Dtsch Med Wochenschr 2015; 140(02): 140-142
DOI: 10.1055/s-0041-100016
Kommunikation und Management
Georg Thieme Verlag Stuttgart

Klar kommunizieren und Eskalationen vermeiden: Konflikte auf Station: Entstehung und Lösungswege

Conflicts on the ward: origins and solutions
Nina Ospelt
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Publication Date:
22 January 2015 (online)

 

In einem Krankenhaus arbeiten unterschiedliche Berufsgruppen, Hierarchiestufen und Altersklassen eng zusammen – da sind Konflikte quasi vorprogrammiert. Doch ein anhaltender Streit sorgt nicht nur für schlechte Stimmung, er steigert auch die Unzufriedenheit im Berufsalltag und gefährdet die Professionalität bei der Versorgung der Patienten. Erfahren Sie hier, wie Konflikte entstehen und welche Lösungsstrategien es gibt.


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Abb. 1 Besonders zwischen den verschiedenen Berufsgruppen kommt es im Krankenhaus schnell zu Konflikten.

Welche Konflikt vorkommen

Definition | Über den Stationsflur hallende Schimpfwörter, knallende Türen und Tränen – auch ohne solch dramatische Szenen kann gerade ein Konflikt im Team brodeln. Allerdings gehört es zum Arbeitsalltag dazu, dass Kollegen mal verschiedener Meinung sind oder sich sogar im Ton vergreifen. Wann also liegt ein Konflikt vor? Das Wort „confligere“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „zusammenstoßen“. Man kann sagen: Ein Konflikt besteht dann, wenn zwei Personen oder Parteien zusammenstoßen und sich dabei so verhalten, dass die jeweils andere in ihren Handlungen gestört wird. Eine im schlimmsten Fall lähmende Situation – besonders in einem Krankenhaus, wo Abläufe zugunsten der Patienten reibunglos funktionieren sollten. Im Gegensatz zu einer Meinungsverschiedenheit beeinträchtigt ein Konflikt das Verhalten beider Parteien – es geht nicht nur ums Rechthaben, sondern ums Gewinnen [1]. Weshalb und wie es zu einem solchen Zusammenstoß kommt, ist sehr unterschiedlich.

Konfliktarten | Ein Blick auf die zentralen Konfliktarten [1] hilft zu verstehen, aus welchen Gründen sie sich entwickeln:

  • Zielkonflikte: Zwei Parteien verfolgen unterschiedliche Ziele. Ein Kollege hat z. B. vorrangig seine wissenschaftliche Karriere im Blick: Er verschwindet deshalb abends ins Labor und lässt Arbeit liegen, die der Spätdienst für ihn erledigen muss.

  • Methodenkonflikte: Zwei Parteien nutzen unterschiedliche Methoden, um zu einem gemeinsamen Ziel zu gelangen. Beispielsweise hat ein Patient Abdominalbeschwerden. Ein Arzt plädiert für eine CT, der andere möchte bis zum nächsten Tag abwarten.

  • Wertekonflikte: Die Tätigkeit, die man ausführen soll, steht im Konflikt mit den eigenen Werten. Ein Assistenzarzt soll etwa eine erneute Chemotherapie bei einer betagten Patientin anordnen, obwohl er sie lieber palliativ versorgen würde.

  • Rollenkonflikte: Eine Person arbeitet in einem Feld unterschiedlicher Rollenerwartungen. Die Pflegekräfte erwarten z. B. einen möglichst kooperativen Arzt, der Chef einen möglichst durchsetzungsfähigen Mitarbeiter.

  • Verteilungskonflikte: Eine Führungs- oder Sonderrolle oder ein Aufgabenbereich werden verteilt. So erhält der Kollege die Oberarztstelle, man selbst geht leer aus.

