Dtsch Med Wochenschr 2016; 141(10): 733-734
DOI: 10.1055/s-0042-104873
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Hätten Sie’s gewusst?
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

62-jährige Patientin mit Gelbverfärbung der Haut

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Publication Date:
13 May 2016 (online)

 

    Zu Ihnen kommt eine 62-jährige Patientin, die über eine zunehmende Gelbverfärbung der Haut klagt. Was liegt vor und an welche grundsätzlichen Ursachen denken Sie?

    Antwort Offenbar liegt ein Ikterus vor. Grundsätzlich kommen prähepatische, hepatische und posthepatische Ursachen infrage.

    Kommentar Terminologie des Ikterus:

    Ikterus:

    • Gelbverfärbung von Haut, Schleimhäuten und Skleren infolge von Bilirubinablagerungen,

    falscher Ikterus:

    • medikamentös oder diätetisch bedingte Farbstoffablagerung (z. B. nach Karottengenuss): Schleimhäute und Skleren sind nicht mitbetroffen,

    prähepatischer Ikterus:

    • Erhöhung des unkonjugierten indirekten Bilirubins,

    hepatischer Ikterus:

    • Erhöhung des konjugierten und unkonjugierten Bilirubins,

    posthepatischer Ikterus:

    • Erhöhung des konjugierten (direkten) Bilirubins.

    Wie gehen Sie weiter vor?

    Antwort Nach Anamneseerhebung und körperlicher Untersuchung interessiert mich zunächst die Sonografie. Unabhängig davon natürlich Laboruntersuchungen, insbesondere die Differenzierung des Bilirubins.

    Kommentar Abklärung eines Ikterus:

    1. Anamnese,

    2. körperliche Untersuchung,

    3. Labor,

    4. Sonografie,

    5. weiter nach Befund.

    Welches ist die wichtigste Frage, die Sie mit der Sonografie klären wollen?

    Antwort Sind die Gallenwege erweitert oder nicht erweitert.

    Kommentar Sonografie bei posthepatischem Ikterus:

    • extrahepatische Gallenwege erweitert?

    • intrahepatische Gallenwege erweitert?

    • Gallenblase groß oder klein?

    • Abflusshindernis?

    Sie führen eine Sonografie durch und finden einen mit 1,5 cm deutlich erweiterten Gallengang. Die Gallenblase ist groß, auch intrahepatisch zeigen sich erweiterte Gallengänge. An welche grundsätzlichen Ursachen denken Sie jetzt?

    Antwort Offenbar liegt ein Abflusshindernis vor. Dieses kann intraluminal oder extraluminal liegen, außerdem kann es benigne oder maligne sein.

    Kommentar Posthepatischer Ikterus durch intraluminale Obstruktion:

    benigne Ursachen:

    • Konkremente,

    • Strikturen,

    • Polypen,

    • Mirizzi-Syndrom,

    • Choledochozele,

    • PSC,

    maligne Ursachen:

    • Gallengangskarzinom.

    Posthepatischer Ikterus durch extraluminale Obstruktion:

    benigne Ursachen:

    • chronische Kopfpankreatitis,

    • Pankreaspseudozysten,

    • Sphinkter-Oddi-Dysfunktion,

    maligne Ursachen:

    • Pankreaskarzinom,

    • Magenkarzinom.

    Sonographisch haben Sie keinen Tumor identifizieren können. Die Gallengangserweiterung ist bis in den Pankreaskopf hinein erkennbar. Ein sicherer Steinnachweis gelingt Ihnen sonographisch nicht. Was führen Sie als nächstes durch?

    Antwort Eine ERC.

    Kommentar ERC:

    bei Obstruktion der Gallenwege:

    • Diagnosesicherung,

    • Therapie: Papillotomie, Steinextraktion, Gallenwegsdrainage,

    Alternative zur rein diagnostischen ERC:

    • MRT.

    Angenommen, die Gallenwege wären nicht erweitert. Welches ist dann die wichtigste Information, die Sie brauchen, um die Diagnose weiter eingrenzen zu können?

    Antwort Ist das unkonjugierte indirekte Bilirubin erhöht oder findet sich eine Erhöhung sowohl des unkonjugierten als auch des konjugierten Bilirubins.

    Kommentar Unkonjugiertes und konjugiertes Bilirubin:

    • unkonjugiertes indirektes Bilirubin erhöht: prähepatischer Ikterus,

    • konjugiertes direktes Bilirubin sowie unkonjugiertes indirektes Bilirubin erhöht: hepatischer Ikterus.

    Sie haben jetzt auch die Laborwerte erhalten. Es besteht eine isolierte Erhöhung des unkonjugierten indirekten Bilirubins. Woran denken Sie?

    Antwort An einen hämolytischen Ikterus oder einen Morbus Meulengracht (Icterus juvenilis intermittens).

    Kommentar Ursachen einer isolierten Erhöhung des unkonjugierten indirekten Bilirubins:

    • Hämolyse,

    • familiäre Hyperbilirubinämie-Syndrome: Morbus Meulengracht, Crigler-Najjar-Syndrom.

    Was ist eigentlich der Morbus Meulengracht?

    Antwort Eine autosomal dominant vererbte Störung der Bilirubinaufnahme in die Leberzelle und der Bilirubinkonjugation, charakterisiert durch intermittierenden Ikterus.

    Kommentar Morbus Meulengracht:

    • autosomal dominant vererbt,

    • häufig: ca. 5 % der Bevölkerung,

    • Ursache: Konjugationsstörung mit verminderter Bilirubinaufnahme in die Leberzelle,

    • intermittierende Erhöhung des indirekten Bilirubins mit oft erkennbarem Ikterus,

    • Diagnose: Fastentest (Anstieg des indirekten Bilirubins nach Fasten),

    • Prognose gut, keine Therapie.

