Schlüsselwörter
Forschungsethik - Ethikkommission - gute wissenschaftliche Praxis
Key words
research ethics - ethical review board - good scientific practice
Einleitung
“The protocol of the present study has been approved by the local ethical committee
[…] number […] and in accordance with the revised declaration of Helsinki […].”
Welche Arbeitsschritte und organisatorischen Zusammenhänge hinter diesem knappen Satz in
einer Forschungsarbeit stecken, ist nicht unbedingt allen Lesern wissenschaftlicher
Arbeiten klar; und noch viel weniger, welchen Fallstricken und Hürden insbesondere
therapeutische Wissenschaftler beim Versuch, ein Ethikvotum in Deutschland zu erhalten,
begegnen.
Die Schwierigkeiten beginnen schon lange, bevor es überhaupt um die Begutachtung therapeutischer
Studienprotokolle geht. Oftmals ist nämlich gar nicht klar, welche Kommission für
die vorhergehende Ethikberatung für eine solche Studie überhaupt zuständig ist. Einige
zufällig ausgewählte Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass die Suche
nach einer zuständigen Kommission in eine regelrechte Odyssee ausarten und auch ohne
Sirenen zu großer Verwirrung für die Wissenschaftler führen kann.
So musste eine Kollegin erfahren, dass sich die lokale medizinische Ethikkommission
ihrer Alma Mater für eine „rein physiotherapeutisch ausgerichtete Studie“ nicht zuständig
fühlte, obwohl ein Arzt an der Studie beteiligt war. Im selben Fall erfuhr die Wissenschaftlerin
von der erst jüngst ins Leben gerufenen Ethikkommission des Deutschen Verband für
Physiotherapie (ZVK), dass eben diese Studie nicht in den Zuständigkeitsbereich der
ZVK-Ethikkommission falle, da ein Arzt beteiligt sei. In einem anderen Fall erhielt
die forschende Kollegin von der Ethikkommission der lokalen Ärztekammer die Auskunft,
dass eine physiotherapeutisch ausgerichtete diagnostische Studie keinerlei Ethikvotum
benötige. Außerdem sei eine solche Studie ohnehin nicht durchführbar, da Physiotherapeuten
gar nicht forschen dürften.
Diese nicht repräsentative Auswahl zeigt jedoch nicht nur, wie unübersichtlich sich
die Lage für die wissenschaftlich tätigen Therapeuten gestaltet, sie ist auch im Ergebnis
bitter, da eine spätere Veröffentlichung der geplanten Arbeit ohne Ethikvotum nahezu
unmöglich ist. Auf internationaler Ebene ist die Publikation einer empirischen Arbeit
in Fachzeitschriften mit Peer-review-Verfahren heute schon unmöglich, wenn ein Ethikvotum
fehlt. Der Versuch, ein Abstract für die Konferenz der World Confederation for Physical
Therapy (WCPT) einzureichen, führt ohne Ethikvotum zur Disqualifikation.
Aber braucht es denn überhaupt die Einschätzung einer unabhängigen Kommission, um
ethisch verantwortungsvolle Forschung zu betreiben? Und was genau bedeutet es überhaupt,
ethisch verantwortungsvoll wissenschaftlich zu arbeiten? Und nicht zuletzt: Wie kann
ein Fachjournal wie die physioscience Wissenschaftler dabei unterstützen?
Ethische Standards für physiotherapeutische Forschung in der Grauzone
Ethische Standards für physiotherapeutische Forschung in der Grauzone
Anders als für Ärzte, deren Berufsordnung eindeutig festlegt, dass medizinische Forschungsvorhaben
von einer Ethikkommission beraten und genehmigt werden müssen, besteht in Deutschland
keine ebensolche rechtliche Verpflichtung für forschende Physiotherapeuten. Auch fachlich
gesehen fehlt „[…] in Deutschland für Lehrende, Studierende und Forschende [...] ein
Überblick sowie eine Handreichung dazu, welche ethischen Standards für Forschung in
den therapeutischen Gesundheitsfachberufen hierzulande herangezogen werden können.
Ebenso offen und zu diskutieren ist die Frage, ob oder in welchen Fällen eine Beratung
durch eine Ethikkommission in Anspruch genommen werden sollte“ [12].
