RSS-Feed abonnieren
DOI: 10.1055/s-0036-1572469
Mehr Patientensicherheit – „Briefing ist der Schlüssel zu effizienteren Teams“
Authors
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
22. Februar 2016 (online)
Tanja Manser von der Universität Bonn betont, dass die Patientensicherheit nur steigt, wenn der ganzheitliche Ansatz der Human-Factors-Wissenschaft genutzt wird. Das umfasst das Zusammenspiel von optimalen Teamprozessen mit guten chirurgischen Fähigkeiten – Manser fordert für angehende Chirurgen mehr Schulung ihrer technischen und nicht-technischen Fertigkeiten im Simulator.
? Ein neues Programm von DGOU und Lufthansa Flight Training will mehr Interpersonel Competence vermitteln. Können Chirurgen da etwas von den Piloten lernen?
Mangelnde interpersonelle Kompetenz ist in der Tat eine große Fehlerquelle in der Medizin, gerade auch in den operativen Fächern. Generell ist es daher gut, dass man sich dem Thema interpersonelle Faktoren im Klinikbereich zuwendet. Eine OP, eine Übergabe des Patienten danach wieder auf die Station, all das funktioniert nicht ohne gute interprofessionelle und interdisziplinäre Zusammenarbeit …
? Human Factors gelten als Hauptursache für Fehler – auch und gerade in der Medizin. Helfen hier die mancherorts angebotenen Human-Factors-Trainings?
Human Factors wird oft übersetzt als „der Faktor Mensch“. Da richten sich bei mir alle Nackenhaare auf. Denn es geht bei Human Factors um das Zusammenspiel von Mensch, Technik und Organisation. Ob ich einen Zwischenfall im OP rechtzeitig erkenne, liegt auch daran, wie ausgeschlafen ich bin. Vielleicht bin ich es nicht, da mir die Schichtpläne zusetzen. Und daran, wie ich ausgebildet wurde und ob ich wichtige Daten so aufbereitet bekomme, dass ich sie gut verarbeiten kann. Es spielt ganz viel mit rein, es ist nicht nur der Mensch, der bei der Patientensicherheit eine Rolle spielt. Also sollte der Fokus bei der Intervention auch weiter sein.
? Wird das Thema in dieser Breite in den Kliniken bearbeitet?
Es wird noch selten systematisch nach Human-Factors-Prinzipien gearbeitet.
Auch wenn heute keiner mehr verneint, dass man die Teamarbeit verbessern kann und
muss. Eine Schwierigkeit liegt auch darin, dass man oft Einzelpersonen zu irgendwelchen
Trainings schickt, und wenn die zurückkommen in den Arbeitsalltag, dann heißt es:
Es ist ja schön, dass du im Training warst, aber hier läuft es jetzt wieder, wie es
halt läuft. Trainings können das stetige Arbeiten an Kommunikation und Strukturen
im gesamten Team nur anstoßen.
Ich sehe es daher primär als eine Aufgabe der Krankenhäuser, ihre Teams, die in komplexen
Settings zusammen arbeiten, auch zusammen zu trainieren. Dabei können wir uns von
vielen Industrien inspirieren lassen, das muss nicht nur die Luftfahrt sein.
? Von welchen noch?
Ein Team im Schockraum ist von seiner vielfältigen Struktur her vielleicht eher mit
einem Feuerwehrteam als mit den Piloten im Flieger vergleichbar.
Zudem herrschen natürlich in vielen industriellen Bereichen ganz andere Rahmenbedingungen
als in der Medizin. Atomindustrie oder Luftfahrt sind Branchen, die auf internationaler
Ebene hochgradig reguliert sind. In der Medizin werden Sicherheitsfragen hingegen
fast gar nicht auf einer übergeordneten Ebene geregelt. Auch haben Piloten eine verhältnismäßig
einfache Teamstruktur – im Cockpit arbeiten 2 Personen mit identischer Ausbildung
und redundanten Aufgaben. In der Medizin ist der Kontext, in dem gearbeitet wird,
viel komplexer. Wir machen viel Forschung zu der Frage, was ein effektives Operationsteam
effektiv macht und das sind am Ende nicht unbedingt Faktoren, die 1:1 aus der Luftfahrt
kommen.
? Was macht denn bitte ein Chirurgenteam effektiv?
Briefing und noch mal Briefing. Dass man explizit bespricht, was kommt und was man möchte. Das erlaubt allen, Abweichungen im Verlauf der OP zu bemerken.
? Ein Beispiel?
Dass der leitende Chirurg am Beginn der OP auch wirklich allen erklärt: Ich habe für diesen Patienten hier 2 Implantate in der engeren Wahl, ich weiß aber noch nicht, welches ich nehme, das entscheide ich, wenn wir uns die Situation vor Ort anschauen können.
? Wie wichtig ist dafür die Surgical-Safety-Checkliste der WHO?
Sie ist unbedingt nötig. Aber, um das gleich zu sagen, bitte nicht als Ankreuzaktion.
Ein gerade auch in Deutschland leider dominanter Einführungsansatz ist, dass einer
von oben im Krankenhaus auftaucht und sagt, hier Leute, ihr müsst jetzt bitte immer
diese Listen ausfüllen. Das hat dann natürlich keinen Effekt.
