Hintergrund Auch wenn die invasive mechanische Beatmung bei akut respiratorischer Insuffizienz
(ARI) einen zentralen Stellenwert in der Intensivmedizin hat, kann sie mit fatalen
Komplikationen wie bspw. beatmungsinduzierter Lungenschädigung sowie Verletzungen
der oberen Atemwege einhergehen oder zu einer Ventilator-assoziierten Pneumonie führen.
In den vergangenen Jahren wurde für einige Krankheitsbilder gezeigt, dass vor allem
die nicht-invasive Beatmung (NIV) gegenüber der invasiven Beatmung Vorteile aufweist
und hier zu einem verbesserten Outcome der Patienten führt [1].
Pathophysiologie und Wirkmechanismen der Beatmung
Grundsätzlich besteht das respiratorische System aus 2 weitgehend unabhängig voneinander
arbeitenden Kompartimenten. Hierbei steht das Lungenparenchym für den Gasaustausch
und die Atempumpe für die Ventilation. Krankheiten, bei denen ein Versagen des Gasaustauches
im Vordergrund steht, führen primär zur Hypoxämie; bei insuffizienter Atempumpe kommt
es primär zur Hyperkapnie mit sekundärer Hypoxämie. Auf dieser Betrachtung beruhen
2 grundsätzlich verschiedene Therapieprinzipien (Abb. [1]):
-
Bei hyperkapnischer ARI führt eine Beatmung zur Verbesserung der Ventilation und Entlastung
die Atempumpe.
-
Bei der hypoxämischen ARI aufgrund eines Lungenschadens (z. B. bei Pneumonie) besteht
primär die Indikation zur Sauerstofftherapie; bei schwergradiger hypoxämischer ARI
(z. B. beim Acute Respiratory Distress Syndrome, ARDS) besteht darüber hinaus die
Indikation zur Beatmung mit dem Ziel der Eröffnung des Alveolarraumes.
Abb.1 Das respiratorische System, Pathophysiologie und Therapieansätze. ARI: Akut respiratorische
Insuffizienz.
High-Flow-Sauerstofftherapie
Seit über 100 Jahren wird Sauerstoff mit niedrigen Flussraten therapeutisch eingesetzt.
Die Gabe von Sauerstoff ist eine wesentliche Behandlung der akuten und chronischen
respiratorischen Insuffizienz; sie kommt auch in der Therapie bei Patienten mit Schock,
Sepsis, Trauma oder Herzversagen zum Einsatz. Es stehen verschiedene Verfahren zur
Sauerstoffapplikation bei spontan atmenden Patienten mit akutem Lungenversagen zur
Verfügung. In jüngerer Vergangenheit wurde zunehmend die sog. High-Flow-Sauerstofftherapie
via Nasenkanüle (NHFT) alternativ zur NIV oder der Sauerstofftherapie mit niedrigen
Flüssen über eine Gesichtsmaske eingesetzt [2]. Die High-Flow-Sauerstofftherapie liefert erwärmten und befeuchteten Sauerstoff
in hoher Konzentration über eine Nasenkanüle mit Flussraten von 40 bis 60 Liter pro
Minute und wird subjektiv von den schwer erkrankten Patienten meistens gut toleriert.
Pathophysiologische Betrachtungen
Durch die High-Flow-Sauerstoffgabe wird einerseits ein positiver endexspiratorischer
Druck erzeugt, anderseits wird die Atemarbeit durch Auswaschen von CO2 und hiermit
verbundener Verkleinerung des Totraumes reduziert [2], [3]. Dieses Phänomen wurde bereits früher in Studien zur transtrachealen Sauerstoffapplikation
nachgewiesen [4], [5], [6]. Es bestehen Hinweise auf einen kausalen Zusammenhang zwischen erhöhtem Totraum
bei schwerer Hypoxämie und der Verschlechterung der Prognose; so wurde in einer Studie
nachgewiesen, dass erhöhter Totraum bei schwerer Hypoxämie infolge ARDS mit einer
erhöhten Mortalität einhergeht [7]. Ein positiver Effekte der High-Flow-Sauerstoffgabe in der Behandlung von Neugeborenen
mit respiratorischem Distress wurde nachgewiesen [8]. Bisher fehlte der Nachweis eines Effektes der High-Flow-Sauerstoffgabe im Vergleich
zu den anderen Therapieformen bei akuter ARI in randomisiert und kontrollierten Studien.
