praxistipps
Celina del Amo
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Celina del Amo
Lupologic GmbH
Linienstraße 72
40227 Düsseldorf

Publication History

Publication Date:
09 September 2015 (online)

 

Eine relativ große Anzahl an Hunden erlebt die Zeiten, in denen sie vom Besitzer getrennt sind, als Situationen panikartiger Angst. Wir zeigen Ihnen, wie diese Angst entsteht und was dagegen helfen kann.


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Trennungsangst ist kein einheitliches Krankheitsbild und kann sich in einer Vielzahl unterschiedlicher Symptome äußern. Einige auffällige Formen der Trennungsangst gehen mit folgenden Symptomen einher:

  • Vokalisieren: Die betroffenen Hunde fallen in den Zeiten der Abwesenheit des Tierhalters durch anhaltende oder wiederholte Lautäußerungen etwa in Form von Winseln, Jaulen, Heulen oder Bellen auf.

  • Zerstörungsverhalten: Die Tiere zerstören Strukturen, indem sie an diesen kratzen, sie zerbeißen oder sie zerreißen. Nicht selten haftet den zerstörten Strukturen der Geruch des Besitzers an (z. B. an Handys, Geldbörsen, Kissen oder der Couchgarnitur). Aber auch bei Ausbruchsversuchen, die sie unternehmen, um ihren Besitzern zu folgen, können Dinge wie z. B. Bodenbeläge, Tür- oder Fensterrahmen sowie der Autoinnenraum zerstört werden.

  • Körperliche Symptome: Die Palette reicht hierbei von unkontrolliertem Harnabsatz und Durchfällen über Zittern, Hecheln, Speicheln und Erbrechen bis hin zum Sich-Wundlecken.

Weniger auffällig ist unruhiges oder depressives Verhalten, das häufig vom Besitzer übersehen wird, weil die betroffenen Hunde dem Halter zunächst augenscheinlich keinerlei Schwierigkeiten bereiten. Sie leiden jedoch in den Phasen der Abwesenheit des Tierhalters unter großem mentalem Stress, was in Videokontrollen sehr deutlich zum Vorschein kommt. Für die Trennungsangst sind keine Rasse- oder Geschlechtsdispositionen bekannt. Viele Trennungsangsthunde leiden gleichzeitig auch unter anderen Ängsten.

Ursachen

Die Ursachen der Trennungsangst sind mannigfaltiger Natur: Vom übermäßigen Pflegeverhalten der Mutterhündin, zu starker bzw. zu bindungsintensiver Pflege durch Menschen (ggf. in Phasen einer Erkrankung des Hundes), über mangelnde Förderung von Selbstständigkeit des noch jungen Hundes, der schlagartigen Konfrontation mit dem Alleinsein oder der Wahl zu großer Trainingsschritte (womit das Gefühl von Todesangst ausgelöst werden kann) bis hin zum Erleben eines starken Traumas in den Phasen des Alleinseins, kann alles (auch Mischformen) vertreten sein.

Auch fehlende Überlagerungen im Hinblick auf soziale und speziell auf bindungsbezogene Geborgenheitsreize können Trennungsangst fördern. Hierbei kennt der Hund jeweils nur wenige Geborgenheitsreize in einem bestimmten Bereich, und die bloße Abwesenheit dieser (wenigen) Reize bedeutet starken Stress. Gibt es hingegen Überlagerungen mit weiteren Reizen aus der gleichen Kategorie, wird die Abwesenheit/der Wegfall eines Reizes mental problemlos verarbeitet. In Bezug auf Menschen bedeutet das: Kennt der Hund nur den Züchter (oder wenige Personen) erhält deren Anwesenheit oftmals eine zu hohe Bedeutung.

Trigger

Neben diesen Kernursachen gibt es noch eine Reihe weiterer Ereignisse bzw. Lebensumstände, die als Angst-Trigger (Auslöser) fungieren können. Hierzu zählen u. a.:

  • Traumata durch einen Gruppenverlust (auch ausgesetzt worden zu sein)

  • Tierheimaufenthalte

  • Änderung der Arbeitszeiten des Tierhalters

  • Umstellungen im Familiengefüge

  • Ende von Urlaubszeiten oder anderen Phasen einer dauerhaften Nähe des Tierhalters

Auch Erkrankungen des Hundes selbst (inkl. der kognitiven Dysfunktion) können das Problemverhalten Trennungsangst auslösen oder unterstützen. Ein Hund kann sich bereits als Welpe trennungsängstlich zeigen oder aber das Problemverhalten plötzlich entwickeln, auch wenn er zuvor keine Schwierigkeiten mit dem Alleinsein hatte.


