ergopraxis 2015; 8(07/08): 14-16
DOI: 10.1055/s-0035-1558878
wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Internationale Studienergebnisse


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10 July 2015 (online)

 

Älter werden im Gefängnis – Ergotherapeuten unterstützen Handlungsfähigkeit

Durch ihre Umgebung und Funktionsverluste haben ältere Strafgefangene nur beschränkte Möglichkeiten, für sie bedeutsame Handlungen auszuführen. Ergotherapeuten können sie darin unterstützen, ihre Handlungsfähigkeit zu erhalten, zu stärken und zu erweitern. Zu diesem Schluss kam ein Forschungsteam um die Soziologin Dr. Julie Page am Institut für Ergotherapie der ZHAWW interthur in der Schweiz.

Die Forscherfanden in den gängigen elektronischen Datenbanken keine Arbeiten zur Ergotherapie bei älteren Menschen in Gefängnissen. Darum splitteten sie ihre Suche auf. Im ersten Schritt recherchierten sie nach Arbeiten, die Einschränkungen und Möglichkeiten älterer Insassen untersuchten. Im zweiten Schritt suchten sie nach wissenschaftlicher Literatur zu ergotherapeutischen Interventionen bei älteren Menschen im geriatrischen, rheumatologischen und psychiatrischen Fachbereich. Insgesamt werteten sie 17 Studien aus. Um die Ergebnisse strukturiert präsentieren zu können, ordneten sie diese dem Bieler Modell zu.

Laut Ergebnissen zeigen ältere Strafgefangene vielfältige Einschränkungen in ihren sensorischen, motorischen, kognitiven und emotionalen Crundfunktionen. Hierzu zählen schmerzbedingte Bewegungseinschränkungen oder nachlassende Sehkraft. Gleichzeitig mangelt es ihnen an den nötigen materiellen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen, um bedeutsame Handlungen in den verschiedenen Lebensbereichen ausführen zu können. Durch das spärliche Freizeitangebot in Gefängnissen empfinden sie häufig Langeweile. Oftmals fällt es ihnen schwer, ADLs durchzuführen. Vor allem, wenn die Gefängnisumgebung unzureichend auf die Bedürfnisse älterer Menschen angepasst ist. In einigen Hafträumen stehen zum Beispiel nur Hochbetten zur Verfügung. Der Lebensbereich „Arbeit“ spielt für ältere Strafgefangene eine große Rolle. Denn sie müssen so lange wie möglich arbeiten. Funktionsverluste und Umgebungsfaktoren wirken sich zudem auf „Haltung und Fortbewegung“ sowie „soziale Interaktion“ aus. Ältere Strafgefangene benötigen oftmals Gehhilfen, um sich selbstständig fortbewegen zu können. Dabei scheint die Gefängnisumgebung ihr Sturzrisiko zu erhöhen. Außerdem werden sie häufiger Opfer von Missbrauch oder Gewalt, was viele ältere Insassen zu sozialem Rückzug veranlasst.

Ergotherapeuten können die Handlungsfähigkeit älterer Klienten unterstützen, indem sie deren Fertigkeiten trainieren, Handlungsmöglichkeiten schaffen, die physische Umwelt und die soziale Interaktion verbessern. Können ältere Menschen in ihrer Freizeit selbst gewählte Aktivitäten durchführen, fühlen sie sich wohler und sind leistungsfähiger. Außerdem helfen ihnen ADL-Trainings dabei, ihre Selbstständigkeit und Lebensqualität zu erhalten.

fk

ergosdence 2015; 1:21 -29


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Chronisch kranke Kinder – Familien brauchen mehr Unterstützung

Familien mit chronisch erkrankten Kindern benötigen frühzeitige Hilfestellungen, um mit der Diagnose umgehen zu lernen und ihre Rechte sowie Unterstützungsmöglichkeiten zu kennen. Zu diesem Ergebnis kam ein interdisziplinäres Forschungsteam um die Ernährungswissenschaftlerin Dr. Ina Nehring vom Institut für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin an der Ludwig-Maximilian-Universität München.

Die Forscher entwickelten einen Fragebogen und versendeten 680 Exemplare davon deutschlandweit an 34 Elterninitiativen. 499 Fragebögen erhielten sie zurück, 419 davon konnten sie konkreten Elterninitiativen zuordnen und auswerten. Den Ergebnissen zufolge haben weniger als die Hälfte der Eltern den Eindruck, rechtzeitig und ausreichend über die Erkrankung ihrer Kinder aufgeklärt worden zu sein. Ebenso fühlt sich nur etwa die Hälfte hinreichend über mögliche sozialrechtliche Gesetze und Leistungen informiert. Eine kleine Minderheit kennt die Reha-Servicestellen oder erhält gezielte Angebote, um die Diagnose psychisch aufzuarbeiten. Ein Drittel der Eltern sieht zudem einen Hilfebedarf für die ganze Familie.

Nur jede dritte dieser Familien hat bereits familienunterstützende Maßnahmen in Anspruch genommen. Die Mehrheit der Eltern vermisst Freiräume für soziale Kontakte und kulturelles Leben. Bei ihnen kommt es häufiger zu Eheproblemen und zu einem Verlust von Freundschaften. Außerdem führt die Erkrankung des Kindes häufig dazu, dassein Elternteil auf seine Berufstätigkeit verzichten muss und ökonomische Nachteile entstehen.

