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DOI: 10.1055/s-0035-1564955
Erythropoetische Protoporphyrie – Durch Melanotan I länger schmerzfrei im Sonnenlicht?
Authors
Publication History
Publication Date:
07 October 2015 (online)
Patienten mit einer erythropoetischen Protoporphyrie leiden Qualen, wenn sie ins Sonnenlicht
gehen. Ihre Schmerzen sind auch durch starke Schmerzmittel nicht zu beheben. Der Wirkstoff
Melanotan I verspricht Erleichterung für die Betroffenen. In einer placebokontrollierten
Studie mit Patienten in Europa und den USA haben J.G. Langendonk und Kollegen der
Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York, die Wirksamkeit und Sicherheit
von Melanotan I getestet.
N Engl J Med 2015; 373: 48–59
Die erythropoetische Protoporphyrie ist ein angeborener Defekt des Enzyms Ferrochelatase. Das Enzym bewirkt, dass Eisen in das Protoporphyrin des Häms eingebaut wird. Durch die verminderte Enzymaktivität geben die erythroiden Zellen vermehrt Protoporphyrin in den Blutkreislauf ab. Es kann sich so in das vaskuläre Endothel einlagern und in die Leber gelangen, wo es schließlich durch das Gallensystem ausgeschieden wird. Das in den oberflächlichen Gefäßen abgelagerte Protoporphyrin wird durch blaues Licht aktiviert, sodass es zu Reaktionen mit Singulett-Sauerstoff kommt, der als freies Radikal wirkt. Schwere neuropathische Schmerzen, die Stunden bis Tage anhalten können und auch durch Schmerzmittel kaum zu beheben sind, können die Folge sein. In der Leber kann Protoporphyrin zu Gallensteinen und cholestatischer Hepatitis führen, sodass einige Patienten aufgrund ihrer Erkrankung ein Leberversagen erleiden und eine Transplantation benötigen.
Die seltene Erkrankung macht sich im frühen Kindesalter bemerkbar. Sie kommt in allen ethnischen Gruppen vor, ist jedoch beim schwarzen Hauttyp sehr selten. Schon 1–20 Minuten nach der direkten Sonneneinstrahlung treten die Beschwerden auf. Der Schmerz gleicht einem Verbrennungsschmerz, der typischerweise an den Händen und im Gesicht auftritt. Schwellungen und Rötungen folgen. Bisherige Therapieversuche mit ß-Carotin, Acetylcystein und Vitamin C seien wenig erfolgversprechend, so die Autoren.
Melanotan I ist ein potentes Analogon des humanen Melanozyten-stimulierenden Hormons α-MSH. Es bindet sich an den Melanocortin-1-Rezeptor (MC1R) der Hautzellen und Melanozyten und steigert die Produktion von Eumelanin in der Epidermis, welches photoprotektiv wirkt. Eumelanin absorbiert ultraviolettes Licht und macht freie Radikale unschädlich. Es wirkt als neutraler Filter, der alle Wellenlängen des Lichts gleichmäßig abfängt.
Für ihre Phase-III-Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit von Melanotan I konnten J.G. Langendonk und Kollegen insgesamt 168 Patienten gewinnen. 74 Patienten nahmen dabei an der europäischen und 94 Patienten an der US-amerikanischen Studie teil. 1 Patient stieg gleich zu Studienbeginn wieder aus, sodass schließlich 86 Patienten mit Melanotan I-Implantaten (16 mg) und 81 Patienten mit Placebo-Implantaten versorgt wurden. Die europäische Studie wurde zwischen Januar 2010 und Mai 2011, die US-Studie zwischen Mai 2012 und Juli 2013 durchgeführt.
Sowohl in der amerikanischen als auch in der europäischen Studie, ging es den Melanotan I-Patienten deutlich besser als den Patienten der Placebo-Gruppe. Nach 6 Monaten konnten die Patienten der Melanotan I-Gruppe in der US-Studie 70 % länger (69,4 Stunden) im direkten Sonnenlicht verweilen als die Patienten der Placebo-Gruppe (40,8 Stunden). In der europäischen Studie konnten die mit Melanotan I behandelten Patienten nach 9 Monaten durchschnittlich 6 Stunden schmerzfrei in der Sonne verbringen, während dies den Placebo-Patienten nur für 48 Minuten möglich war (p = 0,005).
Verbesserte Lebensqualität
Die mithilfe des Dermatology Life Quality Index gemessene Lebensqualität veränderte sich in beiden Gruppen nicht. Allerdings zeigten sich im Erythropoietic Protophorphyria Quality-of-Life Questionnaire deutliche Verbesserungen in der Melanotan I-Gruppe: In der europäischen Studie lagen die durchschnittlichen absoluten Werte am 120. Tag bei 78,8 (von 100 möglichen Punkten) in der Melanotan I-, aber nur bei 63,6 in der Placebo-Gruppe (p = 0,005). In der US-Studie hatte sich der Score bis zum 120. Tag um 49,8 Punkte in der Melanotan I-Gruppe verbessert, während die Placebo-Gruppe nur 30,4 Punkte Verbesserung aufwies (p < 0,001).
Es gab 4 ernste Zwischenfälle in der Melanotan I- und 2 in der Placebo-Gruppe, die die Autoren jedoch nicht dem Medikament zuschreiben. In der Behandlungsgruppe kam es zu einer subkapitalen Humerusfraktur, zu einer Diskushernie, zu abdominellen Schmerzen und zu einem benignen Compound-Nävus. In der Placebo-Gruppe erlitt ein Patient eine Lungenembolie, ein weiterer Patient erkrankte an einem Melanom. In beiden Studien klagten die Patienten am häufigsten über Kopfschmerzen, Übelkeit, Nasopharyngitis und Rückenschmerzen. Zwischen den Gruppen zeigten sich hier keine Unterschiede. Bei etwa ⅓ der mit Melanotan I behandelten Patienten kam es zu Hyperpigmentierungen an der Implantationsstelle sowie zu Verdunklungen bestehender melanozytärer Nävi.
Melanotan I-Implantate stellen gemäß dieser Phase-III-Studie eine sichere und wirksame Behandlung der eryhtropoetischen Protoporphyrie dar. Im Gegensatz zu mit Placebo behandelten Patienten konnten die mit Melanotan I behandelten Patienten deutlich länger schmerzfrei in der Sonne verweilen. Auch ihre Lebensqualität verbesserte sich statistisch signifikant.
