Dtsch Med Wochenschr 2015; 140(08): 616-617
DOI: 10.1055/s-0041-101458
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Akuter Oberbauchschmerz

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Publication Date:
16 April 2015 (online)

 

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     Sie haben Aufnahmedienst im Krankenhaus. Ihnen wird ein 45-jähriger Mann zugewiesen, der seit 3 Stunden unter stärksten Oberbauchschmerzen leidet. Die Beschwerden haben relativ plötzlich begonnen und betreffen den gesamten Oberbauch. Es besteht eine latente Übelkeit, der Patient hat einmal erbrochen. Keine Vorerkrankungen, keine regelmäßigen Medikamenteneinnahmen. Woran denken Sie? 

    Antwort Bild des akuten Abdomens mit der entsprechenden Differenzialdiagnose: Erkrankungen der Hohlorgane, der parenchymatösen Organe, der Gefäße sowie Erkrankungen extraabdomineller Organe mit Schmerzlokalisation im Abdomen.

    Kommentar Akutes Abdomen:

    • akute starke bis sehr starke abdominelle Schmerzen,

    • V. a. abdominelle Ursache,

    • potenziell bedrohliches Krankheitsbild.

    Ursachen des akuten Abdomens:

    Hohlorgane:

    • Ulcus ventriculi und duodeni, perforiert und nichtperforiert,

    • Divertikulitis, perforiert oder nichtperforiert,

    • inkarzerierte Hernie,

    • entzündliche Darmerkrankung,

    • Appendizitis,

    • akute Cholezystitis,

    parenchymatöse Organe:

    • akute Pankreatitis,

    • Nephrolithiasis,

    • Milzinfarkt,

    Gefäße:

    • Mesenterialinfarkt,

    • dissezierendes Aortenaneurysma,

    gynäkologische Ursachen:

    • Tubarruptur,

    • Extrauteringravidität,

    extraabdominelle Ursachen:

    • Myokardinfarkt,

    • Lungenembolie,

    • Pleuritis,

    • Herpes zoster,

    • diabetische Ketoazidose u. a.

    Welches ist die erste und wichtigste Untersuchung ? 

    Antwort  Körperliche Untersuchung, abdomineller Befund.

    Kommentar  Mögliche Untersuchungsbefunde beim akuten Abdomen:

    Auskultation:

    • spärliche Darmgeräusche,

    • klingende Darmgeräusche,

    • fehlende Darmgeräusche,

    Palpationsbefund:

    • deutliche Abwehrspannung,

    • generalisierte Abwehrspannung,

    • brettharter Bauch,

    • Gummibrauch,

    • Druckschmerz,

    • Klopfschmerz,

    • Loslassschmerz,

    • Resistenzen.

    Nicht vergessen: Bruchpforten abtasten, rektale Untersuchung, gynäkologische Untersuchung.

    Welche Laboruntersuchungen veranlassen Sie? 

    Antwort  Beim Bild des akuten Abdomens sollen zum einen die Untersuchungen durchgeführt werden, die zur Diagnostik des anamnestisch und aufgrund der Untersuchung vermuteten Krankheitsbildes gehören, zusätzlich sollen obligatorische Untersuchungen im Hinblick auf die häufigsten Differenzialdiagnosen durchgeführt werden.

    Kommentar  Basisdiagnostik beim akuten Abdomen:

    Labor:

    • Blutbild,

    • Quick, PTT,

    • CRP,

    • CK,

    • Kreatinin,

    • GPT, Gamma-GT,

    • Amylase, Lipase,

    • Glukose,

    • Urinstatus.

    Sonografie:

    • Abdomen,

    Röntgen:

    • Thorax in 2 Ebenen,

    • Abdomenübersicht im Stehen und in Linksseitenlage,

    EKG.

    Der Patient zeigt folgende Laborbefunde:

    • Leukozyten 14 000 / μl,

    • Hb 12 g / dl,

    • GPT 22 U / l,

    • CK 55 U / l,

    • Amylase 780 U / l.

    Woran denken Sie?

    Antwort  An eine akute Pankreatitis.

    Kommentar  Diagnose der akuten Pankreatitis:

    • klinisches Bild,

    • Erhöhung von Lipase und Amylase im Serum,

    • Erhöhung der Amylase im Urin,

    • Ultraschall.

    Welche Untersuchung halten Sie für aussagekräftiger? Die Untersuchung auf Amylase im Urin oder im Serum? 

    Antwort  Die Untersuchung im Urin. Die Serumamylase kann zum Untersuchungszeitpunkt ihr Maximum bereits überschritten haben oder sogar bereits wieder normal sein.

    Kommentar  Die Urinamylase ist empfindlicher beim Nachweis einer passageren Amylasämie.

     Ist die Amylaseerhöhung im Serum spezifisch für Pankreaserkrankungen? 

    Antwort  Nein. Die Amylase ist kein pankreasspezifisches Enzym, mit der Gesamtamylase werden mehrere Isoamylasen bestimmt. An diesen hat die Speichelamylase den größten Anteil.

