Deutsche Heilpraktiker-Zeitschrift 2015; 11(05): 38-41
DOI: 10.1055/s-0035-1563589
Praxis
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Manche mögen’s heiß

Bettina Schulz-Kuhnt

Subject Editor:
Further Information

Publication History

Publication Date:
25 August 2015 (online)

 

Summary

Arzneimittel, Gewürz, chemische Waffe: Capsicifructisind vielseitig einsetzbar.


#
Zoom Image
Foto: © Fotolia/photocrew

Arzneimittel, Gewürz, chemische Waffe: CAPSICI FRUCTI sind vielseitig einsetzbar.

Bettina Schulz-Kuhnt

CAYENNEPFEFFER, PAPRIKA, Chili, Spanischer Pfeffer. Die Schärfe der hierzulande unter diesen Namen besser bekannten Capsici fructi (Cayennefrüchte) dürfte so manchem schon die Tränen beim Essen in die Augen getrieben haben. Auch sog. Pfefferspray, den die Polizei beispielsweise gegen Angreifer und wilde Tiere einsetzt, enthält Capsaicinoide, die Hauptwirkstoffe der roten Cayennefrüchte. Schon in geringen Mengen reizen diese Augen und Schleimhäute stark, was zu einem heftigen Brennen führt. Doch auch die Volksmedizin weiß seit Langem die Capsaicinoide zu nutzen: gegen Rückenschmerzen, Rheuma und Appetitlosigkeit.

Nur 2 Pflanzenarten für arzneiliche Anwendung zugelassen

Capsicum ist ein Mitglied der Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae). Der Gattungsname entstand wohl fälschlich durch den Vergleich der großen, durch unvollständige Scheidewände gekammerten Beere mit einer Kapselfrucht (lat.: capsa). Insgesamt 30 Capsicum-Arten kennt die Botanik. Doch als Stammpflanzen der arzneilich verwendeten Droge sind laut Europäischem Arzneibuch (Pharmacopoea Europaeae) lediglich 2 zugelassen: Capsicum annuum L. var. minimum und kleinwüchsige Varianten der Capsicum frutescens L. Beide ähneln einander mit ihren lanzettlichen Blättern, den kleinen weißen Blüten und den Beerenfrüchten, im Volksmund werden diese auch Schoten genannt. In ihrem Wuchs und der Gestalt ihrer Beeren unterscheiden sich die beiden Arten jedoch:

  • Capsicum annuum L. var. minimum: Es handelt sich um 1-jährige, unverholzte und verzweigte Büsche. Sie sind überwiegend auf der nördlichen Hemisphäre angesiedelt und werden ca. 50–180 cm hoch. Während die noch unreifen Früchte eine dunkel-purpurrote Färbung haben, strahlen die reifen in leuchtendem Rot. Meist hängen sie an den Büschen herab.

  • Capsicum frutescens L: Es handelt sich um ausdauernde, am Grund verholzte Stauden; der lateinische Namenszusatz „frutescens“ (= „halbstrauchig“) deutet das schon an. Die Pflanze ist überwiegend auf der südlichen Hemisphäre angesiedelt und wird ca. 35–115 cm hoch. Ihre stets aufrecht stehenden Früchte sind unreif noch grün, leuchten als reife Früchte jedoch auch im typischen Rot.

In den Früchten beider Arten sind neben Capsaicinoiden Flavonoide, verschiedene Karotinoide (z. B. Lycopin, Capsanthin) und reichlich Vitamin C enthalten.

INFORMATION

Wer hat’s entdeckt?

Als Christoph Kolumbus im Jahre 1492 bei seiner ersten Entdeckungsreise in San Salvador auf Chili stieß, ahnte er noch nicht, was für eine vielseitige Pflanze er da vor sich hatte. Irrtümlicherweise hielt er sie für eine besondere Pfefferart. Nachdem er den Chili in Europa eingeführt hatte, gelangte dieser von Spanien aus als sog. Spanischer Pfeffer nach Westafrika und auf den maritimen Handelswegen schließlich bis nach Asien. In den heißen Ländern dienen die antibakteriellen und fungiziden Inhaltsstoffe (Capsaicin wirkt antibakteriell und fungizid) von Capsicum bis heute dazu, Speisen haltbar zu machen.

1806 wurde Chili dann auch in Westeuropa berühmt und begehrt: Durch die von Napoleon gegen Großbritannien verhängte Kontinentalsperre waren die Westeuropäer von den Pfefferimporten abgeschnitten. Chili diente daher als Pfefferersatz.


