Vom 7. bis 11. Oktober 2015 fand der Jahreskongress der European Academy of Dermatology
and Venereology (EADV) in Kopenhagen/Dänemark statt. Mit rund 700 Referenten aus 30
Ländern und knapp 10 000 Besuchern ist er die größte Tagung für Dermatologen in Europa.
(Kathrin Strobel / Thieme Verlagsgruppe)
Das wissenschaftliche Programm gliederte sich in 41 Themenkomplexe, die in insgesamt
180 Sessions behandelt wurden. Exemplarisch sollen hier einige der Themen beleuchtet
werden.
Melanom – die Risikofaktoren (er-)kennen
Melanom – die Risikofaktoren (er-)kennen
Etwa 65 % der Melanome sind auf UV-Exposition zurückzuführen. Doch was ist mit den
restlichen 35 %? „Die Entstehung von Melanomen ist multifaktoriell bedingt. Zahlreiche
biologische, kulturelle und geographische Faktoren wirken zusammen, die außerhalb
unserer Kontrolle liegen“, so Prof. Veronique del Marmol, Brüssel/Belgien, im Rahmen
der Fachpressekonferenz. Etwa 10 % sind das Resultat von Keimbahnmutationen. Mutationen
in bestimmten Signalwegen (wie z.B. BRAF, NRAS, MITF) können Krebs auslösen. Die dahintersteckenden
Mechanismen sind jedoch noch unklar.
Eine weitere typische Eigenschaft von Melanomen ist eine Überexpression von nichtkodierender
RNA (wichtigster Vertreter: miRNA). MiR-21 ist eine der ersten miRNAs, die mit Krebs
assoziiert werden. Eine miR-21-Überexpression kann durch UV-Bestrahlung, aber auch
durch giftige Chemikalien, Luftverschmutzung, Rauchen, chronische Entzündungen, einen
westlichen Ernährungsstil sowie Adipositas hervorgerufen werden. Diese können daher
als potenzielle Risikofaktoren für die Melanombildung betrachtet werden. Auch Kuhmilch
könnte einen Risikofaktor darstellen: Ein Großteil des darin enthaltenen miR-Anteils
ist miR-21. „Obwohl nicht-UV-induzierte Melanome selten sind, müssen wir uns darüber
bewusst sein, dass es neben der UV-Exposition noch weitere Risikofaktoren, wie z.B.
die Lebensführung, für die Melanomentstehung gibt“, so del Marmol.
Auch in der gemeinsamen Session von EUROMELANOMA und der European Association of Dermato-Oncology
wurde die Identifikation von Risikofaktoren thematisiert. In ihrem Vortrag stellte
Prof. Gaëlle Quéreux, Nantes/Frankreich, ein Werkzeug zur gezielten Bestimmung des
individuellen Melanom-Risikos vor. Mithilfe eines Fragebogens und des Self-Assessment
of Melanoma Risk Scores (SAMScore) sollen Patienten ohne zusätzliche ärztliche Hilfe
ihr eigenes Risikolevel ermitteln. Auf diese Weise könnten (Hoch-)Risikopatienten
identifiziert und Risikomodelle erarbeitet werden.
(Kathrin Strobel / Thieme Verlagsgruppe)
Medikamentenresistente Gonorrhö – noch zu stoppen?
Medikamentenresistente Gonorrhö – noch zu stoppen?
Sexuell übertragbare Infektionen sind ein großes Problem. Weltweit infizieren sich
jährlich fast 400 Mio. Menschen zwischen 15 und 49 Jahren mit Chlamydia trachomatis
(146 Mio.), Neisseria gonorrhoea (51 Mio.), Syphilis (5 Mio.) oder Trichomonas vaginalis
(239 Mio.). Aktuell ist es vor allem die Gonorrhö (syn.: Tripper), die Prof. Colm
O’Mahony, Chester/England, Sorgen bereitet: „Neisseria gonorrhoea hat inzwischen gegen
alle Antibiotika Resistenzen entwickelt, die bislang dagegen eingesetzt wurden“, erklärte
er im Rahmen der Fachpressekonferenz.