Warum in Deutschland Ethikkommissionen für Forschung am Menschen hauptsächlich an
medizinischen Fakultäten und von Ärztekammern betrieben werden, ist in erster Linie
historisch gewachsen. Dies mag mit der besonderen rechtlichen Stellung der ehemals
sogenannten medizinischen Assistenzberufe in Deutschland zusammenhängen. Da geschichtlich
begründet das therapeutische Handeln ausschließlich auf ärztliche Weisung stattgefunden
hat, war auch eine eigenständige therapeutische Forschung unwahrscheinlich. Während
die Emanzipation der therapeutischen Forschung in Deutschland langsam stattfindet,
hat sich die Notwendigkeit international betrachtet immer aus bestehenden gesellschaftlichen
Konstellationen und sozialpolitischen Situationen ergeben. Die Nachfrage nach ethisch
verantwortungsvollem Handeln, wie z. B. die Beachtung von Datenschutz, ist jedoch
insgesamt gestiegen und betrifft gleichermaßen alle Disziplinen wie die Psychologie
und die Sozialwissenschaften.
Entstehungsgeschichte und Hintergrund der Helsinki Deklaration
Entstehungsgeschichte und Hintergrund der Helsinki Deklaration
Die Frage, inwieweit Menschen zu Forschungszwecken herangezogen werden dürfen, stellte
sich in der Medizin seit dem 17. Jahrhundert zunehmend durch eine Abkehr von der antiken
Autoritätshörigkeit und einer Neuorientierung an moderner Naturwissenschaft und naturwissenschaftlichen
Methoden einschließlich der Theorie des Experiments, der rational geplanten Empirie
und der induktiven Methodik. Damit wurde der ausschließlich heilende Aspekt der Medizin
um einen wissenschaftlichen erweitert, was zu einer Verschiebung der bis dahin geltenden
ethischen Werte und der Notwendigkeit nach deren Ergänzung führte [5].
Infolge mehrerer revolutionärer Neuerungen in der Medizin, wie z. B. der Antisepsis,
der Anästhesie und der wissenschaftlichen Bakteriologie, kam es um 1900 nach den Experimenten
mit Syphilis von Albert Neisser (1855 – 1916) zu weltweiten Diskussionen über die
Verfahrensweise bei medizinischen Versuchen. Erstmals tauchte die Forderung nach der
Zustimmung der Patienten auf. Von Gesetzgeberseite gab es erste Initiativen, Vorgaben
bezüglich medizinischer Eingriffe zu Versuchszwecken zu erlassen, die forschungsethische
Grundideen beinhalten wie den Schutz vulnerabler Gruppen, das Prinzip der informierten
Zustimmung (Informed consent), die schriftliche Dokumentation sowie eine Klärung,
wer forschen darf.
Der Verlauf der „Nürnberger Ärzteprozesse“ verdeutlichte dennoch, dass es zu dieser
Zeit weder ein nationales noch internationales Dokument gab, welches sich mit der
Legitimation von Humanexperimenten auseinandersetzte. Im Rahmen der Urteilsbegründung
wurden die unter dem Namen „Nürnberger Kodex“ bekannten 10 Grundprinzipien zur Durchführung
medizinischer Experimente am Menschen formuliert:
-
den körperlichen und geistigen Schutz der Versuchspersonen (§§ 4, 5, 6, 7, 9, 10);
-
die freiwillige, informierte Zustimmung der Versuchsperson (§ 1);
-
die Abwägung von Nutzen und Risiko (§§ 2, 5).
-
Des Weiteren muss es dem Probanden (§ 9) und dem Versuchsleiter (§ 10) freigestellt
sein, den Versuch zu beenden. Als Abbruchskriterium werden wieder körperliche und
geistige Schädigungen genannt.
-
Mehrere Paragrafen regeln den Bereich, welcher heute unter die Wissenschaftlichkeit
eines Versuchs subsumiert würde wie wissenschaftlich geschultes Personal (§ 8), Tierversuche
im Vorfeld (§ 3) und wissenschaftliche Planung des Versuchs (§ 3).
