Hamostaseologie 2019; 39(04): 311-321
DOI: 10.1055/s-0039-1688450
Leitlinie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Leitlinie der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH) zur Struktur- und Prozessqualität von Hämophilie-Zentren

Hermann Eichler
1   Institut für Klinische Hämostaseologie und Transfusionsmedizin, Universitätsklinikum des Saarlandes, Kirrbergerstraße, Homburg/Saar, Germany
,
Manuela Albisetti Pedroni
2   Abteilung Hämatologie, Universitäts-Kinderspital Zürich, Eleonorenstiftung, Steinwiesstraße, Zürich, Switzerland
,
Susan Halimeh
3   Gerinnungszentrum Rhein-Ruhr, Duisburg, Germany
,
Christoph Königs
4   Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Klinische und Molekulare Hämostaseologie, UK Frankfurt, Frankfurt am Main, Germany
,
Florian Langer
5   Zentrum für Onkologie, II. Medizinische Klinik und Poliklinik, Gerinnungsambulanz und Hämophiliezentrum, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Germany
,
Wolfgang Miesbach
6   Hämostaseologie/Hämophiliezentrum, Medizinische Klinik 2/Institut für Transfusionsmedizin, Universitätsklinikum Frankfurt, Frankfurt am Main, Germany
,
Johannes Oldenburg
7   Institut für Experimentelle Hämatologie und Transfusionsmedizin, Universitätsklinikum Bonn, Sigmund-Freud-Straße, Bonn, Germany
,
Ute Scholz
8   Zentrum für Blutgerinnungsstörungen, Strümpellstraße, Leipzig, Germany
,
Werner Streif
9   Universitätsklinik für Kinder- u. Jugendheilkunde, Anichstraße, Innsbruck, Austria
,
Robert Klamroth
10   Vivantes Klinikum im Friedrichshain, Zentrum für Hämophilie und Hämostaseologie, Landsberger Allee, Berlin, Germany
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Hermann Eichler
Institut für Klinische Hämostaseologie und Transfusionsmedizin
Universitätsklinikum des Saarlandes, Kirrbergerstraße, D-66421 Homburg/Saar
Germany   

Publication History

Publication Date:
24 April 2019 (online)

 

Summary

Since the 1970s, specialized hemophilia centers have been established to optimize the complex and costly treatment of patients with severe bleeding disorders. The focus is on long-term patient care through a multidisciplinary team of medical and non-medical specialists working in a hemophilia center. Such an optimized treatment has been shown to increase both the life expectancy and the quality of life of hemophilia patients.

This guideline of the Society for Thrombosis and Hemostasis Research (GTH) defines both the structure and process quality of hemophilia centers to achieve the following goals:

  • ▪ Definition of a transparent criteria catalog by the GTH for the required structure and process quality of hemophilia centers.

  • ▪ Ability to classify hemophilia centers based on these criteria.

  • ▪ To create the prerequisite for starting a certification process of hemophilia centers under the auspices of GTH.


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Einleitung und Ziele

Seit den 1970er Jahren haben sich für die komplexe und kostenintensive Behandlung von Patienten mit hämophilen Gerinnungsstörungen spezialisierte Hämophilie-Zentren etabliert. Im Mittelpunkt steht dabei eine langfristige Patientenversorgung durch ein multidisziplinäres Team fachärztlicher und nichtärztlicher Spezialisten, die in einem Hämophilie-Zentrum aufeinander abgestimmt arbeiten. Eine in dieser Weise optimierte Behandlung erhöht nachweislich sowohl die Lebenserwartung als auch die Lebensqualität von Patienten mit hämophilen Gerinnungsstörungen. Mit dieser Leitlinie der GTH zur Definition von Struktur- und Prozessqualität von Hämophilie-Zentren sollen folgende Ziele erreicht werden:

  • ▪ Erstellung eines wissenschaftlich fundierten und transparenten Kriterien-Katalogs zur erforderlichen Struktur- und Prozessqualität von Hämophilie-Zentren durch die GTH.

  • ▪ Möglichkeit zur Klassifizierung von Hämophilie-Zentren auf Basis dieses Kriterien-Katalogs.

  • ▪ Schaffung einer Grundlage zur Zertifizierung von Hämophilie-Zentren unter dem Dach der GTH.


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Patienten-Zielgruppen

Diese Leitlinie bezieht sich auf die Behandlung von Patienten mit seltenen angeborenen oder erworbenen hämophilen Gerinnungsstörungen. Zur Definition der Schweregrade der angeborenen Erkrankungen wird auf Kapitel 6.3. der Querschnitts-Leitlinien zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten der Bundesärztekammer verwiesen.[1] Diese GTH-Leitlinie umfasst Patienten mit folgenden Erkrankungen:

  • ▪ Hämophilie A und Hämophilie B, inklusive weibliche Genträger (Konduktorinnen)

  • ▪ Angeborene Mangelzustände folgender Gerinnungsfaktoren: Fibrinogen, Faktor II, V, VII, X, XI und XIII

  • ▪ Angeborene von Willebrand Erkrankung (vWD) der Typen 1, 2 und 3

  • ▪ Erworbene hämophile Gerinnungsstörungen (z. B. Autoantikörper gegen Faktor VIII) oder erworbenes (‚aquired‘) von Willebrand-Syndrom (AVWS)


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Methodik zur Erstellung der Leitlinie

Diese Leitlinie zur Prozess- und Strukturqualität von Hämophilie-Zentren wurde 2018 von einer Expertengruppe der ständigen Kommission Hämophilie der GTH aus Deutschland, Österreich und der Schweiz erstellt. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe wurden 2017 vom GTH-Vorstand namentlich benannt.

