physiopraxis 2016; 14(01): 58
DOI: 10.1055/s-0041-109358
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Die Rechtsfrage: Was tun bei Verdacht auf Missbrauch?

Karsten Bossow

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Publication Date:
08 January 2016 (online)

 

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Karsten Bossow

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Karsten Bossow ist seit 1999 Rechtsanwalt. Seit 2003 ist er Fachanwalt für Arbeitsrecht und seit 2010 für Medizinrecht.

„ Ich vermute, dass ein Therapiekind missbraucht, ein anderes vernachlässigt wird. Wie verhalte ich mich in solchen Fällen richtig – darf ich mich zum Beispiel an das Jugendamt wenden oder muss ich die Schweigepflicht wahren? “

Therapeutin aus Bochum

Die Antwort unseres Experten

Physio- und Ergotherapeuten unterliegen einer Schweigepflicht. Verstoßen sie dagegen, können sie gemäß § 203 StGB mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bestraft werden. Ihre Bedenken sind also durchaus berechtigt: Sie könnten sich mit einer Offenbarung beim Jugendamt oder bei einer anderen Stelle strafbar machen.

Die Vermutung, dass eines Ihrer Therapiekinder vernachlässigt oder missbraucht wird, beruht wahrscheinlich auf Beobachtungen oder Mitteilungen, welche den persönlichen Lebensbereich des Therapiekindes oder seiner Eltern betreffen. Kann das Kind aufgrund seines Alters und seines Reifegrades die Bedeutung und Tragweite einer Mitteilung an das Jugendamt erfassen und gibt es sein Einverständnis dazu, machen Sie sich nicht strafbar. Denn das Kind könnte sich in diesem Fall theoretisch auch selbst Hilfe suchend an das Jugendamt wenden.

Schwieriger zu beurteilen ist die Lage, wenn das Kind keine wirksame Zustimmung erteilen kann oder will. Eine Mitteilung an das Jugendamt kann aber dennoch gerechtfertigt sein. Denn laut der Offenbarungsbefugnis aus § 4 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz sollen Therapeuten, denen gewichtige Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls bekannt sind, die Situation gemeinsam mit dem Kind und seinen Bezugspersonen erörtern sowie ggf. auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken. Immer im Sinne eines wirksamen Schutzes für das Kind. Für die Einschätzung, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, können sich Therapeuten an das Jugendamt wenden – in diesem Stadium aber noch mit anonymisierten Daten!

Kann die Gefährdung nicht durch Ihre Erörterung mit den Sorgeberechtigten abgewendet werden oder bleibt dieses Vorgehen erfolglos und halten Sie ein Tätigwerden des Jugendamtes für erforderlich, um eine Kindeswohlgefährdung abzuwenden, sind Sie befugt, das Jugendamt zu informieren. Hierauf müssen Sie die Betroffenen jedoch vorab hinweisen – es sei denn, das stellt den Schutz des Kindes oder Jugendlichen in Frage. In dieser Situation sind Sie befugt, dem Jugendamt die erforderlichen Daten ohne Vorabinformation der Eltern mitzuteilen.

Wirft auch Ihr Berufsalltag rechtliche Fragen auf? Dann schreiben Sie eine E-Mail an Simone.Gritsch@thieme.de.


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Karsten Bossow ist seit 1999 Rechtsanwalt. Seit 2003 ist er Fachanwalt für Arbeitsrecht und seit 2010 für Medizinrecht.