Forderungen nach einer Überarbeitung dieses stark rechtlich geprägten Dokumentes kamen
auf, die unter anderem in der erstmals 1964 verabschiedeten Deklaration von Helsinki
des Weltärztebundes (World Medical Association, WMA) mündete. Diese gibt Grundregeln
für Studien mit Menschen, an identifizierbarem, d. h. auf eine Person zurückführbarem
menschlichen Material oder mit identifizierbaren Daten vor. Zentrale Punkte sind die
Freiwilligkeit der Teilnahme und Abbruchmöglichkeit, Aufklärung über Risiken und Nutzen
bzw. Nichtnutzen, Datenschutz, Kompetenz der beteiligten Wissenschaftler sowie eine
Unabhängigkeit von Sponsoren oder anderen äußeren Einflüssen. In [Abb. 1] ist die Deklaration in Überschriften zusammengefasst.
Abb. 1 Zusammenfassung der Deklaration von Helsinki von 2013 [2].
Die Deklaration richtete sich alleine aufgrund ihres Mandates des Weltärztebundes
nur an Ärzte. Im Wissen um die an der Forschung am Menschen beteiligten Berufe ergänzt
Art 2 in der aktuellen Fassung jedoch: „2. Im Einklang mit dem Mandat des WMA wendet
sich die Deklaration in erster Linie an Ärzte. Der WMA regt andere an der medizinischen
Forschung am Menschen Beteiligte an, diese Grundsätze zu übernehmen.“
Die Deklaration erhebt Anspruch auf weltweite Gültigkeit, ist im engeren Sinne jedoch
kein international gültiges Recht und wird national auf unterschiedliche Weise in
staatliches oder Berufsrecht umgesetzt. Sie stellt also eine mögliche Vorgabe für
geltende Normen dar, ohne jedoch strenge Gültigkeit ins Recht fordern zu können [16]. Die 4 wesentlichen Aspekte Vulnerabilität der Studienteilnehmenden, Gewährleistung
der informierten Zustimmung, Datenschutz bzw. Anonymisierung von Daten und ethische
Prävention für Krisenfälle sind von zentraler forschungsethischer Bedeutung und finden
sich sowohl in den Guidelines for Good Clinical Practice (GCP; von der WHO im Zusammenhang
mit pharmakologischen Studien entwickelt [10]
[11]
[15]) als auch in der pflegewissenschaftlichen Forschung [13].
Zentrale forschungsethische Anforderungen: Vulnerabilität, informierte Zustimmung
und Datenschutz
Zentrale forschungsethische Anforderungen: Vulnerabilität, informierte Zustimmung
und Datenschutz
Wissenschaftsethik allgemein „reflektiert den moralischen Anspruch, unter dem die
Wissenschaftler Wissenschaft betreiben“ [8], also z. B. wissenschaftliches Norm- und Fehlverhalten (z. B. Plagiarismus) im Allgemeinen,
aber auch speziell die Durchführung von Forschung. Forschungsethik im engeren Sinne
befasst sich mit der Frage, welche ethisch relevanten Einflüsse die Intervention von
Forschern den Menschen zumuten könnte, mit der oder an denen sie forschen. Sie befasst
sich zudem mit den Maßnahmen, die zum Schutz der an der Forschung teilnehmenden Personen
unternommen werden [13].
Vulnerabilität
Mit „Vulnerabilität“ ist allgemein die Verwundbarkeit bzw. Verletzbarkeit von Personen
gemeint. Im Forschungskontext können dies Personen sein, die aufgrund ihrer eingeschränkten
kognitiven oder physischen Fähigkeiten keine informierte Zustimmung geben und/oder
wegen ihrer besonderen Lebenssituation durch die Teilnahme an einem Forschungsvorhaben
in besonderem Maße belastet oder gar gefährdet werden könnten [13]. Daraus leitet sich eine besondere Schutzbedürftigkeit für den Umgang und die Teilnahmebedingungen
an Forschungsvorhaben ab, was z. B. den Prozess der informierten Zustimmung oder auch
den Umgang mit Gefährdung und Belastung durch die Teilnahme an Forschungsvorhaben
betrifft. Zum Schutz nicht einwilligungsfähiger Personen in der medizinischen Forschung
hat die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer eine Stellungnahme verfasst
[18].
