Mit der Publikation der Psychiatrie-Enquete [1] vor über 40 Jahren wurden für die psychiatrischen Fachkrankenhäuser die Voraussetzungen
geschaffen, in begrenztem Umfang, nämlich für psychisch komplex Erkrankte mit multiprofessionellem
Hilfebedarf, in sog. „Psychiatrischen Institutsambulanzen“ (PIAs) ambulant tätig zu
werden. Seit 2001 sind auch psychiatrische Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern
legitimiert, PIAs zu führen mit der Folge, dass inzwischen eine nahezu flächendeckende
Ausstattung von ca. 500 PIAs mit mehr als 2 Mio. Behandlungsfällen verfügbar ist.
PIAs sind eine feste Säule im psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgungssystem
und wirken nachhaltig zur Vermeidung von Drehtüreffekten im stationären Bereich, zur
Stabilisierung bei chronischen Verläufen und zur akuten Krisenintervention.
Vor diesem Hintergrund überraschte die Charakterisierung der PIAs als „Black Box“
und „Webfehler im System“ durch den Vorsitzenden des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA)
im Sommer 2014. Auch die Anrechnung der PIAs auf die Kassenarztsitze im nervenärztlichen
Fachgebiet [2] führte in den Berufs- und Fachverbänden zu Unverständnis und Kritik [3]
[4].
Es ist das explizite Anliegen der PIA-führenden psychiatrischen Fachkrankenhäuser
und Abteilungen, Transparenz über die Strukturen, Funktions- und Arbeitsweisen sowie
die Behandlungsprozesse der PIAs in der (Fach-)Öffentlichkeit herzustellen. Seit 2013
liegen den gesetzlichen Krankenversicherern und dem Institut für das Entgeltsystem
im Krankenhaus (InEK) umfangreiche Daten der PIAs vor, die über den Prüfauftrag im
Rahmen der Einführung eines neuen pauschalierenden Entgeltsystems für psychiatrische
und psychosomatische Einrichtungen nach § 17 d Abs. 1 Satz 3 KHG verpflichtend erhoben
und eingereicht werden müssen. Dieser Prüfauftrag soll klären, ob PIAs in das neue
Entgeltsystem einbezogen werden sollten. Am 16.3.2012 wurde zwischen den gesetzlichen
Krankenkassen (GKV) und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) die sog. „PIA-Doku-Vereinbarung“
[5] geschlossen, deren Besonderheit in der verpflichtenden, an das InEk zu übergebenden
Dokumentation aller Patientenkontakte der PIAs in vier Kategorien liegt:
PIA 001: Ohne Arzt/Psychologenkontakt – nicht aufsuchend
PIA 002: Mit Arzt/Psychologenkontakt – nicht aufsuchend
PIA 003: Mit Arzt/Psychologenkontakt – aufsuchend
PIA 004: Ohne Arzt/Psychologenkontakt – aufsuchend
Da diese Daten zwar dem InEK und den GKV vorliegen, nicht aber den Verbänden und der
Öffentlichkeit, wurde vom Vorstand der Bundesdirektorenkonferenz (BDK) in Abstimmung
mit dem Vorstand des Arbeitskreises für Chefärztinnen und Chefärzte der Kliniken für
Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern in Deutschland (ackpa) im
Sommer 2014 eine kurzfristig zu realisierende internetbasierte Pilotstudie mithilfe
des „SurveyMonkey“ [6] durchgeführt, die anhand von wenigen Fragen einen Eindruck von der tatsächlichen
Lage der PIAs im Jahr 2013 erbringen sollte. Alle Kliniken und Abteilungen, deren
Leitende Ärzte Mitglieder eines der beiden Verbände BDK und ACKPA sind, wurden per
E-Mail im August 2014 angeschrieben und um ihre Teilnahme gebeten.
156 (knapp ein Drittel) aller PIAs nahmen teil. In diesen PIAs leisteten im Mittel
(Median) 8 therapeutische Vollzeitkräfte zusammen 2,5 Mio. Patientenkontakte, davon
12 % aufsuchend. Die Streuung zwischen den teilnehmenden PIAs war ausgeprägt. Statistisch
signifikante Zusammenhänge zwischen Diagnosen und Strukturmerkmalen der Kliniken sowie
der Patientenkontakte konnten nicht gezeigt werden.
Von den 8 therapeutisch tätigen Vollkräften waren 3 Ärzte, 1 Psychologe, 2 Pflegende
sowie 1 Mitarbeitender anderer therapeutischer Berufsgruppen. Hinzu kamen 2 nicht
therapeutisch tätige Mitarbeitende. Im Mittel (Median) versorgte eine PIA 3425 Patienten
(Quartalsfälle), mit ebenfalls erheblicher Streuung. Die größte Gruppe waren Patienten
mit affektiven Störungen (Median 29 %), gefolgt von solchen mit psychotischen (19 %),
neurotischen, Angst- und Posttraumatischen Belastungsstörungen (12 %). Substanzbezogene
Störungen waren mit 9 % und psychoorganische Störungen mit 8,5 % vertreten.
