Quadrizepssehnenruptur
Anatomie
Die Quadrizeps- und Patellarsehne dienen im Kniegelenk zur Kraftübertragung der Streckmuskulatur.
Diese besteht aus dem 4-köpfigen M. quadriceps, welcher entsprechend in 4 Anteile
aufgeteilt werden kann (M. rectus femoris, M. vastus lateralis, M. vastus medialis
und M. intermedius). Der M. rectus femoris stellt den oberflächlichen Anteil des M.
quadriceps dar. Er verläuft mit einem Teil seiner Fasern über die Oberfläche der Patella
hinweg in die Patellarsehne hinein und bildet so den Reservestreckapparat. Der Vastus
medialis bildet den medialen Muskelanteil der Quadrizepsmuskulatur. Er kann wiederum
nach Berücksichtigung des Verlaufs und der Funktion der Muskelfasern in den M. vastus
medialis longus und M. vastus medialis obliquus eingeteilt werden. Aufgrund der 4
unterschiedlichen Muskelanteile mit ihren typischen Faserverläufen kommt es in der
gemeinsamen Insertionssehne (Quadrizepssehne) zu einem faserigen Aufbau mit 2–4 unterschiedlichen
Lagen, welche durch Fettschichten von einander separiert werden [31].
Wegen der typischen Druckbelastung des Sehnengewebes unter Flexionsstellung des Kniegelenks
befindet sich im Abstand von 10 mm proximal der Patella im posterioren Blatt der Quadrizepssehne
ein gefäßarmes Areal [27]. Aufgrund der geringen Gefäßversorgung weist dieses Areal besonders häufig degenerative
Veränderungen auf [27], [35]. Da es sich bei Quadrizepssehnenrupturen i. d. R. um degenerative Risse handelt,
sind die Rupturstellen häufig in diesem gefährdeten Bereich zu finden.
Epidemiologie/Ätiologie
Quadrizepssehnenrupturen können in seltenen Fällen durch Hochrasanztraumata des Kniegelenks
verursacht werden. In den meisten Fällen handelt es sich bei dieser Ruptur jedoch
um eine Folge eines inadäquaten Traumas auf Grundlage einer degenerativen Vorschädigung
des Sehnengewebes. Als typischer Traumamechanismus wird eine maximale Anspannung der
Quadrizepsmuskulatur gegen Widerstand angegeben. In der aktuellen Literatur gibt es
keine genauen Zahlen über die Häufigkeit der Ruptur der Quadrizeps- oder Patellarsehne.
Es sind jedoch Häufigkeitsverteilungen im Vergleich zu anderen Sehnenrupturen publiziert
worden. So kommt eine Achillessehnenruptur 16-mal häufiger vor als eine Patellarsehnenruptur
[18]. Mit einem Verhältnis von 6 : 1 ist das männliche Geschlecht häufiger von einer
Quadrizepssehnenruptur betroffen [12].
Pathomechanismus
Voraussetzung für das Erleiden einer Quadrizepssehnenruptur ist meistens der degenerative
Vorschaden der Sehne. Typische Vorschädigungen, die im Falle einer Quadrizepssehnenruptur
gefunden werden, sind Verfettung, hypoxische Tendinopathie, idiopathische Tendinopathie,
kalzifizierende Tendinopathie und multiple degenerative Veränderung [12], [14], [15].
Als Ursache für diese degenerativen Veränderungen der Quadrizepssehne werden die folgenden
Erkrankungen und Faktoren diskutiert [8], [12], [14], [15], [26]:
-
langzeitliche systemische oder lokale Therapie mit Glukokortikoiden
-
endokrine Erkrankungen (Hyperurikämie, Diabetes mellitus 1 bzw. 2, Adipositas, Niereninsuffizienz,
Hyperparathyreoidismus, metabolisches Syndrom)
-
Anabolikaabusus
-
kompromittierende Gefäßversorgung der Sehne
-
lokale Ischämie durch mechanische Belastung (z. B. hockende Tätigkeit)
Diagnostik
Die Diagnosestellung der kompletten Quadrizepssehnenruptur erfolgt i. d. R. bereits
anhand des klinischen Befunds.