Informierte Zustimmung
Die informierte Zustimmung (Informed consent) meint die bewusste Zustimmung bzw. Einwilligung
von Personen oder ihrer bevollmächtigten Vertreter, an einem Forschungsprojekt teilzunehmen
und beinhaltet [13]:
-
Ausreichende und verständliche Information;
-
Ausreichend Zeit und Beratungsmöglichkeit, um sich eine Meinung bilden zu können;
-
Keine Herbeiführung der Zustimmung durch Gewalt, Zwang, Betrug oder Täuschung;
-
Für minderjährige oder bewusstlose Teilnehmende: Ersatz der persönlichen Einwilligung
durch Zustimmung der gesetzlichen Vertreter und ebensolche Information und Zustimmungs-
oder Ablehnungsmöglichkeit.
Die Studieninformation zur Erlangung der Einwilligung sollte demnach schriftlich in
allgemein verständlicher Sprache verfasst sein und folgende Punkte umfassen [6]:
-
Titel, Problemstellung und Ziele des geplanten Forschungsvorhabens und dessen Grenzen;
-
Überblick über den derzeitigen Stand der Forschung;
-
Darstellung des Studiendesigns und Ablauf des Forschungsvorhabens;
-
Darstellung der Nutzen-Risiko-Abwägung;
-
Informationen zur Art der zu nutzenden Körpersubstanz, zum Zweck und Dauer der Verwendung;
-
Informationen zu Art und Ausmaß der Anonymisierung.
Datenschutz
Der Schutz und die Anonymisierung der erhobenen Daten der Forschungsteilnehmenden
macht diese namenlos und schützt sie vor dem Zugriff der Öffentlichkeit. Unzureichender
Datenschutz und Anonymisierung kann die Forschungsteilnehmenden gefährden, wenn diese
z. B. in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, als Mitarbeiter oder Heimbewohner im
Forschungsrahmen kritische Aussagen über die Versorgung treffen, die auf einzelne
Personen zurückführbar sind.
Der Schutz personenbezogener Daten ist in Deutschland gesetzlich sowohl im Grundgesetz,
als auch im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und Strafgesetzbuch (StGB) geregelt. Die
technische Umsetzung des Datenschutzes ist bei quantitativen statistischen Erhebungen
meist unproblematisch, da die Daten häufig anonymisiert werden können, d. h. für die
Forschung kein Personenbezug mehr notwendig ist. Zusätzlich besteht die Möglichkeit
der faktischen Anonymisierung, d. h. der Personenbezug kann nur mit „unverhältnismäßig
großem Aufwand“ hergestellt werden, die Pseudonymisierung von Daten (§ 3 Abs. 6 BDSG).
In erster Linie ist für den Datenschutz sicherzustellen, dass die Daten unzugänglich
aufbewahrt werden, z. B. auf einem Rechner mit Passwortschutz, auf geschützt aufbewahrten
mobilen Speichermedien oder als verschlossen abgelegte Dokumente. Forschungsdaten
dürfen ausschließlich in anonymisierter Form weitergegeben werden. Zum Datenschutz
in Forschungsprojekten gehört ebenso, die Rollen und Aufgaben der am Projekt Beteiligten
festzuschreiben als auch ein lückenloses und organisiertes Berichts- und Dokumentationswesen
zu führen, was auch die Dokumentation und Transparenz bei der Datenanalyse betrifft.
Spannungsfelder in der Zusammenarbeit mit Ethikkommissionen
Spannungsfelder in der Zusammenarbeit mit Ethikkommissionen
Der grundsätzlich beratenden Rolle einer Ethikkommission und dem damit verbundenen
Ziel, durch die Begutachtung und durch eventuelle Auflagen zur Überarbeitung des Projektplans
die Qualität der Forschungsarbeit anzuheben, steht die Kritik gegenüber, Forschung
durch ein bürokratisches Begutachtungsverfahren, Willkür und unnötige oder überzogene
Auflagen eher zu behindern als zu unterstützen [4]
[9]
[15]. Gegner bemängeln, Ethikkommissionen hätten lediglich eine „Alibifunktion“ für den
verantwortlichen Studienleiter [4]
[9]
[15]. Hier wird unterstellt, dass die Forscher die Verantwortung für ihr Vorhaben damit
an die Kommission delegieren und sich der Eigenverantwortung entziehen würden. Befürworter
von Ethikkommissionen argumentieren, dass die sittliche und rechtliche Verantwortung
immer bei den Forschenden selbst verbleibt. Ethikkommissionen seien vielmehr dazu
geeignet, „das [...] Gewissen zu wecken, zu leiten und zu schärfen, aber auch es zu
vergewissern und zu erleichtern“ [4]
[9]
[15].
