Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2016; 23(02): 60-61
DOI: 10.1055/s-0042-104790
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zusammenfassung der wichtigsten Untersuchungen – Hirnleistungsstörungen in der Höhe

Yan X.
Cognitive impairments at high altitudes and adaptation.

High Alt Med Biol 2014;
15: 141-145
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Publication Date:
18 April 2016 (online)

 

Yan X. Cognitive impairments at high altitudes and adaptation. High Alt Med Biol 2014; 15: 141–145

Thema: Immer mehr Menschen leben entweder permanent oder aber nur für einige Zeit in großen Höhen. Die sauerstoffarme Umgebung kann zu Hirnleistungsstörungen und zerebralen Dysfunktionen führen. Diese Veränderungen beim Aufstieg in große Höhen wurden bereits häufig beobachtet und beschrieben. Auch ein früher Pionier der Höhenforschung Angelo Mosso hat sich schon im Jahr 1879 mit den Hirnfunktionen und dem zerebralen Blutfluss beschäftigt.

Projekt: In dem beschriebenen Artikel stellt Dr. Yan die Veränderungen der Hirnfunktionen unter verschiedenen Umweltbedingungen und unter verschiedenen Höhenstufen vor. Außerdem werden auch die physiologischen und neuronalen Veränderungen diskutiert, die zu diesen Hirnleistungsstörungen beitragen könnten.

Die Untersuchungen zur Hirnleistung unter akutem Sauerstoffmangel in der Höhe wurden im Labor oder unter akuter Höhenexposition durchgeführt. Untersucht wurden einfache und komplexe motorische Fähigkeiten, Reaktionszeiten, das Kurzzeitgedächtnis, Wortfindung, Assoziationstests und vieles mehr. Psychologische Tests unter Höhenexposition berichten häufig über verlängerte Reaktionszeiten.

Ergebnisse: Der Schweregrad der Funktionsstörungen steht in einem Zusammenhang mit dem Höhengewinn. In mittleren Höhen (2000–3000 m) wurden nur geringfügige Veränderungen berichtet. In Höhen von 3000–4000 m waren die psychomotorischen Veränderungen gut erkennbar. In sehr großen Höhen oberhalb 6000 m stehen somästhetische Störungen und visuelle Illusionen im Vordergrund (Abb. [ 1 ]).

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Abb. 1 Höhenabhängige neurokognitive Störungen bei akuter Höhenexposition.
Quelle: modifiziert nach [ 1 ]

Chronische Höhenexposition wurden weit weniger als die akute Höhenexposition untersucht. In den letzten Jahren wurden mehrere Untersuchungen an bolivianischen Kleinkindern, älteren Kindern und Heranwachsenden durchgeführt, die in verschiedenen Höhen leben: Hierbei stellte sich heraus, dass die in größerer Höhe geborenen und aufgewachsenen Menschen eine geringere Leistung in Worterinnerungstests und bei den Reaktionszeiten aufwiesen. In einer anderen Studie konnte gezeigt werden, dass ein 7-monatiger Aufenthalt in mittlerer Höhe (2260 m) keine signifikanten Hirnleistungsstörungen hervorrufen konnte.

Schwierig wird die Interpretation von Hirnleistungsstörungen, wenn kulturelle Unterschiede miteinbezogen werden. In einer chinesischen Studie wurden Unterschiede zwischen Tibetern und Han-Chinesen, die auf derselben Höhe lebten, bei mathematischen Fähigkeiten festgestellt. Multifaktorielle Analysen wiesen darauf hin, dass diese Unterschiede auch von kulturell geprägten Unterschieden herrühren könnten. Studien, die die Einwohner von verschiedenen Regionen miteinbeziehen, sollten kulturelle Unterschiede (Selbstdisziplin, persönliche Stabilität und individuelle Eigenständigkeit etc.) beachten (Abb. [ 2 ], [ 3 ]).

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Abb. 2 Feinmotorik in großer Höhe in einem Kloster in Ladakh, 4000 hm. (Quelle: Dr. Jörg Schneider)
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Abb. 3 Hirnleistungsstörungen in der Höhe können auch auf leichten Pfaden zu Fehleinschätzungen und Unfällen führen. (Quelle: Dr. Jörg Schneider)

Neurale Veränderungen in großer Höhe: Sauerstoff ist für Hirn- und Nervenzellen sowohl für die Normalfunktionen, als auch für deren Wachstum unabdinglich. Sauerstoffmangelsituationen in großer Höhe können zu sichtbaren Veränderungen der einzelnen Gehirnanteile führen. Diese Veränderungen wurden bei Menschen nachgewiesen, die in großer Höhe geboren wurden und dort auch bis ins frühe Erwachsenenalter lebten. Auch ein mehr als einjähriger Aufenthalt im Tiefland konnte diese neuralen Veränderungen nicht mehr rückgängig machen.