#

Capsaicinoide: geschmacklos und lipophil

Capsaicinoide, eines davon ist das Capsaicin, werden hauptsächlich im Inneren der Frucht und dort v. a. in den Leisten (Plazenta) und den Samenscheidewänden gebildet. Sie entstehen in Drüsenzellen der Plazentaepidermis und werden zusammen mit ätherischem Öl in kleinen, öligen Tröpfchen abgegeben. Diese kristallisieren aus und lagern sich unterhalb der Außenwände der Epidermiszellen (Kutikula) ab.

Capsaicinoide bestehen aus einem Vanilloiden-Ring, einem Amid und einem je nach Capsaicinoid unterschiedlichen Fettsäurerest. Das Molekül ist daher sehr lipophil und nicht wasserlöslich, was eine gute Aufnahme über die Haut ermöglicht. Capsaicin ist farb- und geschmacklos – bis auf seine Schärfe. Weder durch Erhitzen noch durch Einfrieren kann man diese zerstören.

Capsaicin wird auf der Zunge selbst noch in 1 Millionstel Verdünnung (1 ppm [parts per million]) wahrgenommen.

Anbau: Capsicum mag es heiß

Für die Gewinnung der Arzneidroge werden Capsicum annuum L. var. minimum und Capsicum frutescens L. hauptsächlich in Afrika angebaut. Nach der Ernte zur Zeit der Vollreife der Früchte werden diese bei Temperaturen von bis zu 35 °C zumeist an warmen, schattigen Orten oder auf Heißluftdarren getrocknet.

Die getrockneten, reifen Früchte der Stammpflanzen müssen für die therapeutische Verwendung gemäß Pharmacopoea Europaeae einen Mindestgehalt von 0,4 % an Gesamtcapsaicinoiden aufweisen. Denn nur solche, die in Identität, Gehalt und Reinheit den Anforderungen des Arzneibuchs entsprechen, dürfen pharmazeutisch verwendet oder in Apotheken abgegeben werden.

Die Samenkörner übrigens enthalten im Vergleich zur übrigen Frucht deutlich weniger Capsaicin – entgegen der landläufigen Meinung. Als Faustregel gilt: Die Capsaicin-Konzentration steigt mit der Nähe zur Plazenta.


#
#

Wie Capsaicin wirkt

Wärme und Kälte nimmt der menschliche Organismus durch Aktivierung der TRP-Ionenkanäle wahr. Capsaicin ist ein Agonist des Thermorezeptors TRPV1 (Transient Receptor Potential Vanilloid subtype 1). Die hitzegesteuerten TRP-Ionenkanäle (Aktivierung bei ca. 40-45 °C) können auch chemisch, also durch Bindung von Capsaicin, bereits bei einer Temperatur von 37 °C geöffnet werden. Sie werden deshalb als Capsaicin-Rezeptoren bezeichnet.

Ein Capsaicin-Rezeptor regelt den Natrium- und Kalziumeinstrom in die Zelle und löst darüber ein Nerven-Aktionspotenzial aus. Über das Rückenmark wird dieses zum Gehirn weitergeleitet und dort als Schmerz oder Wärme interpretiert. Scharf gewürzte Speisen bezeichnet man deshalb auch als „hot“ (= „heiß“). Eine hohe Capsaicin-Dosis hält das Gehirn irrtümlich für einen starken Schmerz (Akuteffekt), den es zu bekämpfen gilt: Der Körper schüttet daraufhin Endorphine aus, was zu einem gesteigerten Glücksempfinden beitragen kann, Experten bezeichnen diesen Zustand als „Pepper-High“. Dieser Reiz löst reflektorisch zudem Hyperämie mit vermehrter Schweißbildung aus.

INFORMATION

Einteilung des Schärfegrades: die Scoville-Skala

1912 entwickelte der Chemiker Wilbur Scoville eine nach ihm benannte Schärfe-Skala. Der scharfe Geschmack von Capsicum wird in dieser in Schärfegraden von 0 bis 10 angegeben. Gemüsepaprika hat gemäß dieser Skala die Schärfe 0, während scharfe Chili-Sorten wie Habañero den höchsten Schärfegrad (über 500 000 Einheiten Scoville) erreichen.

Capsaicinoide verursachen selbst in geringen Mengen auf empfindlicher oder geschädigter Haut, Schleimhaut und v. a. in den Augen einen brennenden Schmerz. Eine Spülung oder das Trinken von Wasser schafft aufgrund der Lipophilie keine Linderung. Hilfreich sind dagegen z. B. kaltes Pflanzenöl für Hautpartien und ansonsten Flüssigkeiten, die Fett enthalten (z. B. Milch, Kefir, Joghurt). Milch enthält zudem Casein, eine Substanz, die das Capsaicin-Molekül sehr gut binden kann. Ist einmal Chili ins Augen geraten, gibt man einige Tropfen Milch hinein und spült mit reichlich Wasser nach.

