Einleitung zur Rubrik
In dieser Rubrik werden Experten, die die aktuelle Literatur sehr gut überblicken
und umfassende klinische Erfahrung haben, Antworten auf Ihre Fragen liefern, die sich
nicht so einfach aus der Literatur beantworten lassen. Wenn Sie also eine außergewöhnliche
Frage haben, auf die Sie sich schon lange eine Antwort wünschen, freuen wir uns auf
Ihre Zuschrift an Gabi.Hasenmaile@thieme.de.
Ask the Expert
Welche Therapieoptionen stehen für „schwer sedierbare Patienten“ zur Verfügung, die
selbst mit einer Vierfachfachkombination an Sedativa (Midazolam, Sufentanil, Ketamin,
Propofol) plus Clonidin nicht ausreichend tief zu sedieren sind? Ist Methohexital
eine mögliche Substanz?
Christian Ertmer
Bei jedem sedierten Patienten sollte mindestens einmal täglich kritisch die Indikation
zur Sedierung per se und (bei gegebener Indikation) die angestrebte Sedierungstiefe reevaluiert werden.
Nur wenige Patienten benötigen eine sehr tiefe Sedierung (RASS-4/-5). In der Klinik
des Verfassers trifft dies nahezu ausschließlich auf Patienten mit instabiler zerebraler
Zirkulation bzw. erhöhtem intrakraniellen Druck zu. Gerade bei diesen, oft jungen
Patienten ist eine tiefe Sedierung jedoch häufig sogar unter differenzierten Medikamentenkombinationen
nur schwer zu erreichen.
Wenn unter einer Kombination aus Sedativum (Propofol oder Midazolam) und Opioid (Sufentanil
oder Fentanyl) keine hinreichende Sedierung erreicht wird, kommt häufig S-Ketamin
zum Einsatz und wird auch in der S3-Leitlinie „Analgesie, Sedierung und Delirmanagement
in der Intensivmedizin“ in dieser Indikation empfohlen (Empfehlungsgrad B). Alle über
diese Kombination hinausgehenden Erweiterungen der Sedierung sind in Auslegung der
Leitlinie als „off-label“ zu bezeichnen.
Im klinischen Alltag hat sich die supportive Infusion eines alpha-2-Agonisten wie
Clonidin bewährt. Die Datenlage für Dexmedetomidin ist in der Anästhesiologie bei
neurochirurgischen Eingriffen vielversprechend, in der Intensivmedizin in dieser Indikation
(tiefe Sedierung) aber noch unzureichend dokumentiert. Dennoch kann (als individueller
Heilversuch) nach Erfahrung des Verfassers ein Versuch mit Dexmedetomidin bei schwer
zu sedierenden Patienten unternommen werden.
Ein Wechsel des Opioids von Sufentanil/Fentanyl auf Remifentanil kann in Einzelfällen
einen erheblichen Effekt auf die Sedierungstiefe haben.
Sehr effektiv ist die Anwendung volatiler Anästhetika (Sevofluran, Isofluran) bei
schwer zu sedierenden Patienten. Allerdings ist dies nur im Rahmen individueller Heilversuche
zulässig und bei Patienten mit erhöhtem intrakraniellen Druck weiterhin formal kontraindiziert.
Als potenziell vielversprechend wird das kurzwirksame, nicht kumulierende Benzodiazepin
Lormetazepam propagiert. Allerdings existieren bislang nur unzureichende Daten zur
Verwendung dieser Substanz, insbesondere in Bezug auf das delirogene Potenzial und
die Langzeiteffekte.
Barbiturate sollten (nach Meinung des Verfassers) nur in äußerst seltenen Einzelfällen
verwendet werden. In der Klinik des Verfassers sind dies ausschließlich Fälle von
refraktär erhöhtem intrakraniellen Druck mit per se hoher Letalitätswahrscheinlichkeit. Eine Sedierung mit Barbituraten von Patienten
ohne Schädel-Hirn-Verletzung sollte nicht erfolgen.
Zu Methohexital existiert in seiner Anwendung als Langzeitsedativum sehr wenig Literatur.
Eine deutsche, nicht randomisierte Arbeit mit kleiner Fallzahl sieht Vorteile bezüglich
der Delirentstehung (Volz et al., Anaesthesist. 2014 Jun; 63 (6): 488 – 95). Es scheint
pharmakokinetisch Vorteile gegenüber dem Thiopental zu bieten bei ähnlichen Eigenschaften
z. B. auf den intrakraniellen Druck. Daher wird es vor allem in der Pädiatrie nicht
selten für kurze Prozeduren (z. B. Intubation oder Katheteranlagen/-entfernungen)
eingesetzt. Die Diskussion um die unerwünschten Wirkungen der Barbiturate, hier vor
allem die Beeinflussung des Immunsystems, ist besorgniserregend.
In Ermangelung guter prospektiver Daten zu Methohexital als Langzeitsedativum kann
der Einsatz vor dem Hintergrund gut verfügbarer und untersuchter Alternativen nicht
empfohlen werden.
Sollte das Problem nicht primär die Sedierung, sondern die Reflexantwort z. B. auf
Lagerungswechsel oder Absaugen sein, muss eine Muskelrelaxation für kürzere Zeit,
vorzugsweise mit Cisatracurium, erwogen werden.