Dtsch Med Wochenschr 2015; 140(21): 1611-1613
DOI: 10.1055/s-0041-106022
Fachwissen
Kasuistik
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Folgen einer Partynacht

Partynight outcome
Anne Frederike Wunder
1   Klinik für Innere Medizin mit Schwerpunkt Gastroenterologie / Hepatologie, Albertinen-Krankenhaus Hamburg
,
Michael Oelckers
1   Klinik für Innere Medizin mit Schwerpunkt Gastroenterologie / Hepatologie, Albertinen-Krankenhaus Hamburg
,
Guntram Lock
1   Klinik für Innere Medizin mit Schwerpunkt Gastroenterologie / Hepatologie, Albertinen-Krankenhaus Hamburg
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Anne F. Wunder
Klinik für Innere Medizin mit Schwerpunkt Gastroenterologie / Hepatologie, Albertinen-Krankenhaus Hamburg

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Publication Date:
21 October 2015 (online)

 

Zusammenfassung

Anamnese und klinischer Befund: Eine 18-jährige Patientin mit progredienter Odynodysphagie wurde mit einer schweren, endoskopisch nicht passierbaren hämorrhagischen Ösophagitis stationär aufgenommen. Drei Wochen zuvor hatte sie auf einer Party aus einer kleinen Flasche mit ihr unbekanntem Inhalt getrunken. Wie sich später herausstellte, handelte es sich hierbei um die Schnüffel-Party- und Sex-Droge „Poppers“. Zum Aufnahmezeitpunkt bereiteten der Patientin selbst das Schlucken von Flüssigkeiten und Speichel Schwierigkeiten; sie hatte in den vergangenen Wochen 8 kg abgenommen. Bei der klinischen Untersuchung fanden sich neben einer Tachykardie ein leichter epigastrischer Druckschmerz und spärliche Darmgeräusche.

Untersuchungen, Therapie und Verlauf: Die initiale Endoskopie zeigte eine massive Ösophagusverätzung mit einer auch für das 4,9 mm-Gerät nicht passierbaren Stenose bei ca. 40 cm ab Zahnreihe. Nach einer passager eingelegten Ernährungssonde konnte die Stenose wenige Tage später passiert und im Verlauf mittels Savary-Bougies dilatiert werden. Im Verlauf der nächsten Jahre kam es zu Restenosierungstendenzen durch Narbenbildung, die unter zusätzlicher Anwendung von Steroidinjektionen mit Triamcinolon und Nadelmesserinzisionen in der Longitudinalachse des Ösophagus behandelt wurden. Der Ösophagus ist auch 5 Jahre nach der Ingestion weiterhin langstreckig vernarbt und mäßig stenosiert.

Folgerung: Die Partydroge Poppers, ein in den letzten Jahren zunehmend als „Schnüffelstoff“ verwendetes organisches Nitrit oder Nitritgemisch, kann nach akzidenteller Ingestion zu schweren lebensbedrohlichen oder invalidisierenden Ösophagusverätzungen führen. Bei einer (auch unspezifischen) Erstsymptomatik nach oraler Ingestion einer unbekannten flüssigen Partydroge sollte an die Möglichkeit einer Ingestion von Poppers gedacht werden.


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Abstract

History and clinical findings: An 18 year old girl was admitted with progressive painful dysphagia and a severe hemorrhagic endoscopically impassable esophagitis. She reported to have consumed an unknown liquid from a small flask on a party three weeks ago. Later on, this liquid was identified as a party- and sex-drug known as „Poppers“, designed to be consumed by sniffing. On admission she had difficulties in swallowing liquids and even saliva. She had lost 8 kg of weight during the last 3 weeks. Clinical examination revealed tachycardia, a moderate tenderness in the epigastrium and sparse bowel sounds.

Investigation and treatment: On endoscopy, there was a severe corrosion injury of the esophagus with a consecutive stenosis at 40 cm ab ore. The stenosis could not be passed even with a 4.9 mm instrument. After initial placement of a feeding tube the stenosis was dilated with Savary-Bougies. In the following years, the patient suffered from recurrent stenosis due to excessive scar formation. Repeated treatment with longitudinal incisions by needle knife and steroid injections improved symptoms to a tolerable degree. 5 years after ingestion, the patient still carries a long segment esophageal scarring with mild to moderate stenosis.