High-Flow-Sauerstoffgabe bei akuter ARI
Vor diesem Hintergrund hat ein französisches Netzwerk [9] aktuell die Ergebnisse einer randomisierten, kontrollierten und multizentrischen
Studie mit 310 Patienten publiziert. In der Studie wurden NIV, die übliche Standard-Sauerstofftherapie
und die High-Flow-Sauerstofftherapie bei Patienten mit akutem nicht-hyperkapnischen,
hypoxämischen Lungenversagen verglichen. Wesentliche Ursache des akuten hypoxämischen
Lungenversagens waren Pneumonien. Das akute hypoxämische Lungenversagen wurde definiert
als das Verhältnis des Partialdrucks des arteriellen Sauerstoff zum Anteil des eingeatmeten
Sauerstoffs [PaO2/FiO2] ≤ 300 mmHg. Der primäre Endpunkt, nämlich die Rate der Intubation,
war bei Patienten mit High-Flow-Sauerstoff niedriger als bei denen, die mit Standard-Sauerstoff
oder NIV therapiert wurden; dieser Unterschied war jedoch nicht statistisch signifikant
(38 vs. 47 bzw. 50 %; p = 0,18).
In einer Post-hoc-Analyse, die 238 Patienten mit schwerer Hypoxämie zum Zeitpunkt
der Randomisierung (PaO2:FiO2 ≤ 200 mmHg) umfasste, war die Intubationsrate bei Patienten
mit High-Flow-Sauerstoff im Vergleich zu den beiden anderen Gruppen deutlich niedriger
(p = 0,009). Der High-Flow-Sauerstoff führte zur Abnahme der beatmungsfreien Tage
und der 90-Tage-Sterblichkeit im Vergleich zur Standard-Sauerstofftherapie (p = 0,046)
bzw. NIV (p = 0,006). Verglichen mit den beiden anderen Therapieformen wurde Dyspnoe
(gemessen anhand validierter Scores) durch die High-Flow-Sauerstoffgabe reduziert.
Entsprechend einem postulierten Wirkmechanismus in Form der Abnahme des Totraums kam
es durch High-Flow-Sauerstoffgabe zur Reduktion der Atemfrequenz.
Stärken und Limitationen der Studie
Vor allem unter methodischer Betrachtung hat diese Studie mehrere Stärken:
-
Die Patienten der 3 Therapiegruppen sind gut gematcht.
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Die Intubationskriterien sind klar definiert.
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Die Randomisierung erfolgte bereits innerhalb von 3 Stunden nach Ermittlung der grundsätzlichen
Eignung der Patienten für die Studie.
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Von der Studie wurden Patienten mit chronisch hyperkapnischem respiratorischem Atmungsversagen
(d.h. PaCO2 > 45 mmHg) ausgeschlossen.
Die Studie wies folgende methodische Limitationen auf:
-
Eine Verblindung der Studie war nicht realisierbar.
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Einige Patienten mit unzureichendem Effekt von High-Flow- oder Standard-Sauerstofftherapie
wurden auf NIV umgestellt.
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Die Gesamtzahl der Patienten (n = 310) war für das Design einer 3-armigen Studie relativ
gering, so dass die positiven Effekte des primären Endpunktes „Intubationsrate“ keine
statistische Signifikanz erreichte.
Mit einer ähnlichen Fragestellung wurden 2015 im JAMA die Ergebnisse einer randomisierten,
multizentrischen Studie veröffentlicht, in der High-Flow-Sauerstofftherapie (50 L/min)
mit NIV (Inspiratorischer Druck: 8 mbar, exspiratorischer Druck: 4 mbar) bei kardiochirurgischen
Patienten (n = 830) verglichen worden war [10]. In dieser Studie unterschieden sich Therapieversagen und Mortalitätsrate beider
Behandlungsgruppen nicht; mit anderen Worten: die High-Flow-Sauerstofftherapie war
der NIV nicht unterlegen.
Konsequenzen für die klinische Praxis und offene Fragen
Die High-Flow-Sauerstoffgabe ist auf der Basis dieser Studien eine effektive Therapieform
der leicht-mittelgradigen hypoxämischen ARI infolge einer Pneumonie. Diese Erkenntnis
ist von klinischer Bedeutung. Mit den beiden Studien [9], [10] steht mit der High-Flow-Sauerstofftherapie neben invasiver Beatmung und NIV ein
weiteres effektives Therapieverfahren der hypoxämischen ARI zur Verfügung. Vor allem
durch die Vermeidung der Intubation wird bei oben aufgeführter Indikation die Mortalitätsrate
durch Absenkung der Komplikationen der invasiven Beatmung, wie z. B. nosokomiale Infekte
und Schock, vermindert.
Unter praktischen Aspekten besteht der wesentliche Vorteil der High-Flow-Sauerstofftherapie
in der Einfachheit der Applikation und der hohen Akzeptanz durch die Patienten. Im
Vergleich hierzu ist bei der NIV in der Therapie der hypoxämischen ARI die Adaptation
des wachen Patienten an die Maske (bzw. den Helm) und den Beatmungsmodus relativ aufwendig.
Zusätzlich kommt es bei längerer Anwendungsdauer der NIV nicht selten zu maskenbedingten
Druckstellen im Gesicht.
Auf der Basis der aktuellen Studienlage zum Stellenwert der High-Flow-Sauerstofftherapie
im Vergleich zur NIV bei der hypoxämischen ARI bleiben manche Aspekte weiterhin offen.