Von 2005 bis 2007 wurden die Europäischen Prinzipien der Hämophilie-Behandlung von einer internationalen und interdisziplinären Expertengruppe erarbeitet und in 01/2009 dem Europäischen Parlament vorgestellt. Auch auf dieser Grundlage hat wiederum die Europäische Kommission über eine Expertenkommission des Departments Health and Food Safety erste Empfehlungen zur Behandlung von Patienten mit seltenen Erkrankungen erstellt und veröffentlicht. Zeitgleich wurden in mehreren Mitgliedsstaaten der Europäischen Union voneinander unabhängige Projekte gestartet, um jeweils eigene konsentierte Standards für die Behandlung von Patienten mit seltenen hämophilen Gerinnungsstörungen zu entwickeln, auf deren Basis eine jeweils nationale Zertifizierung von Hämophilie-Zentren erfolgen kann. Diese ersten praktischen Erfahrungen sowie die von der Europäischen Kommission publizierte Empfehlung flossen ein in die European Guidelines for the Certification of Haemophilia Centres (Europäische Leitlinie zur Definition von Qualitätsstandards für Hämophilie-Zentren) durch das European Haemophilia Network (EUHANET).[2]

Vor dem Hintergrund dieser europäischen Entwicklung und auf Grundlage dieser Vorarbeiten wurde die vorliegende GTH-Leitlinie erstellt. Hierbei wurden folgende einschlägige Publikationen berücksichtigt: Querschnitts-Leitlinien Bundesärztekammer 2014,[1] EUHANET Guideline 2013,[2] Qualitätsmanagement-Richtlinie G-BA 2015,[3] Colvin BT et al. 2008,[4] Candura F et al. 2014,[5] EUCERD Recommendations 2011 und 2013.[6] [7]


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Grundstruktur der Versorgung

Patienten mit Hämophilie oder anderen hämophilen Gerinnungsstörungen sollen in hierfür speziell qualifizierten Hämophilie-Zentren versorgt werden. Sie sollen jederzeit Zugang zu einem Behandlungsprogramm der höchsten Versorgungsstufe haben, wie sie in Hämophilie-Zentren der Kategorie Hemophilia-Comprehensive Care Center (HCCC) etabliert sind. Alternativ kann die Behandlung auch in einem Hämophilie-Zentrum der Kategorie „Hämophilie-Behandlungszentrum“ (Hemophilia Treatment Center, HTC) erfolgen, sofern diese Behandlungseinrichtung eine gelebte Kooperation mit einem HCCC etabliert hat. Ein HTC stellt in Kooperation mit einem HCCC die wohnortnahe Behandlung der Patienten sicher. Im HCCC wird die höchste Versorgungsstufe (Maximalversorgung) vorgehalten.

Im Folgenden werden die unterschiedlichen Funktionen und Aktivitäten dieser Hämophilie-Zentren definiert (siehe auch [Tabelle 1]):

Tabelle 1

Grundstrukturen HTC/HCCC[a]

Struktur-Merkmale

HTC

HCCC

Anzahl kontinuierlich behandelte Patienten mit schwerer HämA / HämB / vWD Typ 3

≥ 10

≥ 40

Kernteam: mind. 1 Facharzt (Vollzeit-Äquivalent) mit ZWB Hämostaseologie und mind. 1 Kraft (Vollzeit-Äquivalent) med. Assistenzpersonal

+

Kernteam: mind. 2 Fachärzte (Vollzeit-Äquivalent) mit ZWB Hämostaseologie, mind. 2 Kräfte (Vollzeit-Äquivalent) med. Assistenzpersonal

+

erweitertes Kernteam: Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie und Physiotherapeut

+

Zugang zu multidisziplinärer Hämophilie-Behandlung, Sicherung der Diagnose, Versorgung mit Gerinnungstherapeutika, Erfassung des Langzeitverlaufs, regelmäßige Folgeuntersuchungen, Einleitung von Reha-Maßnahmen.

+

Umfassende multidisziplinäre Hämophilie-Behandlung

+

24 Stunden/365 Tage Erreichbarkeit für Notfälle.

+

+

24 Stunden/365 Tage Verfügbarkeit von Faktorenkonzentraten und Behandlung von Notfällen.

+

Hämostaseologische Basis-Labordiagnostik (s. [Tabelle 2])

+

Hämostaseologische Spezial-Labordiagnostik (s. [Tabelle 2])

+

Maximalversorgung, z. B. ITI, chirurgische / orthopädische Eingriffe, etc.

+

ITI in enger Abstimmung mit HCCC.

+

Dokumentation von Anwendung und Verbrauch von Gerinnungstherapeutika, Aktive Teilnahme am nationalen Hämophilie-Behandlungsregister, Beratungen inkl. genetischer Beratungen, Durchführung von Informationsveranstaltungen und Trainingsprogrammen.

+

+

a Abkürzungen: HämA, Hämophilie A; HämB, Hämophilie B; HCCC, Hämophilie-Zentrum der höchsten Versorgungsstufe (Hemophilia-Comprehensive Care Center); HTC, Hämophilie-Behandlungszentrum (Hemophilia Treatment Center); ITI, Immuntoleranz-Induktion; vWBD, Angeborene von Willebrand Erkrankung; ZWB, Zusatzweiterbildung.


Tabelle 2

Definition von Labordiagnostik HTC / HCCC[a]

Testverfahren

HCCC

HTC

Rund um die Uhr

Rund um die Uhr

PT, aPTT, TZ

Ja

ZR: innerhalb 3 Std.

Ja

ja

TAT: innerhalb 3 Std.

Nein

Aktivität FVIII, FIX

Ja

ZR: innerhalb 6 Std.

Ja

Ja

Nein

Inhibitor-Screening

Ja

ZR: innerhalb 24 Std.

Ja

Ja

Nein

Fibrinogen, Aktivität vWF, FII, FV, FVII, FX, FXI

Ja

ZR: innerhalb 24 Std.

Ja

Ja

Nein

PLT-Aggregation

Ja

Nein

Nein

Nein

vWF Antigen

ja

Nein

Nein

Nein

a Abkürzungen: aPTT, aktivierte partielle Thromboplastinzeit; FII-FXI, Einzelfaktoren der Gerinning 2-11; HCCC, Hämophilie-Zentrum der höchsten Versorgungsstufe (Hemophilia-Comprehensive Care Center); HTC, Hämophilie-Behandlungszentrum (Hemophilia Treatment Center); PLT, Thrombozyten; PT, Thromboplastinzeit nach Quick (INR); TAT, Thrombin-Antithrombin-Komplex; TZ, Thrombinzeit; vWF, von Willebrand-Faktor; ZR, erlaubter Zeitraum zwischen Probengewinnung und Befundmitteilung.



