Koxarthrose – Sporttherapie ist einer reinen Placebo-Intervention überlegen
Koxarthrose – Sporttherapie ist einer reinen Placebo-Intervention überlegen
„Physiotherapie hat gleichen Effekt wie Placebobehandlung“ schockte vor einiger Zeit
eine Studie der australischen Physiotherapeutin Prof. Kim Benell (physiopraxis 1/15, S. 20). Sie behandelte Patienten mit Koxarthrose mit passiven Maßnahmen wie Weichteiltechniken,
Dehnungen und manuellen Techniken und aktiven Maßnahmen wie Kräftigung, Gleichgewichts-
und Gangübungen. Die Studie erweckt den Anschein, als hätten alle diese Interventionen
dieselbe Wirkung wie ein Placebo. Andere Studien, etwa ein 12-wöchiges hüftspezifisches
Training nach dem Tübinger Hüftkonzept, konnten jedoch zeigen, dass eine sporttherapeutische
Intervention zu einer Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung führt.
Wir verglichen eine Gruppe, die nach dem Tübinger Hüftkonzept trainierte (71 Probanden),
mit einer Placebogruppe (70 Probanden) und einer Kontrollgruppe (68 Probanden). Die
Patienten der Trainingsgruppe besuchten einmal pro Woche eine Gruppentherapie, in
der sie Kräftigungs-, Mobilisations- und Gleichgewichtsübungen machten. Diese Übungen
führten sie zusätzlich zweimal pro Woche zu Hause durch. Die Placebogruppe erhielt
einmal pro Woche eine Scheinultraschallbehandlung an der Hüfte, die Kontrollgruppe
bekam keine Therapie. Direkt vor und nach der Intervention befragten wir alle Studienteilnehmer
mithilfe des WOMAC-Indexes zu Schmerzen, körperlicher Funktionsfähigkeit und Gelenksteifheit,
mit dem SF36-Fragebogen zu ihrer gesundheitsbezogenen Lebensqualität.
Nach zwölf Wochen gaben die Patienten der Trainingsgruppe bezüglich ihrer Schmerzen
und der körperlichen Funktionsfähigkeit signifikant bessere Werte an als die Kontroll-
und Placebogruppe. Steifheit und gesundheitsbezogene Lebensqualität – ausgenommen
die Schmerz-Komponente – blieben in allen Gruppen unbeeinflusst. Somit können Patienten
mit Koxarthrose von einem aktiven Trainingsprogramm, zum Beispiel nach dem Tübinger
Hüftkonzept, im Sinne einer Schmerzreduktion und Verbesserung der körperlichen Funktionsfähigkeit
profitieren.
PD Dr. Inga Krauß
Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 592–599
Hinreichend dosiert?
Studienergebnisse, die sich auf den ersten Blick zu widersprechen scheinen, machen
es Klinikern oft schwer, zu entscheiden, wie sie in der Praxis darauf reagieren sollen.
Auch die Studie von Kim Bennell und die aus unserem Haus sind so ein Fall. Schaut
man sich die Interventionen jedoch im Detail an, lassen sich die unterschiedlichen
Ergebnisse durchaus nachvollziehen: Die beiden Untersuchungen überschneiden sich in
Bezug auf kräftigende, mobilisierende und balanceorientierte Elemente. Unsere Interventionen
waren jedoch wesentlich höher dosiert. Die Probanden trainierten über 12 Wochen zweimal
pro Woche zwischen 30 und 60 Minuten – davon die ersten drei Wochen im Sinne einer
Wahrnehmungsschulung, fünf Wochen im Sinne eines Kraftausdauertrainings und vier Wochen
mit einem Maximalkrafttraining. Bei Benell erhielten die Patienten über 12 Wochen
zehn Behandlungen und ein Heimtrainingsprogramm.
Vergleicht man die Ergebnisse der beiden Studien, so fällt auf, dass das Tübinger
Konzept nicht nur zu einer Schmerzlinderung und Funktionsverbesserung führte, sondern
auch zu einer Steigerung der Kraftfähigkeit der hüftumgebenden Muskulatur um 11–16
Prozent [1]. In der Studie von Bennell konnte hingegen keine Verbesserung der Muskelkraft
nachgewiesen werden [2].
Fazit: Patienten mit Koxarthrose scheinen von Trainingstherapie zu profitieren – die
Evidenzlage dazu ist sehr gut [3, 4]. Allerdings muss sie offenbar – entsprechend
dem Vergleich zwischen unserer Intervention und der von Benell – trainingswirksam
dosiert sein, damit sich der Zustand der Patienten über einen reinen Placeboeffekt
hinaus verbessert. Fraglich ist dagegen, ob Manualtherapie bei diesen Patienten einen
zusätzlichen Nutzen hat. In einer aktuellen Übersichtsarbeit, in der manuelle Techniken
mit aktiven Übungen und einem Placebo verglichen wurden, wird dies in Frage gestellt
[5].