Positive Folgen | All diese Situationen können im Krankenhausalltag vorkommen. Dennoch ist es wichtig, nicht jede Auseinandersetzung als Bedrohung wahrzunehmen: „Natürliche Interessenkonflikte im Team sind kaum zu vermeiden, und das ist auch in Ordnung“, sagt Dr. Andrea Wittich, Psychologin und bis Oktober 2014 Leiterin des Supervisionsdiensts der Uniklinik Freiburg. So können verschiedene Positionen z. B. die Diagnosefindung bereichern statt zu einem Problem zu werden [2].

Negative Folgen | Allerdings: Bleiben Konflikte bestehen, macht die Arbeit nicht nur weniger Spaß. Wachsende Unzufriedenheit und Stress schaden auf lange Sicht auch der körperlichen und seelischen Gesundheit [3].

Ein anhaltender Konflikt kann der Professionalität im Weg stehen, weil Abläufe im Team gestört werden. Im schlimmsten Fall kommt es zur Eskalation.


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Konfliktquellen im Krankenhaus

Die Arbeit in einem Krankenhaus bietet viel Nährboden für Konflikte. Dabei sind häufig nicht nur die Patienten der Anlass, sondern auch die Zusammenarbeit mit den Kollegen anderer oder der eigenen Berufsgruppe.

Mangelnde Wertschätzung | Besonders zwischen den verschiedenen Berufsgruppen kann es schnell zu Reibungen kommen [5]. Etwa dann, wenn sich Pflegekräfte als „Mädchen für alles“ ausgenutzt fühlen: Sie müssen Medikamente austeilen, Befunde abheften und spontan die Arbeit unterbrechen, sobald ein Arzt Hilfe braucht. Maike Klein, die seit drei Jahren als diplomierte Pflegerin arbeitet, kennt dieses Problem: „Man fühlt sich und seine Arbeit nicht wertgeschätzt“, sagt sie.Gefördert wird dieses Gefühl auch durch das hierarchische Gefälle zwischen Pflege und Ärzteschaft, das in Deutschland immer noch sehr hoch ist. In der Schweiz etwa sieht das anders aus: „Dort arbeiten Pfleger und Ärzte viel deutlicher auf Augenhöhe miteinander“, sagt Wittich.

Hoher Zeitdruck | Grund für die scheinbar mangelhafte Wertschätzung muss jedoch nicht sein, dass Ärzte auf Pfleger herabblicken. Oft sind schlicht die hohe Arbeitsbelastung und der Zeitdruck auf den unterbesetzten Stationen Schuld. Dr. Moritz Vogt, Arzt im 2. Weiterbildungsjahr zum Unfallchirurg, weiß wie schwierig es ist, allen im Team gerecht zu werden: In seiner 1. Woche als Assistenzarzt sagte ihm eine Krankenpflegerin, er solle um 8 Uhr morgens an der Pflegevisite teilnehmen. „Ich habe natürlich versucht, den Termin einzuhalten. Aber irgendwann merkt man, dass das mit einem vollen OP-Plan einfach nicht immer funktioniert!“

Aufnahmen und Entlassungen | Der Internist Dr. Roman Steinert* sieht ein weiteres Potenzial für Konflikte im Aufnahme- und Entlassungsmanagement von Patienten. Ein typischer Fall: Trotz der begrenzten Bettenkapazität wurden nachts zwei neue Patienten eingeliefert. „Dann beginnt man abzuwägen: Wo sind noch Zimmer frei, wer kann vielleicht schon nach Hause?“, erklärt Steinert. Von den Pflegekräften wird schnelles Handeln gefordert – den einen entlassen, für den nächsten ein Zimmer vorbereiten. „Sie müssen dann alles stehen und liegen lassen und werden in ihren eigenen Abläufen gestört“, sagt Steinert.