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Hämophilie-Behandlungszentrum (HTC)

  • ▪ Es werden kontinuierlich mindestens zehn (10) Patienten mit einer schweren Hämophilie A und/oder Hämophilie B und/oder vWD Typ 3 behandelt.

  • ▪ Die Behandlung umfasst auch die Sicherung der Diagnose, die Versorgung mit Gerinnungstherapeutika (z. B. Faktor-Konzentraten), die Erfassung des Langzeitverlaufs der Erkrankung, regelmäßige Folgeuntersuchungen und die Einleitung von Maßnahmen zur Rehabilitation.

  • ▪ Die Behandlung wird von folgendem Kernteam durchgeführt:

    • mindestens 1 Facharzt (Vollzeit-Äquivalent) mit Zusatzweiterbildung Hämostaseologie

    • mindestens 1 Kraft (Vollzeit-Äquivalent) medizinisches Assistenzpersonal mit Kenntnissen und Erfahrung in der Betreuung von Patienten mit hämophilen Gerinnungsstörungen

  • ▪ 24 Stunden/365 Tage Erreichbarkeit für Notfälle.

  • ▪ Die Labordiagnostik umfasst eine hämostaseologische Basisdiagnostik während der üblichen Labor-Arbeitszeiten.

  • ▪ Es besteht ein Zugang zu einer multidisziplinären Hämophilie-Behandlung der höchsten Versorgungsstufe, entweder organisiert durch ein lokales Netzwerk von Spezialisten oder in gelebter Kooperation mit einem HCCC, z. B. durch die Teilnahme an regelmäßigen Fallkonferenzen.

  • ▪ Die multidisziplinäre Hämophilie-Behandlung umfasst mindestens folgende Disziplinen: Physiotherapie, Orthopädie und Unfallchirurgie, Allgemeinchirurgie, zahnärztliche Behandlung, Hepatologie, Infektiologie, Gynäkologie und Geburtshilfe, Pädiatrie und pädiatrische Hämostaseologie (falls Kinder behandelt werden), Humangenetik, klinische Psychologie und Sozialarbeit.

  • ▪ Die Behandlung von Patienten mit Inhibitoren inklusive der Durchführung einer Immuntoleranz-Therapie erfolgt in enger Abstimmung mit einem HCCC.

  • ▪ Umfassende Dokumentation zur Anwendung und zum Verbrauch von Gerinnungstherapeutika.

  • ▪ Aktive Teilnahme am nationalen Hämophilie-Behandlungsregister.

  • ▪ Es werden Beratungen angeboten und durchgeführt, darunter auch genetische Beratungen der Patienten und ihrer Familien.

  • ▪ Es werden regelmäßig Informationsveranstaltungen und Trainingsprogramme durchgeführt.


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Hemophilia-Comprehensive Care Center (HCCC)

  • ▪ Es werden kontinuierlich mindestens 40 Patienten mit einer schweren Hämophilie A und/oder Hämophilie B und/oder vWD Typ 3 behandelt.

  • ▪ Das HCCC stellt eine umfassende Behandlung für Patienten mit Hämophilie und anderen hämophilen Gerinnungsstörungen sicher. Dies erfolgt sowohl durch die Koordination ambulanter und stationärer Leistungen in Kooperation mit stationären und ambulanten Einrichtungen der Krankenversorgung als auch in Kooperation mit angebundenen HTC. Für Patienten der kooperierenden HTC werden dabei ergänzende Dienstleistungen vorgehalten.

  • ▪ Die Behandlung wird von folgendem Kernteam durchgeführt:

    • mindestens 2 Fachärzte (jeweils Vollzeit-Äquivalent) mit Zusatzweiterbildung Hämostaseologie

    • mindestens 2 Kräfte (jeweils Vollzeit-Äquivalent) medizinisches Assistenzpersonal mit Kenntnissen und Erfahrung in der Betreuung von Patienten mit hämophilen Gerinnungsstörungen

  • ▪ Das erweiterte Kernteam besteht aus einem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie und einen Physiotherapeuten

  • ▪ 24 Stunden/365 Tage Erreichbarkeit und Behandlung von Notfällen

  • ▪ 24 Stunden/365 Tage Beratung für Patienten und deren Familien, Ärzte sowie Mitarbeiter von kooperierenden HTC.

  • ▪ 24 Stunden/365 Tage Verfügbarkeit von Faktorenkonzentraten.

  • ▪ Umfassende Behandlung von Patienten mit Inhibitoren, darunter auch Durchführung von Immuntoleranz-Therapie und operativen Eingriffen.

  • ▪ Das Labor gewährleistet eine umfassende Diagnostik mit allen erforderlichen Testverfahren für Diagnose und Therapie-Monitoring angeborener und erworbener hämophiler Gerinnungsstörungen.

  • ▪ 24 Stunden/365 Tage Diagnostik zur Aktivitätsbestimmung von Gerinnungsfaktoren und zum Screening auf Inhibitoren.

  • ▪ Chirurgische und orthopädische Behandlung inklusive der Durchführung operativer Eingriffe.

  • ▪ Gynäkologie und Geburtshilfe sowie Pädiatrie für die Behandlung von Konduktorinnen und Patienten mit vWD oder anderen hämophilen Gerinnungsstörungen.

  • ▪ Behandlung durch pädiatrische Hämostaseologen, falls Kinder mit Hämophilie oder anderen hämophilen Gerinnungsstörungen behandelt werden.

  • ▪ Zugang zu genetischer Diagnostik inklusive der Diagnose von Konduktorinnen und pränataler Diagnostik.

  • ▪ Zahnärztliche Behandlung.

  • ▪ Zugang zu Diagnostik und Behandlung von Lebererkrankungen (Hepatologie) und Zugang zu infektiologischer Diagnostik und Behandlung für Patienten mit HIV-Infektion und/oder infektiöser Hepatitis.

  • ▪ Zugang zu psychologischer Behandlung.

  • ▪ Zugang zu Leistungen der Sozialarbeit und der sozialrechtlichen Beratung.

  • ▪ Umfassende Dokumentation zur Anwendung und zum Verbrauch von Gerinnungstherapeutika.

  • ▪ Aktive Teilnahme am nationalen Hämophilie-Behandlungsregister.

  • ▪ Klinische Forschung durch aktive Teilnahme an klinischen Studien.