Allein im Großraum Leeds im Norden Englands wurden zu Kongressbeginn 11 neue Fälle
gemeldet. Eine weltweite Verbreitung des resistenten Erregerstamms sei laut O’Mahony
unvermeidbar; trotzdem werde alles versucht, um diese zumindest zu verlangsamen. Der
wichtigste (und momentan einzig wirksame) Ansatz zur Prävention einer weltweiten Epidemie
seien die Aufklärung und der Aufruf zu geschütztem Sex. Zudem würden neue Wirkstoffe
zur Bekämpfung von N. gonorrhoea getestet. Bis eine neue Therapieoption entwickelt
sei, gebe es jedoch keine Lösung.
Auch Syphilis-Infektionen können inzwischen nicht mehr mit der bisher verwendeten
Standardtherapie Azithromycin behandelt werden. Die einzige noch verbleibende Alternative
ist die aufwendigere und kostspieligere Injektionstherapie mit Penicillin. Diese ist
zwar wirksam, doch nicht bei allen Patienten anwendbar: Wer unter einer Penicillin-Allergie
leidet, kann nicht behandelt werden.
Tätowierungen und Piercings – Body Art ist nicht ohne Risiken
Tätowierungen und Piercings – Body Art ist nicht ohne Risiken
Tätowierungen und Piercings sind in der Mainstreamkultur angekommen und beschränken
sich längst nicht mehr nur auf bestimmte Bevölkerungs- oder Altersgruppen. So sind
etwa 10 % der Gesamtbevölkerung und ca. 30 % der über 40-jährigen tätowiert und/oder
gepierct. Ohne Frage: Tätowierungen und Piercings sind in. Doch Body Art ist nicht
ohne Risiken. Die Hauptkomplikationen: Infektionen und Allergien. Bei Piercings seien
v. a. Nickelallergien, trotz des in der EU geltenden Nickelverbots für Schmuck, noch
weit verbreitet, sagte Kongresspräsidentin Dr. Christa de Cuyper, Brügge/Belgien,
im Rahmen der Fachpressekonferenz. Neben den Hygienestandards der Tätowierungsstudios
seien als kritische Faktoren bei Tätowierungen v. a. die verwendeten Tattoofarben
zu nennen. Zwar gibt es Regulationen bezüglich der Inhaltsstoffe, doch bislang ist
nur wenig über die Wirkung von Farbpigmenten auf den Körper bekannt. Eine Positivliste
bedenkenlos zu verwendender Tattoofarben gibt es daher noch nicht. Besonders problematisch
seien rote Farben sowie Henna, so de Cuyper. Weitere in Tattoofarben enthaltene gefährliche
Inhaltsstoffe sind z. B. karzinogene aromatische Amine, Schwermetalle, Konservierungsmittel
und weitere Stoffe, deren Funktion völlig unklar ist, wie z. B. Hexachlorbenzol, Schellac
und essenzielle Öle.
Man dürfe nicht vergessen, dass die Basis der meisten Tattoofarben Industriefarbstoffe
sind. Dies müsse sich dringend ändern. „Wir brauchen einen einheitlichen europäischen
Standard“, so de Cuyper.
Auch die Tattoo-Entfernung birgt Risiken: Selbst moderne Lasertechnologien garantieren
kein perfektes Ergebnis. Häufig kommt es zu Depigmentierungen und/oder Narbenbildung.
Beim Abbau von Tattoofarbstoffen durch eine Laserbehandlung können zudem potenziell
schädliche Stoffe wie z. B. Blausäure entstehen. Um das öffentliche Bewusstsein für
die mit Tätowierungen und Piercings verbundenen Risiken zu stärken, hat die EADV eine
Kampagne gestartet: Unter dem Titel „Body Art is not without Risk!“ werden Informationen
und weiterführende Literatur zum Thema angeboten.