Zusammenarbeit der Funktionseinheiten | Auch zwischen Ärzten sorgen Einweisungen und Verlegungen von Patienten für Probleme. So z. B. an der Schnittstelle der Funktionseinheiten Notaufnahme und Bettenstation: Die Notaufnahme ist voll, Patienten sollen möglichst schnell stationär aufgenommen werden. Dort aber sind zu wenig Betten frei. In dieser Situation können schnell Konflikte entstehen: „Der Stationsarzt möchte vielleicht erreichen, dass weitere Untersuchungen in der Notaufnahme gemacht werden“, sagt Steinert. „Das wiederum erhöht die Belastung des Kollegen, auf den noch weitere 10 Notfallpatienten warten.“


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Konflikte lösen und vermeiden

In Konflikten liegt auch eine Chance für Verbesserung. Wichtig ist, einzugreifen, bevor die Spannungen zur psychischen Belastung werden oder sogar die Patientenversorgung darunter leidet.

Bei der Konfliktbewältigung sollte die hohe Qualität der Patientenversorgung immer als gemeinsames Ziel im Vordergrund stehen [6].

Werkzeuge zur Konfliktlösung | Rolf Schulz listet in seinem Buch „Toolbox zur Konfliktlösung“ einige Werkzeuge auf [1], mit denen man Konflikte angehen kann:

  • Inhalts- und Beziehungsebene trennen: Wird Inhaltliches mit Emotionen vermischt?

  • Die richtige Haltung einnehmen: Wie ist meine Einstellung – sehe ich mein Gegenüber als Gegner? Kommuniziere ich fördernd oder hemmend?

  • Brücke bauen: Signalisiere ich Offenheit für ein Gespräch über unterschiedliche Sichtweisen?

  • Vergangenheit und Zukunft trennen: Konzentriere ich mich auf eine Lösung in der Zukunft? Oder beharre ich auf meinem Recht?

  • Ziel fokussieren: Gebe ich dem Gespräch eine Struktur und ein Ziel?

Das Gespräch suchen | All diese Techniken setzen am gleichen Hebel an: der Kommunikation. Auch Maike Klein sieht das Hauptproblem in mangelhafter Kommunikation: „Ärzte und Schwestern tauschen sich zu wenig aus. Gerade weil beide nach eigenen Abläufe arbeiten, müssten sie viel besser miteinander kooperieren.“

Aktiv kommunizieren | Um Missverständnisse zu vermeiden, sollten junge Ärzte von Anfang an eine Kultur der Dialogbereitschaft pflegen, rät Wittich. „Wer neu auf Station ist, sollte auf die Pflegeleitung zugehen und die Art der Zusammenarbeit klären“, sagt sie. Dabei könne man z. B. fragen,

  • ob die Pflegekräfte an der Visite beteiligt sein möchten,

  • wann für sie die beste Zeit für Übergaben ist und

  • ob es interne Abmachungen gibt, die man kennen sollte.

Damit signalisiere man einerseits die Bereitschaft zur guten Zusammenarbeit – andererseits entschärfe man potenzielle Konfliktherde, indem man die internen Spielregeln kennenlernt.

Probleme ansprechen | Auch für den Umgang mit Kollegen gilt: Sprechen Sie Probleme frühzeitig an! Etwa bei der Einteilung der Assistenzärzte in den OP: „Man akzeptiert, dass fortgeschritte Assistenzärzte Vorrang haben, wenn es darum geht, wer in den OP darf“, sagt Vogt. Doch wenn man bemerkt, dass manche Anfänger öfter im OP stehen als andere, müsse man den Missstand ansprechen: „Manchmal hilft es schon zu sagen ‚Hey, das gefällt mir nicht, lass uns das doch bitte fair regeln!‘“ Damit erreichte Vogt sein Ziel, bevor sich Missmut und Spannungen aufbauen konnten.