  • ▪ Es werden Beratungen angeboten und durchgeführt, darunter auch genetische Beratungen der Patienten und ihrer Familien.

  • ▪ Es werden regelmäßig Informationsveranstaltungen und Trainingsprogramme durchgeführt.


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Erweiterte Struktur der Versorgung

  • 1 Allgemeine Anforderungen

    • 1.1 Behandlungseinrichtung

      • 1.1.1 Im näheren Umfeld müssen behindertengerechte PKW-Parkplätze vorhanden sein. Der Hämophilie-Behandlungsbereich muss mit behindertengerechten Zugängen ausgestattet sein.

      • 1.1.2 Innerhalb der Behandlungseinrichtung findet die Behandlung in eigens hierfür vorgesehenen Bereichen statt, die den Anforderungen angemessen ausgestattet sind. Diese Bereiche müssen so eingerichtet sein, dass ein vertrauliches Gespräch zwischen dem Behandlungsteam und den Patienten gewährleistet ist.

      • 1.1.3 Innerhalb von HTC / HCCC müssen administrative Strukturen vorhanden sein, um die relevanten Patienten-Akten oder Behandlungsinformationen so vorzuhalten, dass die Behandlung durch das multidisziplinäre Team auch im Notfall rasch möglich ist.

    • 1.2. HTC / HCCC: Management-Voraussetzungen und Qualitätsziele

      In einem HTC / HCCC müssen die Vorgaben der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) über grundsätzliche Anforderungen an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement [2] erfüllt werden. In einem HTC / HCCC in Österreich und der Schweiz müssen ebenfalls die Vorgaben der o.g. G-BA-Richtlinie erfüllt werden oder alternativ die entsprechenden nationalen Anforderungen.

    • 1.3. Basisinformationen des Hämophilie-Zentrums

      • 1.3.1. Im HTC/HCCC muss für Patienten ein Dokument vorgehalten werden, aus dem mindestens die folgenden Informationen hervorgehen:

        • ▪ vorgehaltene Dienstleistungen

        • ▪ Kontaktinformationen des Zentrums und wie das Zentrum erreicht werden kann sowie

        • ▪ Informationen über die Mitarbeiter des Zentrums und die kooperierenden Partner im Behandlungsnetzwerk.

    • 1.4. Organisation und Personalausstattung

      Der Grundpfeiler einer modernen Hämophilie-Behandlung ist die umfassende Betreuung durch ein multidisziplinäres und spezialisiertes Behandlungsteam.

      • 1.4.1. Das Kernteam eines HTC / HCCC besteht aus folgendem Personal:

        • ▪ Ärztliches Personal, das die klinische Routine- und Notfallbehandlung sowie die Kontrolluntersuchungen durchführt.

        • ▪ Hämophilie-Assistenten oder entsprechend qualifiziertes medizinisches Assistenzpersonal, das die ordnungsgemäße Durchführung der Routine-Behandlung und die Versorgung mit Gerinnungsfaktor-Konzentraten koordiniert.

        • ▪ Laborpersonal, das die Erstellung von Laborbefunden zum Monitoring der Faktor-Behandlung durchführt.

        Nicht alle Mitglieder des multidisziplinären Behandlungsteams müssen Vollzeitmitarbeiter im HTC / HCCC selbst sein. Einige Team-Mitglieder können anderen klinischen Bereichen angehören und aus dieser Position heraus Teilaufgaben für das HTC / HCCC erfüllen. Im Falle eines externen Labors müssen schriftliche Vereinbarungen mit dem Zentrum bestehen.

      • 1.4.2. Durch die ärztliche Leitung des HTC / HCCC muss ein Organigramm erstellt werden, aus dem die Schlüsselpersonen und -funktionen hervorgehen. Die ärztliche Leitung des HTC / HCCC ist verantwortlich für die personelle Zuweisung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten innerhalb des Zentrums.

    • 1.5. Archivierung von Daten und Aufzeichnungen

      Eine sachgerechte Dokumentation klinischer Informationen ist für eine effektive Hämophilie-Behandlung unerlässlich. Die Aufbewahrung und jederzeitige Verfügbarkeit von Behandlungsdaten ist komplex. Daher muss jedes Hämophilie-Zentrum über die notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen verfügen, um die sichere Aufbewahrung und jederzeitige Verfügbarkeit der relevanten Behandlungsdaten zu gewährleisten.

    • 1.6 Personelle Ausstattung und kontinuierliche Qualifizierung

      Alle Mitarbeiter im HTC / HCCC müssen über ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, um die ihr zugewiesenen Aufgaben angemessen erfüllen zu können.

      • 1.6.1 Im HTC / HCCC werden die erforderlichen beruflichen Qualifikationen der Mitarbeiter in den verschiedenen Bereichen festgelegt. Es werden Verfahren etabliert, um eine kontinuierliche fachliche Fortbildung zu gewährleisten.

      • 1.6.2 Die ärztliche Leitung des HTC / HCCC muss den Schulungsbedarf für das im Zentrum tätige Personal systematisch ermitteln. Auf dieser Basis müssen Schulungen geplant und durchgeführt werden, um zu gewährleisten, dass die Mitarbeiter-Qualifikation aktualisiert und weiterentwickelt wird.

      • 1.6.3 Im HTC / HCCC müssen Aufzeichnungen hinsichtlich der Qualifikation des Personals geführt werden.

      • 1.6.4 Das HTC / HCCC implementiert ein System für die regelmäßige Beurteilung der Personal-Qualifikation, um sicherzustellen, dass alle Teammitglieder die ihnen zugewiesenen Aufgaben angemessen erfüllen können.

    • 1.7 Teilnahme an Hämophilie-Registern

      In Deutschland, Österreich und der Schweiz sind nationale Register für Patienten mit Hämophilie und anderen hämophilen Gerinnungsstörungen etabliert.

      • 1.7.1. Das HTC / HCCC nutzt eine elektronische Datenbank zur Erfassung der im Zentrum behandelten Patienten

      • 1.7.2. Das HTC / HCCC beteiligt sich an der regelmäßigen Übermittlung von Daten an das nationale Hämophilie-Register. Die Datenerhebung und -übertragung muss den jeweiligen gesetzlichen Vorschriften zur Nutzung personenbezogener Daten entsprechen.

