ergopraxis 2015; 8(10): 12-13
DOI: 10.1055/s-0041-106562
wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Therapie mit System – Ergotherapeutische Prozessmodelle

Florence Kranz

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Publication Date:
09 October 2015 (online)

 

Befunde erheben, Ziele entwickeln, Therapien planen. Der Therapieprozess ist komplex und fordert uns bei jedem Klienten neu heraus. Prozessmodelle helfen dabei, den Überblick zu behalten und systematisch vorzugehen.


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Florence Kranz

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Florence Kranz
Ergotherapeutin BcOT und M.A. Gesundheitsmanagement, arbeitet freiberuflich als Journalistin, Redakteurin und Dozentin.

Vom Beginn der Therapie bis hin zu ihrem Abschluss durchlaufen Ergotherapeuten mit ihren Klienten ein komplexes Problemlösungsverfahren, den ergotherapeutischen Prozess. Dieser setzt sich aus einer Reihe von Aktionen zusammen, welche die Ergotherapeutin initiiert [1]. Sie erhebt einen Befund, plant und gestaltet Interventionen und evaluiert die Ergebnisse [1, 2]. Die Therapie verläuft dabei nicht linear, sondern in einem zirkulären Prozess [1]. Das heißt: Besteht nach der Bewertung noch Therapiebedarf, beginnt das Ganze wieder von vorne. Ergotherapeutische Prozessmodelle helfen dabei, die Phasen bewusst zu gestalten [1, 3]. Damit ergänzen sie ergotherapeutische Inhaltsmodelle wie das Model of Human Occupation (MOHO), das Canadian Model of Occupational Performance and Engagement (CMOP-E) oder das Kawa-Modell, die theoretische Zusammenhänge ordnen und präsentieren (ERGOPRAXIS 7-8/15, S. 12) [4].

Therapieren heißt Probleme lösen

Der ergotherapeutische Prozess basiert auf einem Problemlösungsverfahren. Es geht darum, ein Problem zu benennen, einzuordnen und zu lösen. So kann die Ergotherapeutin ihren Klienten dazu befähigen, von einem Ist-Zustand zu einem angestrebten Soll-Zustand zu kommen. Zu diesem Zweck muss sie Daten sammeln und analysieren, das Problem identifizieren, Ziele und Lösungswege festlegen, einen Plan erstellen und umsetzen sowie das Ergebnis prüfen. Dieser Ablauf ist nicht einzigartig für die Ergotherapie [5]. Er wird von unterschiedlichen Professionen genutzt, auch von Pflegekräften. Zum ergotherapeutischen Prozess wird das Problemlösungsverfahren erst dann, wenn eine Ergotherapeutin es durchläuft. Denn sie bringt ihre professionellen Wertvorstellungen, Überzeugungen, Kenntnisse und Fertigkeiten ein [5]. Hierzu gehört auch ihre klientenzentrierte Haltung, mit der sie den Klienten aktiv in den ergotherapeutischen Prozess einbezieht.

» Der ergotherapeutische Prozess ist ein Problemlösungsverfahren. «


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Schritt für Schritt klientenzentriert

Um dieses klientenzentrierte Vorgehen zu veranschaulichen, haben kanadische Ergotherapeuten um Helen Polatajko dem Inhaltsmodell CMOP-E ein eigenes Prozessmodell zur Seite gestellt: das Canadian Practice Process Framework (CPPF, ERGOPRAXIS 3/15, S. 28). Dieses Prozessmodell soll Ergotherapeuten dazu befähigen, eine klientenzentrierte, evidenzbasierte und reflektierte Praxis umzusetzen [3]. Es unterscheidet acht Aktionspunkte: Der Prozess startet damit, dass sich Klient und Therapeutin für die Zusammenarbeit entscheiden. Danach klären beide ihre Erwartungen ab und überlegen, welche Handlungsanliegen und -ziele in Frage kommen. Im dritten Schritt betrachten sie Faktoren, die das Handlungsanliegen beeinflussen. Diese können auf Ebene der Person, der Handlung oder der Umwelt angesiedelt sein. Sie wägen ab, wie sich das Handlungsanliegen am besten erklären lässt und welche Ziele und Pläne sie verfolgen möchten. Dann steht die Umsetzung der Pläne an sowie die Reflexion, ob sie den richtigen Weg eingeschlagen haben: Können sie das Handlungsanliegen mit den gewählten Befähigungsstrategien erreichen oder müssen sie ihr Vorgehen noch einmal anpassen? Im siebten Schritt ermitteln beide, inwieweit sie die Therapieziele erreicht haben und weitere Ziele verfolgen sollten. Zum Schluss entscheiden sie, ob sie die Therapie abschließen oder mit neuen Zielen und Inhalten weiterführen wollen [3].