Verständnis zeigen | Beim Kommunizieren mit Ärzten anderer Funktionseinheiten wie der Notaufnahme ist die richtige Haltung entscheidend: Sehe ich den Kollegen als Gegner oder Verbündeten? „Oft hilft ein kurzer Perspektivenwechsel: Wer selbst in der Notaufnahme gearbeitet hat, hat Verständnis für deren Arbeitsabläufe“, sagt Steinert. So könne man empathischer vermitteln, dass gerade auf Station noch kein Platz für eine Neuaufnahme ist.


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Gegenseitige Wertschätzung

Pünktliche Übergaben | Egal, ob das Gefühl mancher Pflegekräfte auf Missverständnissen beruht: Wenn sich jemand im Team nicht wertgeschätzt fühlt, ist er unzufrieden und demotiviert [3]. Mit anderen Worten: Die Arbeit läuft nicht mehr rund. Doch auch trotz Zeitdruck und hoher Arbeitsbelastung kann man sich mit kleinen Schritten entgegenkommen. So z. B. Moritz Vogt: Wie viele Chirurgen kann er wegen des vollen OP-Plans die Visitenzeiten zwar nicht immer einhalten. Er zeigt den Pflegekräften trotzdem seinen Willen zur guten Zusammenarbeit, indem er jeden Morgen eine halbe Stunde vor Dienstbeginn pünktlich zur Übergabe erscheint: „Wenn man sich so aufeinander verlassen kann, entsteht ein Vertrauensverhältnis“, resümiert Vogt.

Morgendliche Besprechung |Auch der Internist Steinert hat einen Weg gefunden, Wertschätzung zu zeigen: Er kann zwar nicht exakt planen, wann Patienten aufgenommen werden. Deswegen nimmt er sich jedoch morgens 5 Minuten Zeit und bespricht mit den Pflegekräften die Bettenplanung – soweit sie eben absehbar ist. „Das erleichtert die Zusammenarbeit sehr“, sagt er.


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Hilfe aus der Personalabteilung

Handlungskonzept | Für den Ernstfall gibt es an der Universitätsklinik Freiburg das „Handlungskonzept zur Problemlösung bei anhaltenden Konflikten und bei Mobbing am Arbeitsplatz“ [3]. Dieses Konzept löst Konflikte in mehreren Schritten: „Erst versuchen die Konfliktparteien, das Problem selbst zu lösen“, erklärt Wittich. „Dann vermittelt der Supervisionsdienst, und erst bei weiterem Misserfolg wird der Konfliktrat eingeschaltet.“ Nach Anhörung beider Parteien bietet das Gremium des Konfliktrats z. B.

  • Mediation,

  • Coaching für Vorgesetzte,

  • Kommunikationstrainings oder

  • Vorschläge für Verbesserungen von Arbeitsabläufen an.

Konsequenzen | Sollte auch dies den Konflikt nicht lösen, trifft die Dienststelle arbeitsrechtliche Entscheidungen wie etwa Versetzungen. Mitarbeiter erhalten so Hilfe von außenstehenden Experten, wenn sie selbst keinen Ausweg aus einem Konflikt mehr sehen.

Fazit
  • Bei einem Konflikt stoßen zwei Parteien oder Personen zusammen: Sie stören sich in ihren Handlungen und nehmen auch eigenen Schaden in Kauf, um zu gewinnen.

  • Das Gefühl der mangelnden Wertschätzung und hohe Arbeitsbelastung sorgen für Konflikte zwischen den Berufsgruppen.

  • Unter ärztlichen Kollegen führen z. B. unterschiedliche Abläufe der verschiedenen Funktionseinheiten zu Problemen.

  • Eskalationen können vermieden werden, indem man

    • aktiv und wertschätzend kommuniziert,

    • Probleme rechtzeitig anspricht,

    • auf Balance zwischen Nähe und Distanz zu Kollegen achtet

    • und im Ernstfall Hilfe z. B. beim Supervisionsdienst einholt.

* Name geändert


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Abb. 1 Besonders zwischen den verschiedenen Berufsgruppen kommt es im Krankenhaus schnell zu Konflikten.