Schlüsselwörter Health System Responsiveness - Chronisch Kranke - Hausarzt - Facharzt - ambulante
Versorgung - Patientenorientierung
Key words health system responsiveness - chronically ill - general practitioner - specialist
care - ambulatory care - patient orientation
Einleitung
Neben dem Erhalt und der Förderung von Gesundheit sowie der finanziellen Absicherung
im Krankheitsfall, gilt die Patienten- bzw. Nutzerorientierung in der nationalen und
internationalen Diskussion als ein hochgradig relevantes Attribut von Gesundheitssystemen
[1 ]
[2 ]. Entsprechend wird diese als ein Aspekt in der Bewertung der Leistungsfähigkeit
von Gesundheitssystemen genutzt [1 ]
[3 ]
[4 ]. Eine Möglichkeit Patientenorientierung zu erfassen, bietet das Konzept der Health System Responsiveness der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Unter der Responsiveness eines Gesundheitssystems wird die Fähigkeit des Gesundheitssystems, auf die legitimen
Erwartungen der Bevölkerung hinsichtlich interpersoneller und organisatorischer Aspekte
der Versorgung einzugehen, verstanden. Hierzu zählt zum einen die Bewertung von Erfahrungen
im direkten Kontakt mit dem Gesundheitssystem (z. B. verständliche Kommunikation,
respektvoller Umgang usw.) und zum anderen Erfahrungen hinsichtlich des Zugangs zu
gesundheitlicher Versorgung [5 ].
Die Responsiveness eines Gesundheitssystems wurde international in vielen Studien
erfasst (u. a. [6 ]
[7 ]
[8 ]
[9 ]
[10 ]
[11 ]). Dabei wurde zwar zumeist zwischen ambulanter und stationärer Versorgung unterschieden,
weitergehende Unterschiede in der ambulanten Versorgung, z. B. hinsichtlich fach-
und hausärztlicher Versorgung, wurden jedoch bisher wenig betrachtet. Oftmals wird
die ambulante Versorgung ausschließlich zusammengefasst dargestellt, so z. B. in den
Studien der WHO oder den Health Care Quality Indikatoren der OECD [12 ]
[13 ]
[14 ].
Die vorhandenen Studien, die zwischen haus- und fachärztlicher Versorgung unterscheiden,
fokussieren dabei häufig spezifische Patientengruppen (z. B. onkologische Patienten
[15 ]) oder erfassen nur wenige Aspekte der Versorgung. Diese werden dann zudem häufig
entweder für die haus- oder für die fachärztliche Versorgung abgefragt [16 ].
Somit liegen bisher nur wenige vergleichende Informationen zu der Responsiveness der haus- und fachärztlichen Versorgung aus Sicht von Patienten vor. An diesem Punkt
setzt die vorliegende Studie an. Anhand einer deutschlandweiten Befragung wird untersucht,
inwieweit sich die aus Sicht von chronisch kranken Personen wahrgenommene Responsiveness der haus- und fachärztlichen Versorgung unterscheidet.
Methodik
Die Daten für die Analysen stammen aus dem Projekt Exploring health system responsiveness in ambulatory care and disease management and
its relation to other aspects of health system performance (RAC). Im Oktober 2013 wurden im Zuge von 2 Sub-Studien des Projekts 51 998 Versicherte
der Techniker Krankenkasse hinsichtlich der von ihnen wahrgenommenen Responsiveness der haus- und fachärztlichen Versorgung befragt. Da das Hauptziel des Projekts die
Analyse der Determinanten (u. a. Teilnahme an einem DMP, Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen)
der berichteten Health System Responsiveness ist, wurde angestrebt einen Datensatz zu erhalten, der sowohl Befragungs- als auch
Routinedaten der Krankenkasse auf Individualebene enthält. In einer Sub-Studie des
Projekts lag der Fokus auf Personen mit Koronarer Herzkrankheit (KHK), während in
der zweiten Sub-Studie Personen mit einem Diabetes mellitus Typ II (DM2) befragt wurden.