Neben der typischen suprapatellaren Delle, welche im Verlauf aufgrund des Hämatoms
nicht mehr eindeutig palpierbar sein muss, spricht eine Unfähigkeit der aktiven Streckung
des Kniegelenks gegen Widerstand für eine Quadrizepssehnenruptur.
Zur differenzialdiagnostischen Unterscheidung zur Patellarsehnenruptur sollte v. a.
die Lokalisation von Einblutungen wie auch die Stellung der Patella in der klinischen
Untersuchung beachtet werden. Neben einer dezidierten klinischen Untersuchung gehört
eine genaue Anamneseerhebung zur adäquaten Behandlung. Dabei sollten die folgenden
Themenbereiche abgefragt werden: klinische Symptome, Schmerzanamnese, Verletzungsmechanismus,
Medikamentenanamnese (Kortison, Anabolika), systemische Grunderkrankungen [12], [26].
Das apparative Diagnostikum der Wahl einer Quadrizepssehnenruptur ist die Sonografie,
mit deren Hilfe die klinische Verdachtsdiagnose schnell und kostengünstig eindeutig
bestätigt werden kann. Insbesondere im Falle einer Teilruptur, welche bei der klinischen
Untersuchung die Diagnosestellung erschweren kann, bietet die Sonografie mit Nachweis
von Hämatom besonders in der Frühphase die schnelle Bestätigung des Verdachtsbefunds.
Ein weiterer großer Vorteil der Sonografie ist die Möglichkeit der dynamischen Untersuchung,
die eine allumfassende Analyse der Ruptur ermöglicht.
Neuere Untersuchungen konnten jedoch in einer retrospektiven Studie ernüchternde Ergebnisse
bez. der Diagnosestellung von Total- und Teilrupturen des Kniestreckapparats verzeichnen
[34]. In dieser Studie zeigte sich v. a. bei übergewichtigen Patienten eine deutliche
Einschränkung der Genauigkeit der Diagnosestellung mittels Sonografie. In diesen Fällen
sollte bei klinischem Verdacht auf eine Affektion des Streckapparats die Diagnostik
mittels MRT erweitert werden.
Das MRT spielt ansonsten in der Primärdiagnostik eine eher untergeordnete Rolle. Im
Falle einer Reruptur oder degenerativen Teilruptur bietet die MRT-Bildgebung jedoch
wichtige Zusatzinformationen wie Status der Degeneration, Ausmaß der Dehiszenz mit
qualitativem Status des Sehnengewebes. Diese Informationen sind im Falle einer Revision
von größter Bedeutung und bestimmen das operative Vorgehen [22]. Weiterhin kann eine durchgeführte MRT-Diagnostik objektive und stichhaltige Informationen
für eine gutachterliche Beurteilung bieten.
Mithilfe einer Röntgenaufnahme (insbesondere im seitlichen Strahlengang) können zum
einen die Patellastellung bzw. -höhe, eine ventrale Abkippung, zum anderen auch mögliche
knöcherne Avulsionen (insbesondere bei Kindern) und degenerative Veränderungen mit
z. B. Kalzifikationen dargestellt werden.
Therapie
Teilruptur
Im seltenen Fall einer Teilruptur der Quadrizepssehne kann grundsätzlich ein konservatives
Vorgehen empfohlen werden [22]. Dies gilt insbesondere bei erhöhtem peri- und postoperativem Risiko. Jedoch sollte
gerade bei älteren Patienten eine langzeitige Immobilisation verhindert werden, welche
sich bei konservativem Vorgehen erheblich verlängern kann.
Totalruptur
Im Falle einer vollständigen Ruptur der Quadrizepssehne ist die operative Intervention
indiziert. Hierbei wird im eigenen Vorgehen die offene Naht der zerrissenen Sehne
favorisiert.
Der Operationszeitpunkt sollte idealerweise innerhalb von 48–72 Stunden gewählt werden,
um eine optimale Voraussetzung zur Heilung der Sehnenruptur zu ermöglichen [20], [32].