Knapp 88 % der 2 507 340 Patientenkontakte fanden in der PIA statt, davon ohne Arzt/Psychologe
(PIA001) knapp 25 %, mit Arzt/Psychologen (PIA002) ca. 63 %. Aufsuchende Kontakte
machten gut 12 % aus, davon mit Arzt/Psychologe (PIA003) ca. 10 % und ohne Arzt/Psychologe
(PIA004) 2 %. Obwohl diese Pilotstudie keinen repräsentativen Anspruch erheben kann,
ist es bemerkenswert, dass das InEK in einem Vortrag 2015 auf der Datenbasis aller
Psychiatrischen Kliniken und Abteilungen eine nahezu identische Verteilung der Kontaktarten
präsentierte.
Ärzte und Psychologen behandelten im Mittel (Median) 729 Quartalsfälle pro Jahr mit
durchschnittlich 1412 Patientenkontakten in der PIA und 165 aufsuchenden Patientenkontakten.
Zusätzlich fanden im Mittel (Median) durch Pflege- oder andere therapeutisch Mitarbeitende
801 Patientenkontakte in der PIA und 69 aufsuchend statt.
Im Mittel wurden pro Quartalsfall 3,3 Kontakte bei einer erheblichen Streuung berichtet.
Dabei bleibt allerdings unberücksichtigt (da nicht erfragt) wie viele Quartale die
Patienten die PIA aufgesucht hatten.
Diese Pilotstudie zeigt einige Trends der aktuellen Situation der PIAs in Deutschland
auf. In den PIAs werden im Vergleich zu den Prävalenzraten in der Allgemeinbevölkerung
[7]
[8] ein weit überrepräsentativer Anteil von Patienten mit psychotischen Störungen (ICD-10
F2) und auch ein überrepräsentativer Anteil von Patienten mit affektiven (F3), substanzbezogenen
(F1) und psychoorganischen Störungen (F0) behandelt, während neurotische, belastungs-
und somatoforme Störungen (F4) unterrepräsentiert sind [9]. Ein Vergleich mit der Diagnoseverteilung in den Psychiatrischen und Nervenarztpraxen
[10] zeigt ebenso einen in der PIA höheren Anteil von Diagnosen aus den Kapiteln F1,
F2, F3 und Persönlichkeitsstörungen (F6), dagegen einen geringeren Anteil der Diagnosegruppe
F4 [11]. Auch wenn hier nur Hauptdiagnosen berücksichtigt und Ko- und Multimorbidität sowie
Chronizität nicht erfasst wurden, weisen die Ergebnisse darauf hin, dass PIAs entsprechend
dem gesetzlichen Auftrag Patienten mit schweren Störungen behandeln.
Trotz insuffizienter Finanzierungsbedingungen finden immerhin 12 % der Kontakte aufsuchend
statt. Wenn man die aufsuchende Arbeit und die komplexe Tätigkeitsstruktur des multiprofessionellen
Teams betrachtet, wird deutlich, dass PIAs in Deutschland tatsächlich dem gesetzlichen
Auftrag entsprechend komplexe Versorgungsangebote leisten, wie sie für schwer und
chronisch Kranke erwartet werden. PIAs sind „innovativ und … ein Motor des Strukturwandels“
[12].
Ferner zeigen die Ergebnisse eine große Varianz bei der Anzahl aller Quartalsfälle,
der Diagnoseverteilung, der Größe der therapeutischen Teams und damit auch der Anzahl
der Patientenkontakte. Diese Varianz lässt sich nach Kontrolle der Gesamtzahl der
Patienten (Quartalsfälle) durch die hier erfassten Strukturmerkmale der PIAs wie Krankenhaustyp,
Versorgungsbereich und auch durch das Vergütungssystem nicht erklären. Auch die Diagnoseverteilung
lässt sich aufgrund der vorliegenden Daten nicht durch die o. g. Strukturmerkmale
erklären. Hier spielen vermutlich ganz andere – eher bedarfsorientierte – Faktoren
eine Rolle, die neben der Ressourcenfrage und konzeptionellen Strategien besonders
in der Struktur und Verfügbarkeit des gesamten regionalen Versorgungssystems begründet
sind (z. B. Verfügbarkeit niedergelassener Fachärzte und/oder gemeindepsychiatrischer
Dienste). Die große Streuung scheint also am ehesten den gewachsenen Bedingungen der
jeweiligen Versorgungsregion geschuldet zu sein. Folgt man dieser – in weiteren Untersuchungen
noch zu prüfenden – Annahme, ließe sich schlussfolgern, dass die PIAs mit ihren regionalen
Kooperationen bereits jetzt zu integrierter, passgenauer ambulanter Versorgung beitragen,
die im Versorgungsstärkungsgesetz angemahnt wird.