    • 1.8 Teilnahme an klinischer Forschung

      • 1.8.1 Das HCCC beteiligt sich aktiv an klinischen Studien für Patienten mit Hämophilie oder anderen hämophilen Gerinnungsstörungen.

  • 2 Patientenbehandlung

    • 2.1 Informationen, Aufklärung und Schulung von Patienten und Angehörigen

      Eine Hämophilie und andere hämophile Gerinnungsstörungen haben einen starken Einfluss auf das Leben von Patienten und deren Familien. Diese chronischen Erkrankungen können sowohl zu physischen Beeinträchtigungen als auch zu sozialen Problemen führen, etwa im Rahmen der Ausbildung und der beruflichen Tätigkeit oder in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Patienten und deren Angehörige sollten daher ermutigt werden, eine aktive und verantwortungsbewusste Rolle als Partner des Hämophilie-Behandlungsteams zu übernehmen. Durch den Aufbau eines vertrauensvollen Dialogs zwischen dem Behandlungsteam und den Patienten kann die Behandlung optimiert werden.

      • 2.1.1 Das HCCC / HTC organisiert in Zusammenarbeit mit Patienten-Selbsthilfeorganisationen regelmäßige Schulungen und Trainings von Patienten und Angehörigen. Dies schließt auch Trainings der Patienten zum Erlernen der ärztlich kontrollierten (Heim)-Selbstbehandlung durch intravenöse Gerinnungsfaktor-Gabe ein.

      • 2.1.2 Jeder Patient muss im Rahmen einer gezielten Basisschulung mit folgenden Informationen vertraut gemacht werden:

        • ▪ Art und Wesen seiner Erkrankung, Behandlungsmethoden und mögliche Komplikationen.

        • ▪ der im HTC/HCCC angebotene Behandlungsumfang und die Zusammensetzung des multidisziplinären Behandlungsteams.

        • ▪ Kontaktinformationen des HTC/HCCC.

        • ▪ Rechte und Pflichten des Patienten.

        • ▪ Informationen zu lokalen und nationalen Patienten-Selbsthilfeorganisationen.

        • ▪ Die Angehörigen des Patienten sollten bei Bedarf in diese Basisschulung integriert werden.

    • 2.2 Diagnose der angeborenen Hämophilie, anderer angeborener hämophiler Gerinnungsstörungen sowie aller Formen der erworbenen Hämophilie

      • 2.2.1 Bei Verdacht auf eine hämophile Gerinnungsstörung veranlasst das HTC/HCCC die erforderlichen Untersuchungen entsprechend der nationalen und ggf. internationalen medizinischen Leitlinien.

      • 2.2.2 Die Diagnose einer Gerinnungsstörung muss den Krankheitstyp, den Schweregrad, das Vorhandensein oder Fehlen eines Inhibitors und den Vererbungsmodus umfassen.

      • 2.2.3 Das HTC / HCCC muss innerhalb eines Monats nach Abschluss der Diagnostik einen umfassenden schriftlichen Befundbericht erstellen.

      • 2.2.4 Nach Erstellen der Diagnose muss der Patient im HTC / HCCC und zusätzlich im nationalen Register registriert werden.

      • 2.2.5 Jedem Patienten muss ein medizinischer Notfallpass ausgestellt werden, der zumindest die grundlegenden Informationen zur Diagnose sowie die Kontaktdaten des HTC / HCCC beinhaltet.

    • 2.3 Therapie der angeborenen Hämophilie, anderer angeborener hämophiler Gerinnungsstörungen sowie aller Formen der erworbenen Hämophilie

      • 2.3.1 Behandlungsprogramme

        • 2.3.1.1 Für jeden Patienten muss vom Behandlungsteam des HTC / HCCC ein individuell abgestimmtes Behandlungsprogramm erstellt werden. Darin wird das Gerinnungspräparat mit Dosierung und Behandlungsschema auf der Grundlage der individuellen Reaktion des Patienten und der Blutungsepisoden festgelegt. Die Wünsche und Einstellungen des Patienten müssen dabei berücksichtigt werden.

        • 2.3.1.2 Alle Behandlungen, die vom HTC / HCCC angeboten werden, müssen nationalen und ggf. internationalen Behandlungsleitlinien entsprechen. Patienten mit einer behandlungsbedürftigen Hämophilie müssen mit Gerinnungsfaktorpräparaten, Desmopressin (DDAVP) oder anderen zugelassenen Nicht-Faktorpräparaten versorgt werden.

        • 2.3.1.3 Die Behandlung und die klinischen Aufzeichnungen müssen allen rechtlichen Anforderungen entsprechen. Unter Umständen muss hierfür die schriftliche Einwilligung des Patienten eingeholt werden.

        • 2.3.1.4 Die Betreuung von Kindern mit Hämophilie und anderen hämophilen Gerinnungsstörungen ist komplex. Sie sollte daher nur in einem HTC / HCCC von speziell für die Betreuung von Kindern mit hämophilen Gerinnungsstörungen geschulten pädiatrischen Hämostaseologen und klinischem Personal durchgeführt werden.

        • 2.3.1.5 Die Transition von Patienten aus dem Bereich der pädiatrischen Hämostaseologie in den Bereich der Behandlung von Erwachsenen ist eine besonders sensible Phase für den Jugendlichen mit einer hämophilen Gerinnungsstörung. Dies umso mehr, wenn sich das Erwachsenen-Zentrum an einem anderen Standort befindet. Daher muss in einem HTC / HCCC ein Verfahren etabliert sein, das den Übergang vom pädiatrischen Hämostaseologen in den Bereich der Erwachsenen-Behandlung regelt.

      • 2.3.2 Prophylaxe

        • 2.3.2.1 In einem HTC / HCCC sollte eine prophylaktische Behandlung für Patienten mit schwerer Hämophilie zur Verfügung stehen, da hierdurch der Beginn und das Fortschreiten der chronischen Gelenkerkrankung verhindert oder verzögert werden kann. Blutungsepisoden sollten lückenlos dokumentiert werden, um das Behandlungsregime bei Bedarf zu optimieren.

      • 2.3.3 Plan zur ärztlich kontrollierten (Heim)-Selbstbehandlung

        Wenn möglich sollte bei Patienten mit Hämophilie oder anderen hämophilen Gerinnungsstörungen die Behandlung mit Gerinnungspräparaten in der häuslichen Umgebung erfolgen. Hierdurch können Krankenhausaufenthalte und die Abwesenheit von Schule und Beruf minimiert und den Patienten ein weitgehend normales Leben ermöglicht werden.