Zur Vorbereitung der Operation sollten beide Kniegelenke steril abgewaschen und während
der Operation frei zugänglich sein. Dieses Vorgehen erlaubt den intraoperativen Vergleich
der Patellahöhe klinisch und evtl. radiologisch (seitl. Strahlengang). Standardzugang
zur Naht der Quadrizepssehne ist die mediane Hautinzision. Diese erlaubt im Falle
einer späteren Revisionssituation oder Folgeoperation (Knie-TEP etc.) sämtliche Möglichkeiten.
Über diesen Zugang wird die Quadrizepssehnenruptur vollständig freigelegt, und degenerative
und stark zerrissene Sehnenanteile werden débridiert. Eine histologische Probeentnahme
und Aufarbeitung kann im Falle eines Berufsunfalls eine spätere Einstufung der Kausalitäten
erleichtern und wird somit empfohlen. Anschließend sollte im Falle einer akuten Ruptur
eine vollständige spannungsfreie Adaptation und Naht der zerrissenen Sehne angestrebt
werden. Die genaue Nahttechnik sollte an die Höhe der Ruptur bzw. an den Abstand der
Ruptur zur Patella und zum muskulotendinösen Übergang angepasst werden.
In der aktuellen Literatur wird jedoch grundsätzlich eine Durchflechtungsnaht in Kombination
mit einer Rahmennaht empfohlen [12], [20], [26].
Die Fixation der Quadrizepssehne bzw. der Fäden, mit denen die Quadrizepssehne in
Masson-Allen- oder Krackow-Technik angenäht worden ist, kann grundsätzlich auf zweierlei
Art und Weise erfolgen:
-
Entweder werden in Längsrichtung transossäre Bohrungen – z. B. mit einem 2,0-mm-Bohrer-durchgeführt,
mit denen die Quadrizepssehne am proximalen Patellapol fixiert wird,
-
oder die knöcherne Fixation der Sehne erfolgt über die Platzierung von 2–3 Knochenankern
[8], [10], [19], [28].
In den letzten Jahren ist eine Vielzahl von biomechanischen Studien zu den Struktureigenschaften
der Ankerfixation im Vergleich zum „Goldstandard“ der transossären Fixation durchgeführt
worden [10], [21], [28], [33]. Während Hart et al. [10] geringere Versagenskräfte nach Ankerfixation im Vergleich zur 3-fachen transossären
Naht feststellen konnten und Lighthart et al. [21] vergleichbare Struktureigenschaften ermittelten, konnten Petri et al. in den durchgeführten
Kadaverversuchen eine signifikant erhöhte Ausreißkraft der Titan- und Hydroxylapatitanker
im Vergleich zu den transossären Nähten feststellen [28].
Zusammenfassend kann als Erkenntnis aus diesen Studien festgehalten werden, dass eine
Ankerfixation mindestens vergleichbare Fixationskräfte bietet und als adäquate Alternative
zu den als Goldstandard geltenden transossären Nähten gilt.
Veraltete Ruptur/Reruptur
Veraltete Rupturen oder Rerupturen stellen eine besondere Herausforderung für die
Therapie dar. Wichtige Voraussetzung zur Behandlung einer Reruptur oder veralteten
Quadrizepssehnenverletzung ist zum einen eine genaue Anamneseerstellung, um die genauen
Ursachen der Reruptur, den Zeitpunkt oder die ausbleibende Heilung zu analysieren.
Mögliche Ursachen können Nichteinhaltung des Rehabilitationsschemas, erneutes Trauma,
Heilungsstörung aufgrund von Begleiterkrankungen oder Medikamenteneinnahme von heilungsinhibierenden
Medikamenten (z. B. Kortison, Zytostatika, Immunsuppressiva) sein.
Nur durch eine sorgfältige Anamnese können Risikofaktoren für ein erneutes Versagen
der Naht eingegrenzt und ggf. eliminiert werden.
