Dtsch Med Wochenschr 2015; 140(03): 155
DOI: 10.1055/s-0041-100279
Klinischer Fortschritt
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Forschung und Innovation müssen Grenzen überschreiten

Das „Scientific Panel for Health“ der Europäischen UnionTransboundary research and development in Europe: the EU Scientific Panel for Health
Michael P. Manns
1   Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie, Zentrum Innere Medizin, Medizinische Hochschule Hannover
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Publication Date:
06 February 2015 (online)

„Forschung wird zu Medizin“ war das Leitthema des letztjährigen Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Im Mittelpunkt stand dabei die Übertragung grundlagenwissenschaftlicher Erkenntnisse in den Praxis- und Klinikalltag – die translationale Forschung. In Deutschland wurden in den vergangenen Jahren Strukturen aufgebaut, um die internationale Konkurrenzfähigkeit der deutschen klinischen Forschung zu erhöhen. Aber in unserer globalisierten Welt können Forschung und Forschungsförderung nicht im nationalen Alleingang erfolgen – hier müssen zunehmend Grenzen überschritten werden.

Die Herausforderungen, denen unsere Gesellschaft und insbesondere unser Gesundheitssystem gegenüberstehen, sind enorm: Die alternde Bevölkerung, vor allem die steigende Zahl an Patienten mit chronischen Erkrankungen, die dank guter medizinischer Versorgung ein immer höheres Lebensalter erreichen, führen zu wachsenden Gesundheitskosten. Arbeitslosigkeit und verminderte Wirtschaftskraft in großen Teilen Europas gefährden die für das Gesundheitssystem notwendigen finanziellen Ressourcen. Das ist vor allem in den südeuropäischen Ländern bereits jetzt ein drängendes Problem, das u. a. einen „Brain Drain“, die Abwanderung junger Forscher in das außereuropäische Ausland zur Folge hat.

In der Folge ist ein Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen biomedizinischen Forschung zu befürchten: Schon jetzt ist ihr Anteil an den gesamten Forschungsausgaben in Europa nur halb so hoch wie in den USA. Während die Wirtschaft in den USA schwächelt, holt Asien auf: Entsprechend haben die jährlichen Ausgaben für Forschung und Innovation von 2007 bis 2013 in den USA um 1,9 % und in Europa um 0,4 % abgenommen. In asiatischen Ländern ist dagegen eine Zunahme zu verzeichnen: Spitzenreiter ist China mit 32,8 % vor Südkorea (11,4 %) und Singapur (10 %). Im bevölkerungsreichen Indien wurden in diesem Zeitraum 6,7 % mehr für Forschung und Entwicklung ausgegeben (NEJM 2014; 370: 3–6).

Bereits vor 5 Jahren haben sich europäische medizinische Fachgesellschaften, die über 300 000 Ärzte und Forscher vertreten, zu einer „Alliance for Biomedical Research in Europe“ zusammengeschlossen (http://www.biomedeurope.org) – mit dem Ziel, die Förderung biomedizinischer Forschung in Europa zu stärken, um ihre internationale Wettbewebsfähigkeit zu verbessern. Die vereinten Anstrengungen dieses Bündnisses haben die Europäische Kommission dazu veranlasst, unter dem Generaldirektorat „Forschung und Innovation“ im Rahmen des Programms Horizon 2020 ein Expertenpanel einzuberufen: das „Scientific Panel for Health“ (http://ec.europa.eu/programmes/horizon2020). Dem Gremium gehören 27 Vertreter verschiedener Fachgebiete aus ganz Europa an, die sich mit biomedizinischer Spitzenforschung befassen. Die Berufung in dieses Gremium erfolgte durch die Europäische Kommission nach den Kriterien wissenschaftliche Expertise / Exzellenz sowie Vertretung möglichst aller Fachgebiete der biomedizinischen Forschung aus Universitäten, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und forschender Pharmaunternehmen unter Berücksichtigung des geographischen Spektrums der EU. Aus Deutschland sind 5 Experten vertreten, darunter mit Jens Brüning und meiner Person auch zwei Internisten.

Die erste Vollversammlung des Panels fand am 13.1.2015 in Brüssel statt. Bei dieser Sitzung wurde die Roadmap für die kommenden Jahre festgelegt: Zunächst ist zu definieren, wo die wichtigsten Engpässe liegen und wie ihnen begegnet werden kann. Europaweit soll es einfacher werden, klinische Forschung zu betreiben und sich darüber auszutauschen. Die Speicherung und der Zugang zu Big Data ist ebenso ein Thema wie die Marktzulassung von Medikamenten und Medizinprodukten. Außerdem: Wie kann die Implementierung von gesicherten Erkenntnissen in die Praxis verbessert werden? Eine Arbeitsgruppe wird sich zunächst damit befassen, Trends und Herausforderungen zu benennen, Gebiete der Exzellenz in Europa zu identifizieren und neue Modelle der Forschungsförderung zu erarbeiten. So brauchen wir z. B. einen „High-risk fund“, aus dem ungewöhnliche, innovative Projekte gefördert werden, die naturgemäß ein hohes Erfolgsrisiko beinhalten.

Fazit | Forschung muss grenzüberschreitend sein – denn Krankheiten kennen keine Grenzen. Europa muss auch im Bereich der biomedizinischen Forschung und Innovation dauerhaft eine Spitzen position einnehmen, um den Herausforderungen, die auf uns zukommen, gewachsen zu sein. Die Einrichtung des „Scientific Panel for Health“ der Europäischen Kommission ist ein guter Schritt in die richtige Richtung – auf die Ergebnisse und Empfehlungen dürfen wir gespannt sein.