physiopraxis 2015; 13(10): 26-30
DOI: 10.1055/s-0041-107043
physiowissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Internationale Studienergebnisse


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Publication Date:
22 October 2015 (online)

 

VKB-Ersatzplastik – Extensionsdefizit aktiv oder passiv behandeln?

Bei einem Streckdefizit im Kniegelenk bei Patienten mit Ersatzplastik des vorderen Kreuzbands scheinen aktive und passive Techniken gleichermaßen effektiv zu sein. Das fanden Forscher der BG-Unfallklinik Tübingen heraus.

Sie stellten sich die Frage, welche Technik das Extensionsdefizit effektiver verbessert – eine aktive oder passive. Dazu rekrutierten sie 24 Patienten, die zwischen 18 und 60 Jahre alt waren, in den letzten vier Wochen eine VKBErsatzplastik mit einer Semitendinosus-Gracilis- Sehne bekommen haben und zu diesem Zeitpunkt noch ein Extensionsdefizit von mindestens 10° aufwiesen. Die Nachbehandlung startete fünf Wochen nach der Operation. Darin bekamen alle Patienten Lymphdrainage und 30 Minuten Physiotherapie mit Bewegungsübungen zur Verbesserung der Kniegelenkflexion, Kräftigungsübungen für die hintere Muskelkette des Beines und Koordinationsübungen. In diesen Einheiten durften die Therapeuten ausdrücklich nicht an der Kniegelenkextension arbeiten. Dafür mussten sie die sechs 20-minütigen Zusatztermine nutzen, in denen sie die eine Gruppe mit aktiven, die andere Gruppe mit passiven Maßnahmen behandelten. Die Gruppe mit aktiven Techniken erhielt dabei:

  • > zehn Minuten Contract-Relax aus dem PNFKonzept und Postisometrische Relaxation zur Dehnung der ischiokruralen Muskulatur

  • > zehn Minuten agonistische und dynamische Umkehr aus dem PNF-Konzept zur Kräftigung des Quadrizeps

Die Gruppe mit passiven Techniken bekam:

  • > zehn Minuten Mobilisation am patellofemoralen Gelenk in die eingeschränkte Bewegung nach Maitland Grad III

  • > zehn Minuten Mobilisation am tibiofemoralen Gelenk (Femur nach dorsal oder Tibia nach ventral) nach Maitland Grad III

Jeweils vor und nach dem 20-minütigen Zusatztermin maßen die Forscher die aktive Kniegelenkextension mithilfe eines Goniometers. Dabei verbesserte sich die Gruppe mit aktiven Maßnahmen signifikant von durchschnittlich 13,8° auf 10°. Die Gruppe mit passiven Techniken verbesserte sich sogar hoch signifikant von durchschnittlich 13,3° auf 7,9°. Die Autoren bezweifeln jedoch, ob eine Differenz von 2,1° zwischen den beiden Gruppen bezüglich des Extensionsdefizits eine große Bedeutung hat. Sie empfehlen daher, in der Therapie beide Techniken anzuwenden.

rrn

manuelletherapie 2015; 19: 127–134


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Aphasie – Singübungen verbessern Sprachproduktion

Patienten mit einer schweren Aphasie nach Schlaganfall profitieren von einer intensiven melodischen Intonationstherapie (MIT). Zu diesem Schluss kam eine niederländische Gruppe von Wissenschaftlern. Sie untersuchte Patienten, die vor zwei bis drei Monaten einen Schlaganfall erlitten hatten.

16 Patienten teilten sie zufällig einer Experimentalgruppe und elf einer Kontrollgruppe zu. Der Unterschied lag im Therapiebeginn: Die Patienten der Experimentalgruppe übten die ersten sechs Wochen an fünf Stunden in der Woche das Singen, danach zunehmend das Sprechen von Wortgruppen. Die Kontrollgruppe bekam in dieser Zeit Logopädie bestehend aus Schreiben, Sprachverständnis und Kompensationsstrategien. Nach sechs Wochen wechselte die Therapie zwischen den Gruppen. Zu Beginn, nach sechs und nach zwölf Wochen untersuchten die Forscher die Probanden hinsichtlich ihrer Sprachproduktion, -reproduktion und ihrem alltäglichen Sprachgebrauch.