Außer neuralen Veränderungen können auch andere Faktoren eine signifikante Rolle bei der Entwicklung von Hirnleistungsstörungen führen. Dazu gehören Schlafstörungen mit veränderten REM-Phasen. Auch reduzierter Appetit, Übelkeit und Erbrechen bei der akuten Bergkrankheit (AMS) können zu erheblichen Einschränkungen der Hirnleistungsfähigkeit beitragen. Menschen, die unter akuter Höhenkrankheit leiden, neigen eher dazu Aufgaben weniger gut erledigen zu können. Diejenigen, die keine akute Bergkrankheit in der Höhe entwickeln, scheinen mehr Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis zu haben.

Adaption an große Höhen: Mehrere Studien kommen zu dem Verdacht, dass Aufwachsen in großen Höhen mit Hirnleistungseinschränkungen verbunden ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nicht doch bei sehr langen Aufenthalten in großen Höhen eine gewisse Anpassung stattfinden wird. Bei der Gruppe der Qechua in den Hochlagen der Anden konnte eine erniedrigte Stoffwechselaktivität des Gehirns festgestellt werden. Eine ähnliche Studie konnte dies für die Gruppe der Sherpas im Himalaja nicht bestätigen. Wobei hierbei weder genetische, noch gesellschaftliche und kulturelle Unterschiede berücksichtigt wurden. „Angeborene“ Leistungsverringerungen des Gehirns bei Menschen, die in großer Höhe geboren wurden und aufgewachsen sind, können nach genügend langem Aufenthalt unter Tieflandbedingungen zu einem gewissen Teil rekompensiert werden.

Fazit: Sauerstoffmangel in der Höhe kann mit verschiedenen Störungen der Hirnleistung verbunden sein. Diese Veränderungen werden durch die Entdeckung von strukturellen neuralen Veränderungen unterstützt. Besondere Vorsicht ist bei der Interpretation von Studien geboten, bei denen die Hirnleistungseinschränkungen in den Gruppen der Hochlandbewohner beurteilt werden, da hier oft große kulturelle und sozioökonomische Unterschiede bestehen.

Kommentar

Schon aus der Bergsteigerliteratur, vor allem aus Expeditionsberichten aus vielen Jahrzehnten ist bekannt, dass in großen Höhen die Bergsteiger Entscheidungen nicht mehr so rational fällen, wie es vielleicht in niedrigen Höhen der Fall wäre. Bergsteiger berichten von Begleitern, die nachweislich nicht am Berg waren. Halluzinationen wurden recht häufig beschrieben. Deswegen wurden bei vielen medizinischen Forschungsexpeditionen verschiedene Tests zur Evaluierung der reduzierten Hirnleistung, zu langsameren Reaktionszeiten et cetera durchgeführt. Diese Untersuchungen wurden allerdings meist mit Bergsteigern und Wanderern gemacht, die im Flachland aufgewachsen sind. Erst in den letzten Jahren haben verschiedene Forscher sich auch mit organischen Veränderungen im Gehirn befasst, die beim Aufenthalt in großer Höhe auftreten. Dr. Yan hat nun zum ersten Mal eine Zusammenfassung der wichtigsten Untersuchungen vorgenommen. Wichtig scheint mir, dass in die vorliegende Zusammenfassung auch Untersuchungen an der Hochlandbevölkerung in Südamerika und im Himalaja miteinbezogen wurden. Hirnorganische Veränderungen scheinen bei der Hochlandbevölkerung, die beständig in großen Höhen lebt, mit eine entscheidende Rolle bei reduzierter Hirnleistung zu spielen. Weitere Untersuchungen sind da sicher nötig, wobei ein großes Augenmerk auch auf kulturelle Unterschiede der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu richten ist. Auch wäre es sicher interessant zu untersuchen, ob bei Bergsteigern, die sehr häufig in großen Höhen unterwegs sind, auch nachweisliche Hirnstrukturänderungen aufgetreten sind und ob eventuelle Veränderungen wieder rückbildungsfähig sind.

Dr. Jörg Schneider, Kempten
Deutsche Gesellschaft für Berg- und Expeditionsmedizin


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  • Literatur

  • 1 Wilson MH, Newman S, Imray CH. The cerebral effects of ascent to high altitudes. Lancet Neurol 2009; 8: 175-191

  • Literatur

  • 1 Wilson MH, Newman S, Imray CH. The cerebral effects of ascent to high altitudes. Lancet Neurol 2009; 8: 175-191

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Abb. 1 Höhenabhängige neurokognitive Störungen bei akuter Höhenexposition.
Quelle: modifiziert nach [ 1 ]
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Abb. 2 Feinmotorik in großer Höhe in einem Kloster in Ladakh, 4000 hm. (Quelle: Dr. Jörg Schneider)
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Abb. 3 Hirnleistungsstörungen in der Höhe können auch auf leichten Pfaden zu Fehleinschätzungen und Unfällen führen. (Quelle: Dr. Jörg Schneider)