Konkret lassen sich aus der Verfahrensperspektive hiesiger medizinischer Ethikkommissionen
folgende Aspekte problematisieren und insbesondere für die therapeutischen Gesundheitsfachberufe
kritisch prüfen, die bisher (noch) keinem weitergehenden und rechtsverbindlichen,
ethischen Begutachtungsverfahren ihrer Forschungsvorhaben unterliegen:
Die Begutachtung durch eine Ethikkommission setzt einen Antrag der Forschenden voraus.
Grundsätzlich beinhaltet dieses Vorgehen aber, dass die Forschungstätigkeit von den
Initiatoren auch als solche anerkannt und deklariert wird. Die Verantwortung für eine
ethische Beratung liegt also beim Initiator des Projektes. Dieser Aspekt scheint trivial,
bedeutet jedoch in aller Konsequenz, dass, wenn eine Person ihre Tätigkeit nicht als
Forschung bzw. Experiment, sondern eventuell als Entwicklungs- oder Evaluationsmaßnahme
sieht, sie auch keinen Antrag auf ethische Prüfung stellen und das Vorhaben ohne Ethikvotum
durchführen wird.
Darüber hinaus sind Ethikkommissionen in ihrer Beratungsfunktion auf eine zuverlässige
Selbstauskunft der Antragstellenden angewiesen. Selten fungiert die Ethikkommission
auch als Kontrollinstanz, und eine Prüfung der tatsächlichen Vorgehensweise ist nicht
notwendigerweise vorgesehen. Dies leisten manche Ethikgremien, indem die Antragsteller
im Sinne der guten wissenschaftlichen Praxis [3] vorab klare Kriterien für den Studienabbruch (z. B. beim Auftreten negativer Effekten
im Zusammenhang oder als Folge der experimentellen Prozeduren) definieren und diese
im Verlauf protokollieren und an die Ethikkommission melden müssen. Gleichermaßen
erfragen manche Ethikkommissionen nach Abschluss des Projektes die Einhaltung des
Projektplans.
Da sich die biomedizinische Forschung vorwiegend aus dem quantitativen Methodenkanon
bedient, wird ein methodischer Bias kritisiert. So seien medizinische Ethikkommissionen
eher am Vorgehen quantitativer Forschungsprojekte orientiert und würden deswegen qualitativ
angelegter Forschung weniger gerecht [7]
[9]
[14]. Die gängigen Antragsformate für eine ethische Begutachtung sehen z. B. nicht vor,
dass sich die Methode während der Durchführung entwickelt bzw. verändert, was qualitativen
Forschungsmethoden immanent ist (zirkulärer Forschungsprozess). Das Problem wäre durchaus
lösbar, z. B. durch Besetzung der Ethikkommission mit entsprechender methodischer
Expertise und Verfahrensänderungen, die ebensolchen Designs gerecht werden, wie internationale
Beispiele zeigen.
Nicht nur im Hinblick auf die Forschungsmethodik, sondern auch in Bezug auf die spezifischen
fachlichen Inhalte therapeutischer Forschung ist eine Berücksichtigung der fachspezifischen
Expertise bei der Besetzung der Ethikkommission mehr als wünschenswert. Eine Öffnung
der Ethikkommissionen an medizinischen Fakultäten für die forschungsethische Beratung
von (physio-)therapeutisch initiierten Projekten wäre durchaus wünschenswert. Jedoch
bleibt kritisch zu diskutieren, inwiefern diese Gremien vor dem Hintergrund ihrer
Grundlagen und personellen Besetzung den Forschungsvorhaben aus den Gesundheitsfachberufen
gerecht werden und verändert werden müssten.
