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DOI: 10.1055/s-0042-100994
Late-onset-Neurofibromatose bei einem 70-jährigen Patienten mit Lungentuberkulose
Late-onset Neurofibromatosis Developing in a 70-Year-Old Patient with Lung TuberculosisKorrespondenz
Publication History
Publication Date:
21 March 2016 (online)
- Zusammenfassung
- Abstract
- Anamnese
- Klinischer Befund
- Diagnostik
- Therapie und Verlauf
- Diskussion
- Literatur
Zusammenfassung
Eine extrem seltene, bisher erst zirka zwanzigmal beschriebene Variante der autosomal-dominant vererbten Neurofibromatose (NF) von Recklinghausen ist die Late-onset-Neurofibromatose Typ VII nach Riccardi. Sie ist durch ein Auftreten multipler Neurofibrome nach der 3. Lebensdekade gekennzeichnet. Ein weiteres Auftreten der klassischen klinischen Symptome der NF wie Café-au-lait-Flecke, axilläre Lentigines oder Lisch-Knötchen wurden bei dieser Variante sehr selten beobachtet.
Wir schildern hier den Fall eines 70-jährigen Patienten, bei dem es innerhalb von 2 Jahren, im Rahmen einer Lungentuberkulose, zum Auftreten multipler Neurofibrome sowie Café-au-lait-Flecken gekommen ist.
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Abstract
The late onset neurofibromatosis (NF) type VII according to Riccardi is a very unfrequent variant of the neurofibromatosis of Recklinghausen (NF type I), described only about twenty times in the world literature. It is characterized by the appearance of many neurofibroma after the age of 30. A further occurrence of the classical symptoms of the neurofibromatosis type I as café-au-lait spots, axillary freckling, or Lisch-nodules are very uncommon.
Herein, we describe the case of a 70-year-old patient, who developed many neurofibroma and café-au-lait spots within the period of two years in the context of a lung tuberculosis.
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Anamnese
Ein 70-jähriger Patient stellte sich in unserer Ambulanz aufgrund multipler, neu aufgetretener kutaner und subkutaner Knoten vor. Die Hautveränderungen seien erstmals vor zirka 2 Jahren im Rahmen einer damals durchlittenen Lungentuberkulose, die mit den gängigen Tuberkulostatika erfolgreich behandelt wurde, aufgetreten. Seit dieser Zeit sei es zu einer stetigen Progredienz der kleinen symptomlosen Knoten in Größe und Anzahl gekommen. Zusätzlich hatte der Patient das Auftreten mehrerer flächiger, kaffeebrauner Flecken beobachtet. Ähnliche Hautveränderungen hatte der Patient bisher weder bei sich noch der Familie einschließlich der Eltern und der Geschwister beobachtet.
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Klinischer Befund
Im Bereich des Rückens und Abdomens zeigten sich multiple (> 50), hautfarbene, gestielte oder breitbasig aufsitzende, weiche Tumore sowie subkutane Knoten. Zusätzlich zeigten sich vier bis zu 10 cm große Café-au-lait-Flecke ([Abb. 1 a], [Abb. 1 b]). Das sonstige Integument war erscheinungsfrei und der Patient klinisch internistisch sowie klinisch neurologisch gesund.


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Diagnostik
Histologie
Ein Knoten wurde exzidiert. In der HE-Färbung zeigte sich ein dermaler Tumor, der randlich umschrieben zwiebelschalenartig angeordnete Kollagenfasern aufwies. Spindelförmige Kernstrukturen fanden sich besonders in den zentralen Anteilen ([Abb. 2 a], [Abb. 2 b]).


In der S100-Färbung kamen insbesondere die Spindelzellen gut zur Geltung ([Abb. 2 c]).
In der Zusammenschau der histologischen Befunde konnte die Diagnose eines Neurofibroms gestellt werden.
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Radiologische Diagnostik
Die durchgeführte kraniale Magnetresonanztomografie zeigte außer lakunären Demyelisierungsherden im Rahmen einer vaskulären Insuffizienz keinen Anhalt auf intrakraniale Neurofibrome oder maligne Tumore.
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Ophthalmologische Diagnostik
Die ophthalmologische Untersuchung der Augen des Patienten zeigte keinen Anhalt auf Lisch-Knötchen oder andere tumoröse Veränderungen.