    Wenn Sie an eine Hämolyse denken, wie sichern Sie diese Diagnose?

    Antwort Bestimmung der LDH, der Retikulozyten und des Hb-Wertes.

    Kommentar Laborwerte bei Hämolyse:

    • Anstieg des indirekten Bilirubins,

    • Anstieg der Retikulozyten (> 2 %),

    • Anstieg der LDH,

    • Erniedrigung von Hb-Wert, Hämatokrit und Erythrozytenzahl,

    • Haptoglobin niedrig.

    Welches basale Laborprogramm halten Sie bei Vorliegen eines hepatischen Ikterus für sinnvoll?

    Antwort Die Enzymdiagnostik im Hinblick auf eine Leberzellschädigung und auf eine intrahepatische Cholestase, die Bestimmung der Syntheseparameter der Leber und schließlich die Ursachensuche.

    Kommentar Labordiagnostik bei hepatischem Ikterus:

    • Enzymdiagnostik (Leberzellschädigung, Cholestase anzeigende Enzyme),

    • Bestimmung der Syntheseleistung,

    • Virusserologie,

    • immunologische Diagnostik,

    • Tumormarker.

    Welche Ursachen berücksichtigen Sie besonders beim neu aufgetretenen intrahepatischen Ikterus des Erwachsenen?

    Antwort Die virusbedingten Lebererkrankungen, die Autoimmunerkrankungen der Leber und der Gallenwege, alkoholtoxische und medikamentös bedingte Leberschäden, Hämochromatose und Morbus Wilson, Budd-Chiari-Syndrom und die schwangerschaftsassoziierten Lebererkrankungen.

    Kommentar Ikterus bei intrahepatischer Cholestase:

    • Virusinfektion: A, B, C, D, E, CMV, EBV, HSV, seltenere,

    • Autoimmunerkrankungen von Leber und Gallenwegen: PBC, PSC, Autoimmunhepatitis,

    • alkoholinduzierte Leberschädigung,

    • medikamenteninduzierte Leberschädigung,

    • Hämochromatose,

    • Morbus Wilson,

    • Budd-Chiari-Syndrom,

    • schwangerschaftsassoziierte cholestatische Lebererkrankungen,

    • Systemerkrankungen: Morbus Hodgkin, NHL, Amyloidose.

    Was verstehen Sie eigentlich unter einer Cholestase?

    Antwort Ein Beschwerdebild, das klinisch charakterisiert ist durch allgemeine Symptome wie Juckreiz und eine Gelbverfärbung von Haut und Schleimhäuten. Laborchemisch zeichnet sich die Cholestase aus durch eine Erhöhung des Bilirubins, der alkalischen Phosphatase und der Gamma-GT.

    Kommentar Cholestase:

    Störung des Gallenflusses, bedingt durch:

    • Galleausscheidungsstörung der Leberzelle,

    • Sekretionsstörung der Gallengangsepithelien,

    • Verlegung der Gallenwege intra- oder extrahepatisch.

    Sie erwähnten vorhin Medikamente, die zu einer Fettleber führen können. Kennen Sie auch Medikamente, die zu anderen Leberschäden führen?

    Antwort Ja, Medikamente können fast alle Formen von Lebererkrankungen hervorrufen, neben der Fettleber auch nekrotisierende Veränderungen, Granulome, cholestatische Syndrome.

    Kommentar Leberschädigung durch Medikamente:

    Fettleber:

    • z. B. Tetracycline, Zytostatika, Kortikosteroide,

    intrahepatische Cholestase:

    • z. B. Östrogene, Androgene,

    cholestatische Hepatitis:

    • z. B. Amoxicillin / Clavulansäure, Carbamazepin,

    Leberzellnekrosen:

    • z. B. Paracetamol, Halothan, Isoniazid,

    chronisch aktive Hepatitis:

    • z. B. Methyldopa, Isoniazid,

    biliäre Zirrhose:

    • z. B. Ajmalin,

    Budd-Chiari-Syndrom:

    • z. B. orale Kontrazeptiva, Zytostatika,

    Leberadenom:

    • z. B. Androgene, orale Kontrazeptiva,

    FNH:

    • z. B. orale Kontrazeptiva.

    Wie verhalten Sie sich, wenn Sie den Eindruck haben, nach Beginn einer Medikation ist es zu einer laborchemisch erkennbaren Schädigung der Leber gekommen?

    Antwort Absetzen des Medikaments und Kontrolle der Werte.

    Kommentar Leberschädigungen und Absetzen eines Medikaments:

    • Bei Leberschädigungen, die innerhalb des ersten Vierteljahres nach Beginn einer Medikation auftreten, ist ein Kausalzusammenhang durchaus denkbar.

    • Leberschädigungen, die erstmals mehr als 2 Wochen nach Absetzen des Medikamentes auftreten, lassen sich eher nicht mehr auf die Medikation zurückführen.

    • Eine GPT-Erhöhung sollte nach Absetzen der Medikation innerhalb von 4 Wochen um mindestens 50 % abfallen, wenn ein ursächlicher Zusammenhang besteht.

    • Die Cholestase anzeigenden Enzyme können deutlich länger erhöht sein.

    Nach:

    Berthold Block, Facharztprüfung Innere Medizin, 3000 kommentierte Prüfungsfragen

    4. Aufl., kompl. überarb. akt. 2011, 576 S., 106 Abb., kart. ISBN: 9783131359544


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