Zoom Image
Foto: © Armando Frazão

Der scharfe Geschmack ist eine Schmerzempfindung und keine über die Geschmacksknospen vermittelte Empfindung.

Schmerzlindernde Effekte: aber wodurch?

Der Capsaicin-Rezeptor befindet sich auf den Nervenendigungen peripherer Neuronen der Haut (Nozizeptoren). Diese enthalten Substanz P, einen für die Schmerzleitung verantwortlichen Neurotransmitter. Es kommt somit beim Auslösen eines Aktionspotenzials am Capsaicin-Rezeptor durch Capsaicin zur Ausschüttung von Substanz P. Diese ist auch verantwortlich für die Freisetzung von Entzündungsmediatoren wie Histamin und Prostaglandinen. Auf die Haut aufgetragen bewirkt Capsaicin also eine lokale neurogene Entzündung. Es kommt an den betroffenen Hautstellen zu Wärmeempfinden bzw. schmerzhaftem Brennen und durch Gefäßerweiterung zu lokaler Hyperämie.

Bei Einsatz von Capsaicin in hoher Konzentration oder längerfristiger Anwendung wird die Substanz-P-Synthese gehemmt. Diese Verarmung an Substanz P führt folglich zu einem Rückgang von Schmerzen im Hautareal. Als Langzeiteffekt verliert das Neuron schließlich die biochemische Fähigkeit, das entleerte Substanz- P-Depot wieder aufzufüllen. Diese Schädigung morphologischer Strukturen führt zur Desensibilisierung. Über die so blockierte Erregungsleitung erhält das Gehirn keine Informationen. Zudem bilden sich die Enden der betroffenen Nervenfasern zurück, der Patient ist an der behandelten Stelle schmerzunempfindlich.

Dieser Effekt tritt bereits 3 Tage nach Behandlungsbeginn ein. Auch nach Beendigung der Capsaicin-Therapie spürt der Patient lokal weiterhin zunächst keine Schmerzen. Es braucht einige Zeit, bis sich das Gewebe regeneriert hat.


#
#

Volksheilkundliche Anwendung, zugelassene Indikationen

In der traditionellen Heilkunde unterschiedlicher Völker wird Capsaicin äußerlich angewandt bei Durchblutungsstörungen der Füße, Muskelkater oder Frostschäden. So ist es in Alaska beispielsweise üblich, zur besseren Durchblutung der Füße etwas Cayenne- Pulver in die Strümpfe zu streuen.

Von einer innerlichen therapeutischen Anwendung wird prinzipiell abgeraten. Dennoch wird Capsaicin in der Volksheilkunde, z. B. als schweißtreibendes Mittel, zur Steigerung der Resistenz bei Infektionskrankheiten sowie zur Förderung der Darmperistaltik und Anregung des Appetits (der Magensäureproduktion) eingesetzt. Neueren Forschungen zufolge unterdrückt Capsaicin lokal die Bildung von Darmtumoren – ein interessanter Ernährungshinweis für Menschen mit erhöhtem Darmkrebsrisiko. Chili wird zudem als Aphrodisiakum angesehen („Scharfes macht scharf“).

Vorsicht: Die Zubereitungen mit Cayennepfeffer sind für keine der oben genannten Indikationen zugelassen!

Ausschließlich zur äußerlichen Anwendung

Die Kommission E des ehemaligen Bundesgesundheitsamts nennt in seiner Monografie aus dem Jahr 1990 die Anwendung von Capsaicin „bei schmerzhaftem Muskelhartspann im Schulter- Arm-Bereich sowie im Bereich der Wirbelsäule (Erwachsene und Schulkinder)“. Empfohlen wird, Cayennepfeffer äußerlich und nicht länger als 2 Tage anzuwenden, mit anschließend 2-wöchiger Anwendungspause. Die Kommission begründet das mit der Schädigung sensibler Nerven bei längerfristigem Auftragen. Sie leitet die Empfehlung allerdings aus Versuchen mit Mäusen ab, bei denen die Nervenenden freipräpariert und dann mit unverdünntem Capsaicin in Kontakt gebracht wurden. Neuere Studien belegen dagegen, dass die Nervenenden auch bei längerer sachgemäßer Anwendung nicht irreparabel geschädigt werden. Die Anwendungsdauer ist daher zurzeit weniger streng begrenzt. Je nach Krankheitsbild kann 4–8 Wochen behandelt werden, wobei der Capsaicingehalt pro Tag weniger als 0,075 % betragen sollte. Eine höhere Tagesdosis sollte vermieden werden, auch wenn die akute Toxizität von Capsaicin bei Mäusen mit einer LD50 (Letale Dosis bei 50 % der Versuchstiere) oral mit 47,2 mg/kg und dermal mit 512 mg/kg als relativ hoch angegeben wird. Eine allgemeine Empfehlung gibt es bislang jedoch nicht.