Conclusion: The party drug Poppers is an organic nitrogen compound that has increasingly come into use over the past years. It may cause severe and life threatening esophageal chemical burn injury. Symptoms of painful dysphagia after intake of an „unknown“ liquid party drug should raise the suspicion of an accidental oral ingestion of Poppers.


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Verätzungen des Ösophagus entstehen üblicherweise akzidentell oder in suizidaler Absicht. Sie können zu schweren akuten und chronischen Krankheitsbildern führen: Neben lebenslangen Dysphagiebeschwerden durch rezidivierende Strikturen besteht mittel- und langfristig auch ein erhöhtes Risiko für eine Karzinomentwicklung. Wir berichten hier über den ungewöhnlichen Fall einer ausgeprägten Ösophagusverätzung nach irrtümlichem Trinken einer „Schnüffel“-Partydroge.

Anamnese | Eine 18-jährige Patientin wurde nach einer ambulanten Ösophagoskopie unter der Diagnose einer schweren und nicht passierbaren hämorrhagischen Ösophagitis als Notfall eingewiesen. In den vorangegangenen 3 Wochen war für die Patientin die Aufnahme fester Nahrung immer mühsamer geworden und in den letzten Tagen gar nicht mehr möglich gewesen. Zuletzt konnte sie auch flüssige Speisen und selbst Speichel nur noch mit größerer Anstrengung und unter Schmerzen schlucken. Innerhalb von 3 Wochen hatte sie 8 kg Körpergewicht verloren.

Ursache der Beschwerden | Auf genaueres Nachfragen gab die Patientin an, dass sie vor Beginn der Symptomatik vom Freund eines Freundes auf einer Party ein Fläschchen mit einem ihr unbekannten Inhalt erhalten habe und zum Probieren aufgefordert worden sei. Statt die Dämpfe des Inhalts zu inhalieren, habe sie aus Unkenntnis bezüglich der Anwendung einen Schluck aus dem Fläschchen getrunken. Nach der Ingestion wäre sie für einen kurzen Moment bewusstlos geworden. Aufgrund der Synkope sei sie in die Notaufnahme einer nahegelegenen Klinik eingeliefert worden. In der Notaufnahme seien zunächst abdominelle Krämpfe aufgetreten. Nach Abklingen der Symptome sei sie ohne weitere spezifische Diagnostik aus der dortigen Notaufnahme entlassen worden.

Körperliche Untersuchung | Zum Zeitpunkt der Aufnahme befand sich die sehr schlanke Patientin (BMI 16,6 kg / m²) in einem schmerzbedingt leicht reduzierten Allgemeinzustand.

  • Die Herzfrequenz war mit 102 Schlägen / Minute erhöht.

  • Der Blutdruck lag bei 119 / 67 mmHg.

  • Der internistische Untersuchungsbefund war ansonsten, bis auf einen leichten epigastrischen Druckschmerz und spärliche Darmgeräuschen, nicht wegweisend.

Laborbefunde | Zum Zeitpunkt der Aufnahme waren die Laborwerte – bis auf ein geringgradig erhöhtes CRP (29,75 mg / l) – unauffällig.

Endoskopie | Ösophagoskopisch wurde eine massive Ösophagusverätzung festgestellt, die knapp unterhalb des oberen Ösophagussphinkters (ca. 20 cm ab Zahnreihe) begann. Bei ca. 40 cm fand sich eine höchstgradige Stenose: Selbst mit einem ultradünnen flexiblen Gastroskop (4,9 mm Durchmesser) konnte diese nicht passiert werden (Abb.  [ 1 ]). Der histologische Befund einer Biopsie aus dem mittleren Drittel des Ösophagus passte zu einer chemisch-induzierten Schleimhautschädigung.

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Abb. 1 (A) und (B) Ösophagoskopie 3 Wochen nach Ingestion: Schwere chemisch induzierte hämorrhagische Ösophagitis.

Initiale Therapie | Während der initialen Endoskopie wurde unter Durchleuchtung eine Drahtpassage durchgeführt. Der Patientin wurde anschließend eine 12-French-Ernährungssonde in Seldinger-Technik eingelegt. Über diese wurde sie zunächst enteral ernährt. 3 Tage später wurde die Sonde entfernt. Daraufhin konnte die distale Ösophagusstenose mit dem 4,9 mm Gastroskop passiert werden. Der Magen war endoskopisch-makroskopisch unauffällig. Mit Savary-Bougies gelang es, die Speiseröhre der Patientin zu dilatieren – beginnend mit einem Savary-Bougie von 5 mm bis hin zu einem Durchmesser von 9 mm. Anfänglich war das Behandlungsergebnis gut: Der Ösophagus weitete sich durch Bougieren schrittweise auf 11 mm.