Die Experimentalgruppe hatte sich in ihrer Sprachproduktion signifikant verbessert und nutzte diese Eigenschaft auch im Alltag. Die Autoren schlussfolgern daraus, dass nicht nur die MIT nach einem Schlaganfall besonders wirksam ist, sondern diese so früh wie möglich nach dem Ereignis beginnen sollte.

hoth

Neurorehabil Neural Repair 2014; 28: 536–544

VORDERE KREUZBANDRUPTUR

Tests bisher nicht verlässlich geprüft


Obwohl Physiotherapeuten in der Praxis Tests für das vordere Kreuzband häufig anwenden, fehlen dazu in der Literatur bisher verlässliche Übersichtsarbeiten, die einen Goldstandard küren.


Ein Forscherteam aus Dresden beschloss nun, sich dieser Aufgabe anzunehmen. Die Wissenschaftler fanden jedoch heraus, dass es bisher zu den vier von ihnen ausgewählten Tests keine Untersuchungen gibt, die qualitativ so hochwertig sind, dass man daraus eine Empfehlung für die Praxis aussprechen kann.


In ihre Übersichtsarbeit schlossen die deutschen Wissenschaftler sieben Studien ein, die sie bei ihrer Recherche in den Datenbanken MEDLINE, EMBASE und AMED gefunden hatten. In allen Studien untersuchten entweder Physiotherapeuten oder Ärzte Patienten mit akuter oder chronischer und kompletter oder partieller Ruptur des vorderen Kreuzbandbands mit einem oder mehreren der folgenden Tests (physiopraxis 10/12, S. 44):

  • > Lachman-Test (Abb. 1)

  • > Lachman-Test in Bauchlage

  • > Vorderer Schubladen-Test (Abb. 2)

  • > Pivot-Shift-Test (Abb. 3)


Lachman-Test im Video: http://www.youtube.com/watch?v=bHytLhg-1vM

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Abb. 1 Lachman-Test: Der Patient liegt mit etwa 20° Flexion im Kniegelenk in Rückenlage. Der Therapeut stabilisiert mit einer Hand den Femur. Mit der anderen übt er auf die proximale Tibia von posterior einen deutlichen, raschen Zug aus. Eine anteriore Translation von mindestens fünf Millimetern mit einem weichen Endgefühl spricht für eine Ruptur des vorderen Kreuzbands.
Abb.: C. Widmer Leu

Vorderer Schubladentest im Video: www.youtube.com/watch?v=yQdBrr3Mmj0

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Abb. 2 Vorderer Schubladentest: Der Patient liegt mit 45° Flexion im Hüftgelenk und 90° Flexion im Kniegelenk in Rückenlage. Der Therapeut umgreift die proximale Tibia und zieht sie nach anterior. Eine erhöhte ventrale Tibiaverschieblichkeit im Seitenvergleich von mindestens drei Millimetern spricht für eine Ruptur des vorderen Kreuzbands.
Abb.: C. Widmer Leu

Pivot-Shift-Test im Video: www.youtube.com/watch?v=gNiPw-ZFjP0

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Abb. 3 Pivot-Shift-Test: Der Therapeut hebt das Bein des Patienten in leichter Flexion am Knöchel an, während er mit dem Daumenballen der anderen Hand hinter der Fibula auf den lateralen Gastrocnemiusbauch greift. Darüber übt er einen deutlichen Valgus-Stress auf die Tibia aus. Über die Hand am Knöchel sorgt er für eine leichte Innenrotation, während er das Kniegelenk langsam in Flexion bewegt. Schnellt bei ungefähr 30° die subluxierte Tibia nach posterior zurück, spricht dies für eine Ruptur des vorderen Kreuzbands.
Abb.: C. Widmer Leu

Als Outcome bestimmten sie die Intra- und Interrater-Reliabilität der Tests (Glossar). In allen Studien war der Lachman-Test der einzige, bei dem die Wissenschaftler die Intrarater- Reliabilität maßen. Er schnitt deshalb am besten ab. Eine andere Untersuchung stellte beim Lachman-Test in Bauchlage eine gute Interrater-Reliabilität fest und sprach daraufhin die Empfehlung aus, den Lachman-Test besser in Bauch- als in Rückenlage durchzuführen. Zum vorderen Schubladen- und Pivot-Shift-Test konnten die Autoren keine Angaben machen, da alle Studien, die diese Tests untersucht hatten, von zu schlechter Qualität waren.


