ergopraxis 2016; 9(03): 13-15
DOI: 10.1055/s-0042-102245
wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Step by step – Das richtige Messinstrument Auswählen

Raymond Swinkels
,
Rob Ummels
,
Sandra Beurskens

Verantwortlicher Herausgeber dieser Rubrik:
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
04. März 2016 (online)

 

Sie sind aus unserer Berufspraxis nicht mehr wegzudenken: Assessments. Wir setzen sie ein, um Befunde zu erheben, Therapieziele zu entwickeln, Veränderungen zu dokumentieren und um den Behandlungserfolg zu überprüfen. Bei der Fülle an Angeboten ist es gar nicht so leicht, das richtige Instrument zu finden – es sei denn, wir gehen nach dem Stufenplan vor.


#

Dr. Raymond Swinkels, Rob Ummels und Prof. Dr. Sandra Beurskens

Zoom Image
Dr. Raymond Swinkels, Rob Ummels und Prof. Dr. Sandra Beurskens
Physiotherapeuten und tätig an der Zuyd Hogeschool in Heerlen, Niederlande bzw. an der Universität Maastricht, Niederlande

Alle im Gesundheitswesen arbeitenden Berufsgruppen nutzen Messinstrumente: Ergotherapeuten verschaffen sich damit zum Beispiel einen Überblick über die Betätigungen oder die Lebensqualität eines Klienten, Pflegende bestimmen das Stadium eines Dekubitus und Physiotherapeuten unter suchen, welche Aktivitäten etwa ein Patient mit einer zerebrovaskulären Schädigung ausführen kann. Im Mittelpunkt steht dabei meist der Auftrag eines Klienten, auf dessen Grundlage ein Behandlungsplan entsteht.

Unterstützung für das Clinical Reasoning

Messinstrumente unterstützen Ärzte, Pflegende und Therapeuten beim Clinical Reasoning, indem sie ihnen einen Überblick über klinische Phänomene verschaffen bzw. sie dabei unterstützen, diese zu objektivieren und zu quantifizieren [1, 2]. Angehörige von Heilberufen können durch Assessments das eigene Handeln veranschaulichen und evaluieren und die Kommunikation mit Kollegen, Ärzten oder mit Versicherungs vertretern stan dardisieren. Klienten kann man mithilfe von Messergeb nissen besser über ihre Situation aufklären und sie leichter in gemeinsame Therapieentschei dungen einbeziehen (shared decision making). Assessments helfen außerdem, dem Druck der Krankenkassen standzuhalten, die zunehmend Einsicht in die Behandlungsresultate erhalten wollen (ABB. 1, S. 14). Zu guter Letzt fügt sich der Gebrauch von Mess instrumenten gut in die evidenzbasierte Praxis.

Zoom Image
ABB. 1 Vorteile und Nutzen von Messinstrumenten [5]

» Die evidenzbasierte Praxis ist unabdingbar mit dem Einsatz von Messinstrumenten verknüpft. «


#

Die Wahl eines Messinstruments

Den Einsatz von Assessments darf man nicht isoliert betrachten. Therapeuten müssen ihn immer in ihr methodisches Handeln integrieren und als Teil der Intervention verstehen. Aber wie sucht man angesichts der beeindruckenden Vielzahl von Assessments das richtige aus? Die Antwort auf diese Frage finden Sie in dem achtschrittigen Stufenplan, den Physiotherapeut Dr. Raymond Swinkels 2012 entwickelt hat [4, 5]. Mit seiner Hilfe können Sie die am besten geeigneten Instrumente suchen, finden und in Ihre tägliche Praxis integrieren (ABB. 2, S. 15).

Zoom Image
ABB. 2 Stufenplan zur Anwendung von Messinstrumenten [4, 5]

Schritt 1: Was wollen Sie messen?

Zunächst geht es darum, was, warum und bei wem man etwas messen möchte. Die Frage, was Therapeuten messen wollen, ist deshalb relevant, weil die Antwort darauf ausschlaggebend für die Wahl des Messinstruments ist. Im Mittelpunkt steht der Auftrag des Klienten. In Bezug auf die ICF-Klassifikation legt man zunächst fest, auf welcher Ebene man messen möchte: Funktionsstörungen, Aktivitäts- oder Parti zipationseinschränkungen [3]. In diesem Zusammenhang können Therapeuten auch externe und persönliche Faktoren messen.


#

Schritt 2: Welchem Zweck dient die Messung?

Verschiedene Gründe sprechen für den Einsatz eines Messinstruments: Sie können es als Hilfsmittel in der diagnostischen Phase, zur Erstellung einer Prognose oder zur Evaluation der Behandlung einsetzen. Wählen Sie Assessments so aus, dass sie dem Zweck der Messung entsprechen. Anders ausgedrückt: Die Frage, warum Sie etwas messen wollen, bestimmt die qualitativen Anforderungen an das Assessment. Wenn Sie beispielsweise evaluieren möchten, ob sich der Patient verbessert hat, sollte das Messinstrument responsiv sein, also Änderungen auch tatsächlich messen können.


#

Schritt 3: Welche Art Messinstrument wollen Sie einsetzen?

Zur Auswahl stehen instrumentelle Messinstrumente, Beobachtungslisten, Leistungstests und Fragebögen. Darüber hinaus können Sie zwischen krankheitsspezifischen und diagnoseunabhängigen Messinstrumenten differenzieren. Welches Assessment Sie wählen, hängt von der Fragestellung und dem Zweck ab (SCHRITT 1 UND 2.).