Weiterhin muss eine aufwendige Analyse der Ruptur erfolgen. In den meisten Fällen
ist eine MRT-Bildgebung der Quadrizepssehne zu empfehlen, um das weitere operative
Vorgehen zu planen. Wichtige Aspekte sind dabei die Größe des Sehnendefekts, Ausmaß
der Degeneration der verbliebenen Sehne und der Zustand des Reservestreckapparats.
Abhängig von dieser Analyse sollte danach das weitere operative Prozedere geplant
werden. Falls sowohl das Ausmaß des Sehnendefekts als auch die Degeneration der Sehne
geringgradig ausgeprägt sind, so kann in selteneren Fällen auch eine erneute primäre
Adaptation der Sehne mit End-zu-End-Naht durchgeführt werden [16]. In den meisten Fällen ist eine direkte Naht jedoch nicht möglich, sodass der Sehnendefekt
mit möglichst qualitativ hochwertigem Sehnenmaterial ausgefüllt werden sollte [30].
Im Falle einer gering ausgeprägten Degeneration des Sehnengewebes kann eine Überbrückung
des Sehnendefekts mithilfe einer Z-Plastik oder einer gestielten Plastik mittels Separierung
des profunden und oberflächlichen Anteils der Quadrizepssehne erreicht werden. Weiterhin
kann ein Sehnendefekt auch mittels autologem Semitendinosussehnen- oder Grazilissehneninterponat
augmentiert werden [30] ([Abb. 1]). Eine primäre Readaptation der Sehne kann auch wahlweise durch einen V-förmigen
Lappen aus dem proximalen Anteil der Sehne, welcher mit dem distalen Anteil und der
patellaren Vorderfläche vernäht wird, verstärkt werden [12], [26], [36].
Abb. 1 Chronische Quadrizepssehnenruptur mit ausgeprägtem Substanzdefekt der Quadrizepssehne.
Der Defekt wurde mittels biologischer Augmentationsplastik einer Semitendinosussehne
verschlossen.
Nachbehandlung
Die Nachbehandlung der Quadrizepssehnenruptur stellt einen Kompromiss zwischen Schonung
der Nähte und evtl. Lappenplastiken und frühzeitigen Bewegungsübungen des Kniegelenks
dar.
Insgesamt wird in der aktuellen Literatur der frühfunktionellen Beübung des Kniegelenks
jedoch eine große Bedeutung beigemessen. Die frühzeitige passive Bewegungsübung der
Sehne soll sowohl die Sehnenheilung induzieren als auch Adhäsionen verhindern [12], [26], [36]. Insbesondere die Einschränkung der Beweglichkeit des Kniegelenks führt im langzeitlichen
Outcome zu einer erheblichen Verschlechterung der Kniefunktion und Zufriedenheit der
Patienten. Aus diesem Grunde sollte bereits in der Frühphase der postoperativen Behandlung
eine intensive passive Bewegungsübung des Kniegelenks mittels CPM (Motorschiene) erfolgen.
Diese Übungen können bereits in der Frühphase ergänzt werden mit isometrischen Anspannungsübungen
des M. quadriceps femoris.
Bezüglich der aktiven Belastung der betroffenen Extremität sollte je nach Befund (akuter
Riss, chronischer Riss, Reruptur, Nebenerkrankungen etc.) eine Teilbelastung mit 20 kg
an Unterarmgehstützen für 6–8 Wochen durchgeführt werden [8], [12], [26]. Um eine Überlastung der Sehne in den ersten postoperativen Wochen zu verhindern,
sollte eine Orthese mit Limitierung der Flexion auf 60–90° verwendet werden. Insbesondere
bei Quadrizepssehnenrupturen kann kein allgemeingültiges Nachbehandlungsschema angegeben
werden, sondern es sollte immer individuell auf den Patienten und seine Ruptur- und
Nahtsituation angepasst werden. Schließlich haben Qualität des Sehnengewebes, Ausmaß
der Degeneration und Rupturlokalisation wesentlichen Einfluss auf die Primärstabilität
und den Heilverlauf.
Ein Monitoring der Sehnenheilung kann kostengünstig und suffizient mittels Sonografie
erfolgen.