Auf Grundlage von Routinedaten wurden für jede Sub-Studie 25 999 Versicherte ausgewählt,
(i) die an KHK und/oder DM2 erkrankt sind und (ii) entweder bereits in das entsprechende
Disease Management Programm (DMP) eingeschrieben sind oder die Voraussetzungen für
eine Einschreibung in das entsprechende DMP erfüllen, aber nicht eingeschrieben sind.
Den ausgewählten Versicherten wurden ein Fragebogen sowie eine Einverständniserklärung
für die Verknüpfung der Befragungsdaten mit ausgewählten Routinedaten zugesandt. Wenn
beide Dokumente ausgefüllt zurückgeschickt wurden, wurden die Daten anschließend verknüpft
und in die späteren Auswertungen einbezogen.
Der eingesetzte Fragebogen erfasste unter anderem die wahrgenommene Health System Responsiveness der haus- und fachärztlichen Versorgung. Die Fragen deckten dabei 7 von der WHO entwickelte
Dimensionen der Health System Responsiveness ab [5 ] sowie 2 Dimensionen, um die das WHO Konzept auf Grundlage von Fokusgruppen erweitert
wurde (Koordination und Vertrauen) [17 ]. Die insgesamt 17 Fragen zur Responsiveness bezogen sich dabei jeweils auf den letzten Haus- und Facharztbesuch innerhalb der
letzten 12 Monate. Bei der Bewertung des Facharztbesuches wurde nicht nach verschiedenen
Facharztrichtungen unterschieden. Alle Fragen wurden 2-mal gestellt, einmal zum Haus-
und einmal zum Facharztbesuch und verfügten jeweils über 5 Antwortkategorien von „sehr
gut“ bis „sehr schlecht“ ([Tab. 1 ]). Dem Vorgehen der WHO entsprechend, wurden für die späteren Auswertungen die 5
Antwortkategorien in je 2 Kategorien zusammengefasst (sehr gut und gut/mittelmäßig,
schlecht und sehr schlecht) [18 ].
Tab. 1 Fragen zur Erfassung der Responsiveness der haus- und fachärztlichen Versorgung sowie
des Verzichts auf Versorgung.
Frage/Dimension
Wenn Sie an die letzten 12 Monate denken – Haben Sie in dieser Zeit irgendeine Art
von medizinischer Versorgung bei einem Hausarzt (Allgemeinmediziner/Internist) erhalten?
(Ja/Nein)
Bitte denken Sie erneut an die letzten 12 Monate – Haben Sie in dieser Zeit irgendeine
Art von medizinischer Versorgung bei einem niedergelassenen Facharzt (z. B. Orthopäde,
Augenarzt, Hautarzt,…) erhalten? (Ja/Nein)
Wie würden Sie bei Ihrem letzten Hausarztbesuch…/Wie würden Sie bei Ihrem letzten
Facharztbesuch… (Antwortkategorien aller Folgefragen: sehr gut/gut/mittelmäßig/schlecht/sehr
schlecht)
Sofortige Aufmerksamkeit
…die Wartezeit auf einen Termin (d. h. die Zeit zwischen der Anfrage nach einem Termin
bis zum tatsächlichen Termin) bei Ihrem Arzt/ Ihrer Ärztin bewerten?
…die Wartezeit im Wartezimmer bewerten, bis Sie an der Reihe waren?
Wahlfreiheit
…Ihre Möglichkeiten bewerten, sich die Sie behandelnde Arztpraxis/ Person selbst
aussuchen zu können? 1
Respektvoller Umgang
…Ihre Erfahrungen bewerten, inwiefern Sie respektvoll empfangen und mit Ihnen respektvoll
gesprochen wurde? 1
…Ihre Erfahrungen bewerten, inwiefern Sie in der ärztlichen Praxis freundlich behandelt
wurden?
…Ihre Erfahrungen bewerten, inwiefern Sie während der ärztlichen Behandlung die volle
Aufmerksamkeit erhalten haben?
…Ihre Erfahrungen bewerten, inwiefern Sie in der ärztlichen Praxis mit Einfühlungsvermögen
behandelt wurden?