Möglichkeiten für therapeutische Wissenschaftler in Deutschland
Möglichkeiten für therapeutische Wissenschaftler in Deutschland
Konkret stellt sich anschließend an diese Ausführungen für forschende Therapeuten
nun die Frage, wann bzw. in welchen Fällen es ratsam ist, für ein Forschungsprojekt
eine Ethikkommission zur Beratung hinzuzuziehen. Letztendlich verbleibt die Verantwortung
für die forschungsethische Durchführung eines Forschungsprojektes bei den Wissenschaftlern
selbst; die Beratung durch eine Ethikkommission und „Genehmigung“ entbindet davon
nicht, sollte aber unterstützende Funktion haben.
Welche Kommission für eine Ethikberatung infrage kommt, sollte im Einzelfall abgewogen
werden, sowohl was die Erwartungen an die inhaltlich-fachliche Beratung als auch den
finanziellen Aufwand und die zeitlichen Beratungsfristen betrifft. Alle Kommissionen
arbeiten nach einer Satzung, die den Rahmen für ihre Tätigkeit vorgibt, d. h. die
Mitglieder der Kommission, ihre Zuständigkeit bzw. wer Ethikanträge zur Begutachtung
an die Kommission stellen kann und zu welchen Bedingungen (z. B. Gebühren, Fristen).
Diese Gegebenheiten müssen unbedingt in den Forschungsprozess eingeplant werden. Neben
den vorhandenen lokalen medizinischen Ethikkommissionen (Arbeitskreis Medizinischer
Ethikkommissionen 2016; www.ak-med-ethik-komm.de) zeigt [Tab. 1] Beispiele für Ethikkommissionen, die aufgrund ihrer Satzung für physiotherapeutische
Forschungsvorhaben infrage kommen.
Unserer Meinung nach ist es unerlässlich, vor der Durchführung einer empirischen (physio-)therapeutischen
Studie ein offizielles Ethikvotum einer entsprechenden Kommission einzuholen. Unter
Abwägung der Möglichkeiten, eine Arbeit ohne das Votum eines externen Gremiums veröffentlichen
zu können, sollte jedoch mindestens die kritische Auseinandersetzung mit den oben
genannten Stichpunkten in schriftlicher Form transparent gemacht und dargelegt werden,
und zwar:
-
Ethische Prognose und ethische Prävention: Vulnerabilitätsprüfung;
-
Gewährleistung der informierten Zustimmung;
-
Maßnahmen zum Datenschutz (z. B. Anonymisierung).
Fazit und Quintessenz
Auch wenn es (in Deutschland) formal rechtlich noch keines offiziellen Ethikvotums
bedarf, votieren wir eindeutig dafür, nicht zuletzt um die (physio-)therapeutische
Forschung in Deutschland weiterzuentwickeln und an internationale Forschungsstandards
anzupassen. Nicht nur physiotherapeutische Forschung, sondern auch Wissenschaft entwickelt
sich zunehmend in globalen Zusammenhängen, was nicht zuletzt einheitliche wissenschaftliche
Standards verlangt [1].
Im Sinne der guten wissenschaftlichen Praxis erfordert die pragmatische Durchführung
einer Studie in erster Linie, die Vulnerabilität der Studienteilnehmenden zu beachten,
den Prozess der informierten Zustimmung angemessen zu gestalten, den Datenschutz zu
beachten und sich bereits vor der Durchführung auf mögliche, kritische Szenarien vorzubereiten
(ethische Prävention für Krisenfälle).
Nicht zuletzt kann eine wissenschaftliche Fachzeitschrift diesen Prozess fördern,
indem sie von Autoren vor der Veröffentlichung ihrer Arbeiten die kritische Reflexion
der oben genannten Aspekte und die Vorlage eines Ethikvotums verlangt. Um den Realitäten
für physiotherapeutische Forschung (in Deutschland) Rechnung zu tragen und einen Übergang
zu internationalen Standards zu fazilitieren, empfehlen wir kurz- und mittelfristig,
dass Autoren in ihrem Beitrag zu den forschungsethisch kritischen Punkten im Text
Stellung beziehen und spätestens im Rahmen des Peer-review-Verfahrens in diesem reflexiven
Prozess unterstützt werden.