Aktuelle Urol 2015; 46(06): 429-430
DOI: 10.1055/s-0035-1569084
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Metastasiertes Nierenzellkarzinom – Zytoreduktive Nephrektomie von Vorteil?

Heng Daniel et al.
Eur Urol 2014;
66: 701-710
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Publication History

Publication Date:
24 November 2015 (online)

 

Seit der Einführung zielgerichteter Therapien ist die Rate der zytoreduktiven Nephrektomien bei Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom deutlich gesunken. In einer großen retrospektiven Studie haben Daniel Heng und Kollegen den Einfluss der zytoreduktiven Nephrektomie (ZN) bei diesen Patienten im Vergleich zu Patienten ohne ZN untersucht.
Eur Urol 2014; 66: 701–710

mit Kommentar

Datengrundlage dieser internationalen Studie waren die Patienten des International Metastatic Renal Cell Carcinoma Database Consortium (IMDC) – eine retrospektive Fallsammlung von Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom (NZK), die eine zielgerichtete Therapie mit Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) und mTOR-Inhibitoren (mTOR: mammalian Target of Rapamycin) erhalten hatten.

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Nephrektomie. (Bild: Sökeland J, Rübben H. Schnittführung und Technik urologischer Operationen. In: Sökeland J, Rübben H Hrsg. Taschenlehrbuch Urologie. 14. Aufl . Stuttgart: Thieme; 2008)

Verlängerung des Überlebens durch ZN

Von 3245 Patienten hatten 2569 (79%) eine Nephrektomie erhalten. Das untersuchte Studienkollektiv bildeten 1658 synchron metastasierte Patienten, von denen 982 eine ZN bekamen. Zum Zeitpunkt der Analyse waren 1137 Patienten (85,4%) verstorben, 1416 (85%) erlitten einen Progress der Erkrankung. Bezogen auf das Gesamtkollektiv führte die ZN zu einer Verlängerung

  • des Gesamtüberlebens (overall survival, OS) um 11 Monate (ZN vs. Nicht-ZN: 20,6 vs. 9,6 Monate) und

  • des progressionsfreien Überlebens (PFS) um 3,1 Monate (7,6 vs. 4,5 Monate).


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Vorteil auch nach Adjustierung für IMDC-Kriterien

Alle Patienten wurden prognostisch nach den IMDC-Kriterien (Hämoglobin, korrigiertes Kalzium, neutrophile Granulozyten, Thrombozyten, Karnofsky-Performance-Status und Zeit von der Diagnose bis zum Beginn der TKI-/mTOR-Behandlung) stratifiziert. Dieses ergab ein Ungleichgewicht der Patientenverteilung zwischen den Gruppen mit einer Häufung von Poor-Prognosis-Patienten in der Nicht-ZN- (42%) im Vergleich zur ZN-Gruppe (19%), sodass eine Adjustierung für die IDMC-Kriterien durchgeführt wurde. Auch nach Adjustierung blieb der Vorteil der ZN für

  • das OS: Hazard Ratio [HR] 0,6; 95%-Konfidenzintervall [95%-KI] 0,52–0,69 und

  • das PFS: HR 0,75; 95%-KI 0,66–0,85

bestehen.

Des Weiteren bildeten die Autoren prognostische Gruppen, um zu bestimmen, welche Patienten am meisten von einer ZN profitieren. Hierbei wurden die Patienten in Subgruppen (< 3, 6, 9, 12, 18 bzw. 24 Monate) entsprechend ihres maximalen Gesamtüberlebens eingeteilt.

In der Primäranalyse war der Überlebensvorteil für Patienten ab einer geschätzten Lebenserwartung von mehr als 6 Monaten signifikant, verlängerte sich jedoch nach Adjustierung für die IDMC-Kriterien auf mehr als 18 Monate. Ab diesem Zeitraum ergab sich für die ZN ein zusätzlicher OS-Vorteil von+3,3 Monaten. In der prognostischen Unterteilung für die 6 IMDC-Kriterien zeigte sich ein signifikanter OS-Vorteil der ZN vor allem bei den Patienten, die weniger als 4 IMDC-Kriterien aufwiesen:

  • Bei 1 Kriterium betrug dieser+7,9 Monate,

  • bei 2 Kriterien+10,0 Monate und

  • bei 3 Kriterien+5,9 Monate.