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Therapie und Verlauf
Bei dem Patienten bestand keinerlei Leidensdruck, Schmerzen oder neurologische Beschwerden, sodass von einer Therapie wie zum Beispiel einer Exzision größerer Herde abgesehen wurde. Dem Patienten wurde empfohlen sich bei Beschwerden sowie einmal jährlich zur Kontrolle vorzustellen. Bisher nimmt der Befund langsam aber stetig zu.
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Diskussion
Die Neurofibromatose ist eine neuroektodermale Systemerkrankung. Die häufigsten Formen sind die Neurofibromatose von Recklinghausen (Typ I nach Riccardi) sowie die Neurofibromatose Typ II. Bei Ersterer handelt es sich um eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung, die mit einer Häufigkeit von 1 : 3000 auftritt. Die Symptomatik umfasst Neurofibrome, Café-au-lait-Flecke, axilläre Lentigines, Lisch-Knötchen sowie multiple Defekte und Tumore des zentralen Nervensystems [1]. Die Penetranz der Erkrankung liegt bis zum 5. Lebensjahr bei 100 %, wohingegen der Phänotyp eine große Variabilität aufweist [2]. Bei zirka 50 % der Fälle handelt es sich um Neumutationen [3]. Bei der Neurofibromatose Typ II handelt es sich ebenfalls um eine autosomal-dominante Erkrankung, jedoch mit einer wesentlich selteneren Prävalenz von 1 : 40 000 [4]. Hierbei stehen keine Hautsymptome sondern Akustikusneurinome sowie multiple andere benigne und maligne ZNS-Tumore im Vordergrund [1]. Neben den beiden klassischen Typen der Neurofibromatose wurden von Riccardi noch sechs weitere Typen unterschieden ([Tab. 1]) [5].
Typ |
Vererbung |
Klinische Eigenschaften |
NF1 |
autosomal-dominant |
kutane bzw. plexiforme Neurofibrome, Café-au-lait-Flecke, axilläre Lentigines, Lisch-Knoten, Optikusgliome |
NF2 |
autosomal-dominant |
bilaterale Akustikusneurinome, multiple ZNS-Tumore |
NF3 |
autosomal-dominant |
Eigenschaften von NF1 und NF2 (einzelne Café-au-lait-Flecke, ZNS-Tumore, Neurofibrome, keine Lisch-Knoten oder Akustikusneurinome) |
NF4 |
unklar |
atypische NF; frühzeitig subkutane Neurofibrome und paraspinale plexiforme Neurofibrome, keine Café-au-lait-Flecke, Lisch-Knoten oder Optikusgliome |
NF5 |
somatische Mutation |
segmentale NF1 |
NF6 |
autosomal-dominant |
multiple Café-au-lait-Flecke, verminderter Intelligenz-Quotient, sonst keine Manifestationen |
NF7 |
unklar |
‘late-onset’; Beginn nach dem 30. Lebensjahr, kutane Neurofibrome |
Bei unserem Patienten konnten wir aufgrund der Symptomatik, nämlich des Auftretens von multiplen Neurofibromen und Café-au-lait-Flecken sowie der erst späten Manifestation im 68. Lebensjahr, die Diagnose einer Neurofibromatose Typ VII nach Riccardi stellen. Bisher gibt es in der gesamten Weltliteratur erst zirka zwanzig beschriebene Fälle dieses Typs [6] [7] [8] [9] [10]. Typischerweise beginnt der Late-onset-Typ frühestens ab dem 30. Lebensjahr, im Gegensatz zu den anderen Formen der Neurofibromatose, die alle bereits in der frühen Kindheit oder spätestens in der Pubertät auftreten. Die Symptomatik besteht hauptsächlich aus dem vermehrten und progredienten Auftreten von kutanen und subkutanen Neurofibromen. Bisher wurde erst bei einem Patienten von einem zusätzlichen Vorkommen von Café-au-lait-Flecken, Lisch-Knötchen und axillären Lentigines berichtet [10]. Auch bei unserem Patienten waren neben den Neurofibromen Café-au-lait-Flecken aufgetreten. In vier Fällen wurde von dem Auftreten von malignen Tumoren in Form von drei Neurofibrosarkomen sowie eines rasch progredienten malignen Schwannoms berichtet [6] [9]. Sodass es sicher empfehlenswert ist, die Patienten nach eingehender Untersuchung einer regelmäßigen klinischen Kontrolle zu unterziehen.
