Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2015; 22(06): 290
DOI: 10.1055/s-0041-110482
DGMM-Mitteilungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Fachsymposium zum Jubiläum in Hamburg – 75 Jahre Seeärztlicher Dienst

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
15. Dezember 2015 (online)

 

    Am 12. Juni 1940 ordnete das damalige Reichsverkehrsministerium an, dass Seeleute nur mit einer Gesundheitskarte der See-Berufsgenossenschaft anmustern dürfen. Dieses Datum gilt als Geburtsstunde des Seeärztlichen Dienstes. Aus diesem Anlass feierte der Seeärztliche Dienst am 9. Oktober sein 75-jähriges Bestehen mit einem Fachsymposium in Hamburg.

    Acht namhafte Fachleute berichteten den gut 150 Teilnehmern über die verschiedensten Themen der maritimen Medizin und der Schifffahrt.

    Entschlüsselung des Mythos Klaus Störtebeker

    Den Anfang machte Prof. Dr. Klaus Püschel, Leiter der Rechtsmedizin am Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf. Er schilderte die rechtsmedizinische Untersuchung des legendären Störtebeker-Schädels, der 1878 bei Baggerarbeiten im Elbschlamm am Kleinen Grassbrock in Hamburg entdeckt wurde. Mithilfe modernster Untersuchungsmethoden konnte ein Expertenteam unter Püschel nachweisen, dass es sich bei dem auf einem Pfahl genagelten Schädel tatsächlich um den Kopf eines um 1400 enthaupteten Seeräubers handeln müsse. Jüngere Forschungsergebnisse hätten allerdings ergeben, dass es Klaus Störtebeker als „Robin Hood der Meere“ in dieser Form nie gegeben habe.


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    Was Hein Seemann mit Neil Armstrong verbindet

    Dr. Philipp Langenbuch, der Leiter des Seeärztlichen Dienstes der BG Verkehr, stellte anschließend die weit gefächerten Aufgaben des Seeärztlichen Dienstes dar und zog Vergleiche zur bemannten Raumfahrt. Sowohl Seeleute auf hoher See als auch Astronauten seien bei ihrer Arbeit weitgehend auf sich allein gestellt. Während allerdings bei den Apollo-Missionen die Astronauten nur maximal 3 Tage von der Erde entfernt gewesen seien, könne es bei Seeleuten sogar bis zu einer Woche dauern, bis Hilfe von außen eintreffen könne. Das erkläre auch, warum ein Kapitän als medizinischer Laie im Notfall an Bord verschreibungspflichtige Medikamente verabreichen dürfe.


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    Matrosenschmiede unter Palmen

    Die Kapitäne Claus Körbelin und Rüdiger Weiss von der Reederei Hamburg-Süd ließen bei den Zuhörern das graue Hamburger Wetter schnell vergessen, als sie von der Seemannsschule in Kiribati – die Matrosenschmiede unter Palmen – erzählten. Am anderen Ende der Welt gelegen, werden dort junge Frauen und Männer für den Dienst an Bord von Schiffen deutscher Reeder ausgebildet. Die kulturellen Unterschiede zu Europa sind in vielerlei Hinsicht spürbar: Auf Kiribati stellen zum Beispiel die Männer ihre Autorität in Frage, wenn sie laut sprechen – mit klaren Kommandos an Bord von Seeschiffen lässt sich das allerdings nur schwer vereinbaren.


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    Früher waren die Schiffe aus Holz und die Männer aus Stahl

    Prof. Dr. Olaf Schedler, Chefarzt am Helios-Klinik Bad Saarow, schilderte die umfangreichen Erkenntnisse, die er aus Ergänzungsuntersuchungen zu den gesetzlich vorgeschriebenen Tauglichkeitsuntersuchungen gewonnen habe. Der Spruch „Früher waren die Schiffe aus Holz und die Männer aus Stahl“ habe – zumindest auf die Seeleute bezogen – noch seine Gültigkeit.


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    Schutzengel in Uniform

    Der Flottillenarzt der Marine, Dr. Henning Werr, berichtete über seinen Einsatz als Teil eines „Vessel Protection Detachements“ vor der somalischen Küste. Aufgabe der bewaffneten 12-Mann-Einsatzgruppe der deutschen Marine war es, Schiffe des Welternährungsprogramms vor Piratenangriffen zu schützen – direkt an Bord eines Handelsschiffs. Der immense Aufwand der Marine scheint sich gelohnt zu haben: Die Handelsschifffahrt am Horn von Afrika hat immer weniger Probleme mit Piraterie.


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    Hilfe bis ans Ende der Welt

    Dr. Christian Flesche gab auf der Veranstaltung seinen Abschied von der Leitung des Funkärztlichen Beratungsdienstes Cuxhaven bekannt. Zuvor zeigte er an 3 Fallbeispielen auf, dass es bei den über 800 Beratungen pro Jahr auch immer um die Balance zwischen einer wirkungsvollen medizinischen Hilfe, der nautischen Situation des Schiffes und der wirtschaftlichen Vertretbarkeit für den Reeder gehe. Nur in wenigen Notfällen sei es zwingend erforderlich, dass Schiffe von ihrer ursprünglichen Reiseroute abweichen, um den nächsten Hafen anzulaufen. Flesche betonte die besondere Bedeutung der Prävention an Bord: Die Statistiken des Beratungsdienstes zeigten, dass über die Hälfte der Augenverletzungen vermieden werden könnten, wenn Seeleute bei gefährlichen Arbeiten eine Schutzbrille trügen.

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    Referenten des Symposiums, v.l.n.r.: Dr. Jens Tülsner, Kapitän Claus Körbelin, Prof. Dr. Klaus Püschel, Dr. Henning Werr, Kapitän Rüdiger Weiss, Prof. Dr. Olaf Schedler, Dr. Philipp Langenbuch und Dr. Christian Flesche.
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    Teilnehmer des Symposiums 75 Jahre Seeärztlicher Dienst.

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    Allein unter Urlaubern

    Als verantwortlicher Arzt der Costa-Kreuzfahrtgruppe, zu der auch die AIDA-Schiffe gehören, zeigte Dr. Jens Tülsner abschließend die besonderen Herausforderungen der maritimen Medizin auf Kreuzfahrtschiffen auf. Das Durchschnittsalter der Passagiere steige immer weiter an. Zugleich gebe es mittlerweile auch Angebote für Babys und Kleinstkinder an Bord, sodass das medizinische Einsatzspektrum für die Schiffsärzte immer größer werde. Das Bild des graumelierten Bordarztes des Traumschiffs, der mehr Unterhalter als Arzt sei, habe endgültig ausgedient, so Tülsner.

    Ass. iur. Christian Bubenzer, Hamburg


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    Referenten des Symposiums, v.l.n.r.: Dr. Jens Tülsner, Kapitän Claus Körbelin, Prof. Dr. Klaus Püschel, Dr. Henning Werr, Kapitän Rüdiger Weiss, Prof. Dr. Olaf Schedler, Dr. Philipp Langenbuch und Dr. Christian Flesche.
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    Teilnehmer des Symposiums 75 Jahre Seeärztlicher Dienst.