Die Forscher sehlussfolgern, dass betroffene Familien mehr Unterstützung brauchen, um mit der chronischen Erkrankung der Kinder umgehen zu lernen. Bereits bei der Diagnose stellung benötigen sie aussagekräftige Infor mationen dazu, welche Angebote der Gesetz geber zum Nachteilsausgleich bereithält und wie sie den erlebten Schicksalsschlag bewälti gen können. Durch bedarfsgerechte familien unterstützende Maßnahmen könnten sie neue Freiräume erhalten, um stärker am sozialen Leben teilzuhaben.

fk

Gesundheitswesen 2015; 77: 102–107

KOMMENTAR

Ergotherapeuten sind gefragt


Die chronische Erkrankung eines Kindes löst in seiner Familie oft eine starke Verunsicherung aus und stellt die Eltern vor viele Fragen. Häufig veranlassen die besonderen Bedürfnisse des Kindes andere Familienmitglieder dazu, ihre eigenen Wünsche zurückzustellen. Das kann sich negativ auf das Wohlbefinden und die soziale Teilhabe der ganzen Familie auswirken. Hier sind Ergotherapeuten gefragt. Sie können die Familien darin unterstützen, neue Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung und sozialen Teilhabe zu entwickeln. Das reicht aber nicht aus. Die Eltern benötigen auch grundlegende Informationen über vorhandene Entlastungs- und Hilfsangebote. Können Ergotherapeuten diese sozialrechtliche Beratung selbst nicht leisten, sollten sie die Eltern an Reha-Servicestellen oder andere Beratungsstellen verweisen. Außerdem hilft es Ergotherapeuten, sich mit anderen Akteuren der Versorgung wie dem Hausarzt oder dem Familienunterstützenden Dienst zu vernetzen. Dadurch steigt die Chance. dass betroffene Familien die Leistungen erhalten, die sie tatsächlich benötigen.

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Florence Kranz, Ergotherapeuiutin BcOT und M.A. Gesundheitsmanagement, begleitet seit April 2014 das Projekt „Sektorenübergreifende Versorgung durch Beratung, Koordination und Planung“ im Landkreis Marburg- Biedenkopf. Dabei moderiert sie u.a. eine Arbeitsgruppe mit Vertretern aus den Bereichen Pflege, Gesundheitsversorgung und soziale Hilfen, die konsensbasierte Leitlinien für eine sektorenübergreifende Zusammenarbeit entwickelt.


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Schizophrenie – Soziale Rollen therapeutisch nutzen

Die meisten Menschen mit einer Schizophrenie oder einer schizoaffektiven Psychose engagieren sich in verschiedenen sozialen Rollen. Ergotherapeuten können die Rehabilitation betroffener Klienten effektiv unterstützen, indem sie einen rollenbezogenen Ansatz wählen. Zu diesem Ergebnis kam ein interdisziplinäres Forschungsteam um den Psychologen Dr. Ceoffrey Waghorn von der University of Queensland in Australien.

Die Forscher befragten 255 Klienten nach ihren sozialen Rollen und nutzten dazu die „Socially Valued Role Classification Scale“ (SRCS). Außerdem verwerteten sie Datenmaterial aus einer genetischen Studie, an der alle interviewten Klienten vorab teilgenommen hatten. Das Datenmaterial beruhte auf dem „Diagnostic Interview for Cenetic Studies 2.0“ (DICS). Laut Ergebnissen sind die Teilnehmer mehrheitlich männlich (68%) und unverheiratet (72%). Das Alter liegt zwischen 18 und 65 Jahren und beträgt im Schnitt 38 Jahre. Die meisten Klienten (46%) leben mit Familienmitgliedern zusammen, 37% leben alleine und 12% haben andere Mitbewohner. Die Mehrheit hat keinen Hoch-schulabschluss (57%) und zeigt einen chronischen Krankheitsverlauf (78%).

Alle Teilnehmer übernehmen soziale Rollen im Bereich Hausarbeit und Selbstversorgung. Die überwiegende Mehrheit (80%) übt mindestens noch eine weitere soziale Rolle aus. Diese dient der Versorgung anderer Menschen, der eigenen Rehabilitation, der Erziehung und Bildung oder der Arbeit. Dabei lassen sich drei bevorzugte Rollenkombinationen identifizieren. So kombinieren die Klienten ihre soziale Rolle im Bereich Hausarbeit und Selbstversorgung am häufigsten mit ihrem Engagement in der eigenen Rehabilitation (29%). Dazu gehört zum Beispiel der Besuch einer Tagesklinik oder die Teilnahme an einer Therapie. Einige Klienten arbeiten zusätzlich (13%). Andere arbeiten (9%), ohne gleichzeitig eine Rehamaßnahme zu durchlaufen. Die Forscher finden keine signifikanten Korrelationen zwischen den Rollen. Das heißt, das Engagement in einer bestimmten Rolle wirkt sich nicht nachweislich auf die Übernahme anderer Rollen aus.

Die Forscher sehen in ihrer Studie einen Beleg dafür, dass sich die meisten betroffenen Klienten in sozialen Rollen engagieren, die überdie selbstständige Lebensführung hinausgehen. Ergotherapeuten können an diesen Rollen ansetzen, um die Genesung und soziale Inklusion dieser Klienten zu unterstützen.

fk

BJOT2015;78: 158–165


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