Der Europäische Dachverband für Phytotherapie (ESCOP) nennt als Anwendungsgebiete für capsaicinhaltige Zubereitungen:

  • Linderung von Muskelschmerzen, z. B. Rückenschmerzen

  • Behandlung von Schmerzen bei degenerativen Gelenkerkrankungen (Arthrose) und rheumatoider Arthritis

  • Behandlung von Nervenschmerzen, wie sie z. B. bei schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie oder als Folge einer Gürtelrose (Post-Zoster-Neuralgie) auftreten können

  • gegen Juckreiz verschiedener Ursache, z. B. bei Psoriasis (Schuppenflechte): Hier wirkt Capsicum, indem es die Ernährung der krankhaften Hautschichten unterdrückt und so deren Wachstum bremst.

Diese Anwendungsgebiete sind auch durch klinische Studien belegt.


#
#

Art der Anwendung

Capsaicin darf ausschließlich äußerlich angewandt werden. Es werden die getrockneten Früchte und Zubereitungen daraus in Form von Tinktur, Salbe oder Pflastern verwendet.

Anwendungsempfehlungen
Capsaicin darf nicht angewendet werden bei Überempfindlichkeit gegen Capsicum (Allergie). Es darf nur auf unverletzte Haut aufgetragen werden. Kontakt mit Schleimhäuten oder Augen ist unbedingt zu vermeiden. Nach der Anwendung einer capsaicinhaltigen Salbe müssen die Hände gründlich gewaschen werden. Zusätzliche Wärmeanwendungen (Heizdecke, Wärmflasche) auf dem behandelten Hautareal sollten ebenfalls nicht erfolgen.

Patienten sollten unbedingt darauf hingewiesen werden, dass zu Beginn ein Brennen an den behandelten Hautpartien auftreten kann.

Schwangere und Stillende sowie Kinder unter 12 Jahren sollten Cayennepfeffer-Zubereitungen wegen mangelnder Datenlage nicht anwenden. Die innerliche Anwendung als Gewürz gilt als unbedenklich.

Dosierung

0,02–0,05 % Capsaicinoide in halbfesten und 0,005–0,01 % in flüssigen Zubereitungen; entsprechend 10–40 μg/cm3 in Pflastern.


#

Fertigpräparate

ABC®-Wärmepflaster, Rheumaplast Pflaster®, (beide Fa. Beiersdorf); Capsamol-Salbe® (Fa. Wörwag); Dolobene® Hot Creme (Fa. Recordati Pharma), Finalgon® CPD Wärmecreme (Fa. Boehringer), Thermo Bürger® Salbe (Fa. Bürger), Weleda Rheumasalbe (Fa. Weleda)

Positive Erfahrungen liegen für die Behandlung mit 0,025 %-iger Capsaicin-Creme auf Eucerin cum Aqua Basis vor: 4 × tgl. 6 Wochen lang auf die betroffenen Hautstellen auftragen.


#

Homöopathie

Capsicum annuum wird bei Entzündungen im HNO-Bereich, Gastritis, Durchfall, Erschöpfung und Schwäche eingesetzt.


#

Komplexhomöopathie

Bei Halsentzündungen empfiehlt sich das capsaicinhaltige Tonsipret ® (Tabletten oder Tropfen). Die Schmerz- und Entzündungsreaktion des Körpers wird gehemmt.

Dieser Artikel ist online zu finden: http://dx.doi.org/10.1055/s-0035-1563589


#
#
#

Bettina Schulz-Kuhnt

Zoom Image

Rankenstr. 64
90513 Zirndorf
E-Mail:
bettina.schulz-kuhnt@onlinehome.de


Bettina Schulz-Kuhnt ist approbierte Apothekerin. Ihre Interessensschwerpunkte sind die komplementäre Medizin und Phytotherapie. Seit vielen Jahren ist sie als Dozentin am Ausbildungsinstitut für Heilpraktiker in Nürnberg tätig.

Zoom Image
Zoom Image
Foto: © Fotolia/photocrew
Zoom Image
Foto: © Armando Frazão