Kommunikation
…Ihre Erfahrungen bewerten, inwiefern Ihnen von den Ärzten/ dem Personal Dinge verständlich
erklärt wurden? 1
Autonomie/Einbeziehung in Entscheidungen
…Ihre Erfahrungen bewerten, inwiefern Sie in Entscheidungen, die Ihre Behandlung
betrafen, miteinbezogen wurden? 1
Vertraulichkeit
…Ihre Erfahrungen bewerten, inwieweit sichergestellt wurde, dass Sie mit der Sie
behandelnden Person vertraulich sprechen konnten? 1
…Ihre Erfahrungen bewerten, inwieweit sichergestellt wurde, dass Sie am Empfang der
Arztpraxis vertraulich sprechen konnten?
Qualität der Ausstattung
…die Sauberkeit der Räume (einschließlich der Toiletten) bewerten? 1
…die Ausstattung der Räume (z. B. ausreichend Stühle im Wartezimmer usw.) bewerten?
Koordination
…Ihre Erfahrungen bewerten, inwiefern Ihre behandelnden Ärzte sich untereinander
abgesprochen haben bzw. Informationen zwischen Ärzten weitergegeben wurden?
…Ihre Erfahrungen bewerten, inwiefern Ihre behandelnden Ärzte Ihren Behandlungsablauf
kannten (z. B. wussten, wann eine Kontrolluntersuchung notwendig war)?
Vertrauen
...Ihre Erfahrungen bewerten, inwiefern Ihre ärztliche Behandlung ausschließlich
Ihr gesundheitliches Wohlergehen zum Ziel hatte (d. h. nicht von anderen Interessen
geleitet war)?
...Ihre Erfahrungen bewerten, inwiefern Ihre ärztliche Beratung ausschließlich Ihr
gesundheitliches Wohlergehen zum Ziel hatte (d. h. nicht von anderen Interessen geleitet
war)?
Verzicht auf Versorgung
Haben Sie in den letzten 12 Monaten jemals auf eine medizinische Versorgung verzichtet,
obwohl diese aus Ihrer Sicht notwendig war? (Ja/Nein)
Auf welche Arten der medizinischen Versorgung haben Sie verzichtet?
Medikamente (Ja/Nein)
Termin bei einem Facharzt (Ja/Nein)
Termin bei einem Hausarzt (Ja/Nein)
Vorsorgeuntersuchung (Ja/Nein)
Andere diagnostische Untersuchungen (Ja/Nein)
Operativer Eingriff (Ja/Nein)
Sonstige: (Ja/Nein und Freitext)
Und aus welchen Gründen haben Sie auf die Versorgung verzichtet?
Keine ausreichenden finanziellen Mittel (Ja/Nein)
Die Wartezeit auf einen Termin war zu lang (Ja/Nein)
Der Weg zur Arztpraxis war zu lang/ zu beschwerlich (Ja/Nein)
Kein geeigneter Facharzt stand zur Verfügung (Ja/Nein)
Sonstige: (Ja/Nein und Freitext)
1 original WHO Fragestellung World Health Survey 2002-2003 (Quelle [5 ]).
Zusätzlich zu der Bewertung der letzten Arztbesuche, wurde über 3 Fragen ein Verzicht
auf gesundheitliche Versorgung erfasst ([Tab. 1 ]).
Die Studie erhielt ein positives Votum durch die zuständige Ethikkommission. Für eine
detaillierte Beschreibung der Stichprobenselektion, Erhebungsinstrumente und Datenerfassung
siehe [19 ].
In die Analysen hinsichtlich der Unterschiede zwischen der Bewertung der fach- und
hausärztlichen Versorgung wurden nur Fälle einbezogen, die sowohl einen Haus- als
auch Facharztbesuch innerhalb der letzten 12 Monate berichteten. Bei dem Vergleich
der einzelnen Fragen wurden wiederum nur Fälle einbezogen, die jeweils die beiden
zueinander gehörenden Fragen (z. B. Wartezeit Facharzttermin und Wartezeit Hausarzttermin)
beantwortet haben. Dies führt zwar zu einem höheren Ausschluss an Fällen; Unterschiede
in den Bewertungen können somit aber nicht durch Unterschiede der Befragten bedingt
sein. Die statistische Signifikanz der Unterschiede wurde mittels McNemar-Test analysiert.