        • 2.3.3.1 Das HTC / HCCC erstellt für jeden geeigneten Patienten einen Plan zur ärztlich kontrollierten (Heim)-Selbstbehandlung, der regelmäßig überprüft und ggf. angepasst wird. Darin wird die individuelle klinische Situation des Patienten berücksichtigt.

        • 2.3.3.2 Der Patient und seine Familie müssen auf die Wichtigkeit der Dokumentation von Blutungsereignissen und Behandlungen mit Gerinnungspräparaten hingewiesen werden. Das Behandlungsteam des HTC / HCCC muss das theoretische Wissen und die praktische Kompetenz des Patienten zu Beginn der ärztlich kontrollierten (Heim)-Selbstbehandlung und danach in regelmäßigen Abständen überprüfen. Diese Prüfung muss als Teil eines definierten Programms von Kontrolluntersuchungen bewertet werden (siehe 2.4).

        • 2.3.3.3 Das HTC / HCCC stellt den Patienten schriftliche Anweisungen und / oder Arbeitsmittel zur Verfügung, um die Dokumentation der Anwendung von Hämophilie-Präparaten im Rahmen der ärztlich kontrollierten (Heim)-Selbstbehandlung oder einer ambulanten Behandlung zu erfassen.

        • 2.3.3.4 Im HTC / HCCC muss ein System zur Überwachung des Präparateverbrauchs bei Patienten mit ärztlich kontrollierter (Heim)-Selbstbehandlung etabliert sein.

      • 2.3.4 Behandlung und Prävention von akuten Blutungen

        • 2.3.4.1 In einem HTC / HCCC müssen rund um die Uhr Hämophilie-Präparate und ggf. weitere Präparate zur Behandlung von Blutungsereignissen verfügbar sein. Die Menge und Art der bevorrateten Präparate sind auf die behandelten Patienten abzustimmen. In jedem Fall muss eine angemessene und zeitgerechte Behandlung von Blutungsereignissen gewährleistet sein.

      • 2.3.5 Behandlung von Notfällen außerhalb der normalen Arbeitszeiten

        • 2.3.5.1 Das HTC stellt eine umfassende medizinische Behandlung rund um die Uhr sicher, entweder durch Vereinbarungen in einem Netzwerk mit anderen Dienstleistern und / oder durch eine gelebte Kooperation mit einem HCCC, z. B. durch die Teilnahme an regelmäßigen Fallkonferenzen.

        • 2.3.5.2 Das HCCC stellt eine umfassende medizinische Behandlung rund um die Uhr sicher.

        • 2.3.5.3 Im HTC / HCCC müssen Verfahren zur Notfallbehandlungen etabliert sein. Zudem müssen Verfahren etabliert sein für den Fall, dass Patienten das Hämophilie-Zentrum außerhalb der normalen Arbeitszeit kontaktieren oder sich im Zentrum vorstellen wollen.

        • 2.3.5.4 Die Patienten müssen vom HTC / HCCC darüber informiert werden, an wen sie sich im Notfall wenden können, falls eine Behandlung außerhalb der normalen Arbeitszeiten des Zentrums erforderlich ist.

      • 2.3.6 Elektive Operationen/Eingriffe

        • 2.3.6.1 Größere elektive Operationen bei Patienten ohne Inhibitoren sowie elektive Operationen bei Patienten mit Inhibitoren sollen nur in solchen HTC / HCCC durchgeführt werden, in denen eine ausreichende Erfahrung für solche Patienten vorliegt.

      • 2.3.7 Behandlung von Patienten mit Inhibitoren, Immuntoleranz-Induktion (ITI)

        • 2.3.7.1 Alle Patienten, die Inhibitoren entwickeln, müssen in einem HCCC oder durch aktive Einbindung eines HCCC behandelt werden. Der Antikörpertiter muss regelmäßig bestimmt werden.

        • 2.3.7.2 Patienten mit erstmals diagnostizierten Inhibitoren müssen vom HTC / HCCC ggf. an das nationale Register und weitere Pharmakovigilanz-Programme (z. B. EUHASS) gemeldet werden.

        • 2.3.7.3 Für Patienten mit hohen Inhibitor-Titern muss vom HCCC ein individualisierter Behandlungsplan erstellt werden. Ob solche Patienten in einem lokalen HTC behandelt werden können, muss in jedem Einzelfall zwischen HCCC und HTC abgestimmt werden.

        • 2.3.7.4 Für Patienten mit hohem Inhibitor-Titer sollte im individualisierten Behandlungsplan eine Immuntoleranz-Induktion vorgesehen werden, sobald der Inhibitor gesichert ist. Die Option einer Langzeitprophylaxe mit Bypass-Präparaten sollte bei solchen Patienten in Betracht gezogen werden, die nicht auf eine ITI ansprechen.

      • 2.3.8 Behandlung von Patienten mit chronischen Virusinfektionen

        • 2.3.8.1 Im HTC / HCCC müssen Patienten mit chronischer Virushepatitis und / oder HIV-Infektion mindestens einmal jährlich von einem Facharzt untersucht und leitlinienkonform behandelt werden.

      • 2.3.9 Behandlung von Patienten mit erworbener Hämophilie oder AVWS

        Die erworbene Hämophilie und das AVWS sind sehr seltene Erkrankungen, die jedoch häufig mit schweren hämorrhagischen Manifestationen und anderen Grunderkrankungen einhergehen. Das klinische Management dieser Patienten ist daher besonders anspruchsvoll.

        • 2.3.9.1 Für Patienten mit einer erworbenen Hämophilie oder einem AVWS muss von einem HCCC ein individualisierter Behandlungsplan gemäß anerkannter Leitlinien erstellt werden. Ob solche Patienten in einem lokalen HTC behandelt werden können, muss in jedem Einzelfall zwischen dem HCCC und HTC abgestimmt werden.

    • 2.4 Multidisziplinäre Kontrolluntersuchungen

      Allen im Zentrum registrierten Patienten muss eine regelmäßige klinische Kontrolle angeboten werden. Das HTC / HCCC muss ein System eingerichtet haben, das diese regelmäßige klinische Überwachung der Patienten sicherstellt.