Eine Besonderheit war die aktive Einbindung von Patientenverbänden. Im „Patient Village“
waren u.a. die European Umbrella Organisation for Psoriasis Movements (EUROPSO), die
Global Allergy & Asthma Patient Platform (GAAPP) und die International Federation
of Psoriasis Associations (IFPA) vertreten. (Kathrin Strobel / Thieme Verlagsgruppe)
entDatenaustausch leicht gemacht: Jeder Kongressbesucher erhielt bei der Anmeldung
einen Poken. Auf dem USB-Speicher in Handform waren die bei der Akkreditierung im
Voraus angegebenen Kontaktdaten gespeichert. Durch Aneinanderlegen zweier Pokens wurden
die Kontaktdaten der Besitzer über Nahbereichsfunk ausgetauscht oder Abstracts einer
Veranstaltung gespeichert. Bei erfolgreicher Übertragung leuchten die Hände grün.
(Kathrin Strobel / Thieme Verlagsgruppe)
Die Bedeutung der Dermatologie für die moderne Medizin
Die Bedeutung der Dermatologie für die moderne Medizin
„Die Forschungen und Erkenntnisse im Bereich der Dermatologie reichen weit über das
Fachgebiet heraus“, so Prof. Martin Röcken, Tübingen. So eröffnen die Fortschritte
in der Entwicklung neuer Wirkstoffe zur Behandlung der Psoriasis (z. B. Interleukin[IL]-17-
und IL-23-Inhibitoren) auch für andere Erkrankungen neue Therapieoptionen – z. B.
für die entzündliche Darmerkrankung, rheumatoide Arthritis und multiple Sklerose.
Ähnliches gilt für die Entwicklungen im Bereich der Hautkrebsforschung: Die Anti-PD1-Therapie
ist die erste effiziente Immuntherapie zur Krebsbekämpfung. Die positiven Erfahrungen,
die damit in der Behandlung des metastasierenden Melanoms gemacht wurden, ließen sich
vermutlich auch auf andere Krebsarten ausweiten, so Röcken. Die neuen Therapieoptionen
seien jedoch sehr kostspielig. Sie flächendeckend für einen großen Teil der Patienten
verfügbar zu machen, sei eine große gesundheitspolitische Herausforderung.
Die Bedeutung der Dermatologie für die restliche Medizin werde auch eindrücklich durch
die diesjährigen Nobelpreise widergespiegelt. So erhielten William C. Campbell und
Satoshi Ōmura den Nobelpreis für Medizin für ihre Forschung zur Bedeutung der Haut
für die Infektiologie. Tomas Lindahl, Paul Modrich and Aziz Sancar wurden für die
Erforschung der Mechanismen ausgezeichnet, die von Zellen zur DNA-Reparatur eingesetzt
werden. Ihre Ergebnisse stellen einen ent41scheidenden Schritt für das Verständnis
der Pathogenese von Hautkrebs und Hautalterung dar.
Innovative Programmgestaltung
Innovative Programmgestaltung
Eine der Besonderheiten des Kongresses war die Staffelung des wissenschaftlichen Programms
nach verschiedenen Schwierigkeitsgraden bzw. Wissensniveaus:
Wie der Vorsitzende des Scientific Programming Committees, Prof. Röcken, erklärte,
erhielt jedes der Hauptthemen des Programms, wie z.B. Hautkrebs, Allergien, Entzündungen,
infektiöse Erkrankungen, ein halb- bis ganztägiges Zeitfenster. Der Ablauf der darin
enthaltenen Sessions folgte einer einheitlich festgelegten Struktur: von Klinik über
Dermato-Pathohistologie und Epidemiologie zu Diagnosen und Differenzialdiagnosen,
gefolgt von der Vorstellung der verfügbaren Therapieoptionen. Die Schwierigkeitsniveaus
waren farblich gekennzeichnet.
Auf ein Wiedersehen in Wien
Auf ein Wiedersehen in Wien
Der nächste Jahreskongress der EADV wird vom 28. September bis 2. Oktober 2016 im
Austria Center in Wien stattfinden.
Kathrin Strobel, Mannheim