Der Sinn eines Briefings ist immer, die Aspekte, die ich jetzt schon an Problemen
antizipiere, allen anderen Beteiligten mitzuteilen, damit alle im Team diese Aspekte
schon im Voraus im Kopf haben.
? In wie vielen Krankenhäusern wird nach solchen Konzepten trainiert und gearbeitet?
Nach Zahlen einer Umfrage von Matthias Rothmund vom Universitätsklinikum Gießen / Marburg arbeiten über 90 % der Chirurgen hierzulande bereits mit Checklisten [ 1 ]. Wobei man sagen muss, dass diese Umfragen einen Bias haben, denn Sie erhalten meist nur von denen eine Antwort, die eine Maßnahme auch anwenden. Das ist ein methodisches Problem auch bei unseren Befragungen.
? Im September 2015 haben auch Sie Ergebnisse einer online-Umfrage zum Risikomanagement in hiesigen Krankenhäusern vorgestellt, Sie hatten Antworten von 572 Kliniken und Reha-Kliniken. Allerdings gibt es in Deutschland 1980 Krankenhäuser und über 1.000 Reha-Einrichtungen.
Wir haben 2617 Häuser angeschrieben und die 572 sind jene, die geantwortet haben. Es ist immer so bei diesen Befragungen, dass sie eine Fehlerquelle dadurch erhalten, dass vorrangig nur der interessierte Teil antworten wird.
? Was haben Sie gefunden?
Wir finden einmal eine deutliche Zunahme beim Einsatz von Checklisten im Vergleich zu unserer früheren Umfrage von 2010. Auch hat 68 % der Häuser, die geantwortet haben, ein CIRS systematisch umgesetzt. 2010 waren das erst 35 %. Da sehen wir einen deutlichen Fortschritt.
? Der G-BA hatte aber schon am 23. Januar 2014 einen Beschluss gefasst, nach dem Fehlermeldesysteme verpflichtender Bestandteile des klinischen Risiko- und Qualitätsmanagements in deutschen Krankenhäusern sind. Damit müssten eigentlich alle Häuser erklären, solch ein System zu haben?
Naja. Das ist doch Pflicht, sagen Sie jetzt. Die Frage ist aber, wie sinnvoll ist Pflicht? Ich denke, wenn wir anfangen, einzelne Leute oder Kliniken zu verteufeln, ihr habt das noch nicht und das noch nicht, das hilft dem vielbeschworenen Kulturwandel beim Thema Patientensicherheit überhaupt nicht. 23 % der Häuser sind unseren Daten zufolge in der Aufbauphase. Ein funktionierendes CIRS kann man nicht über Nacht downloaden und fertig. Ich halte die jetzt getroffene verpflichtende Regelung daher für ein sehr 2-schneidiges Schwert. Die Häuser benötigen beim Aufbau eines CIRS zunächst mal mehr konkrete Hilfestellung.
? Natürlich kann man davon ausgehen, dass es gut ist für die Patientenversorgung, wenn die Mitarbeiter im Krankenhaus gut als Team agieren. Aber die Belege, dass es wirklich nützt, sind noch rar. Sie haben zusammen mit Herrn Jan Schmutz 2013 eine Veröffentlichung geschrieben mit dem Titel Do Team Processes really have an Effect on Clinical Performance? [ 2 ] Und – haben sie einen Effekt?
Ja, haben sie. Es ist ein Literatur-Review. Am Ende haben wir 28 methodisch ordentliche Studien zu dieser Frage gefunden. Die Mehrzahl findet einen positiven Zusammenhang zwischen besseren Teamprozessen und einer besseren Behandlungsleistung. 7 Studien davon sind Interventionsstudien.
? Sind das Vorher-Nachher-Vergleiche?
Ja. Die 21 weiteren Studien haben keine Direktvergleiche gezogen, vielmehr geschaut, welche Verhaltensweisen von Teams die Performance vorhersagen können. Da fanden sich just die Aspekte, die ich vorhin ansprach, mehr Kommunikation darüber, wo stehen wir, wo haben wir Probleme, wie agieren wir als Team zusammen? Je besser diese Dinge klappen, desto besser für die Arbeitsleistung eines Teams.
? Besser für Erfolgsnachweise wären aber randomisiert-kontrollierte Interventions-Studien, im Vergleich zweier Gruppen, die eine mit, die anderen ohne Intervention?
Das sind die wenigsten Studien zu diesem Thema. Es ist auch die Frage, was randomisiert-kontrollierte Studien in diesem Segment bringen. Menschliches Verhalten hat in vielen Situationen eine bestimmte Komplexität, sodass Sie selbst bei umfassender Randomisierung hinterher immernoch kritisieren können, dass Ergebnisse am Ende womöglich darauf zurückzuführen sind, dass sich andere Rahmenbedingungen verändert haben usw. Ich halte die Tatsache, dass Teams, die gut zusammenarbeiten einen messbaren Fortschritt auch bei ihrer klinischen Performance haben, eigentlich für hinreichend gut belegt. Das heißt aber nicht, dass damit 1:1 auch Mortalitäten sinken.