      • 2.4.1 Im HTC / HCCC muss ein Verfahren etabliert sein, welches sicherstellt, dass allen Patienten mit einer als schwerwiegend eingestuften hämophilen Gerinnungsstörung mindestens einmal jährlich eine multidisziplinäre Kontrolluntersuchung angeboten wird.

      • 2.4.2 Patienten mit häufigen Blutungen oder anderen Komplikationen wie Inhibitoren, Arthropathien oder chronischen Virusinfektionen sollen mehr als einmal jährlich zur Kontrolluntersuchung in das HTC / HCCC einbestellt werden. Pädiatrische Patienten bis und mit der Pubertät mit mittelschwerer und schwerer Hämophilie sollten mindestens einmal jährlich zur Kontrolluntersuchung einbestellt werden.

      • 2.4.3 Patienten mit mittelschwerer oder milder Hämophilie sollen vom HTC / HCCC mindestens alle zwei (2) Jahre zur Untersuchung einbestellt werden.

      • 2.4.4 In einem HTC / HCCC muss ein Verfahren etabliert sein, um bei jeder Kontrolluntersuchung eine multidisziplinäre Beurteilung von Komplikationen sicher zu stellen (z. B. Inhibitoren, Arthropathie, chronische Lebererkrankung, HIV-Infektion sowie alle altersbedingten Begleiterkrankungen wie Herz-Kreislauf- oder Tumor-Erkrankungen).

      • 2.4.5 Nach jeder Kontrolluntersuchung muss ein Befundbrief verfasst werden. Dieser muss an den Hausarzt, an den Patienten sowie ggf. an weitere an der Behandlung des Patienten beteiligte Ärzte versandt werden. Kopien müssen in der Behandlungsdokumentation abgelegt werden. Der Befundbrief muss mindestens die folgenden Informationen enthalten:

        • ▪ Aktuelle klinische Situation und ggf. Problematik (z. B. anstehende operative Eingriffe)

        • ▪ Behandlungsplan mit Angabe aller Änderungen seit der letzten Kontrolle

        • ▪ Ergebnisse relevanter Laborbefunde und anderer Befunde, z. B. bildgebender Diagnostik

        • ▪ Zeitpunkt der nächsten Untersuchung

      • 2.4.6 Das HTC / HCCC muss dokumentieren, falls der Patient nicht zum vereinbarten Termin der Kontrolluntersuchung erschienen ist.

    • 2.5. Molekulargenetische Diagnostik

      Die Identifizierung der genetischen Mutation eines Indexpatienten erleichtert die Diagnostik bei blutsverwandten Genträgern. Diese Daten können auch zur vorgeburtlichen Diagnostik bei einer schwangeren Genträgerin (Konduktorin) verwendet werden. Konduktorinnen einer Hämophilie können selbst erniedrigte Aktivitäten von Faktor VIII (oder IX) aufweisen und daher eine klinische Symptomatik entwickeln, die einer milden Hämophilie ähnlich ist.

      • 2.5.1 Vom HTC / HCCC muss eine molekulargenetische Diagnostik veranlasst werden, um die genetische Mutation bei einem Patienten mit einer angeborenen hämophilen Gerinnungsstörung und ggf. blutsverwandter Angehöriger zu identifizieren.

      • 2.5.2 Das HTC / HCCC muss eine Kooperation mit einem molekulargenetischen Labor etablieren, damit alle Patienten und deren blutsverwandte Angehörige Zugang zu einer molekulargenetischen Diagnostik haben.

      • 2.5.3 Die Durchführung der molekulargenetischen Diagnostik ist technisch anspruchsvoll. Es sollten daher nur solche Labore beauftragt werden, die für diese Diagnostik akkreditiert sind.

      • 2.5.4 Patienten und deren Familien müssen Zugang zu einer genetischen Beratung haben. Vor Durchführung einer genetischen Diagnostik muss vom HTC / HCCC die schriftliche Einwilligung der getesteten Person eingeholt werden. Diese Einwilligung muss ggf. auch eine Zustimmung für die Aufbewahrung von Proben und die Zustimmung zur Mitteilung der Befunde enthalten. Hierbei müssen die gesetzlichen Vorgaben beachtet werden.

      • 2.5.5 Im HTC / HCCC muss der Umgang mit dem genetischen Befund vertraulich und in Übereinstimmung mit den jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen erfolgen.

      • 2.5.6 Im HTC / HCCC soll möglichen Konduktorinnen eine genetische Beratung und genetische Diagnostik angeboten werden.

      • 2.5.7 Im HTC / HCCC soll bei allen bekannten oder möglichen Konduktorinnen vor chirurgischen oder invasiven Eingriffen die Aktivität von Faktor VIII (oder IX) gemessen werden.

      • 2.5.8 Im HTC / HCCC soll bei allen bekannten oder möglichen Konduktorinnen eine Schwangerschaft überwacht werden. Während der Schwangerschaft muss eine enge Abstimmung zwischen dem Geburtshelfer und dem Hämophilie-Zentrum erfolgen. Für die Geburt und Nachsorge von solchen Kindern, bei denen das Risiko einer hämophilen Gerinnungsstörung besteht, soll rechtzeitig ein Behandlungsplan erstellt werden. Im Bedarfsfall müssen sofort geeignete Hämophilie-Präparate für Mutter und Kind verfügbar sein. Bei männlichen Neugeborenen mit einer möglichen hämophilen Gerinnungsstörung sollte eine Labordiagnostik aus Nabelschnurblut durchgeführt werden.

    • 2.6 Ergebnisindikatoren

      • 2.6.1 In allen Hämophilie-Zentren müssen Daten über die Behandlungsergebnisse erhoben und bewertet werden. Hierfür müssen ggf. die Patienten und/oder Erziehungsberechtigten einwilligen, die erforderlichen Daten zur Verfügung zu stellen.

      • 2.6.2 Das HTC / HCCC sollte mit den zuständigen regionalen und / oder nationalen Behörden vereinbaren, welche Ergebnisindikatoren zu erheben und auszuwerten sind. Es wird empfohlen, mindestens folgende Daten zu erheben:

        • ▪ Menge an Hämophilie-Präparaten, die pro Patient jährlich verbraucht wird.