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Relevanz für Halter und Hund

Nicht immer ist sich der Tierhalter über die mit dem Verhalten einhergehende Not seines Hundes bewusst. Dies gilt speziell, wenn der Hund eines der weniger bekannten oder auffälligen Symptome zeigt. Durch das Verhalten des Hundes kann jedoch auch der Tierhalter selbst in eine reale Notlage geraten, z. B. weil er mit Beschwerden durch Nachbarn oder dem Vermieter konfrontiert wird, der Hund hohe Werte zerstört, die Gesundheit seines Hundes gefährdet ist oder ihm sein liebgewonnener Hausgenosse leid tut. Bei jedem länger anhaltenden, regelmäßig wiederkehrenden oder allgemein schwerwiegenden Verlust der mentalen Balance eines Tieres handelt es sich grundsätzlich um einen zwingend therapiewürdigen Zustand! Die Kriterien von „Leid“ sind immer dann erfüllt, wenn die Beeinträchtigung über das Maß eines nur kurzzeitigen und geringgradigen Unwohlseins hinausgeht. Leider wird dies vor allem bei Hunden, die weniger auffällige Symptome zeigen, nicht immer fachgerecht aufgegriffen oder in der Therapie berücksichtigt. Die Videokontrolle zeigt dann, unter welcher hohen Stresslast diese Tiere stehen. Sie können beispielsweise in Abwesenheit des Tierbesitzers weder fressen noch schlafen. Sie stehen dauerhaft unter Spannung.

Merke

Eine fachgerechte Verhaltenstherapie ist zwingend angezeigt, wenn ein Tier über einen längeren Zeitraum deutliches Unwohlsein zeigt und die mentale Balance beeinträchtigt ist.


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Diagnosestellung

Viele Trennungsangsthunde zeigen eine starke Ab- bzw. Überabhängigkeit an ihre Tierhalter. Bereits kurze „Trennungen“ etwa, wenn der Tierhalter nur kurz den Raum verlässt, ins Bad oder in den Keller geht, lösen Unruhe oder sogar Panik aus. Typisch für diese Hunde ist, dass sie den Besitzer nach Möglichkeit auf Schritt und Tritt verfolgen und ihn nach erlebten Trennungen ganz besonders überschwänglich bei seiner Heimkehr begrüßen. Einige dieser Hund zeigen dem Besitzer gegenüber zudem – oftmals erfolgreich – eine Anzahl Aufmerksamkeit heischender Verhaltensweisen. Sofern der Besitzer bei seinem Hund eines oder mehrere der eingangs beschriebenen Symptome feststellt, kann die Diagnose bereits aufgrund der Symptomatik gestellt werden.

Anders sieht es bei den Hunden aus, die weniger auffällige Anzeichen zeigen, die ein Trauma in Abwesenheit des Besitzers erlebt haben oder erst durch äußere Trigger wie etwa das Türklingeln, Hundegebell auf der Straße oder ein aufziehendes Gewitter in ein Erregungs- und dann Angstbild kippen. Eine genaue und fachgerechte Beurteilung des Ausdrucksverhaltens anhand der Videoanalyse bietet in allen Fällen mit Verdacht auf Trennungsangst die sicherste Diagnosemöglichkeit. Sie hilft, Zusammenhänge zu bestimmten Triggern oder andere Ursachen aufzudecken, denn viele Symptome, die bei Trennungsangst gezeigt werden, können auch andere Hintergründe haben (▶Tab. 1).

Merke

Zur Auswahl der passenden Bausteine für eine Therapie ist stets eine genaue Analyse des Einzelfalls – am besten mit Videokamera – erforderlich.

Tab. 1  Symptome zur Differenzialdiagnostik der Trennungsangst.

Symptom

mögliche Ursachen außer Trennungsangst

Vokalisieren

  • äußere Reize

  • hohe Bellfreudigkeit der Rasse

  • Langeweile

  • mangelhafte Auslastung

  • Taubheit

  • Demenz

Zerstörungsverhalten

  • Kaubedürfnis bei Welpen und Junghunden

  • Erziehungsfehler

  • angstbedingter Stress (ggf. auch Frust) wegen der Unerreichbarkeit von bestimmten und als Belastung empfundenen Außenreizen

  • Krankheiten wie Ösophagitiden oder Gastritiden

Unsauberkeit, Erbrechen, Selbstverstümmelung

  • mangelndes/mangelhaftes Sauberkeitstraining

  • Krankheiten (Polydipsie-Polyurie-Komplex, Magen-Darm-Erkrankungen)