Dabei wurde über die Bonferroni-Korrektur für multiples Testen adjustiert; das Signifikanzniveau
von α=0,05 wurde entsprechend auf α=0,001 gesetzt.
Ergebnisse
Deskriptive Beschreibung der Stichprobe
Der Netto-Rücklauf, nach Abgleich der eingegangen Fragebögen mit den zurückgeschickten
Einverständniserklärung für die Datenverknüpfung sowie dem Ausschluss von unvollständigen
Fragebögen, betrug 15 565 Fälle (29,9%). Von den 15 565 Fällen hatten 13 685 (87,9%)
sowohl einen Haus- als auch einen Facharztbesuch innerhalb der letzten 12 Monate berichtet.
Diese Fälle bilden die finale Stichprobe, welche für alle weiteren Analysen genutzt
wurde ([Abb. 1 ]).
Abb. 1 Rücklauf und Fallausschluss.
[Tab. 2 ] gibt einen Überblick über die soziodemografischen Charakteristika der Befragten
in der finalen (n=13 685) sowie in der gesamten Stichprobe (n=15 565). Die gesamte
Stichprobe setzt sich zu 54,4% aus Teilnehmern zusammen, die für die Sub-Studie KHK
angeschrieben wurden und zu 45,6% aus Teilnehmern der Sub-Studie DM2. In der finalen
Stichprobe ist die Zusammensetzung 54,9% KHK und 45,1% DM2.
Tab. 2 Soziodemographische Beschreibung der finalen und gesamten Stichprobe (alle Angaben
in %).
Finale Stichprobe (n=13 685)
Gesamte Stichprobe (n=15 565)
Geschlecht (% männlich)1
71.7
71.4
Alter1
<= 60 Jahre
17.0
17.8
61–65 Jahre
12.4
12.5
66–70 Jahre
15.6
15.4
71–75 Jahre
25.3
24.8
76–80 Jahre
19.3
18.9
>= 81 Jahre
10.5
10.5
Nettoäquivalenzeinkommen². ³
Unterste Einkommensgruppe <= 979€
13.6
14.4
Untere-Mittlere Einkommensgruppe 980 bis 1633€
43.9
43.3
Obere-Mittlere Einkommensgruppe>1633 bis <2449€
23.8
23.4
Höchste Einkommensgruppe=> 2449€
11.2
11.1
Keine Angabe
7.5
7.8
Erwerbstätigkeit²
Erwerbstätig (Vollzeit/Teilzeit)
17.9
18.7
Nicht erwerbstätig (nicht verrentet/nicht erkrankt)
2.8
2.8
Nicht erwerbstätig (auf Grund von Erkrankung)
4.4
4.3
Altersrente
71.9
70.9
Keine Angabe
3.0
3.3
Wohnort (Kreistyp)1
Kreisfreie Großstädte
34.4
34.1
Städtische Kreise
41.6
41.8
Ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen
13.4
13.4
Dünn besiedelte ländliche Kreise
10.6
10.6
1
Information aus TK-Routinedaten, ² Information aus Angaben im Fragebogen, ³ Berechnet
über Angabe zu monatlichem Haushaltsnettoeinkommen dividiert durch gewichtete Anzahl
der Haushaltsmitglieder (Gewichtung: 1. Haushaltsmitglied=1, jedes weitere Haushaltsmitglied
= 0,5)
Die Befragten in der finalen Stichprobe waren im Durchschnitt 69,7 (SD: 10,0) Jahre
alt. 71,7% der Befragten waren männlich und die Mehrheit der Befragten befand sich
zum Zeitpunkt der Befragung in Altersrente ([Tab. 2 ]). Die Mehrheit der Befragten, 61,5%, war in ein DMP eingeschrieben ([Tab. 3 ]). Nur ca. 10,5% der Teilnehmer hatten laut stationärer und ambulanter Diagnosedaten
der Quartale II/2012 bis III/2013 keine der Ko-Morbiditäten der ambulanten Erweiterung
des Charlson Index[1 ] [20 ]. Der Großteil der Studienteilnehmer wurde in den betrachteten sechs Quartalen nicht
stationär behandelt ([Tab. 3 ]).