Therapie im Verlauf | 5,5 Monate später diagnostizierten wir eine Restenosierungstendenz mit z. T. ausgeprägten Narbenbildungen (Abb.  [ 2 ]). Durch Nadelmesser-Inzisionen in der Longitudinalachse des Ösophagus und Steroidinjektionen mit Triamcinolon ließen sich die Narben schließlich mit gutem Ergebnis behandeln (Übersicht zu entsprechenden Techniken unter [1]). Nach zunächst über 2-jähriger Beschwerdefreiheit stellte sich die Patientin mit wiederaufgetretener Dysphagie beim Schlucken von festen Speisen aufgrund einer Ösophagusenge vor. Ihre Speiseröhre musste erneut stufenweise von 11,8 mm auf 15 mm bougiert werden. Auch 3 Jahre nach der ersten Bougierung war der Ösophagus noch langstreckig mäßig stenosiert und vernarbt (Abb.  [ 3 ]). Seit 2 Jahren, insgesamt 5 Jahre nach der ersten Behandlung, ist die Patientin nun anhaltend beschwerdefrei.

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Abb. 2 (A) und (B) Ösophagoskopie ca. ein halbes Jahr später: Restenosierung durch Narbenbildung.
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Abb. 3 Ösophagoskopie nach 3 Jahren: Langstreckig vernarbter Ösophagus.

Diskussion

Beliebte Partydroge | Wie sich nach Recherchen im Umfeld der Patientin herausstellte, handelte es sich bei dem konsumierten Inhalt des Fläschchens um die seit den 1970er Jahren beliebte Party- und Schnüffeldroge Poppers. Der Name Poppers leitet sich von dem Geräusch ab, das beim Öffnen der Glasfläschchen entsteht (to pop – knallen), in denen die Substanzen ehemals erhältlich waren. Auch die Schraubverschlüsse der heutigen bunten Plastikfläschchen „ploppen“ aufgrund des höheren Drucks in der Flasche beim Öffnen hörbar [2]. In der Szene sind Poppers auch unter den Namen „flüssiges Gold“, „Rave“, „Snappers“ oder „Rush“ bekannt.

Konsum ist legal | Obwohl sie als Schnüffeldroge verwendet werden, unterliegen Poppers nicht dem Betäubungs-, sondern aufgrund der ursprünglichen Herkunft des Stoffes dem Arzneimittelgesetz. Der Besitz und Konsum ist in Deutschland dadurch legal. Da der Handel jedoch gegen das Arzneimittelgesetz verstößt, werden Poppers unter Angaben falscher Verwendungszwecke, etwa als „Reinigungsmittel“, „Video-Tonkopfreiniger“, „Zimmerduft“ oder „Lederputzmittel“ bereits für 5–10 € pro Flasche verkauft.

Nach einer aktuellen französischen Arbeit ist der Konsum von Poppers zwischen den Jahren 2000 und 2010 erheblich angestiegen.

Laut dieser Arbeit haben über 5 % der 18–64-Jährigen zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens diese Droge konsumiert. Damit sei sie nach Cannabis die am zweithäufigsten verwendete Droge [3].

Ursprünglich angewandt bei Angina pectoris | Die bei Raumtemperatur gelbe, flüssige, leicht flüchtige Schnüffeldroge hat einen fruchtigen und süßen Geruch.

Der Wirkstoff ist meist ein organisches Nitrit, wie Amylnitrit, Butylnitrit, Isoamylnitrit und Isopropylnitrit, oder ein entsprechendes Gemisch dieser Nitrite.

Organische Nitrite wie Amylnitrit wirken als Stickstoff-Donatoren. Sie wurden Jahrzehnte zur Behandlung der Angina pectoris verwendet, jedoch aufgrund ihrer kurzen Wirkdauer (wenige Minuten) später durch andere Medikamente ersetzt [2].