Patellarsehnenruptur
Anatomie
Die Patellarsehne stellt die Verlängerung der Quadrizepssehne dar, welche die Patella
(Hypomochlion) mit der Tuberositas tibiae verbindet. Ihre Fasern stammen dabei aus
der Endsehne des M. quadriceps femoris, wobei die meisten Fasern aus der flachen Endsehne
des M. rectus femoris stammen. Die Patellarsehne hat eine zentrale Bedeutung bei der
aktiven Kniestreckung, welche bei Ruptur der Sehne i. d. R. vollständig aufgehoben
ist. Die Länge der Sehne steht i. d. R. in einem harmonischen Zusammenhang mit der
Längenausdehnung der Patella. Dieses Verhältnis kann mittels Insall-Salvati- oder
Caton-Dechamps-Index berechnet werden (1 : 1) [5], [13].
Epidemiologie
Die Patellarsehnenruptur ist eine eher seltene Verletzung des Kniegelenks. Ihr Anteil
bez. der Verletzungen des Kniestreckapparats wird in der Literatur mit 3–6 % angegeben
[11]. Jedoch sollte diese schwere Verletzung des Kniestreckapparats im Bewusstsein des
behandelnden Arztes sein, da eine übersehene Patellarsehnen(teil)ruptur weitreichende
Auswirkungen auf die Funktion des Kniegelenks haben kann. Erschreckenderweise wird
die Quote der übersehenen Patellarsehnenrupturen mit bis zu 21 % angegeben. Im Gegensatz
zu den Quadrizepssehnenrupturen, welche insbesondere im älteren Patientengut (über
40 Jahre) angetroffen werden, sind 80 % der Patienten mit Patellarsehnenruptur unter
40 Jahre alt und gehören somit dem körperlich aktiveren Patientengut an [11]. Aus diesem Grund ist eine optimale Behandlung dieser Verletzung unabdingbar, um
das angestrebte Aktivitätsniveau der Patienten aufrechtzuerhalten [11].
Pathomechanismus
Eine akute Patellarsehnenruptur kann sowohl durch direkte als auch indirekte Krafteinwirkung
verursacht werden. Obwohl eine degenerative Schwächung der Sehne einen geringeren
Einfluss im Vergleich zur Quadrizepssehne haben soll (80 % der Rupturen im Alter unter
40 Lebensjahren), so muss auch im Falle einer Patellarsehnenruptur von einer gewissen
degenerativen Vorschädigung ausgegangen werden.
Die „anatomische Wetterecke“ der Patellarsehne scheint v. a. der Übergang vom unteren
Patellapol zur Sehne zu sein. Hier werden die meisten Patellarsehnenrupturen im Erwachsenenalter
angetroffen. Im Kindesalter treten Patellarsehnenrupturen häufig im distalen Bereich
der Sehne am Übergang zur Tuberositas tibiae auf. In diesen Fällen handelt es sich
i. d. R. um indirekte Krafteinwirkungen auf die Sehne. Intraligamentäre Durchtrennungen
der Sehne kommen deutlich seltener vor und sind meistens Folge einer direkten (scharfen)
Krafteinwirkung mit Zerschneidung der Sehne [18].
Wichtige Einflussfaktoren für eine degenerative Vorschädigung und damit Schwächung
der Patellarsehne stellen internistische Nebenerkrankungen dar, welche in der Anamneseerhebung
unbedingt beachtet werden müssen: [6], [17]
-
Diabetes mellitus
-
Niereninsuffizienz
-
rheumatoide Arthritis
-
Ehlers-Danlos-Syndrom
-
Lupus erythematodes
Weitere Ursachen von Schwächungen der Patellarsehnen können Patellarsehnenentnahmen
z. B. bei VKB-Rekonstruktionen oder iatrogene Schädigungen im Rahmen einer Knieprothesenimplantation
sein [1], [9].
Diagnostik
In Analogie zu der Quadrizepssehnenruptur spielt bei der Patellarsehnenruptur eine
genaue Anamneseerhebung des Traumas, der Beschwerden, der Funktionseinschränkung und
der gesamten Krankengeschichte eine große Rolle [11].