  • neurologische Probleme

  • Reaktion auf Wunden

  • Arthroseschmerzen

Markierverhalten

  • Pubertät

  • Eingliederung eines neuen Hundes

  • zu lange Dauer des Alleinseins

  • Stressreaktion auf äußere Reize

  • Demenz


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Prophylaxe

Die beste Prophylaxe der Trennungsangst besteht darin, von Anfang an darauf zu achten, dass die Gewöhnung an das Alleinsein kleinschrittig erfolgt und somit nie Angst ausgelöst wird. Dies gilt ganz besonders für Tiere, die eine hohe Tendenz zur Trennungsangst haben wie z. B. viele „Second-Hand“-Hunde.

Grundsätzlich ist in einer Beratung oder Konsultation immer zu erfragen, wie lange der Hund regelmäßig allein gelassen wird/werden soll. Eine Zeitdauer von über 4 Stunden steht einer hundegerechten Unterbringung deutlich entgegen. Darüber muss der Hundehalter aufgeklärt werden.

Folgende Maßnahmen sind sowohl prophylaktisch als auch therapeutisch anwendbar:

  1. die Vermittlung eines stabilen Sicherheitsgefühls (Entspannung) in räumlicher Abwesenheit des Besitzers und unter einer mäßigen Ablenkung, z. B. durch Bewegungen im Raum oder kurzzeitiges Verlassen desselben

  2. die Bereitstellung vertrauter Geborgenheitsreize, inkl. eines gut vertrauten und ggf. mit Besitzergeruch kombinierten Schlaf- und Lagerplatzes

  3. der Aufbau einer positiven Verknüpfung zum Alleinsein mittels Futter


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Therapie

Die mittlere Therapiedauer der Trennungsangst liegt bei ca. 6 Monaten, wobei die Prognose maßgeblich von der Zeitdauer, in der das Problemverhalten bereits besteht, den vorherigen Trainings- oder Therapieansätzen, dem Trainingsfleiß des Halters und der Beherrschbarkeit problemassoziierter Randfaktoren (Trigger) beeinflusst wird.

Tragischerweise wird immer wieder versucht, den betroffenen Hunden mittels Strafmaßnahmen die Trennungsangst abzutrainieren. Hierbei ist ein Scheitern und als Folge eine massive Stresspotenzierung unausweichlich.

Merke

Angst kann nicht überwunden werden, indem man weitere Angst bereitet oder andere Maßnahmen anwendet, mit denen sich das Tier unwohl fühlt!

Angstfreiheit

Der einzige erfolgreiche Weg heraus aus der Trennungsangst besteht darin, dem Hund das Alleinsein als etwas Angenehmes zu verkaufen. Die Therapie zielt also im Kern auf die Gefühle von Angstfreiheit und allumfassendem Wohlbefinden mit Entspannung ab. Futterspaß während des Alleinseins erzeugt folgendes Gefühl: „Hoffentlich gehen meine Menschen gleich einmal weg, weil nur dann bekomme ich die tollen Beschäftigungsspielzeuge, die mit meinen Lieblingsleckerchen gespickt sind.“ Bewährte Therapiebausteine, die zusätzlich zu den Prophylaxemaßnahmen den Therapieplan abrunden, sind: Ruhe- und Entspannungsübungen an einem speziellen Liegeplatz (▶Abb. 1), Vertrautmachen mit einer Transportbox (Installation eines Geborgenheitsortes), Abbau von Überabhängigkeit zum Tierhalter, Förderung des Selbstvertrauens und der Eigenständigkeit des Hundes. Auch Übungen, in denen der Halter das Zimmer/das Haus verlässt und umgehend wieder hereinkommt, Abbau von Aufmerksamkeit heischendem Verhalten, weitgehender Verzicht auf überschwängliche Begrüßungszeremonien und vollständiger Verzicht auf Verabschiedungsfloskeln sind häufig neben der Entkopplung negativer Schlüsselreize und dem Aufbau eines Alternativverhaltens im Hinblick auf bestehende Angst- oder Erregungslage-Trigger wichtige Bausteine einer Therapie. Eine erfolgreiche Therapie ist kleinschrittig, mit häufigen Wiederholungen und angstfrei aufgebaut.

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Abb. 1  Die Box als Geborgenheitsort zu installieren bietet sowohl in der Prophylaxe als auch in der Therapie Vorteile.

