Aktuelle Urol 2016; 47(04): 278
DOI: 10.1055/s-0036-1582386
Referiert und kommentiert
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Erfolgversprechende Therapieoption?

Authors

  • Iris Rübben

Further Information

Publication History

Publication Date:
08 August 2016 (online)

 

Kommentar

Zoom
Dr. Iris Rübben
ist Leiterin der Sektion für
Kinder- und Jugend­urologie an der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Essen

Kinderurologie, das bedeutet nicht nur gutes operatives Versorgungsmanagement, sondern in hohem Maße auch empathische Fachkompetenz in der Behandlung kindlicher Ausscheidungsstörungen, insbesondere der kindlichen Inkontinenz (nicht monosymptomatische Enuresis nocturna, NMEN).

Doch was bieten wir Eltern und Patienten an, wenn nach langwieriger Behandlung mit unterschiedlichen Therapiemodalitäten, wie urotherapeutische Instruktion, Physiotherapie und Biofeedback, regelmäßige Gabe von Medikamenten in Mono- oder Kombinationstherapie, keine zuverlässige Kontinenz erzielt werden konnte und die diagnostische Urethrozystoskopie, urodynamische Evaluation und das MRT der Neuroachse keine wegweisende Pathologie, bis auf die persistierenden Symptome einer überaktiven Blase, ermittelte?

Bis zu 20% der Kinder mit einer OAB-Symptomatik betrifft diese Therapieresistenz [1] [2] [3].

Welche therapeutischen Optionen bleiben dieser speziellen Gruppe von Patienten und Eltern, deren Lebensqualität si­gnifikant eingeschränkt ist [4], die im Alltagsleben in höherem Maße Mobbing ausgesetzt sind als ihre nicht betroffenen Altersgenossen [5], und die auch als Erwachsene häufiger Blasen- und Darmfunktionsstörungen aufweisen [6], wenn unsere konservativen Maßnahmen ausgeschöpft sind?

Die Autoren gehen in ihrer Publikation der Frage nach, ob bei diesen therapierefraktären Patienten (23 Patienten, mittleres Alter 10,8 Jahre, mittlerer Beobachtungszeitraum 1,2 Jahre) die sakrale Neuromodulation eine wirksame Therapieoption ist. Hierzu wurde in standardisiertem 2-stufigem Vorgehen den Patienten mit Beschwerden i.S.e. überaktiven Blase (Urgency-Frequency-Syndrom, Inkontinenz) ein sakraler Neuromodulator implantiert.

Diesen erhielten in der o. g. Untersuchung auch 3 Patienten mit einem hypotonen Detrusor (Detrusor-Unteraktivität) mit Restharnbildung, die katheterisierungspflichtig war. Aufgrund der sehr geringen Fallzahl wird in diesem Kommentar auf diese spezielle Patientengruppe nicht eingegangen.

In der vielzähligen Literatur zur funktionellen kindlichen Blasenfunktionsstörung fällt bei besonderer Betrachtung der überaktiven Blase auf, dass verschiedene erweiterte Therapieangebote bei primärer Therapieresistenz zu nahezu analogen Ansprechraten führen. So konnten intensivierte urotherapeutische Trainingsprogramme mit stationärer Betreuung [3] oder kombinierte konservative Behandlungsmodalitäten aus Standardurotherapie ergänzt mit transkutaner Neuromodulation (TENS) [7] in 75–80% eine Symp­tomverbesserung bis Symptomfreiheit erzielen, während für 20–25% der betroffenen Patienten weiterhin kein Ansprechen nachgewiesen werden konnte.

Die Injektion von 100 IE Botulinum-A-Toxin in die Detrusormuskulatur [8] kann für 70% bis dahin therapierefraktäre Pa-tienten nach einer Injektion eine signifikante langfristige Verbesserung der Beschwerden erreichen – während auch nach dieser invasiven Behandlung etwa bei 15% der kindlichen OAB-Patienten die Symptome unbeeinflusst bleiben.

Nach Implantation eines sakralen Neuromodulators ergab sich in der o. g. Untersuchung für 35% der Patienten keine Veränderung ihrer Inkontinenz-Symptomatik, während 20% mittels sakraler Neuromodulation kontinent wurden.

Betrachtet man Daten zum Placebo-Effekt in dieser Patientengruppe [9] wird die Einschätzung schwierig, ob mit 20% Trockenheit in einem aufwendigen Therapiealgorithmus die sakrale Neuromodulation als eine erfolgversprechende Therapieoption in unseren kinderurologischen Alltag Eingang finden sollte.

Halten wir uns ferner vor Augen, dass für Patienten und ihre Familien nicht verbesserte urodynamische Messwerte, sondern allein eine subjektiv als verbessert empfundene Kontinenz Parameter sind, die über den Erfolg einer Therapie entscheiden, dürfte der Stellenwert einer sakralen Neuromodulation nicht gleichwertig zur Gabe von 100 IE Botulinum-A-Toxin anzusiedeln sein.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass mit einer konservativen Basistherapie für etwa 80% der kindlichen Patienten im Verlauf Kontinenz erzielt werden kann. Muss die Therapie in ca. 20% augmentiert werden (z. B. als stationäre Schulung, zusätzliche Anwendung von TENS oder Botox) werden wiederum 70–80% positiv profitieren, während für etwa 20% keine Verbesserung der OAB erzielt werden kann. Ob für diese „mehrfach therapieresistenten“ Kinder und Jugendlichen eine Indikation zur sakralen Neuromodulation besteht, ist meiner Meinung nach im Gespräch mit Eltern und Patient vorsichtig auszuloten.

Dr. Iris Rübben, Essen




Zoom
Dr. Iris Rübben
ist Leiterin der Sektion für
Kinder- und Jugend­urologie an der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Essen