Die Pathogenese der Late-onset-Neurofibromatose liegt zum Großteil im Dunklen. Bisher wurde immer wieder die Vermutung geäußert, dass die Typ-VII-NF erst in der Assoziation mit einer Immunosuppression (Lebertransplantation etc.) oder anderen schwerwiegenden Erkrankungen (Leukämien, Lupus erythematodes etc.) auftritt [7] [8] [10]. Unser Patient scheint diese Hypothese zu unterstützen, da es bei ihm erst im 68. Lebensjahr, im Rahmen einer Lungentuberkulose und deren Therapie, zum Auftreten der multiplen Hautveränderungen kam.
Inwieweit die Neurofibromatose Typ VII wirklich eine so seltene Entität ist, ist unklar. Es ist sehr gut möglich, dass insbesondere bei älteren Patienten dem Auftreten von multiplen, kleinen und teilweise nicht sehr prominenten, kutanen und subkutanen Neurofibromen keine große Beachtung geschenkt wird, da normalerweise die klassische Neurofibromatose Typ I im Kindesalter auftritt.
Möglicherweise könnten genetische Mosaike für das spätere Auftreten von hereditären Erkrankungen verantwortlich sein [11]. Ein typisches Beispiel hierfür ist die segmentale Neurofibromatose, die durch eine postzygotische Mutation des NF1-Gens hervorgerufen wird. Aber auch spezifische Mutationen im NF1-Gen könnten solche späteren Manifestationsformen hervorrufen. Hierzu gibt es bisher jedoch keine Daten.
Beim neuen Auftreten von multiplen Neurofibromen im Alter sollte an eine Late-onset-Neurofibromatose gedacht werden. Da auch in dieser Variante maligne Entartungen der kutanen Neurofibrome vorkommen können, ist eine regelmäßige klinische Kontrolle anzuraten.
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Interessenkonflikt
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Literatur
- 1 Yohay K. Neurofibromatosis types 1 and 2. Neurologist 2006; 12: 86-93
- 2 Riccardi VM, Lewis RA. Penetrance of von Recklinghausen neurofibromatosis: a distinction between predecessors and descendants. Am J Hum Genet 1988; 42: 284-289
- 3 Lazaro C, Ravella A, Gaona A et al. Neurofibromatosis type 1 due to germ-line mosaicism in a clinically normal father. N Engl J Med 1994; 331: 1403-1407
- 4 Evans DG, Huson SM, Donnai D et al. A genetic study of type 2 neurofibromatosis in the United Kingdom. I. Prevalence, mutation rate, fitness, and confirmation of maternal transmission effect on severity. J Med Genet 1992; 29: 841-846
- 5 Riccardi VM. Neurofibromatosis: clinical heterogeneity. Curr Probl Cancer 1982; 7: 1-34
- 6 Theiler R, Stocker H, Boltshauser E. The classification of atypical forms of neurofibromatosis. Schweiz Med Wochenschr 1991; 121: 446-455
- 7 Trattner A, David M, Ingber A et al. Coexistence of late-onset neurofibromatosis and cutaneous T cell lymphoma. J Am Acad Dermatol 1990; 23: 932-934
- 8 Nishimura M, Hori Y. Late-onset neurofibromas developed in a patient with psoriasis vulgaris during PUVA treatment. Arch Dermatol 1990; 126: 541-542
- 9 Drews G, Emmrich P, Hauss J et al. Malignant schwannoma and late-onset form of neurofibromatosis (NF-VII type) in a patient with skeletal manifestations. Langenbecks Arch Surg 1999; 384: 441-444
- 10 Miller MB, Tonsgard JH, Soltani K. Late-onset neurofibromatosis in a liver transplant recipient. Int J Dermatol 2000; 39: 376-379
- 11 Maertens O, De Schepper S, Vandesompele J et al. Molecular dissection of isolated disease features in mosaic neurofibromatosis type 1. Am J Hum Genet 2007; 81: 243-251
Korrespondenz
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Literatur
- 1 Yohay K. Neurofibromatosis types 1 and 2. Neurologist 2006; 12: 86-93
- 2 Riccardi VM, Lewis RA. Penetrance of von Recklinghausen neurofibromatosis: a distinction between predecessors and descendants. Am J Hum Genet 1988; 42: 284-289
- 3 Lazaro C, Ravella A, Gaona A et al. Neurofibromatosis type 1 due to germ-line mosaicism in a clinically normal father. N Engl J Med 1994; 331: 1403-1407
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- 11 Maertens O, De Schepper S, Vandesompele J et al. Molecular dissection of isolated disease features in mosaic neurofibromatosis type 1. Am J Hum Genet 2007; 81: 243-251



