Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2015; 22(06): 267
DOI: 10.1055/s-0041-109581
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Studie zu Langzeitschäden des Tauchens – Kein Hinweis auf erhöhte Sterblichkeit bei norwegischen Berufstauchern

Irgens Å, Djurhuus R, Grønning M.
Mortality among retired offshore divers.

Int Marit Health 2015;
66: 93-96
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Publication Date:
15 December 2015 (online)

 

    Irgens Å, Djurhuus R, Grønning M. Mortality among retired offshore divers. Int Marit Health 2015; 66: 93–96

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    (Bild: MEV)

    Thema: Berufstaucher, insbesondere im Offshorebereich, gehören zu einer Berufsgruppe die extremen Belastungen unterliegt. Dies betrifft die Tätigkeit als solche, die gewöhnlich als schwere körperliche Arbeit klassifiziert werden kann, als auch die Tatsache, dass sie unter hyperbaren Bedingungen ausgeführt wird. Neben dem hohen Umgebungsdruck gelten hohe Atemgasdichte und Sauerstoffpartialdrücke, ein hohes psychisches Stresslevel sowie niedrige Temperaturen als Risikofaktoren, die mit technischen Mitteln in nur vergleichsweise geringem Umfang zu vermindern sind. Während die Mechanismen akuter Schädigungen recht gut bekannt sind, liegen nur wenige Erkenntnisse über die tatsächlichen gesundheitlichen Langzeitfolgen der beruflichen Exposition unter derart widrigen Umständen vor. Dieser Sachverhalt hat die Autoren veranlasst, mit epidemiologischer Methodik zu prüfen, ob Auffälligkeiten in der Sterblichkeitsrate bei Offshoretauchern festzustellen sind.

    Projekt: Datengrundlage waren durch die Petroleum Safety Authority Norway registrierte Offshoretaucher, die in den Jahren 1965–1990 tätig waren und als Pioniere des Tauchens im Bereich der Öl- und Gasplattformtechnologie der Nordsee gelten. Bereinigt ergab dies eine Kohorte von 386 heute nicht mehr beruflich aktiven Tauchern, die zwischen 1930 und 1973 geboren wurden und im Jahr 1997 noch gelebt haben. Da sämtliche Taucher männlich waren, wurde die Vergleichsgruppe in einer Größe von 1 467 769 Männern aus der im gleichen Zeitraum geborenen Bevölkerung Norwegens gebildet. Bei den seit 1997 gestorbenen Tauchern wurde anhand der nationalen Personenidentifikationsziffer aus dem Sterberegister die Todesursache ermittelt. Bei der Referenzgruppe wurde gleichartig vorgegangen. Die Todesursachen wurden in 4 Gruppen eingeteilt:

    • Nicht gewaltsamer Tod

    • Gewaltsamer Tod

    • Selbstmord

    • Unbekannte Todesursache

    Beide Gruppen wurden nach den üblichen statistischen Verfahren miteinander verglichen.

    Ergebnis: In der Kohorte der Taucher kam es im Beobachtungszeitraum von 1997–2013 zu 25 Todesfällen, in der Vergleichsgruppe waren es 125 901. Dies entspricht Sterblichkeitsraten von 6,5 zu 8,6 %, die im Unterschied nicht signifikant sind. Auch bei den Untergruppen ergab sich kein signifikanter Unterschied in der Sterblichkeit.

    Fazit: In einem eindeutig definierten Kollektiv von norwegischen Offshoretauchern, die zudem im historischen Vergleich unter extrem ungünstigen Bedingungen gearbeitet haben, ist weder eine erhöhte Gesamtsterblichkeit im Vergleich zur nationalen Bevölkerung festzustellen, noch gibt es Auffälligkeiten in den ausgewählten Todesursachengruppen.

    Kommentar

    Die Studie zeigt deutlich die Probleme epidemiologischer Ansätze in der tauchmedizinischen Forschung. Zunächst stellen Taucher hinsichtlich der Expositionsfaktoren eine sehr inhomogene Gruppe dar. Es liegen, was Expositionszeiten und Tauchgangsprofile angeht, durchaus Welten zwischen Hobby- und Berufstauchern, aber auch innerhalb der Gruppen sind die Unterschiede erheblich. Somit ist das Merkmal „Taucher“ nicht eindeutig mit dem „Tauchen“ als potenziellem Schädigungsfaktor verknüpft. Die Autoren haben diesen Nachteil elegant berücksichtigt, indem sie sich auf das Kollektiv der „Pioneer-Divers“ beschränkt haben, das infolge der historischen Umstände besonders belastet war. Die Hypothese, dass es bei mangelnden Auffälligkeiten in dieser Extremgruppe von Berufstauchern eher unwahrscheinlich ist, in anderen Kollektiven von Tauchern Auffälligkeiten hinsichtlich der Mortalität zu finden, ist durchaus zutreffend. Die Studie liefert hierfür methodisch robuste Argumente. Gleichwohl bedeutet dies nicht, dass Belastungen durch das Tauchen außerhalb von Unfallereignissen keinen Einfluss auf die Mortalität haben. Das Fall-Kontrollgruppen-Verhältnis von 1:3802 verdeutlicht das zweite Problem des epidemiologischen Ansatzes in der tauchmedizinischen Forschung: Die Stichprobenumfänge sind naturgemäß derart gering, dass kaum eine zufriedenstellende Teststärke zu erreichen ist.

    Dies insbesondere, da der Organismus durch das Tauchen immer multifaktoriellen Einflüssen ausgesetzt ist und gerade der Berufstaucher über eine sehr spezifische, robuste Konstitution verfügen muss, die ihn mit der Normalbevölkerung nicht unbedingt vergleichbar macht. Insofern ist der eher mühsame Weg, durch einen experimentellen Ansatz Erkenntnisse über Schädigungs- und Adaptationsmechanismen einer hyperbaren Exposition auf zellulärer Ebene zu gewinnen, absehbar die einzige Möglichkeit, langfristig robuste Aussagen über Langzeitschäden des Tauchens zu erhalten.

    Dr. Stefan Neidhardt, Kronshagen
    Deutsche Gesellschaft für Maritime Medizin


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    (Bild: MEV)