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Die Therapie folgt einem Problemlösungsprozess – vom Erstkontakt bis zum Therapieende.
Abb.: Hagedorn R. Ergotherapie – Theorien und Modelle. Stuttgart: Thieme; 2000

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Ein Prozess, viele Ausdrucksformen

Nur wenige ergotherapeutische Inhaltsmodelle besitzen ein eigenes Prozessmodell. So ein „Modellpärchen“ stellen zum Beispiel auch die Vorläufer Canadian Model of Occupational Performance (CMOP) und das Occupational Performance Process Model (OPPM) dar [6]. Einzelne Inhaltsmodelle wie das Person-Environment- Occupation Model (PEOP) berufen sich hingegen auf eine bestimmte Prozessstruktur, ohne dieser einen Namen zu geben [7].

Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Das MOHO besitzt kein eigenes Prozessmodell, sondern verweist auf die Prozessbeschreibung im Occupational Therapy Practice Framework (OTPF) [8]. Dieses unterscheidet die drei Phasen Evaluation, Intervention und Outcomes. Dabei beschreibt Kielhofner genau, welche Reasoning- Strategien Ergotherapeuten während der einzelnen Phasen nutzen können: Bei der Befunderhebung entwickeln sie grundlegende Fragen dazu, welche Informationen sie benötigen. Diese können sie auf strukturierte und unstrukturierte Weise sammeln. So erarbeiten sie sich ein Bild vom Klienten, seinen Stärken und Herausforderungen. In der Interventionsphase entwickeln sie Ziele, planen und gestalten die Intervention. Danach steht die Bewertung der Outcomes an: Hier geht es erneut darum, Daten zu sammeln. Diesmal mit dem Ziel, sie mit den Ausgangsdaten zu vergleichen und den Therapieerfolg zu bewerten [8].

» Wie strikt sich Ergotherapeuten an die Prozessabfolge halten, hängt von ihrer Berufserfahrung ab. «


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Übung macht den Meister

So vielfältig Prozessmodelle oder - beschreibungen auch sein mögen, im Grunde lassen sie sich alle auf drei wesentliche Phasen reduzieren: Diagnostik, Intervention und Evaluation/Outcomes [2].

Wie strikt sich Ergotherapeuten an die beschriebene Prozessabfolge halten, hängt von ihrer Berufserfahrung ab. Auszubildende, Studenten oder Berufsanfänger finden darin fachliche Orientierung und Sicherheit. Erfahrene Ergotherapeuten lassen sich hingegen stärker von ihren Reasoning-Prozessen leiten. Das regt sie dazu an, immer wieder zwischen den einzelnen Phasen hin- und herzuswitchen [5]. Wie flexibel Ergotherapeuten auch vorgehen mögen, das bewusste Durchlaufen der Phasen bietet ihnen klare Vorzüge: Indem sie die Anliegen, Ressourcen und Herausforderungen des Klienten ermitteln, können sie die Therapie darauf anpassen und sensibel auf Veränderungen reagieren. Durch den wiederholten Einsatz von Assessments generieren sie selbst Evidenz. So können sie den Therapieerfolg gegenüber Klienten, Angehörigen, Ärzten und Kostenträgern verdeutlichen [9, 10]. Bevor sie sich wieder einem neuen Klienten oder einer neuen Zielstellung zuwenden und der ergotherapeutische Prozess von vorne beginnt.


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Florence Kranz
Ergotherapeutin BcOT und M.A. Gesundheitsmanagement, arbeitet freiberuflich als Journalistin, Redakteurin und Dozentin.
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Die Therapie folgt einem Problemlösungsprozess – vom Erstkontakt bis zum Therapieende.
Abb.: Hagedorn R. Ergotherapie – Theorien und Modelle. Stuttgart: Thieme; 2000