? Das ist aber das, was am Ende wirklich interessiert.
Ja. Aber dass es für den Patienten besser ist, wenn eine Versorgung leitliniengerecht und schnell ist, liegt doch auf der Hand. Effiziente Teams sind schneller, und eine schnellere Diagnose heißt unter Umständen eben auch, schneller relevante Behandlungsschritte starten zu können. Einige Studien haben ja auch zeigen können, dass sich wirklich die klinischen Ergebnisse verbessern, wenn Patienten durch Chirurgenteams mit optimierten Teamprozessen behandelt werden. Etwa die von Julia Neily et al. von 2010 [ 3 ]. Sie ist besonders interessant, weil sie Team-Training und Checklistenimplementierung kombiniert hat – mit dem Erfolg, dass die Mortalitäten während Operationen sanken. Oder nehmen Sie die Zahl an Infektionen bei zentralen Venenkathetern, die ist bis auf Null reduzierbar, wie die Gruppe um Peter Pronovost gezeigt hat [ 4 ]. Null ist machbar! Diese Ergebnisse gibt es aber nicht durch ein Wochenendtraining in Human Factors, das waren komplexe Interventionen, langes, stetiges Arbeiten an den Arbeitsabläufen und Teamprozessen.
? Sie haben in Ihrer eigenen Literaturübersicht nach Studien mit den verschiedensten Stichworten gesucht: „Patient Safety“, „Teamwork“, „Communication“ und „Leadership“. Liefert das nicht ein Konglomerat an Ergebnissen? Sind verschiedene Studien an verschiedenen Teams in verschiedenen Arbeitsumgebungen in Sachen Effizienz von Teamarbeit überhaupt vergleichen?
Aus klinischer Sicht agiert ein Team in einem OP für Endoprothetik natürlich anders als ein Team in einem Kreißsaal. Aber in all diesen Teams und Situationen zeigt sich, dass immer ganz bestimmte Prozesse relevant sind für die Qualität der gemeinsamen Arbeit. Wie gut tausche ich Information aus, wie fälle ich Entscheidungen, wie delegiere ich Aufgaben? Diese Dinge sind leistungsbestimmend. Und das sind generalisierbare Fertigkeiten. Alle können lernen, klar zu kommunizieren. Das ist eben nicht der Satz: Einer müsste mal Blut holen. Sondern: Du gehst bitte Blut holen und du sagst mir sofort Bescheid, wenn du wieder hier bist.
? Sonst steht Einer womöglich noch eine Viertelstunde mit einer Blutkonserve herum.
Oder schlimmer noch, Einer ist immer noch kein Blut holen gegangen. Das kennt glaube
ich jeder aus dem Arbeitsalltag, dass es viele Dinge gibt, über die man sich jeden
Tag aufregt, aber keiner benennt die Dinge aktiv und explizit. Da steckt der Fehler.
Ein Aspekt darf hier aber nicht zu kurz kommen – ich bin generell sehr für Training
und noch mal Training – auch und gerade mit dem Simulator.
? Wie kommen Sie jetzt da drauf?
In Großbritannien muss jeder Arzt, der im Operationssaal laparoskopisch operieren möchte, im Simulator erst ein gewisses Qualitätsniveau erreicht haben. Bei uns üben die Assistenzärzte hingegen noch ganz viel quasi am lebenden Objekt. Das finde ich schlecht.
? Da sind wir jetzt aber weg von Teamprozessen, Sie sprechen von technischen Fertigkeiten?
Ja, aber je mehr ich meine technischen Fertigkeiten beherrsche, desto mehr freie Kapazität habe ich für die nicht-technischen Aspekte wie Teamarbeit, Situations-Monitoring und Entscheidungsfindung, zu merken, wie ist die Situation, was kann und sollte ich den anderen gerade sagen. Das eine bedingt das andere.
Das Interview führte Bernhard Epping
-
Literatur
- 1 www.aerzteblatt.de/archiv/170827/Patientensicherheit-Kontinuierliche-Verbesserung
- 2 Schmutz J, Manser T. Do team processes really have an effect on clinical performance? A systematic literature review. Br J Anaesth 2013; 110: 529-544
- 3 Neily J, Mills PD, Young-Xu Y et al. Association between implementation of a medical team training program and surgical mortality. JAMA 2010; 304: 1693-1700
- 4 www.hopkinsmedicine.org/anesthesiology_critical_care_medicine/research/experts/research_faculty/bios/pronovost.html
-
Literatur
- 1 www.aerzteblatt.de/archiv/170827/Patientensicherheit-Kontinuierliche-Verbesserung
- 2 Schmutz J, Manser T. Do team processes really have an effect on clinical performance? A systematic literature review. Br J Anaesth 2013; 110: 529-544
- 3 Neily J, Mills PD, Young-Xu Y et al. Association between implementation of a medical team training program and surgical mortality. JAMA 2010; 304: 1693-1700
- 4 www.hopkinsmedicine.org/anesthesiology_critical_care_medicine/research/experts/research_faculty/bios/pronovost.html

