Zusammenfassung
Hintergrund: Im Rahmen der “Aktion T4” kam es während des nationalsozialistischen
Regimes zwischen Oktober 1939 und August 1941 zu Euthanasiemorden mit bis zu geschätzten
300 000 Opfern. Es handelte sich um Patienten aus psychiatrischen Kliniken in ganz
Deutschland, bei denen unter anderem die Diagnosen manisch-depressive Erkrankung oder
Schizophrenie gestellt wurden. Psychiatrische Versorgungs- und Universitätskliniken
waren in unterschiedlichem Ausmaß an dieser Aktion beteiligt. Anhand von Krankenakten
wurde von uns zunächst untersucht, ob sich Hinweise für die Involvierung des Personals
der Münchener Universitäts- Nervenklinik in die “Aktion T4” oder für die nach 1945
getätigten Äußerungen, das Personal habe versucht, die Patienten zu schützen, ergaben.
Material und Methoden: Es handelt sich um eine retrospektive Vergleichsanalyse aus
der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians- Universität
(LMU) München. Aufnahmen, Entlassungs- und Verlegungsverhalten sowie Diagnosestellung
während des Zeitraums der “Aktion T4” – September 1939 bis August 1941 – wurden anhand
von Aufnahmebüchern und Krankenakten mit einem Vergleichszeitraum vor der “Aktion
T4” verglichen. Ergebnisse: Die Analyse der Daten zeigt, dass sich das Verlegungsverhalten
insgesamt während der “Aktion T4” vom Kontrollzeitraum nicht unterschied. Die Verweildauer
während der “Aktion T4” war signifikant länger. Signifikant häufiger wurde die Diagnose
“Nervenkrank ohne psychische Störung” – eine damals ungefährliche Diagnose, die nicht
zu einer Involvierung in “T4” führte – gestellt. Schlussfolgerung: Die Daten sind
vereinbar mit der Annahme, dass sich das Personal der Münchner Nervenklinik um den
Schutz der Patienten vor Euthanasie bemühte. Andere mögliche Erklärungen werden ebenfalls
diskutiert.
Summary
Background: During the course of the “Aktion T4” from October 1939 to August 1941
euthanasia killings were committed by the national socialist regime with an estimated
death toll of 300 000. These victims were patients of mental institutions in Germany.
Psychiatric state hospitals and university hospitals were involved in the “Aktion
T4” to differing degrees. The participation of the staff of the “Nervenklinik” of
the Ludwig-Maximilians- Universität (LMU) Munich was analyzed with reference to the
patient data from that period. Material and Methods: A retrospective analysis on patient
data comparing different time frames was conducted based on the archives of the hospital
for psychiatry and psychotherapy of the LMU Munich. A comparison of admission and
withdrawal numbers during the time frame of the “Aktion T4” and an earlier reference
period was performed. Results: A statistical analysis shows that the withdrawals from
the hospital during the course of the “Aktion T4” did not change in comparison to
the reference period. Additionally the average duration of the patients stay increased
significantly during the “Aktion T4”. The probability of getting diagnosed mentally
ill without a psychiatric disorder – a safe diagnosis not leading to an involvement
in the “Aktion T4’ – was significantly increased. Conclusion: The data can be seen
in accordance with the conclusion that an effort was made by the personnel of the
“Nervenklinik” for the protection of the patients from euthanasia murders. However,
other explanations have to be drawn into attention.
Schlüsselwörter
Nationalsozialismus - Euthanasie - “Aktion T4” - Psychiatrie - München
Keywords
National socialism - euthanasia - “Aktion T4” - psychiatry - Munich