PD Dr. Inga Krauß
PD Dr. rer. soc. Inga Krauß ist Physiotherapeutin und Sportwissenschaftlerin. Sie leitet den Forschungsbereich
Biomechanik/Trainingswissenschaft der Abteilung Sportmedizin an der Universitätsklinik
Tübingen. Mit Kollegen entwickelte sie die seit 1995 bestehenden Hüftsportgruppen
weiter und evaluierte das Tübinger Hüftkonzept – ein Sporttherapieprogramm, das auch
Physiotherapeuten anbieten können.
Schmerztherapie – Burst TENS + Kryotherapie = Schmerzen ↓
Schmerztherapie – Burst TENS + Kryotherapie = Schmerzen ↓
TENS wird häufig unterstützend angewandt, um die Schmerzen von Patienten zu lindern.
Brasilianische Forscher fanden nun heraus, dass speziell der Burst TENS dafür effektiv
sein könnte – und zwar in Kombination mit Kryotherapie.
Sie wollten herausfinden, welches die wirksamste Methode ist, die Schmerzschwelle
zu heben. Die Autoren hatten 112 gesunde Probanden rekrutiert und in sieben Gruppen
eingeteilt, denen sie jeweils 25 Minuten lang unterschiedliche Arten und Kombinationen
von Eis und TENS applizierten:
-
Gruppe 1: keine Intervention (Kontrollgruppe)
-
Gruppe 2: Placebo TENS
-
Gruppe 3: konventioneller TENS
-
Gruppe 4: Burst TENS
-
Gruppe 5: Kryotherapie (Eispackung)
-
Gruppe 6: Kryotherapie mit Burst TENS Gruppe
-
Gruppe 7: Kryotherapie mit konventionellem TENS
Um zu prüfen, welche Intervention die Schmerzschwelle am deutlichsten steigert – respektive
Schmerzen am effektivsten lindert –, maßen die Autoren bei allen Probanden vor und
nach der Intervention die Druckschmerzschwelle und -toleranz am Epicondylus lateralis
mittels eines Druckalgometers.
Sie erkannten, dass die Druckschmerzschwelle und -toleranz in der Placebo- und der
Kontrollgruppe (Gruppe 1 und 2) bei der zweiten Messung gesunken, in Gruppe 3 und
7 (konventioneller TENS mit/ohne Kryotherapie) gleich geblieben und in Gruppe 4, 5
und 6 (Burst TENS, Kryotherapie und die Kombination aus beidem) gestiegen war. Am
besten schnitt die Gruppe mit der Kombination aus Burst TENS und Kryotherapie ab.
rrn
Physiother 2015; 101: 155-160
KNIE-TEP – Anwendungsdauer und -intensität der CPM-Schiene unklar
KNIE-TEP – Anwendungsdauer und -intensität der CPM-Schiene unklar
Ein fester Bestandteil der Nachsorge bei Patienten, die eine Knie-TEP bekommen haben,
ist in vielen Kliniken die motorbetriebene Bewegungsschiene (Continuous Passive Motion,
CPM). Bisher veröffentlichte Studien, die die wirksamste Dauer und Intensität einer
solchen Behandlung untersucht haben, widersprechen sich jedoch häufig. Das fanden
Wissenschaftler der Universität Ulm heraus.
In ihrer Literaturarbeit setzten sie sich das Ziel, eine Empfehlung bezüglich Dauer
und Intensität einer Behandlung mit der CPM-Schiene auszusprechen. Dafür hatte das
Forscherteam zunächst verschiedene Datenbanken, unter anderem Embase, Medline und
Cinahl, durchsucht. Letztendlich werteten sie sieben Studien aus, in denen insgesamt
579 Patienten mit einer frisch implantierten Knie-TEP untersucht worden waren. Alle
Teilnehmer hatten nach dem Eingriff Physiotherapie und eine CPM-Therapie erhalten.
Die Behandlung mit der Bewegungsschiene begann in den eingeschlossenen Studien zwischen
vier Stunden und zwei Tagen nach der Operation.
Outcome-Parameter in allen Studien, die die Ulmer Forscher eingeschlossen hatten,
war das Bewegungsausmaß des Kniegelenks gewesen. Drei der sieben Studien untersuchten
dabei, wie sich die Dauer der Schienenbehandlung auf das Bewegungsausmaß auswirkt.
Die restlichen verglichen verschiedene Intensitäten anhand der Bewegungsamplitude
miteinander.