In den meisten Fällen kann eine vollständige Patellarsehnenruptur anhand einer dezidierten
klinischen Untersuchung diagnostiziert werden. Folgende 3 Aspekte sind von besonderer
Bedeutung und sollten stets erkannt werden:
-
Einschränkung oder Unfähigkeit der aktiven Kniestreckung
-
Patellahochstand (DD Quadrizepssehnenruptur)
-
palpable Delle zwischen Patella und Tuberositas tibiae ([Abb. 2])
-
fehlender oder deutlich geringerer Erguss
Abb. 2 Klinischer Befund einer Dellenbildung zwischen Patella und Tuberositas tibiae auf
Grundlage einer akuten Patellarsehnenruptur
In der Regel ist die aktive Streckung der betroffenen Extremität aufgrund der Verletzung
vollständig aufgehoben.
Zur Erweiterung der klinischen Diagnostik ist eine projektionsradiologische Untersuchung
des Kniegelenks in 2 Ebenen indiziert, um evtl. knöcherne Beteiligungen zu erkennen.
Zusätzlich kann mithilfe der seitlichen Röntgenaufnahmen die Höhe der Patella bestimmt
werden. Hierzu sollte auch immer die Gegenseite im streng seitlichen Röntgenbild mit
identischer Flexionsstellung des Kniegelenks in 30° projektionsradiografisch als „gesunder
Vergleich“ abgebildet werden. Mithilfe dieser Aufnahmen wird dann der Insall-Salvati-
oder Caton-Deschamps-Index bestimmt, um eine resultierende Patella alta erkennen zu
können [5], [13].
Zur genaueren Analyse von intratendinösen Rupturen empfiehlt sich die Durchführung
einer sonografischen Untersuchung der Sehne. Nur im zweifelhaften akuten Fall (z. B.
Teilruptur) oder im Fall einer chronischen Ruptur oder Reruptur ist die Durchführung
einer MRT-Untersuchung streng indiziert. Mit ihrer Hilfe kann die Dehiszenzstrecke
und v. a. auch der Degenerationsstatus der Sehne genau analysiert werden. Diese Informationen
sind jedoch für die Planung des operativen Vorgehens von entscheidender Bedeutung.
Therapie
Grundsätzlich besteht im Falle einer vollständigen Ruptur der Patellarsehne eine Operationsindikation.
Kontraindikationen bestehen lediglich im Falle von schweren Begleitverletzungen oder
Begleiterkrankungen, welche den Patienten vital gefährden. Jedoch sollte auch in diesen
Fällen nach Stabilisierung des Patienten oder Konsolidierung der Weichteilverhältnisse
eine verzögerte operative Versorgung angestrebt werden, um einen Funktionserhalt der
Extremität zu gewährleisten.
Akute Ruptur
Die Versorgung der akuten Patellarsehnenruptur folgt seit 1950 einem vergleichbaren
Schema. Grundsätzlich sollte eine Adaptation der Sehnenenden erreicht werden. Handelt
es sich um eine intraligamentäre Rupturform, erfolgt eine Naht der Sehne mittels U-Nähten,
Bunnell- oder Kessler-Nähten. Die Nähte können sowohl mit resorbierbarem (z. B. PDS)
oder auch nicht resorbierbarem Nahtmaterial (z. B. Ethibond) durchgeführt werden.
Im Falle einer knochennahen Ruptur (Avulsionsverletzung) unmittelbar im Bereich der
tibialen oder patellaren Insertion sollte eine knöcherne Fixation der Nähte erfolgen.
Hierbei ist sowohl die transossäre Naht als auch die Verwendung von Knochenankern
möglich ([Abb. 3]) [3], [4], [7]. Biomechanische Versuche haben dabei vergleichbare biomechanische Eigenschaften
feststellen können [3].
Abb. 3 a bis c Schematische Zeichnung proximaler Patellarsehnenrupturen mit Knochenankerfixation
und Bunnel- und Krackow-Nähten aus Gaines et al. [7]: a Durchflechtung der Patellarsehnenränder und der zentralen Anteile mit Krackow-Nähten.
b Bunnel-Naht zur Armierung des zentralen Sehnenanteils. c Ergebnis kurz vor dem Festknoten mit vorgelegten Bunnel- und Krackow-Nähten.