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Hilfsmittel

Unter Zuhilfenahme technischer Geräte, mit denen man den Hund durch Fernsteuerung an einem bestimmten Ort belohnen kann oder die den Hund auch in der Abwesenheit des Tierhalters mittels Zeitschaltuhr mit Snacks versorgen, kann das Alleinsein oftmals besonders leicht positiv aufgebaut werden. Eine der besten Maschinen dieser Art ist unter dem Namen „Treat & Train Dog Training System“ im Handel (▶Abb. 2).

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Abb. 2  Mithilfe der Futtermaschine kann der Hund auch in Abwesenheit des Tierhalters belohnt werden, wenn er sich an seinem Liegeplatz aufhält.

Für die Verlaufskontrollen sind ebenfalls technische Geräte hilfreich, z. B. ein Baby-Phone, ein Handy-gesteuertes Abhörsystem oder die Videokontrolle. Wichtig ist, stets umgehend darauf zu reagieren, wenn durch die Überwachung ersichtlich ist, dass der Hund mit dem gewählten Schwierigkeitsgrad überfordert ist und Unruhe oder gar Angst aufkommt. Bei der Auswahl der Therapiebausteine und Geräte ist unbedingt auf die Tierschutzkonformität der Maßnahmen zu achten!

Merke

Das Verbringen eines Hundes in eine Transportbox, die er nicht als Ort der Geborgenheit wahrnimmt, ist ebenso obsolet wie der Einsatz von Anti-Bellhalsbändern oder Maulkörben, die kein Hecheln erlauben.


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Heilmittel

Die medikamentöse Unterstützung des Hundepatienten im Rahmen einer Verhaltenstherapie ist gängig und in vielen Fällen sinnvoll. Zum Einsatz kommen in schweren Fällen verschreibungspflichtige, angstlösende Beruhigungsmittel (z. B. Alprazolam = kurzwirksames Benzodiazepin) oder Psychopharmaka (Selegilin oder Clomipramin). In weniger gravierenden Fällen können auch verschreibungsfreie Produkte wie Pheromone (z. B. ADAPTIL) oder (Ergänzungs-)Futtermittel mit α-Casozepin (z. B. Zylkène) eingesetzt werden.


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Ratschläge und Praxistipps

Nach wie vor halten sich hartnäckig längst überholte Ratschläge wie z. B. im Falle des Vokalisierens in Abwesenheit des Halters erst in einer Bellpause oder nach einer Ruhezeit wieder hereinzukommen. Doch heute erachtet man die Emotion des Hundes für wesentlich wichtiger als das Symptom. Da durch ein frühzeitiges Hereinkommen die Angst gemildert wird, kann der Besitzer dies tun, jedoch sollte er dem Hund mit einer bewusst neutralen Ausstrahlung keinerlei positives oder negatives Feedback geben. Auch das Belohnen vom Leise- oder anderweitigem Bravsein nach der Rückkehr ist wertlos, da Hunde solch abstrakte Gedankengänge nicht nachvollziehen können und dementsprechend die Belohnung direkt mit der Rückkehr des Menschen assoziieren. Dies ist speziell ungünstig, da man in der Therapie sowohl das Weggehen als auch das Wiederkehren des Menschen ja absichtlich als etwas völlig Banales hinstellen möchte. Auch der Versuch, mit einem zweiten Hund das Problem zu lösen funktioniert nicht, denn viele der überabhängigen Trennungsangstpatienten sind einzig von einer oder mehreren Personen abhängig.


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Zusammenfassung

Für eine erfolgreiche Trennungsangst-Therapie gelten folgende Grundsätze:

  • Vermeidung von Angstzuständen jedweder Art.

  • Kleinschrittiges Vertrautmachen mit Trennungssituationen durch Therapieübungen mit einem positiven Bezug zur Situation.

  • Schrittweise Ausdehnung der Trennungszeiten (von wenigen Sekunden der „Trennung“ mit dem Halter im gleichen Raum bis hin zu ca. 2 Stunden).

  • Ggf. Einsatz von Medikamenten.

  • Langfristige Aufrechthaltung der Regel, den Hund täglich mindestens 1-mal mit einer Trennungssituation zu konfrontieren, um auch nach erfolgreichem Abschluss der Therapie einen Rückfall zu vermeiden.


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Korrespondenzadresse

Celina del Amo
Lupologic GmbH
Linienstraße 72
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Abb. 1  Die Box als Geborgenheitsort zu installieren bietet sowohl in der Prophylaxe als auch in der Therapie Vorteile.
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Abb. 2  Mithilfe der Futtermaschine kann der Hund auch in Abwesenheit des Tierhalters belohnt werden, wenn er sich an seinem Liegeplatz aufhält.