Die vergleichsweise größte Übereinstimmung in den sieben Studien zeigte sich darin,
dass ein hoher Flexionsgrad der CPM-Schiene in der frühen Phase nach dem operativen
Eingriff das Bewegungsausmaß womöglich effektiver verbessert als ein geringerer. Die
Wissenschaftler mussten insgesamt jedoch feststellen, dass sich die Ergebnisse der
Studien bezüglich Dauer und Intensität stark unterscheiden, und können deshalb, wie
bereits mehrere Autoren zuvor, keine eindeutige Empfehlung zur CPM-Therapie bei Patienten
nach einer Knie-TEP aussprechen.
rrn
Phys Rehab Kur Med 2015; 25: 67-73
Zervikogener Schwindel – Mulligan vs. Maitland
Zervikogener Schwindel – Mulligan vs. Maitland
Abb. 1 Sustained Natural Apophyseal Glides (Mulligan): Der Therapeut entscheidet je nach Beschwerden des Patienten, wie er mobilisiert.
Tritt der Schwindel bei aktiver Flexion oder Extension auf, führt der Therapeut ein
gehaltenes Wirbelgleiten von C2 nach anterior im Verhältnis zum Processus spinosus
durch. Gleichzeitig bewegt der Patient den Kopf aktiv in die Richtung, die die Beschwerden
auslöst (Abb. 1).
Abb.: S. Oldenburg
Abb. 2 Sustained Natural Apophyseal Glides (Mulligan): Tritt der Schwindel bei einer Rotationsbewegung auf, setzt der Therapeut einen gehaltenen
Gleitimpuls auf den ipsilateralen Gelenkpfeiler von C1 nach anterior. Gleichzeitig
soll der Patient den Kopf in die Richtung der Beschwerden drehen (Abb. 2).
Abb.: S. Oldenburg
Abb. 3 Passive Gelenkmobilisation (Maitland): Der Patient liegt in Bauchlage. Der Therapeut mobilisiert in dieser Position bis
zu drei hypomobile und/oder schmerzhafte Gelenke in der oberen Halswirbelsäule. Dazu
übt er einen zentralen Druck auf den Processus spinosus aus und hält den oszillatorischen
Druck 30–45 Sekunden (Abb. 3).
Abb.: P. Westerhuis
Abb. 4 Passive Gelenkmobilisation (Maitland): Bei der zweiten Behandlungsmöglichkeit übt der Therapeut einen einseitigen Druck
auf den Gelenkpfeiler des Wirbelkörpers aus und hält den oszillatorischen Druck ebenfalls
30–45 Sekunden (Abb. 4).
Abb.: P. Westerhuis
Dass manuelle Techniken kurzfristig positive Wirkungen auf zervikogenen Schwindel
haben, zeigen bisher viele Untersuchungen. Um zu testen, ob manuelle Therapie auch
langfristige Effekte bei Patienten mit diesem Beschwerdebild hat, schickten australische
Wissenschaftler gegen eine Placebogruppe zwei Techniken ins Rennen: die Sustained
Natural Apophyseal Glides (SNAG) nach Mulligan (Abb. 1 und 2) und die passive Gelenkmobilisation (PJM) nach Maitland (Abb. 3 und 4).
Die Forscher teilten 86 Probanden mit zervikogenem Schwindel, der seit mehr als drei
Monaten bestand, in eine Mulligan-Gruppe (n = 29), eine Maitland-Gruppe (n = 29) und
eine Placebo-Gruppe (n = 28). Die Teilnehmer aller Gruppen wurden im Interventionszeitraum
von sechs Wochen durchschnittlich vier Mal mit der SNAG-bzw. PJM-Technik behandelt,
die Placebo-Gruppe erhielt in dieser Zeit eine Behandlung mit einem deaktivierten
Lasergerät. Als Outcome wählten die Forscher unter anderem die Schwindelintensität
und -häufigkeit, die Beeinträchtigung durch den Schwindel und die Beweglichkeit der
HWS. Diese Parameter erhoben sie zu Beginn der Studie und nach zwölf Monaten.
Dabei zeigte sich, dass sich die Behandlungsgruppen gegenüber der Placebo-Gruppe in
Bezug auf die Schwindelhäufigkeit und die Beeinträchtigung durch den Schwindel nach
einem Jahr signifikant verbessert hatten.
Bei der Beweglichkeit der HWS hatte sich die Mulligan-Gruppe in sechs Richtungen,
die Maitland-Gruppe in vier Richtungen verbessert. Die Schwindelintensität ging ebenfalls
zurück, zeigte zwischen allen drei Gruppen jedoch keinen signifikanten Unterschied
im Follow-up.
Die Wissenschaftler schlussfolgern aus den Ergebnissen, dass zwei bis sechs Behandlungen
innerhalb von sechs Wochen mit manualtherapeutischen Ansätzen einen zervikogenen Schwindel
kurz- und langfristig positiv beeinflussen können. Ob dabei nach Mulligan oder Maitland
behandelt wird, scheint nicht relevant.
rrn
Man Ther 2015; 20: 148-156