Aufgrund der eingeschränkten Primärstabilität der Nähte wird eine zusätzliche Stabilisierung
der Naht mittels McLaughlin-Cerclage empfohlen [24].
In der Literatur finden sich unterschiedliche Konfigurationen dieser überbrückenden
Cerclage. So kann diese als Rahmennaht sowohl im Bereich des unteren Patelladrittels
als auch in der Tuberositas durch eine transossäre Bohrung geführt werden. Alternativ
kann auch eine Achtertour vom Quadrizepssehnenansatz (transtendinös, ohne transossäre
Bohrung) zur Tuberositas tibiae geführt werden. Zur Erhöhung der biomechanischen Stabilität
kann die Cerclage im Bereich der Tuberositas durch eine kanülierte Kleinfragmentschraube
geleitet werden [29].
Neben der ursprünglichen Verwendung einer Draht-Cerclage, welche einer Implantatentfernung
im Rahmen eines operativen Eingriffs bedarf, kann alternativ auch eine PDS-Cerclage
mit einer kräftigen PDS-Kordel (z. B. 0,7 oder 1,5 mm) durchgeführt werden, wodurch
eine Folgeoperation nicht notwendig ist. Allerdings erkauft man sich diesen Vorteil
mit einem erhöhten Risiko für eine Fremdkörperreaktion durch das elastischere PDS-Material
[11].
Neben der vollständigen Adaptation der Sehne stellt die genaue Einstellung der Patellahöhe
im Seitenvergleich einen wichtigen Schritt der Patellarsehnenrekonstruktion dar. Insbesondere
bei stark aufgefaserten Sehnenenden ist eine korrekte Höheneinstellung der Patella
schwierig ([Abb. 4]). Bei der Einstellung der Patellahöhe sollte in jedem Fall eine intraoperative fluoroskopische
Kontrolle erfolgen.
Abb. 4 Intraoperativer Befund einer akuten Patellarsehnenruptur mit typisch aufgefaserten
Sehnenenden.
Zur vergleichenden Kontrolle der physiologischen Patellahöhe sollten die intraoperativen
Aufnahmen entweder mit präoperativen Aufnahmen der Gegenseite in identischer Beugestellung
verglichen werden oder alternativ das kontralaterale Kniegelenk frei beweglich zum
intraoperativen Vergleich abgewaschen werden.
Eine inkorrekte Einstellung der Patella kann im weiteren postoperativen Verlauf zu
schweren Komplikationen für den Patienten führen („Overstuffing“; Retropatellararthrose,
Patellainstabilität mit Luxationsneigung etc.)
Chronische Ruptur/Reruptur
Chronische Rupturen (verzögert versorgte Rupturen) oder Rerupturen sind besonders
schwierig zu behandeln. Wichtige Einflussfaktoren für das operative Vorgehen sind
hierbei das Ausmaß der Dehiszenz der Sehnenstümpfe, die allgemeine Qualität des Sehnengewebes,
insbesondere im Rupturbereich, und die weiteren Begleitverletzungen. Zur genauen Analyse
dieser Einflussfaktoren sollte im Falle einer chronischen oder veralteten Ruptur eine
MRT-Diagnostik durchgeführt werden.
Im Falle einer weiten Dehiszenzstrecke zwischen den Sehnenstümpfen und/oder einer
hochgradig degenerativen Veränderung der Sehnenstümpfe ist eine primäre Adaptation
der Sehnen nicht möglich ([Abb. 5]). Somit sollte eine Augmentation der Sehne zur Überbrückung des dehiszenten Sehnenbereichs
mit autogenem Sehnenmaterial erfolgen. Hierzu eignen sich v. a. die Sehnen des M.
gracilis oder M. semitendinosus. Diese Sehnen können entweder geschwenkt oder nach
Absetzen vom Ansatz transossär fixiert werden ([Abb. 6] und [7]). Auch diese Augmentationstechniken sollten zur Erhöhung der biomechanischen Stabilität
mit einer zusätzlichen PDS- oder Draht-Cerclage abgesichert werden ([Abb. 8]).