Tab. 3 Morbidität und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen (alle Angaben in %).
Finale Stichprobe (n=13 685)
Gesamte Stichprobe (n=15 565)
Eingeschrieben in DMP (KHK und/oder DM2)
61.5
60.2
Pflegestufe1
Pflegestufe 1
2.6
2.6
Pflegestufe 2
0.8
0.9
Charlson Index
Charlson Index=0
10.5
11.4
Charlson Index=1
21.3
22.0
Charlson Index=2
19.3
19.3
Charlson Index=3
16.2
15.8
Charlson Index=>4
32.6
31.5
Anzahl der Krankenhausaufnahmen in sechs Quartalen (II/2012-III/2013)
Keine Aufnahme
55.5
56.8
1 Aufnahme
22.2
21.8
2 Aufnahmen
11.0
10.5
3 und mehr Aufnahmen
11.4
10.9
Anzahl der durchschnittlichen Hausarztkontakte pro Quartal (II/2012 – III/2013)²
<=1 Kontakt
3.2
3.9
>1-2 Kontakte
13.5
14.5
>2-3 Kontakte
27.2
27.2
>3-4 Kontakte
22.5
22.1
>4–6 Kontakte
21.4
20.7
>6–8 Kontakte
7.4
7.0
>8 Kontakte
4.7
4.5
Anzahl der durchschnittlichen Facharztkontakte pro Quartal (II/2012 – III/2013)³
<=1 Kontakt
16.2
20.0
>1-2 Kontakte
20.4
20.2
>2-3 Kontakte
17.7
17.0
>3-4 Kontakte
13.6
12.9
>4–6 Kontakte
16.9
15.7
>6–8 Kontakte
8.1
7.6
>8 Kontakte
7.1
6.6
Alle Informationen aus TK-Routinedaten;
1
Personen mit Pflegestufe 3 waren aus der Befragung ausgeschlossen, ² Erfasst über
die Anzahl der Abrechnungsfälle; ³ Erfasst über die Anzahl der Abrechnungsfälle, exklusive
der Abrechnungsfälle von den Facharztgruppen Laboratoriumsmedizin und Pathologie
Bewertung der Responsiveness der hausärztlichen und fachärztlichen Versorgung
Die Anzahl der Personen, die die zusammengehörenden Fragen sowohl für den letzten
Besuch bei dem Haus- als auch bei dem Facharzt beantwortet haben, liegt zwischen 12 761
(Koordination zwischen Ärzten) und 13 289 (volle Aufmerksamkeit während der Behandlung)
([Abb. 2 ]). Bezogen auf die Anzahl der eingeschlossenen Fälle, entspricht dies einer Responserate
zwischen 93,2 und 97,1%.
Abb. 2 Bewertung der Responsiveness der haus- und fachärztlichen Versorgung; alle Unterschiede
in den Angaben zu haus- und fachärztlicher Versorgung sind auf dem Niveau p<0,001
statistisch signifikant.
Bei der hausärztlichen Versorgung wurden die Aspekte „Sauberkeit der Räume“ und „Freundlichkeit“
mit 96,2 bzw. 95,5% positiven Antworten (Antwortkategorie „gut“ oder „sehr gut“) am
besten bewertet. Am schlechtesten bewertet wurden hingegen die Bereiche „Vertraulich
sprechen am Empfang“ sowie „Wartezeit im Wartezimmer“ mit 59,5 bzw. 70,4% positiven
Bewertungen.