Insgesamt waren alle Untersuchungen methodisch so lückenhaft, dass die Wissenschaftler keine Empfehlung aussprechen wollten.


rrn


Man Ther 2015; 20: 402–411

GLOSSAR

Intra- und Interrater-Reliabilität

Die Interrater-Reliabilität sagt aus, wie groß die Übereinstimmung von Ergebnissen ist, wenn zwei oder mehrere Tester (Rater) dasselbe messen. Die Intrarater-Reliabilität beschreibt, wie groß die Übereinstimmung von Ergebnissen ist, wenn ein Tester zu verschiedenen Zeitpunkten dasselbe misst.


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Subakromiales Impingement – Zu Hause üben ist ebenso wirksam wie mit einem Therapeuten

Ob Patienten mit einem subakromialen Impingement ihre Übungen unter Aufsicht eines Therapeuten oder alleine zu Hause machen, spielt keine Rolle – sie verbessern sich gleichermaßen. Das fanden norwegische Wissenschaftler heraus.

Sie rekrutierten 46 Patienten zwischen 18 und 65 Jahren, die seit mindestens zwölf Wochen unilateral Schulterbeschwerden hatten. Alle Teilnehmer mussten in drei klinischen Tests positive Ergebnisse zeigen: dem Painful Arc, dem Infraspinatus-Test und dem Hawkins Test. Vor den Interventionen wurden alle über die Anatomie der Schulter und den Rehabilitationsverlauf informiert. Danach teilten die Forscher die Probanden in eine Heimtrainingsgruppe und eine Aufsichtsgruppe. Beide Gruppen bekamen Übungen zur Stabilisierung der Skapula, Kräftigung der Rotatorenmanschette und Mobilisation des Glenohumeralgelenks. Davon sollten sie zweimal täglich vier bis sechs Übungen machen – jeweils drei Sätze à 30 Wiederholungen. Die Heimübungsgruppe bekam alle Übungen einmal gezeigt und sollte für sechs Wochen zu Hause selbstständig trainieren. Die Aufsichtsgruppe hatte denselben Auftrag, bekam jedoch zusätzlich zehn Sitzungen, in denen ein Therapeut sie erneut zu den Übungen anleitete und verbesserte.

Als Outcome wählten die Wissenschaftler unter anderem den Shoulder Pain and Disability Index (physiopraxis 4/07, S. 34), die Schmerzstärke, das aktive Bewegungsausmaß des Schultergelenks und die drei klinischen Eingangstests. Sowohl nach sechs als auch nach 26 Wochen Follow-up zeigten sich in keinem der Outcome-Parameter signifikante Unterschiede zwischen der Heimtrainingsund der Aufsichtsgruppe – beide hatten sich gleichermaßen verbessert. Demnach scheint es bei Patienten mit einem subakromialen Impingement nicht darauf anzukommen, wie sie ihre Übungen durchführen, sondern dass sie diese überhaupt machen. Für die Therapie bedeutet das, dass Therapeuten sich in dieser Zeit auf manuelle Techniken konzentrieren können.

rrn

J Physiother 2015; 61: 135–141


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Abb. 1 Lachman-Test: Der Patient liegt mit etwa 20° Flexion im Kniegelenk in Rückenlage. Der Therapeut stabilisiert mit einer Hand den Femur. Mit der anderen übt er auf die proximale Tibia von posterior einen deutlichen, raschen Zug aus. Eine anteriore Translation von mindestens fünf Millimetern mit einem weichen Endgefühl spricht für eine Ruptur des vorderen Kreuzbands.
Abb.: C. Widmer Leu
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Abb. 2 Vorderer Schubladentest: Der Patient liegt mit 45° Flexion im Hüftgelenk und 90° Flexion im Kniegelenk in Rückenlage. Der Therapeut umgreift die proximale Tibia und zieht sie nach anterior. Eine erhöhte ventrale Tibiaverschieblichkeit im Seitenvergleich von mindestens drei Millimetern spricht für eine Ruptur des vorderen Kreuzbands.
Abb.: C. Widmer Leu
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Abb. 3 Pivot-Shift-Test: Der Therapeut hebt das Bein des Patienten in leichter Flexion am Knöchel an, während er mit dem Daumenballen der anderen Hand hinter der Fibula auf den lateralen Gastrocnemiusbauch greift. Darüber übt er einen deutlichen Valgus-Stress auf die Tibia aus. Über die Hand am Knöchel sorgt er für eine leichte Innenrotation, während er das Kniegelenk langsam in Flexion bewegt. Schnellt bei ungefähr 30° die subluxierte Tibia nach posterior zurück, spricht dies für eine Ruptur des vorderen Kreuzbands.
Abb.: C. Widmer Leu