        • ▪ Anzahl neuer Blutungsepisoden einschließlich Durchbruchsblutungen bei Prophylaxe.

        • ▪ Nebenwirkungen, die unter Umständen mit der Behandlung zusammenhängen, wie Inhibitoren, Virusinfektionen, schlechte Wirksamkeit der Behandlung etc.

        • ▪ Todesfälle und Todesursachen

        Weitere Parameter, die erhoben werden können:

        • ▪ Gelenkstatus

        • ▪ Erhebung der Behandlungszufriedenheit

        • ▪ Erhebung der Lebensqualität

        • ▪ Anzahl der Tage, an denen aufgrund von Blutungen die Schule oder die Arbeitsstelle nicht aufgesucht werden konnten

        • ▪ Talspiegel bei Patienten unter Prophylaxe

  • 3 Beratungsdienstleistungen

    • 3.1 Das HCCC bietet kontinuierlich einen medizinischen Beratungsdienst an.

    • 3.2 Das HTC / HCCC bietet Patienten und ihren Familien sowie anderen Ärzten und Pflegekräften, die die Patienten während der normalen Arbeitszeit behandeln, einen Beratungsdienst an.

  • 4 Netzwerk von spezialisierten Dienstleistern mit dem Hämophilie-Zentrum

    • 4.1 Jedes HTC muss eine gelebte Kooperation zu einem oder mehreren HCCC eingehen, z. B. durch die Teilnahme an regelmäßigen Fallkonferenzen. Die HTC spielen für Patienten mit Hämophilie oder anderen hämophilen Gerinnungsstörungen eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung einer wohnortnahen Notfallversorgung. Andererseits müssen Patienten auch an ein HCCC angebunden sein, um anspruchsvollere Therapien wahrnehmen zu können (z. B. elektive Operation bei Patienten mit Inhibitoren, ITI etc.). Das Ausmaß der Zusammenarbeit zwischen HTC und HCCC hängt von der im HTC vorhandenen Expertise ab.

    • 4.2 Die Kooperation von HTC und HCCC muss die umfassende, multidisziplinäre Behandlung von Patienten sicherstellen. Die verfügbare Unterstützung muss zumindest folgende Bereiche umfassen:

      • ▪ Physiotherapie und Orthopädie/Unfallchirurgie; Patienten mit schwerer Hämophilie müssen regelmäßig von einem Physiotherapeuten und einem Orthopäden in Abhängigkeit von den individuellen klinischen Umständen untersucht werden.

      • ▪ Allgemeinchirurgie.

      • ▪ Zahnmedizin.

      • ▪ Pädiatrie: Kinder mit Hämophilie müssen von speziell für die Behandlung von Kindern ausgebildeten pädiatrischen Hämostaseologen und medizinischen Fachkräften betreut werden.Hepatologie und Infektiologie; HIV-infizierte Patienten und Patienten mit chronischen Lebererkrankungen müssen von qualifizierten Spezialisten behandelt werden.

      • ▪ Geburtshilfe und Gynäkologie: bekannte oder mögliche schwangere Konduktorinnen müssen in Zentren behandelt werden, die über spezifische Fachkenntnisse verfügen.

      • ▪ Humangenetik: Patienten mit Hämophilie oder anderen hämophilen Gerinnungsstörungen müssen Zugang zu einer spezialisierten humangenetischen Beratung und Diagnostik haben (u. a. Bestätigung der Diagnose, Bestimmung des Trägerstatus und Pränataldiagnostik).

      • ▪ Psychologische und psychosoziale Unterstützung; Hämophilie-Patienten und ihre Angehörigen haben häufig psychologische Probleme und Bedarf hinsichtlich Sozialarbeit und anderer Beratungsdienstleistungen.

      Wenn die oben genannten spezialisierten Dienstleistungen nicht im HTC bereitgestellt werden, müssen Verfahren etabliert sein, um die Bereitstellung durch ein HCCC sicherzustellen.

    • 4.3 Die Kooperation zwischen HTC / HCCC und den Strukturen, die diese oben genannten spezialisierten Dienstleistungen bereitstellen, sollen durch schriftliche Vereinbarungen geregelt werden. In den Vereinbarungen soll beschrieben werden, wie auf die Dienstleistungen zugegriffen werden kann und welche Ärzte an der Kontinuität der Versorgung beteiligt sind. Es sollen auch Festlegungen zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren, zur Verwendung von Hämophilie-Präparaten und zu Verfahren für den Austausch medizinischer Informationen und zur Datenerfassung getroffen werden. Die Kooperationen von zertifizierten HTC / HCCC mit anderen medizinischen Dienstleistern, die Patienten mit hämophilen Gerinnungsstörungen behandeln, ist möglich.

    • 4.4 Das Hämophilie-Zentrum hat Zugang zu einem zentrumsinternen oder -externen akkreditierten Labor, das mindestens die folgenden Gerinnungstests durchführt, siehe [Tabelle 2] (ZR = erlaubter Zeitraum zwischen Probengewinnung und Befundmitteilung):

      Die Bearbeitungszeit für Labortests muss zwischen der klinischen Einrichtung und dem Labordienstleister schriftlich vereinbart und überwacht werden. Die Laboratorien, die die oben genannten Tests durchführen, müssen an einem akkreditierten externen Qualitätssicherungssystem für hämostaseologische Diagnostik teilnehmen.

    • 4.5 Ein HTC / HCCC organisiert in Zusammenarbeit mit anderen Hämophilie-Zentren und / oder Selbsthilfeorganisationen von Patienten regelmäßige Fortbildungsveranstaltungen für kooperierende medizinische Dienstleister, um diagnostische und therapeutische Vorgehensweisen zu optimieren (z. B. Fachärzte, Klinikabteilungen, Hausärzte und Kinderärzte, Apotheke).


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Conflict of Interest and Contribution

On behalf of all co-authors, the first author declares no conflicts of interest regarding this guideline. All authors contributed equally in the creation of this guideline. The first author coordinated the working group.


Address for correspondence

Hermann Eichler
Institut für Klinische Hämostaseologie und Transfusionsmedizin
Universitätsklinikum des Saarlandes, Kirrbergerstraße, D-66421 Homburg/Saar
Germany