Bei der fachärztlichen Versorgung wurden ebenfalls die Bereiche „Sauberkeit der Räume“
und „Freundlichkeit“ am besten bewertet, hier antworteten 94,9 bzw. 90,0% mit „sehr
gut“ oder „gut“. Am schlechtesten wurden hingegen die Bereiche „Wartezeit Termin“
und „Wartezeit Wartezimmer“ bewertet, mit 52,4 bzw. 54,2% positiven Antworten.
Über alle Kategorien hinweg wurden die Hausärzte statistisch signifikant besser bewertet
als die Fachärzte. Die stärksten Unterschiede zeigten sich dabei bei den Bewertungen
der Wartezeit, der Einbeziehung in die Entscheidungsfindung sowie der Koordination,
hierbei insbesondere bei der Kenntnis über den Behandlungsablauf. Die kleinsten Unterschiede
zeigten sich hingegen bei der Sauberkeit und Ausstattung der Räume sowie bei der Möglichkeit
vertraulich am Empfang sprechen zu können. Bei letzterem wurden sowohl die Haus- als
auch die Fachärzte im Vergleich zu allen anderen Bereichen relativ schlecht bewertet.
Im Vergleich zwischen den Sub-Studien (Tab. 4 im Internet) zeigten sich geringe Unterschiede in der Bewertung der Versorgung zwischen
Befragten der Gruppe KHK und DM2, wobei die Gruppe KHK ihre Versorgung tendenziell
etwas negativer bewertete als die Gruppe DM2.
Berichteter Verzicht auf haus- und/oder fachärztliche Versorgung
Von den 13 685 Befragten, die sowohl einen Haus- als auch Facharztbesuch innerhalb
der letzten 12 Monate berichteten, gaben 1920 Personen (14,0%) an, innerhalb der letzten
12 Monate auf medizinische Versorgung verzichtet zu haben, obwohl der/die Befragte
die Versorgung für notwendig hielt. Am häufigsten wurde dabei ein Verzicht auf einen
Facharztbesuch berichtet (n=1 124; 8,2%), gefolgt von einem Verzicht auf Vorsorgeuntersuchungen
(n=659; 4,8%)[2 ]. Bezogen auf einen Hausarzttermin, gaben 226 Personen (1,7%) an, auf diesen verzichtet
zu haben ([Abb. 3 ]). Dabei berichteten 142 Personen sowohl einen Verzicht auf einen Fach- als auch
auf einen Hausarzttermin.
Abb. 3 Anteil der Befragten, die einen Verzicht auf Versorgung berichteten, nach Art des
Verzichts (n=13 685).
Die 1124 Befragten, die einen Verzicht beim Facharzt berichteten, gaben als Gründe
für einen Verzicht am häufigsten die Wartezeit auf einen Termin (66,6%), gefolgt von
„es stand kein geeigneter Facharzt zur Verfügung“ (30,2%) an. Es muss jedoch bedacht
werden, dass bei Befragten, die verschiedene Arten des Verzichts (Facharzttermin,
operativer Eingriff, usw.) angegeben haben, die Antworten zu den Gründen des Verzichts
nicht direkt der Art des Verzichts zugeordnet werden können.
Diskussion
Die vorliegenden Ergebnisse zeigen die unterschiedliche Bewertung der interpersonellen
und organisatorischen Aspekte der haus- und fachärztlichen Versorgung aus Sicht von
chronisch Kranken.
Insgesamt wurden alle abgefragten Aspekte der haus- und fachärztlichen Versorgung
überwiegend positiv bewertet. Über alle Aspekte hinweg wurde dabei die hausärztliche
Versorgung besser bewertet als die fachärztliche Versorgung. In einer Auswertung der
Weissen Liste basierend auf Daten aus Onlinebewertungsportalen zeigte sich ein ähnliches
Ergebnis: Hausärzte wurden insgesamt positiver bewertet als Fachärzte [21 ]. Dabei bestanden jedoch auch große Unterschiede zwischen den einzelnen Facharztgruppen,
welche in der vorliegenden Studie nicht analysiert werden konnten.