Kurzer Rausch mit starken Nebenwirkungen | Das Schnüffeln von Poppers führt zu einer kurzen relaxierenden Wirkung an der gatten Muskulatur und zu einer Vasodilatation. Es resultiert ein etwa 5 bis 10-minütiger Rauschzustand von Zeitlosigkeit, einhergehend mit

  • Hitzegefühl,

  • Muskelentspannung,

  • vermindertem Schmerzempfinden,

  • sexueller Luststeigerung und

  • Hemmungslosigkeit.

Die Dauer des Rausches ist abhängig von der inhalierten Menge [4]. Die Party- und Sexdroge Poppers ist insbesondere in homosexuellen Kreisen beliebt, da sie aufgrund der muskelrelaxierenden Wirkung auf den Schließmuskel den Analverkehr erleichtert [5].

Cave Nebenwirkungen von Poppers:

  • Tachykardie

  • Hypotension

  • Schwindel

  • Hitzewallungen

  • Nausea / Erbrechen

  • Nitritinduzierte Cephalgien

  • Methämoglobinämie [6], [7] und hämolytische Anämie [8], [9], [10]

Bei wiederholten Anwendungen:

  • Dermatitis [11]

  • Makulopathie [12]

  • Visusverlust [13]

Schwere Verätzungen möglich | Im Internet wird immer wieder vor dem Kontakt von Poppers mit Schleimhäuten gewarnt. Schwere Verätzungen durch Inhalation oder gar Ingestion von Poppers lassen sich auf die Herstellung mit salpetriger Säure zurückführen [14], [15].

Zunehmender Konsum – häufigere Unfälle? | Ein ähnlicher Fall wie der von uns berichtete ist in der medizinischen Fachliteratur nicht zu finden (Pubmed recherche mit [„alkyl nitrite“ OR „amyl nitrite“ OR „poppers“] AND [„esophagus“ OR „stricture“]). Lediglich in der Laienpresse ist (neben der Beschreibung unseres Falles) ein tödlich endender Fall zu finden: Eine 21-jährige Frau hatte in einer Diskothek ebenfalls aus Unwissenheit Poppers getrunken, statt die Dämpfe zu inhalieren. Sie starb wenige Tage danach im Krankenhaus [16]. Aufgrund des offenbar erheblich zunehmenden Gebrauchs dieser Droge dürfte auch die Wahrscheinlichkeit versehentlicher oraler Ingestionen mit den hier beschriebenen fatalen Konsequenzen ansteigen.

Konsequenz für Klink und Praxis
  • Bei Ingestion von flüssigen Partydrogen unbekannten Inhalts ist daran zu denken, dass es sich um die versehentliche Ingestion eines „Schnüffelstoffes“ gehandelt haben könnte.

  • Initiale Symptome sind hierbei oft unspezifisch. Eine ausführliche Anamnese, – ggf. Fremdanamnese – ist daher unbedingt notwendig.

  • Eine versehentliche orale Ingestion von Poppers ist ein akuter Notfall und kann zu schweren, akut lebensbedrohlichen oder mit schweren Spätfolgen assoziierten Ösophagusverätzungen führen.


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Anne Frederike Wunder

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ist Assistenzärztin der Klinik für Innere Medizin mit Schwerpunkt Gastroenterologie / Hepatologie, Albertinen-Krankenhaus Hamburg
Anne.wunder@albertinen.de

Michael Oelckers

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ist Oberarzt der Klinik für Innere Medizin mit Schwerpunkt Gastroenterologie / Hepatologie, Albertinen-Krankenhaus Hamburg
michael.oelckers@albertinen.de

Prof. Dr. Guntram Lock

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ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin mit Schwerpunkt Gastroenterologie / Hepatologie Albertinen-Krankenhaus Hamburg
guntram.lock@albertinen.de

Interessenkonflikte: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenz

Anne F. Wunder
Klinik für Innere Medizin mit Schwerpunkt Gastroenterologie / Hepatologie, Albertinen-Krankenhaus Hamburg


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Abb. 1 (A) und (B) Ösophagoskopie 3 Wochen nach Ingestion: Schwere chemisch induzierte hämorrhagische Ösophagitis.
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Abb. 2 (A) und (B) Ösophagoskopie ca. ein halbes Jahr später: Restenosierung durch Narbenbildung.
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Abb. 3 Ösophagoskopie nach 3 Jahren: Langstreckig vernarbter Ösophagus.