    Kommentar  Ursachen einer Hyperamylasämie:

    Pankreas:

    • Pankreatitis akut und chronisch,

    • Pankreaskarzinom,

    • Pankreastrauma,

    • Mukoviszidose,

    Speicheldrüse:

    • Parotitis,

    • Trauma,

    • Obstruktion,

    Magen-Darm-Trakt:

    • Ulkusperforation,

    • Mesenterialinfarkt,

    • mechanischer Ileus,

    • Appendizitis,

    • Peritonitis,

    Leber:

    • Hepatitis,

    • Zirrhose,

    • Alkoholabusus,

    Nieren:

    • Nierenversagen,

    Genitalorgane:

    • Extrauteringravidität,

    Lunge:

    • Pneumonie,

    • Tuberkulose,

    • Bronchialkarzinom,

    Verschiedenes:

    • Verbrennungen,

    • Medikamente,

    • Aortenaneurysma,

    • diabetische Azidose.

    Gibt es überhaupt pankreasspezifische Enzyme? 

    Antwort  Ja, die Lipase und die Elastase I Diese sind auch sehr sensitiv.

    Kommentar  Sensitivität der Laborwerte für die akute Pankreatitis 2–4 Tage nach Beginn der akuten Beschwerdesymptomatik:

    • Elastase 1 > 90 %,

    • Lipase 70–80 %,

    • Amylase 30 %.

    Regel Die Lipase und die Elastase I sind pankreasspezifische Enzyme.

    Sie haben jetzt einen Ultraschall durchgeführt und das Pankreas ist völlig unauffällig. Was hat der Mann denn nun? 

    Antwort Auch bei unauffälligem Ultraschall sprechen das klinische Bild und eine deutliche Erhöhung der Serumamylase, insbesondere wenn gleichzeitig die Lipase und die Urinamylase erhöht sind, trotzdem weiterhin für eine akute Pankreatitis. Sonografisch erfassbare Veränderungen können in frühen Stadien der akuten Pankreatitis noch fehlen.

    Kommentar Sonografische Kennzeichen der akuten Pankreatitis:

    direkte Zeichen:

    • Vergrößerung des Pankreas,

    • echoarmes aufgelockertes, unregelmäßiges Echomuster,

    • fokale echofreie Bezirke,

    • fokale echodichte Bezirke,

    Begleitveränderungen:

    • Aszites, Flüssigkeitssaum um das Pankreas,

    • Nekrosestraßen,

    • Pleuraerguss,

    zusätzlich möglich:

    • Gallensteine,

    • extrahepatische Cholestase.

    Können Sie uns etwas zu den Ursachen der akuten Pankreatitis sagen?  

    Antwort Häufigste Ursachen sind Erkrankungen der Gallenwege, insbesondere die Cholelithiasis, gefolgt von Alkoholabusus. Andere Ursachen sind seltener.

    Kommentar Ursachen der akuten Pankreatitis:

    • Gallensteine 50 %,

    • Alkohol 30 %,

    • andere Ursachen 20 %:

    • Infektionen (Bakterien, Viren, Protozoen u. a.),

    • Pancreas divisum,

    • Duodenaldivertikel,

    • idiopathisch,

    • Pankreaskarzinom, andere Malignome, Karzinoid,

    • NHL,

    • Metastasen,

    • Trauma,

    • entzündliche Erkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, primär sklerosierende Cholangitis),

    • Stoffwechselerkrankungen (Hyperlipidämie, Hyperkalzämie),

    • Systemerkrankungen (Lupus erythematodes, Sarkoidose),

    • Medikamente (Azathioprin, Diuretika, Östrogene, Sulfonamide, Tetracycline, Zytostatika, Valproinsäure, Kortikoide u. a.),

    • iatrogen (ERCP, Manometrie, chirurgische Eingriffe).

    Regel Häufigste Ursache der akuten Pankreatitis: Gallensteine, dann Alkohol.

     Welche therapeutischen Möglichkeiten bestehen bei der akuten Pankreatitis? 

    Antwort Konservative Behandlung mit dem Ziel, Komplikationen zu vermeiden bzw. zu behandeln sowie Schmerzen zu lindern, minimal invasive Therapie sowie als ultima ratio die chirurgische Therapie.

    Kommentar Vorgehen bei akuter Pankreatitis:

    • bei akuter interstitieller / ödematöser Pankreatitis ohne V. a. obstruktive Ursache: konservativ,

    • bei akuter interstititieller / ödematöser Pankreatitis mit V. a. obstruktive Ursache: frühe ERCP,

    • bei nekrotisierender Pankreatitis: primär Versuch einer intensivmedizinischen Therapie, bei Versagen Operation.

    Was sind die Operationsindikationen bei der akuten Pankreatitis?  

    Antwort Konservativ nicht beherrschbare Organkomplikationen, Blutungen, infizierte Nekrosen.

    Kommentar Indikationen zur chirurgischen Therapie bei akuter Pankreatitis:

    • fehlendes Ansprechen auf konservative Therapie mit Organkomplikationen: pulmonale Insuffizienz, Nierenversagen, Schocksymptomatik,

    • infizierte Nekrosen und Sepsis,

    • Arrosionsblutung,

    • Perforation, Stenosen, Fisteln.

    Nachdruck aus:

    Berthold Block, Facharztprüfung Innere Medizin, 3000 kommentierte Prüfungsfragen

    4. Aufl., kompl. überarb. akt. 2011, 576 S., 106 Abb., kart. ISBN: 9783131359544


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