Grundsätzlich ist NIV weiterhin eine Therapieoption. So wurde kürzlich in einer prospektiven
und randomisierten Studie nachgewiesen, dass sich mit dem Einsatz von NIV vor, während
und nach der Bronchoskopie bei Patienten mit moderater bis schwerer Hypoxämie im Vergleich
zur High-Flow-Sauerstofftherapie eine bessere Oxygenierung erreichen ließ [11].
Analog zur Therapie mit NIV sind folgende Voraussetzungen für den Einsatz der High-Flow-Sauerstofftherapie
als Behandlungsverfahren der hypoxämischen ARI zu gewährleisten:
-
engmaschiges Monitoring der vitalen Parameter
-
profunde Kenntnis der zugrundeliegenden Erkrankungen
-
hohe Erfahrung in der Beatmungsmedizin,
um beim Versagen der High-Flow-Sauerstofftherapie eine Verzögerung der Intubation
bzw. invasiven Beatmung zu vermeiden.
Unter Beachtung dieser Voraussetzungen ist grundsätzlich auch der Einsatz von High-Flow-Sauerstoff
als Therapieverfahren der hypoxämischen ARI bereits beim Krankentransport der Patienten
in die Klinik, in der Notaufnahme und ggfs. auch einer bzgl. Beatmungsmedizin spezialisierten
Normalstation vorstellbar. Eine Reihe von Fragestellungen müssen in zukünftigen Studien
untersucht werden wie z.B. Wie toxisch ist die High-Flow-Sauerstofftherapie bei längerer
Anwendung? Gibt es eine optimale Flussrate? Ab welchem Schweregrad der hypoxämischen
ARI bzw. ARDS kommt es zu einer inakzeptabel hohen Versagerrate? Welchen Stellenwert
hat die High-Flow-Sauerstofftherapie in der Respirator-Entwöhnung (Weaning)?
Weitere Einsatzbereiche
Neben der Indikation „hypoxämische ARI“ wurden in jüngerer Vergangenheit mehrere Studien
zum Effekt der High-Flow-Sauerstofftherapie bei anderen Krankheitsbildern publiziert.
Im Folgenden werden die Ergebnisse hierzu kurz beschrieben.
Postextubationsphase Es ergeben sich erste Hinweise darauf, dass es durch den Einsatz der High-Flow-Sauerstoffgabe
in der kritischen Postextubationsphase im Vergleich zur Low-Flow-Gabe von Sauerstoff
zur Verbesserung der Oxygenierung und Reduktion der mit einer erhöhten Mortalitätsrate
einhergehenden Reintubation kommt [12], [13]. Weitere kontrollierte Studie in größeren Kollektiven sind erforderlich, um den
Effekt der High-Flow-Sauerstoffgabe auf die Outcome-Daten der Patienten in der Postextubationsphase
zu bewerten.
Obstruktive Schlafapnoe Der Effekt der High-Flow-Sauerstofftherapie auf die obstruktive Schlafapnoe, vor
allem durch Öffnen des während des obstruktiven Apnoe kollabierten Hypopharynx, ist
seit längerem bekannt [14]. Im Vergleich zur CPAP-Beatmung (Continuous Positive Airway Pressure) oder weiteren
Alternativen hat sich jedoch die High-Flow-Sauerstoffgabe bisher in der Therapie des
obstruktiven Schlafapnoesyndroms nicht etabliert. Grundsätzlich vorstellbar ist bei
dieser Indikation auch die Applikation von Raumluft in High-Flow-Raten.
Chronisch hyperkapnische Insuffizienz infolge einer COPD
In der S2-Leitline ist die außerklinische Beatmung mit NIV bei neuromuskulären, thorakal-restriktiven
Erkrankungen und beim Obesitas-Hypoventilations-Syndrom (OHS) grundsätzlich bereits
mit dem Nachweis einer geringgradigen chronisch ventilatorischen Insuffizienz (d.
h. Hyperkapnie am Tage mit einem PaCO2 ≥ 45 mmHg) indiziert [15]. Im Gegensatz hierzu wird in der Leitlinie die NIV bei der COPD erst bei einem PaCO2
von > 50 mmHg am Tag und bei einem PaCO2 von ≥ 55 mmHg in der Nacht empfohlen.
In einer aktuell publizierten Studie wurden COPD-Patienten mit milder Hyperkapnie
und Zeichen der ventilatorischen Insuffizienz über einen Zeitraum von 6 Wochen mit
der High-Flow-Sauerstofftherapie über mind. 5 Stunden/Tag behandelt. Hierunter kam
es mit einem Flow von 20 l/min zur Normokapnie [16]. Möglicherweise stellt die High-Flow-Sauerstofftherapie zukünftig eine Therapieoption
für COPD-Patienten mit geringer chronisch ventilatorischer Insuffizienz dar, bei denen
entsprechend der Leitlinie noch keine Indikation zur außerklinischen Beatmung besteht.
Prof. Bernd Schönhofer, Hannover