Bezüglich der hausärztlichen Versorgung wurden in anderen Studien vergleichbare Ergebnisse
berichtet. Die Wartezeit im Wartezimmer wurde von 70,4% der Befragten positiv bewertet
und ist somit der am zweitschlechtesten bewertete Aspekt der Versorgung; bei einer
Analyse der Europep-Befragungen (European Projekt on Patient Evaluation of General
Practice Care) aus dem Jahr 2009 war die Wartezeit im Wartezimmer mit 66,7% positiven
Bewertungen der am schlechtesten bewertete Aspekt [22 ]. Die Einbeziehung in die Entscheidungsfindung wurde in der Europep-Studie von 83,0%
[22 ], laut OECD von 87,9% (14; die OECD greift für die deutschen Daten auf eine Befragung
des Commonwealth Fund aus dem Jahr 2010 zurück) und in der vorliegenden Studie von
87,8% der Befragten positiv bewertet. Das Wissen des Arztes über vorherige Untersuchungen
bei vorangegangenen Terminen wurde in der Europep-Studie von 78,3% positiv bewertet
[22 ]; im Vergleich dazu bewerteten in der vorliegenden Studie 78,1% das Wissen des Hausarztes
über den Behandlungsablauf positiv (69,3% bewerteten das Wissen des Facharztes über
den Behandlungsablauf positiv). Ähnliche Ergebnisse hinsichtlich der Koordination
der Versorgung wurden auch in einer Befragung des Commonwealth Fund aus dem Jahr 2014
mit Personen im Alter von 65 Jahren und älter berichtet: 31% der Befragten berichteten,
dass der Facharzt den bisherigen Behandlungsablauf nicht kannte bzw. dem Hausarzt
relevante Informationen des Facharztes fehlten [23 ]. Größere Unterschiede zeigten sich bei der Bewertung der Kommunikation: während
die OECD 94,7% positive Bewertungen berichtet [14 ], lag der Wert in der vorliegenden Studie bei 88,6%. Bei den Vergleichen ist jedoch
zu beachten, dass in der vorliegenden sowie der Europep-Studie ausschließlich chronisch
kranke Personen befragt wurden, während diese Auswahl bei den OECD-Daten nicht getroffen
wurde.
Bei dem berichteten Verzicht auf Versorgung wurde häufiger ein Fach- als ein Hausarzttermin
genannt. Von 13 685 Befragten gaben 1 920 Personen (14,0%) an, auf medizinische Versorgung
verzichtet zu haben. Davon berichteten 1 124 Personen den Verzicht auf einen Facharztbesuch.
Der Anteil der Befragten, der einen Verzicht auf Versorgung berichtete, ist mit 14,0%
im Vergleich zu anderen Studien relativ hoch. In EU-SILC (European Union Statistics
on Income and Living Conditions) 2012 berichteten 94,2% der Befragten in Deutschland
keinen Verzicht auf aus ihrer Sicht notwendige medizinische Versorgung [24 ]. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass zum einen die Stichproben der beiden Studien
schwer vergleichbar sind und zum anderen in der EU-SILC Befragung explizit nach einem
Verzicht auf Versorgung bei dringender Notwendigkeit gefragt wurde [25 ]. Diese Formulierung wurde in der vorliegenden Studie bewusst nicht gewählt, um auch
einen Verzicht auf z. B. Vorsorgeuntersuchungen erfassen zu können.
In der SHARE Befragung (Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe, 1. Welle,
2004) gab ebenfalls ein geringerer Anteil (6,3% von 2 680) der Befragten an, medizinische
Versorgung nicht wahrgenommen zu haben. Die Stichproben von SHARE und der vorliegenden
Studie sind in Bezug auf die Altersverteilung besser vergleichbar. Bei SHARE wurde
jedoch explizit nur nach dem Verzicht auf medizinische Versorgung aus Kostengründen
oder mangelnder Verfügbarkeit gefragt. Unterteilt nach den Gründen, gaben 163 Personen
(5,5%) an, aus Kostengründen verzichtet zu haben [26 ]. In der vorliegenden Studie war der Anteil an Personen, die aufgrund von Kosten
verzichtet haben, mit 3% von 13 685 Befragten, wiederum deutlich geringer.
