Journal Club Schmerzmedizin 2016; 5(01): 42
DOI: 10.1055/s-0042-104488
Journal Club
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Sectio: Lebensqualität beeinflusst persistierende Schmerzen

Richez B, Ouchchane L, Guttmann A, Mirault F, Bonnin M, Noudem Y, Cognet V, Dalmas AF, Brisebrat L, Andant N, Soule-Sonneville S, Dubray C, Dualé C, Schoeffler P.
The role of psychological factors in persistent pain after cesarean delivery.

J Pain 2015;
16: 1136-1146
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Publication Date:
08 April 2016 (online)

 

    Da die Häufigkeit von Kaiserschnittgeburten weltweit zunimmt, gewinnen durch diese verursachte persistierende postoperative Schmerzen an Bedeutung. Eine multizentrische Kohortenstudie aus Frankreich hat in diesem Zusammenhang den Einfluss bestimmter Risikofaktoren untersucht, wobei psychologische Aspekte im Vordergrund standen.


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    An der Studie nahmen 391 erwachsene Frauen teil, die sich einem geplanten Kaiserschnitt unterzogen hatten. Es wurden perioperative Daten erhoben, zudem kamen spezielle Fragebögen zum Einsatz, um auftretende Schmerzen zu dokumentieren. Die Autoren erfassten 3 verschiedene Outcomes:

    • Schmerzen im 3. Monat nach der Operation (M3),

    • Schmerzen im 6. Monat nach der Operation (M6) sowie

    • die kumulative Inzidenz von neuropathischen Schmerzen (bis M6),

    bestimmt mithilfe des „Douleur Neuropathique 4 Questionnaire“.

    Zum Zeitpunkt M3 traten bei 28 % der Frauen persistierende postoperative Schmerzen auf und zum Zeitpunkt M6 bei 19 %. Die medianen Schmerzscores, bestimmt mithilfe der visuellen Analogskala (1–10), waren jeweils 1,1 (Spanne: 0,4–2,6) und 0,2 (Spanne: 0–1,5). Die kumulative Inzidenz von neuropathischen Schmerzen belief sich auf 24,5 %. Bei > 60 % der Fälle veränderte sich der neuropathische Aspekt der auftretenden Schmerzen über den Zeitverlauf, wobei die Schmerzen umso stärker waren, wenn diese mit neuropathischen Merkmalen assoziiert waren. Unabhängig von der Art des Outcomes erwies sich die mentale Komponente Lebensqualität als protektiv. Prädiktoren für Schmerzen zum Zeitpunkt M3 waren Schmerzen während der aktuellen Schwangerschaft sowie frühere Fehlgeburten. Postoperative Komplikationen prognostizierten Schmerzen zum Zeitpunkt M6. Als Prädiktoren für neuropathische Schmerzen identifizierten die Autoren Schmerzen während der aktuellen Schwangerschaft, neuropathische Ereignisse in der Vorgeschichte sowie Angstgefühle im Vorfeld der Operation.

    Fazit Die Studienergebnisse zeigen, dass im Fall von persistierenden Schmerzen nach einer Kaiserschnittgeburt relativ häufig neuropathische Aspekte eine Rolle spielen. Dieser Zusammenhang ist aber offensichtlich weniger stabil als bei anderen Operationen.

    Dr. rer. nat. Frank Lichert, Weilburg

    Kommentar

    Dr. med. Hanke E. Marcus

    Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Kliniken der Stadt Köln, Krankenhaus Merheim, Klinikum der Universität Witten / Herdecke

    Schmerzen nach Kaiserschnittentbindung sind im klinischen Alltag und in der verfügbaren wissenschaftlichen Literatur ein eher unterschätztes Thema. Insofern ist jede wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema zu begrüßen.

    Zunächst ist die Untersuchung von Richez und Kollegen schon vom epidemiologischem Gesichtspunkt her interessant: Annähernd jede 3. Frau leidet nach Sectio an chronischen Schmerzen. Allerdings sind die berichteten Schmerzintensitäten eher gering, nur wenige Patientinnen geben Schmerzen > 3 auf einer numerischen Ratingskala von 0–10 an. Angaben zu funktionellen Folgeerscheinungen weisen eher auf eine geringe Beeinträchtigung hin. Dennoch sollten bei steigenden Sectioraten weltweit, die zumindest in Ländern wie Brasilien, in denen Neugeborene eher im Ausnahmefall auf natürlichem Wege geboren werden, sicher nicht immer medizinisch begründbar sind, werdende Mütter explizit über das Risiko des Auftretens chronisch postoperativer Schmerzen aufgeklärt werden.

    Die Autoren können zeigen, dass bestimmte Risikofaktoren signifikant mit dem Auftreten von chronisch postoperativen Schmerzen verbunden sind. Interessanterweise und in Übereinstimmung mit anderen Krankheitsbildern schließt dies Schmerzen vor dem Eingriff (also während der Schwangerschaft) ein. Allerdings haben die Autoren bewusst auf die Erhebung der Intensität postoperativer Schmerzen verzichtet, was leider die Vergleichbarkeit mit anderen Studien bezüglich dieser Thematik nicht möglich macht [1], die eine erhebliche Schmerzintensität nach Sectio beschreiben. Damit bleibt auch unklar, wo genau eine mögliche Therapie oder Verbesserung der den chronisch postoperativen Schmerz begünstigenden Faktoren oder Zustände schon während der Schwangerschaft einen protektiven Effekt haben könnte.

    Wünschenswert wäre in jedem Fall und gerade auch bei einem nicht medizinisch notwendigen Wunschkaiserschnitt, die betreffenden Patientinnen in Kenntnis der Risikofaktoren, die in dieser Studie identifiziert worden sind, zu erkennen und entsprechend aufzuklären und ggfs. weiter zu betreuen. Weitere Studien sollten neben der Erfassung der Beschwerden auch den Wunsch / B edarf bezüglich einer Therapie gezielt erfassen (nur 3 Patientinnen in dieser Studie erhielten für ihre Schmerzen Analgetika) und die Beeinträchtigung und den klinischen Behandlungsbedarf klarer definieren.

    1 Marcus H et al. Quality of pain treatment after caesarean section: Results of a multicentre cohort study. Eur J Pain 2015; 19: 929–939


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