#

Schritt 4: Wie finden Sie ein Messinstrument?

Viele Messinstrumente stehen kostenlos zur Verfügung, andere hingegen können Sie nur gegen Bezahlung nutzen. Von großer Bedeutung ist der richtige Umgang mit Suchbegriffen im Internet. Wichtig ist auch, an der richtigen Stelle nach einem Messinstrument zu suchen. Nützliche Hinweise für (deutschsprachige) Mess instrumente finden Sie beispielsweise weniger in Datenbanken wie PEDro, aber unter http://bit.ly/messinstrumente oder unter https://www.thieme.de/de/ergotherapie/assessments-47820.htm > „Assessments“.


#

Schritt 5: Ist das Messinstrument praktikabel?

Hierbei müssen zahlreiche Aspekte berücksichtigt werden: Lässt sich das Messinstrument problemlos anwenden, wie hoch ist der Zeitaufwand, ist eine Weiterbildung zur Bedienung erforderlich? Ist ein Fragebogen zu lang oder zu komplex für den Klienten, steht er in seiner Muttersprache zur Verfügung? Diese Aspekte spielen bei der Integration des Messinstruments in die tägliche Praxis eine wichtige Rolle.


#

Schritt 6: Entspricht das gewählte Messinstrument den gängigen Gütekriterien?

Um die Qualität eines Assessments einschätzen zu können, benötigen Sie einige theore tische Kenntnisse. Sie sollten zum Beispiel wissen, was sich hinter den Begriffen Validität, Reproduzierbarkeit und Responsivität verbirgt. Können Sie sie bewerten, fällt es Ihnen leichter, das richtige Messinstrument auszuwählen.

» Messinstrumente sind nur dann sinnvoll, wenn ihre Ergebnisse in konkrete Handlungsanweisungen münden. «


#

Schritt 7: Wie werden Messergebnisse analysiert?

Der Einsatz eines Messinstruments hat nur dann Sinn, wenn man auch weiß, wie man die Messergebnisse analysieren muss. Zu den meisten Instrumenten gibt es eine Bedienungsanleitung, die darüber Auskunft gibt, wie man die Gesamtpunktzahl ermittelt oder wie man Punktzahlen für einzelne (Sub-) Skalen berechnet. Diese Berechnungen können mitunter sehr komplex sein und/oder viel Zeit kosten (SCHRITT 5).


#

Schritt 8: Wie werden die Ergebnisse interpretiert und dokumentiert?

Für die Interpretation der Messergebnisse sind Normwerte hilfreich. Allerdings stehen sie nicht für alle Instrumente zur Verfügung. Dann müssen sich Therapeuten auf ihre Erfahrung verlassen. Wer also häufig Assessments anwendet, bekommt ein Gefühl für Normen.

Wie Messergebnisse zu dokumentieren sind, richtet sich danach, wem (z. B. Kollegen, Klienten) oder welchem Zweck (z. B. Überweisung eines Klienten) sie dienen.


#
#

Die Anwendung in der Praxis

Mit der Wahl eines Messinstruments ist ein erster wichtiger Schritt getan. Um es in der Praxis richtig einzusetzen, sind Maßarbeit und Erfahrung gefragt. Ratsam ist es daher, mit einer überschaubaren Auswahl an einfachen Instrumenten zu beginnen und Erfahrungen im Umgang damit zu sammeln, bevor man zu komplexeren Messinstrumenten übergeht. Je besser man mit dem Gebrauch eines Messinstruments vertraut ist, desto zuverlässiger lassen sich die Ergebnisse interpretieren. Mit zunehmender Übung erweitert sich der Kenntnis- und Erfahrungshorizont des Anwenders, und die Aufgabe lässt sich leichter bewältigen.


#

Messinstrumente in der Ergotherapie

Die Verwendung von Messinstrumenten sollte nach Möglichkeit zu Resultaten führen, aus denen sich konkrete Handlungs anweisungen ableiten lassen [6].

Setzen Ergotherapeuten beispielsweise das Canadian Occupational Performance Measure (COPM) zu Beginn der Behandlung ein, können sie damit Alltagsschwierigkeiten erheben, aus denen sich wiederum nach einer anschließenden Betätigungsanalyse Behandlungsziele aufstellen lassen (S. 36).


#

Messinstrumente sinnvoll auswählen

Die wichtigste Frage, die man sich stets stellen sollte: Was will ich messen? Immer noch wählen Therapeuten viel zu oft ein Messinstrument, weil alle anderen es auch verwenden. Sie denken nicht ausreichend darüber nach, aus welchem Grund sie eine Messung vornehmen und was genau sie eigentlich messen möchten. Hierbei kann der Stufenplan eine große Hilfe sein, den wir in einer späteren Ausgabe von ergopraxis anhand eines Beispiels aus der Praxis detailliert beschreiben werden.


#
#

Zoom Image
Dr. Raymond Swinkels, Rob Ummels und Prof. Dr. Sandra Beurskens
Physiotherapeuten und tätig an der Zuyd Hogeschool in Heerlen, Niederlande bzw. an der Universität Maastricht, Niederlande
Zoom Image
ABB. 1 Vorteile und Nutzen von Messinstrumenten [5]
Zoom Image
ABB. 2 Stufenplan zur Anwendung von Messinstrumenten [4, 5]