Fazit

Patienten mit einem metastasierten Nierenzellkarzinom, die eine zielgerichtete Therapie erhalten, profitieren deutlich von einer ZN hinsichtlich progressionsfreiem und Gesamtüberleben. Kein Überlebensvorteil ergab sich dabei allerdings für Patienten mit einer Lebenserwartung ≥ 18 Monate oder4 IMDC-Kriterien.


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Kommentar

Wichtiger Baustein

Der Vorteil einer zytoreduktiven Nephrektomie konnte für Patienten mit einem synchron metastasierten NZK und nachfolgender Zytokintherapie bereits durch 2 prospektive Studien gezeigt werden. Hier ergab sich eine mittlere Lebensverlängerung von 5,8 Monaten [ 1 ]. Prospektive Studiendaten für Patienten mit einer zielgerichteten Therapie durch TKIs und mTOR-Inhibitoren werden derzeit in den laufenden Studien CARMENA und SURTIME erhoben, die sowohl den Zeitpunkt als auch den Vorteil einer ZN untersuchen [ 2 ], [ 3 ].

Solange diese Ergebnisse nicht vorliegen, kann die Frage des Benefits einer ZN nur anhand von retrospektiven Fallserien bzw. Untersuchungen von größeren Datenbankkollektiven untersucht werden. Interessanterweise waren = 90–100 % der Patienten, die in den Phase-III-Zulassungsstudien der TKIs behandelt wurden, nephrektomiert, sodass die vorliegenden OS-Daten dieser Studien auf einem Kollektiv nephrektomierter Patienten basieren [ 4 ].

Vor diesem Hintergrund leistet die vorliegende Arbeit des IMDC-Konsortiums einen wichtigen Baustein in der Klärung der Frage einer zytoreduktiven Nephrektomie bei synchron metastasiertem NZK. Trotz des retrospektiven Charakters der Daten handelt es sich um die bislang größte Fallsammlung zu diesem Thema, welche einen klaren Vorteil für die Durchführung einer ZN aufzeigt. Interessanterweise lag die HR (0,68) für das OS nach Adjustierung in der Arbeit von Heng et al. in einer ähnlichen Größenordnung wie bereits für die prospektive EORTC-Studie (HR 0,54) beschrieben.

Patientenselektion

Nicht alle Patienten profitierten von einer ZN. Dieses Ergebnis zeigte sich bereits in den EORTC-Studien und der SWOG-Zytokin-Studien. Hier hatten ca. 25 % der Patienten keinen Vorteil durch die ZN, da diese innerhalb der ersten 3 Monate verstarben.

Ein ähnliches Ergebnis zeigte auch die vorliegende Arbeit von Heng et al. Hier war der Vorteil der ZN ebenfalls nicht bei allen Patienten sichtbar, sondern ergab in der Subgruppe der Patienten mit einer Lebenserwartung von mehr als 9 Monaten einen Trend und in der Subgruppe von mehr als 18 Monaten Lebenserwartung eine signifikante Verlängerung des OS um 3,3 Monate.

Die Unterteilung nach IDMC-Kriterien ist sinnvoll und ergänzt die Patientenselektion signifikant. Bei der Patientenselektion sollte auch die Metastasenlokalistion (Gehirn und Leber) und die Anzahl der betroffenen Organsysteme berücksichtigt werden.

Fazit

Trotz des Fehlens prospektiver Studiendaten hat die ZN bei synchroner Metastasierung eines NZK – analog der Zytokintherapie – einen Überlebensvorteil. Die geschätzte Lebenserwartung der Patienten und die IDMC-Kriterien verbessern die Patientenselektion zur ZN und sollten im klinischen Alltag berücksichtigt werden.

Prof. Dr. Jens Bedke, PD Dr. Stephan Kruck, Tübingen


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Prof. Dr. Jens Bedke


ist leitender Oberarzt an der Klinik für Urologie der Universität Tübingen

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PD Dr. Stephan Kruck


ist Oberarzt an der Klinik für Urologie der Universität Tübingen

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Nephrektomie. (Bild: Sökeland J, Rübben H. Schnittführung und Technik urologischer Operationen. In: Sökeland J, Rübben H Hrsg. Taschenlehrbuch Urologie. 14. Aufl . Stuttgart: Thieme; 2008)