Der Klinikarzt 2016; 45(05): 262-263
DOI: 10.1055/s-0042-107207
Blickpunkt
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Gesundheit 4.0 – Technik intelligent einsetzen und nutzen

Maria Thalmayr
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Publication Date:
02 June 2016 (online)

 

„Home Care“, „Aging in Place“ oder „glücklich und gesund zu Hause älter werden“ sind Versprechen der Gesundheitswirtschaft an eine immer älter werdende Gesellschaft, die einzulösen mit Aufgabe der Krankenhaustechniker sein wird. Eine von vielen.


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Wir haben den nötigen Wissensvorsprung. Deshalb können wir in den Krankenhäusern nicht einfach wegschauen, wenn es darum geht, ein würdiges Altern in den eigenen vier Wänden möglich zu machen“, erklärt Prof. Axel Ekkernkamp. Es gehe dabei nicht nur darum, einer wachsenden Gesellschaftsgruppe, der früher oder später jeder von uns angehören wird, ein existenzielles Anliegen zu erfüllen. „Aging in Place“ sei zudem die einzige Möglichkeit, das System vor dem Kollaps zu bewahren.

Der Ärztliche Direktor und Geschäftsführer des Unfallkrankenhauses Berlin sieht bei der Bewältigung dieser Aufgabe viele Anknüpfungspunkte an einen weiteren Trend unserer Zeit: Die Entwicklung sogenannter „Smart Homes“. Einkaufende Kühlschränke und andere intelligente, weitgehend automatisierte Systeme in barrierefreier, mit medizinischem Support vernetzter Umgebung werden es älteren Menschen hoffentlich in naher Zukunft ermöglichen, besser und länger alleine zurechtzukommen und bei Bedarf unverzüglich Hilfe zu bekommen. Eine große Rolle wird dabei das Telemonitoring spielen.

Veränderungsstress

Allen voran seien Techniker gefordert, Visionen vom eHome wahr werden zu lassen, erklärt der Keyspeaker der 35. Fachtagung zum Thema Technik im Krankenhaus. Mit vereinten Kräften müssen die Experten sämtlicher technischer Fachrichtungen die passenden Antworten finden auf 2 Megatrends, die das Gesundheitswesen unter erheblichen Veränderungsstress setzen: Der demografische Wandel und die längst überfällige Digitalisierung unseres Gesundheitswesens.

„Deutschland liegt derzeit bei der Nutzung von E-Health in der EU lediglich im hinteren Mittelfeld. Nur 1–2 % ihrer Budgets geben die Kliniken hierzulande für IT aus. Unser Nachbar Dänemark investiert hier das Zehnfache“, schrieb Ekkernkamp am 19. April 2015 in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung und fordert: „Alles, was digitalisiert werden kann, sollte auch digitalisiert werden.“ Das „Wie“ spielt dabei natürlich eine große Rolle. IT-gestützte Kommunikationsstrukturen dürfen nicht zum Selbstzweck werden und im schlimmsten Fall den Aufwand erhöhen. Sie sollen Transparenz schaffen, die Versorgungsqualität verbessern, Prozesse optimieren und vor allen Dingen Zeit sparen helfen.


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Mehr Qualität durch Digitalisierung

Ein plakatives Beispiel dafür, wie Digitalisierung Qualität verbessern kann, sieht Ekkernkamp bei der Medikation: Medikationsfehler verursachen längere Liegezeiten, teure Zusatztherapien und mehr Todesfälle als der Straßenverkehr. Deutschland ist im internationalen Ländervergleich Schlusslicht bei der Beschäftigung klinischer Pharmazeuten. Um die Arzneimittelsicherheit zu erhöhen, setzen erste Krankenhäuser daher nun auf E-Medikation im Kontext ihrer KIS-Lösungen. Entsprechende Systeme informieren die Ärzte über Wechselwirkungen von Medikamenten und empfohlene Dosen. Sie helfen bei der Bewertung der Hausmedikation und der Umstellung auf eine äquivalente Krankenhausmedikation. Im Idealfall steuern sie am Ende Apparate, die die Dosierboxen für die Patienten automatisch befüllen.

Systeme, die eine Verwechslung von Patienten vermeiden oder sicherstellen, dass der Chirurg an der richtigen Körperpartie ansetzt und nicht etwa ein gesundes Bein amputiert, sind weitere Beispiele dafür, wie moderne Technologien Medizin unterstützen und gleichzeitig die Versorgungsqualität erhöhen können. Der intelligente Stationswagen wird der Schwester lästige Dokumentationspflichten abnehmen, Lagerbestände und Warenanforderungen selbstständig übernehmen, ...

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Abb. 1 Prof. Dr. med. Axel Ekkernkamp: „Die Gesellschaft sollte endlich die heutigen sagenhaften technischen Möglichkeiten für die Gesundheit nutzen.“

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Big Data

Oft noch als abgehobene Spielerei abgetane Technologien wie diese werden unser Gesundheitswesen in den kommenden Jahren grundlegend verändern. Wir werden es dabei mit Datenvolumina zu tun kriegen, die weitaus höhere Speicher- und Übertragungskapazitäten erfordern, als sie bisher zur Verfügung stehen. „Was die Bewältigung dieser Aufgabe angeht, stehen wir erst am Anfang des Problems. Eng damit verknüpft ist das Thema Datensicherheit. Da haben die Techniker in den nächsten Jahren einiges zu tun“, erklärt Ekkernkamp und steckt damit ein weiteres Feld ab, in dem Technik zum Erfolg des Gesundheitswesens beitragen muss.

Er ist überzeugt: „Big Data verändert alle bisher bekannten zeitlichen und räumlichen Dimensionen.“ Es reicht nicht, dass Informationen vernetzt zur Verfügung stehen, sie müssen auch intelligent genutzt werden. Zum Beispiel für Risiko-Screenings: Anhand von Patientendaten lässt sich berechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit es nach Eingriffen zu Komplikationen kommt, anhand von Gerätedaten könnte man Ausfälle vorhersagen und so rechtzeitig die nötigen Maßnahmen ergreifen.


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Robotik reloaded

Dass der Erfolg chirurgischer Eingriffe weiterhin von der Tagesform und der Kondition der Operateure abhängen soll, ist für Ekkernkamp kein hinnehmbarer Zustand. Er findet: Der Schiffbruch mit den ersten Hüftgelenkrobotern sollte mittlerweile endgültig verdaut sein und einem neuen erfolgreicheren Anlauf in Richtung Robotik in der Medizin Platz machen.


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Sagenhafte Möglichkeiten

Großes Potenzial sieht Ekkernkamp ferner im dreidimensionalen Print: „In fünf Jahren werden wir damit künstliche Organe schaffen, in zehn Jahren Fleisch herstellen können.“ Der zukunftsorientierte Mediziner hält all das nicht für unwahrscheinlicher als ein fahrerloses computergesteuertes Auto und fordert: Die Gesellschaft müsse endlich damit anfangen, die vielen sagenhaften technischen Innovationen für die Gesundheit zu nutzen. Dann werden wir in naher Zukunft Krankenhäuser und Möglichkeiten haben, die sich heute noch gar niemand vorstellen kann.

Der Beitrag erschien zuerst in kma - krankenhaustechnik 2015; 9: 20–21.


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Abb. 1 Prof. Dr. med. Axel Ekkernkamp: „Die Gesellschaft sollte endlich die heutigen sagenhaften technischen Möglichkeiten für die Gesundheit nutzen.“