Dtsch Med Wochenschr 2015; 140(05): 310
DOI: 10.1055/s-0041-100564
Aktuell publiziert
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Risikofaktoren: Nach Infarkt sind Männer und Frauen unterschiedlich gefährdet

Ute Seeland
1   Institut für Geschlechterforschung in der Medizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin
› Author Affiliations
van Loo et al.
Sex dependent risk factors for ….

BMC Medicine 2014;
12: 242
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Korrespondenz

Dr. med. Ute Seeland
Institut für Geschlechterforschung in der Medizin, Charité- Universitätsmedizin Berlin

Publication History

Publication Date:
03 March 2015 (online)

 

Die Sterblichkeit nach einem Myokardinfarkt hängt vom Alter und Komorbiditäten ab. Ob es auch Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, war bislang umstritten. Eine internationale Gruppe zeigte nun, dass das Geschlecht zusammen mit anderen Risikofaktoren die Überlebenswahrscheinlichkeit beeinflusst.


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In 16 Studien aus 9 Ländern (1985–2006) wurden die Daten von 10 512 Patienten erfasst, die wegen eines Myokardinfarktes stationär behandelt worden waren. Die Patienten waren im Mittel 61 Jahre alt, 71 % waren männlich. 19 % der Studienteilnehmer hatten bereits zuvor einen Infarkt erlitten. Während der Nachbeobachtungzeit von im Mittel 3,6 Jahren starben 14 % der Patienten.

Die Daten wurden mithilfe der LASSO-Regressionsanalyse (Least Absolute Shrinkage and Selection Operator) ausgewertet. Die folgenden Faktoren sagten zuverlässig die Sterblichkeit voraus:

  • hohes Alter (> 70 Jahre),

  • vorhergehende Infarkte

  • Herzinsuffizienz

  • schlechte linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF)

  • Diabetes mellitus

  • niedriger BMI (< 20 kg / m2)

Die Autoren fanden hierbei unterschiedliche Risikomuster für Männer und Frauen. Unter Anwendung der Cox-Regressionsanalyse konnten die Autoren zeigen, dass

  • Gruppe < 50 Jahre: Frauen gefährdeter als Männer (hazard ratio [HR] 0,7 vs. 0,4)

  • Gruppe mit Depressionen: Männer gefährdeter als Frauen (1,4 vs. 1,1)

  • Gruppe mit niedriger LVEF: Männer gefährdeter als Frauen (1,7 vs. 1,3).

Die Autoren stellten fest, dass u. a. Bluthochdruck, Herzfrequenz, Nierenfunktion und EKG-Befund relevante Risikofaktoren sind und ihr Zusammenspiel in weiteren Studien untersucht werden sollte. Insgesamt müsste man Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Risikofaktoren und geschlechtsspezifische Unterschiede berücksichtigten.

Dr. Susanne Bossenmayer, Stuttgart

Kommentar aus der Praxis

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Dr. med. U. Seeland

Die Daten in dieser Studie stammen weltweit aus 9 Ländern mit unterschiedlichem soziokulturellem Hintergrund – aus einer Zeit, in der die moderne Herzinfarkttherapie erst am Anfang stand. Auch wenn sich das absolute Sterberisiko nach Infarkt durch verbesserte Therapien reduzieren lässt, so zeigt die Datenanalyse von van Loo et al., dass die Berechnung epidemiologischer Größen getrennt nach Geschlecht und Alter zu individuelleren Vorhersagen führt. So ist es nur konsequent, komplexe Datenanalysen zu den Wechselwirkungen der einzelnen Risikofaktoren durchzuführen. Wenn man die geschlechtsspezifischen unterschiedlichen Effektstärken der einzelnen Faktoren berücksichtigt, dann können Morbidität und Mortalität genauer berechnet werden.

Die Kunst ist es nun, die relevanten Risikofaktor-Konstellationen zu bestimmen, die es im klinischen Alltag erlauben, besonders gefährdete Personengruppen zu erkennen. Frauen sind älter, wenn sie einen Herzinfarkt erleiden, weisen mehr Komorbiditäten auf und sind häufiger depressiv als Männer.

Die Studie von van Loo zeigt aber ebenso: Treffen die Risikofaktoren hohes Alter (> 70 Jahre), eingeschränkter LVEF und erhöhte Depressionsscores zusammen, beträgt die 3-Jahres-Gesamtsterblichkeit bei Männern 65 % – bei Frauen hingegen 55 %. Besonders gefährdet sind jüngere Frauen (< 60 Jahre). Sie haben ein nahezu doppelt so hohes Sterberisiko nach Infarkt als gleichaltrige Männer. Seit nun 15 Jahren wird an den Ursachen geforscht.

Studien mit einem systematischen geschlechtsspezifischen Ansatz sind unterwegs. Sie sollen Kenntnisse zu "neuen" Risikofaktoren wie Schwangerschaftskomplikationen und Autoimmunerkrankungen liefern und Diagnosekriterien zur Depression bei Männern neu bewerten. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die Risikobewertung von Frauen, die aufgrund einer mikrovaskulären koronaren Herzerkrankung unter anhaltenden Symptomen leiden.

Insgesamt sind das vielversprechende Ansätze, um in Zukunft geschlechtsspezifische Scores zu berechnen. Das könnte uns helfen, diejenigen Frauen und Männer zu erfassen, deren Sterberisiko nach Infarkt wir bisher unterschätzt haben.


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Interessenkonflikte: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenz

Dr. med. Ute Seeland
Institut für Geschlechterforschung in der Medizin, Charité- Universitätsmedizin Berlin


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