Wie ich meinen ersten Patienten mit Amputation behandelt habe, war haarsträubend.
Er kam wegen Schulter-Nacken-Beschwerden zur Massage, die Oberarmamputation spielte
an sich keine Rolle mehr. Keine Stumpfpflege, kein Wickeln. Doch es wäre angebracht
gewesen, den amputierten Arm in die Funktions- massage einzubinden. Allerdings konnte
ich den Stumpf partout nicht ansehen – und schon gar nicht anfassen. Ich schämte mich
furchtbar und hoffte inständig, nach den sechs Behandlungen nicht so schnell wieder
mit Amputationen konfrontiert zu sein.
Ein Praktikum später, Reha-Klinik, Montag früh. Ich sollte eine neue Patientin übernehmen.
Die ältere Dame erwartete mich in ihrem Zimmer mit verweinten Augen. „Alle sagen,
dass ich ins Pflegeheim muss. Kann ich wirklich nie mehr nach Hause?“, fragte sie
mich und schlug die Bettdecke zurück. Oberschenkelamputation. Und nicht nur das. Die
Dame hatte seit ihrem 20. Lebensjahr Rheumatoide Arthritis. Mit herkömmlichen Gehhilfen
werden wir nicht weit kommen, schoss es mir durch den Kopf. Die Hände würden nie ihr
Gewicht tragen oder die Griffe umfassen können. Aber das war ohnehin fünf Schritte
zu weit gedacht. Wir standen ganz am Anfang. Erst einmal hieß es: Narbenpflege und
in Kornähren wickeln, wovon ich keine Ahnung hatte. Aber zusammen mit meiner Patientin
arbeitete ich mich in die Welt der Wickeltechniken, Prothesen und Liner ein. Denn
schon in den ersten Minuten war klar: Kneifen ist nicht. Dieses Mal kann ich den Stumpf
nicht einfach ignorieren. Die Frau baut auf mich, sie will wieder in die eigenen vier
Wände. Und nach sieben Wochen waren wir so weit. Sie konnte heim.
Was für meine Patientin die Rückkehr in die eigene Wohnung war, war für Kalle Hüser
(ab Seite 30) das Skateboard- und Rohschuhfahren. Mit zehn jahren bekam er wegen eines
Osteosarkoms am Femur eine Umkehrplastik nach Borggreve, wobei sein gesunder Unterschenkel
um 180 Grad gedreht an das verkürzte Bein geplattet wurde. Fünf jahre später stand
er wieder auf dem Skateboard und den Rollschuhen. Ziele und der eiserne Wille, sie
zu erreichen, bringen eben einiges ins Rollen … sogar bei einer Therapeutin mit anfänglichen
Berührungsängsten.
Herzlichst, Ihre
Kathrin Hage