Abb. 5 Chronische Patellarsehnenruptur mit Dehiszenz und degenerativ verändertem Sehnengewebe:
Eine primäre Naht ist so nicht möglich.
Abb. 6 Transossäre Fixation einer Semitendinosussehne zur Augmentation einer chronischen
Patellarsehnenruptur mit Dehiszenz der Sehnenstümpfe.
Abb. 7 Einnähen des autologen Sehnengewebes nach Umschlagen der Semitendinosussehne zur
Augmentationsplastik der Patellarsehne.
Abb. 8 Nach dem Einnähen des autologen Sehnengewebes wird die Augmentationsplastik mittels
einer PDS-Cerclage (1,5 mm PDS-Kordel) im Sinne einer McLaughlin-Cerclage verstärkt.
Nachbehandlung
Die Nachbehandlung einer Patellarsehnenruptur ist eine „Gratwanderung“ bestehend aus
der Notwendigkeit der Schonung der eingeschränkt stabilen Sehnennähte und der Notwendigkeit
der Mobilisation des Gelenks auf der anderen Seite.
Bei zu passiver Nachbehandlung erhöht sich die Gefahr für postoperative Komplikationen
signifikant.
Hierzu gehören: [11]
-
Hämatome (6 %)
-
oberflächliche Infektionen (5 %)
-
Thrombose/Embolien (5–29 %)
-
Quadrizepsatrophien (14–56 %)
-
Flexionsdefizit (21–33 %)
-
Extensionsdefizit (4 %)
Somit sollte eine differenzierte aggressive Nachbehandlung erfolgen. Im eigenen Vorgehen
werden die Patellarsehnenrupturen adaptiert an den intraoperativen Befund für 1 Woche
in der Mecron-Schiene und anschließend für jeweils 2 Wochen mit einer Hartschalenrahmenorthese
mit 30, 60 und 90 °Flexionseinschränkung mobilisiert. Für 6 Wochen sollte in den Schienen
eine Teilbelastung mit 20 kg durchgeführt werden. Je nach Befund kann diese Teilbelastung
auch schon ab der 4. Woche gesteigert werden.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der frühen postoperativen Behandlung ist die passive
Beübung der Flexion mittels CPM- oder Camoped-Schiene (Oped, Valley). Hiermit kann
ohne übermäßige Belastung der Rupturstelle die Beweglichkeit des Kniegelenks gefördert
und somit Einschränkungen der ROM erfolgreich verhindert werden.
Verletzung des Kniestreckapparats bei liegender Knieprothese
Verletzungen des Kniestreckapparats sind schwerwiegende Komplikationen der Knieendoprothetik,
welche glücklicherweise in der aktuellen Literatur mit einer geringen Inzidenz von
0,17–2,5 % angegeben werden [2], [23].
Die klinischen Ergebnisse wie auch der Heilverlauf sind jedoch nicht mit einer Verletzung
des Kniestreckapparats ohne prothetische Versorgung zu vergleichen. Es ist hierbei
mit deutlich schlechteren Ergebnissen zu rechnen mit signifikanten Einschränkungen
der Funktion des Kniegelenks. Eine Ruptur der Patellarsehne kommt deutlich häufiger
vor als eine Ruptur der Quadrizepssehne [1]. Grundsätzlich werden im Falle einer Sehnenruptur bei liegender Knieprothese vergleichbare
Operationstechniken angewendet.
Die konservative Therapie kann im Falle einer Teilruptur mit einem Streckdefizit kleiner
20° durchgeführt werden.
Komplette Rupturen der Quadrizeps- oder Patellarsehne sollten einer operativen Intervention
zugeführt werden. Hierbei sind, analog zu den nicht periprothetischen Rupturen, neben
direkten Nahttechniken in vielen Fällen autologe Sehnenaugmentationsplastiken, Muskellappenaugmentationen
oder auch die Implantation von synthetischen Ersatzmaterialien indiziert [25].