Für die Unterschiede zwischen haus- und fachärztlicher Versorgung bestehen verschiedene
Erklärungsansätze. Es kann insbesondere die Annahme getroffen werden, dass der Hausarzt
insgesamt häufiger aufgesucht wird und einen wichtigeren Bezugspunkt in der Versorgung
darstellt. Somit wird der Hausarzt bei Unzufriedenheit voraussichtlich eher gewechselt
als ein Facharzt, welcher weniger häufig aufgesucht wird. Des Weiteren können die
Unterschiede in der Bewertung der Versorgung auch durch Unterschiede in der Erwartungshaltung
gegenüber Haus- und Fachärzten bedingt sein. Obwohl die gleichen Personen jeweils
beide Fragen beantwortet haben, können dennoch Unterschiede in der Erwartungshaltung
die Ergebnisse beeinflussen.
Es konnte zudem nicht zwischen verschiedenen Facharztgruppen unterschieden werden,
sondern nur allgemein die Gruppe der Fachärzte mit der Gruppe der Hausärzte verglichen
werden, sodass Unterschiede zwischen den Facharztgruppen nicht abgebildet werden können.
Hinsichtlich der Bewertung der Wartezeiten wurde darüber hinaus nicht zwischen einem
Termin mit Überweisung und/oder Terminvereinbarung durch den Hausarzt und die Terminvereinbarung
ohne Überweisung unterschieden. Das Vorgehen bei der Terminvereinbarung hat jedoch
potentiell Einfluss auf die Bewertung der Wartezeiten [27 ].
Die Ergebnisse der Analysen können nur mit Einschränkungen auf andere Patienten übertragen
werden, da ausschließlich chronisch Kranke und ausschließlich Versicherte der Techniker
Krankenkasse befragt wurden. Bei der Interpretation ist zudem zu beachten, dass durch
den großen Stichprobenumfang bereits relativ geringe Unterschiede zu statistisch signifikanten
Ergebnissen führen.
Dennoch erlauben die Ergebnisse relevante Schlussfolgerungen. Trotz der überwiegend
positiven Bewertungen zeigte sich Verbesserungspotenzial bei beiden Arztgruppen bei
den Wartezeiten im Wartezimmer, der Möglichkeit vertraulich am Empfang sprechen zu
können sowie der Koordination der Versorgung. In Bezug auf die fachärztliche Versorgung
zeigt sich zudem Verbesserungspotenzial bei der Einbeziehung in die Entscheidungsfindung
sowie bei der Wartezeit auf einen Termin.
Zudem konnten teilweise starke Unterschiede in der Bewertung der haus- und fachärztlichen
Versorgung aufgezeigt werden. Insbesondere in internationalen Vergleichen ist jedoch
die Bewertung des ambulanten Sektors häufig ausschließlich auf die hausärztliche Versorgung
bezogen (u. a. [14 ]). Die in dieser Studie aufgezeigten Unterschiede weisen jedoch darauf hin, dass
dieses Vorgehen – zumindest für Deutschland – zu einer verzerrten, zu positiven Bewertung
des ambulanten Sektors führen kann. Dies sollte somit bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit
von Gesundheitssystemen sowie bei internationalen Vergleichen ambulanter Versorgung
beachtet werden.
Die Ergebnisse zeigen weiteren Forschungsbedarf im Bereich der Leistungsbewertung
von Gesundheitssystemen, insbesondere in Hinblick auf die Messung der Nutzerorientierung
bzw. der Health System Responsiveness auf. Die Komplexität des Themas der Leistungsbewertung
zeigt sich u. a. am Beispiel der Wartezeiten: durch international stark divergierende
Zugangsregelungen zur fachärztlichen Versorgung, sind die entsprechenden Ergebnisse
international nur eingeschränkt vergleichbar. Die Frage, wie in internationalen Vergleichen
eine gute und umfassende Abbildung des deutschen ambulanten Sektors aussehen kann,
ohne einen Bereich auszuschließen (wie bisher häufig die fachärztliche Versorgung),
benötigt somit weitere Aufmerksamkeit.