Herbsttagung der Bundesdirektorenkonferenz am 29. – 30.10.2015 im Bezirkskrankenhaus
Günzburg
Die diesjährige Herbsttagung der Bundesdirektorenkonferenz war dem Thema „Ambulante Leistungen durch das Krankenhaus“ gewidmet.
Eröffnet wurde die Tagung vom Hausherrn selbst: Herr Prof. Dr. Thomas Becker, Direktor
des BKH Günzburg, stellte in seinem Beitrag die „Ambulanten Leistungen durch das Krankenhaus in der internationalen Perspektive“ dar.
Ausgangspunkt seiner Überlegungen waren die aktuellen Empfehlungen der S3-Leitline
der DGPPN zu „Psychosozialen Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen“ aus
dem Jahr 2013. Jeweils mit Empfehlungsgrad A und Evidenzebene Ia wird hier festgehalten,
dass eine gemeindepsychiatrische, teambasierte, multiprofessionelle und ambulante
Behandlung in definierten Regionen zur Versorgung von Menschen mit schweren psychischen
Störungen zu etablieren ist, die wohnortnah und erforderlichenfalls aufsuchend sein
soll.
International erprobte Modelle einer solchen Versorgung stellen z. B. das „Assertive
Community Treatment“ (ACT), das „Home Treatment“ (HT), das „Intensive Case Management“
(ICM) und die „Community Mental Health Teams“ (CMHT) dar, bei denen in zahlreichen,
randomisierten und kontrollierten Studien jeweils signifikant nachgewiesen werden
konnte, dass Zahl und Dauer stationärer Behandlungen bei einer geringeren Rate von
Behandlungsabbrüchen und einer höheren Behandlungszufriedenheit reduziert werden konnten,
wobei sich sowohl soziale Inklusion (Wohnen und Arbeit) als auch die Kosteneffektivität
verbesserten.
„Ambulante Leistungen durch das Krankenhaus im Rahmen der Tätigkeit einer Psychiatrischen
Institutsambulanz (PIA)“ standen im Mittelpunkt der Ausführungen von Frau Dr. Steffi Koch-Stoecker von der
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bethel. Sie hob in ihrem Beitrag vor allem
auf aktuelle Erweiterungen der Tätigkeitsgebiete einer PIA ab wie dem Angebot von
Spezialsprechstunden analog zum stationären Bereich (stoff- und nicht stoffgebundene
Süchte wie Alkohol, Drogen, Internet …, Gerontopsychiatrie und Gedächtnisambulanzen
usw.) sowie regional und bedarfsorientiert z. B. im Hinblick auf Autismusspektrumstörungen,
ADHS, Trauma, chronischen Schmerz, Psychoonkologie, Sexualstörungen oder – ganz aktuell
– auf asylsuchende Flüchtlinge.
Frau Prof. Dr. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank von der LVR-Klinik Köln widmete sich
dem Thema „Wann braucht der Patient das Bett?“ und damit den Grenzen der ambulanten Behandlung. Für einen Großteil der Aufnahmeentscheidungen
mangelt es derzeit noch an verlässlichen Entscheidungshilfen, systematischen Kriterien
oder Leitfäden. In einer Arbeitsgruppe der Bundesdirektorenkonferenz unter ihrer Leitung
wurden deshalb Kriterien formuliert und systematisiert, die bei psychiatrischen Aufnahmeentscheidungen
angewendet werden können.
Die Autoren erarbeiteten zwei Indikationsachsen, auf die sich alle Aufnahmesituationen
zurückführen lassen: 1. Notwendigkeit aufgrund der psychiatrischen Symptomatik, die
eine Überwachung/Schutz unter stationären Bedingungen erforderlich macht, und 2. Notwendigkeit
für die Diagnostik und/oder Therapie. Beide Indikationsachsen wurden jeweils graduell
in vier Kategorien „absolut“, „stark“, „mittelstark“ und „bedingt“ gegliedert, um
unterschiedlichen Indikationsstärken Rechnung zu tragen. Darüber hinaus wurde eine
dritte Achse modulierender psychosozialer Faktoren formuliert, die die Entscheidung
für oder gegen eine stationäre Aufnahme beeinflussen, wobei deren Bedeutung mit abnehmender
Stärke der beiden Hauptachsen zunimmt.
„Die Rolle der Pflege in der Psychiatrischen Institutsambulanz“ wurde von Herrn Bruno Hemkendreis vom LWL Klinikum Gütersloh näher beleuchtet. Originär
pflegerische Aufgaben stellen nach seinen Ausführungen das Training von Alltagsfertigkeiten
und sozialen Kompetenzen, das Management akuter psychischer Krisen, das Training kognitiver
Fähigkeiten, Gesundheitsförderung und Prävention, Unterstützung und Sichern der ärztlichen
Behandlung, Förderung des eigenverantwortlichen Umgangs mit Medikamenten, das Management
somatischer Begleiterkrankungen, die Zusammenarbeit mit Familienangehörigen und anderen
Bezugspersonen sowie Koordination und Vermittlung von Hilfen im Sinne einer Netzwerkbildung
als Begleitung zur Unterstützung und Reflexion im Alltag dar.
Im Mittelpunkt des Vortrags von Frau Prof. Dr. Katarina Stengler von der Klinik und
Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig stand
schließlich die „Ambulante Rehabilitation durch das Krankenhaus“. Während die gegenwärtige Ist-Situation des „Wo findet Rehabilitation statt?“ durch
eine Segmentierung an den sozialrechtlichen Gegebenheiten gekennzeichnet ist, sollte
sich die Rehabilitation vielmehr an den individuellen Bedürfnissen, Fähigkeiten und
Fertigkeiten orientieren. Die Aufgabe der PIA in diesem beruflichen Integrationsprozess
sieht sie dabei in der Übernahme einer Lotsenfunktion, um die einzelnen, medizinischen,
sozialen und arbeitsförderlichen Maßnahmen in einen Gesamtbehandlungsplan aus einer
Hand zu integrieren.
Neben dem wissenschaftlichen Programm waren die Vorstandswahlen ein weiterer, wichtiger Tagesordnungspunkt des diesjährigen Herbsttreffens. Hierbei
wurden der Vorsitzende Prof. Dr. Thomas Pollmächer, der Schatzmeister Prof. Dr. Wolfgang
Schreiber und die Beisitzer Prof. Dr. Manfred Driessen, Prof. Dr. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank,
Dr. Felix Hohl-Radke und Dr. Manfred Koller im Amt bestätigt. Nachdem Prof. Dr. Gerhard
Längle für eine weitere Amtszeit nicht mehr zur Verfügung stand, wurde Dr. Sylvia
Claus, Chefärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am
Pfalzklinikum in Klingenmünster als fünfte Beisitzerin gewählt. Der neue Vorstand
hat zudem Christel Lüdecke, Chefärztin und Stv. Ärztliche Direktorin am Asklepios
Fachklinikum Göttingen neu als Beraterin berufen.
Prof. Dr. med. Wolfgang Schreiber, M. A.
Bezirksklinikum Mainkofen