Während der Eröffnungsphase können Frauen fast überall im Kreißsaal aufrechte Gebärstellungen
einnehmen oder
geburtserleichternde Maßnahmen heranziehen. Das Herausgebären des Kindes erfolgt jedoch
häufig in Rückenlage
unter strikter Anleitung zu forciertem Pressen. Dies geschieht meist ungeachtet der
Empfindungen, welche die
Gebärenden dabei verspüren. In Deutschland erfolgen mehr als die Hälfte aller Geburten
in Rückenlage [[16], [15]], in den USA liegt die Rate sogar bei 75%
[23]. Viele dieser so angeleiteten Frauen haben nachträglich das Gefühl, versagt zu
haben – sie haben die
Geburt nicht aus eigener Kraft bewältigt, sondern sind entbunden worden.
Das Abwarten des reflektorischen Pressdranges und das spontane Mitschieben stellt
einen elementaren Teil der
normalen, physiologischen Geburt dar, woraus viele Vorteile für Mutter und Kind entstehen
[[28]]. Das präsente Erleben des selbstbestimmten Gebärens ist die Basis für ein
tiefes Selbstwirksamkeitsgefühl und den Glauben in die eigene Gebärfähigkeit. Es ist
als stärkendes Ereignis
für die Frauen zu sehen. Durch Interventionen während dieser Zeit kann dieses Grundvertrauen
zerstört
werden.
Die Geburtsphase/Durchtrittsperiode
Die Geburtsphase/Durchtrittsperiode
Grundsätzlich wird die Geburt in drei Phasen unterteilt:
Die Durchtrittsperiode (DP) ist der Abschnitt zwischen vollständiger Eröffnung des Muttermundes und
der Geburt des Kindes. Es ist eine Zeit, in der sich der Geburtsverlauf und die damit
einhergehenden
Verhaltensweisen der gebärenden Frau meist massiv ändern. Die Gebärende kann sich
sehr verletzlich zeigen
und vom Einfluss der beistehenden Personen abhängig werden. Die Betreuungspersonen
haben in dieser Phase
mehr Verantwortung denn je, die Interessen von Mutter und Kind zu vertreten.
Die Unterteilung der Geburtsphase (GP) erfolgt in eine frühe/latente Phase und eine
fortgeschrittene/aktive Phase[[20]].
Die erste Phase der Durchtrittsperiode beginnt mit vollständiger Eröffnung des Muttermundes
und endet, wenn
die Frauen erste unwillkürliche Pressversuche zeigen. Während der sogenannten Übergangs- oder
Latenzphase können die Wehen etwas nachlassen [[31]]. Dies stellt eine
physiologische Erholungsphase für Mutter und Kind vor der aktiven DP dar, die Walsh
als „have a rest and be
thankful“-Phase bezeichnet [[37]]. Während dieser Zeit können Gebärende das
Gefühl der Kraftlosigkeit und Erschöpfung als Teil der Normalität erleben [[9], [8]].
Die Wehen unter Mithilfe der reflektorischen Bauchpresse werden Presswehen genannt.
Die aktive Phase
ist durch kraftvolles Pressen charakterisiert, sobald der kindliche Kopf auf Beckenboden
steht, und endet
mit der Geburt des Kindes [[20]].
Einige Studien betonen, dass die aktive von der passiven Geburtsphase hinsichtlich der Dauer
getrennt betrachtet werden muss, da die aktive Phase das kritische Zeitfenster für
mütterliche und kindliche
Beeinträchtigungen darstellt. Solange Gebärenden die Möglichkeit zugestanden wird,
dem Pressdrang nach
eigenem Ermessen zu folgen, scheint eine verlängerte Dauer der DP keine schädlichen
Auswirkungen zu haben,
wohingegen verlängertes Valsalva-Pressen negative Auswirkungen auf das kindliche Outcome
zeigt [[35], 30]. Die Dauer der gesamten DP ist individuell zu beurteilen. Zeit ist nicht
der alleinige Maßstab für eine Geburtsbeendigung. Es sind keine geburtshilflichen
Interventionen angezeigt,
solange die fetale Überwachung unauffällig ist und ein Geburtsfortschritt stattfindet
[21, 20].
Der reflektorische Pressdrang
„Fast jede Frau ist in diesem Moment erleichtert und aufgeregt, denn aus passivem
Sichüberlassen wird
aktives Mitschieben. Das ist der wichtige Wendepunkt, die Zeit, wenn Identität und
Körperbewußtsein [sic]
wieder zurückkehren und einen begeisternden Energieschub mit sich bringen.“
Elizabeth Davis
[
[7]
]
Der reflektorische Pressdrang ist Teil der normalen, physiologischen Geburt. Er kommt zum richtigen
Zeitpunkt und ist willentlich nicht beeinflussbar[[28]]. Wenn der
kindliche Kopf die Beckenmitte passiert hat, wird der Plexus lumbosacralis, ein Nervengeflecht
im Lenden-
und Kreuzbeinbereich, stimuliert und der reflektorische Pressdrang ausgelöst [[5]]. Durch den Ferguson Reflex wird der Pressdrang getriggert, da Dehnungsrezeptoren
im hinteren
Vaginalbereich gedehnt werden und Oxytocin-Peaks freigesetzt werden, die das Empfinden
des Pressdranges
verstärken [[26]].
Optimale geburtshilfliche Bedingungen für Pressanstrengungen sind ein vollständig bzw. fast
vollständig eröffneter Muttermund, der vorangehende kindliche Teil hat den Höhenstand
von + 1
überschritten und rotiert in eine dorso-anteriore Stellung bzw. ist ausrotiert, adäquate
uterine
Kontraktionen von mind. 30 mmHg sind vorhanden und die Gebärende verspürt starken
Pressdrang. Sind diese
Bedingungen gegeben, sind Pressanstrengungen effizienter, erzielen eher ein Tiefertreten
des kindlichen
Kopfes und ermüden die Frauen weniger. Ebenso konnte gezeigt werden, dass die Pressphase
verkürzt wird
und weniger Dammverletzungen entstehen, wenn diese Bedingungen abgewartet werden (Roberts
2003:
795–796).
Der Fetus-Ejection-Reflex
„Die letzten Sprossen der Geburtsleiter zu erklimmen bedeutet, sich dem Fetus-Ejection-Reflex
zu
überlassen.“
Michel Odent
[
[22]
]
Während eines echten Fetus-Ejection-Reflexes wird das Baby in einer kurzen Serie unaufhaltsamer
Kontraktionen geboren. Unter physiologischen Optimalbedingungen werden während der
letzten
Uteruskontraktionen schlagartig große Mengen von Katecholaminen ausgeschüttet. Während
Gebärende zuvor
eher passiv wirkten, scheinen sie plötzlich einen Energieschub zu erleben. Oft wechseln
sie in eine
aufrechte Körperhaltung und verspüren den Drang, sich Halt zu suchen. Eine nach vorn gebeugte Haltung
ist typisch für den Fetus-Ejection-Reflex. Ein weiteres Merkmal besteht darin, dass Gebärende
plötzliche Anzeichen von Furcht zeigen. Greifen Geburtshelfer jetzt ein, kann dies
dazu führen, dass zum
Fetus-Ejection-Reflex hinführende Prozesse abbrechen. Jede Einmischung kann die Gebärende
„auf die Erde“
zurückholen. Anstelle des Fetus-Ejection-Reflexes treten dann weitere Wehenphasen
mit willkürlich
initiierten Bewegungen [[22]].
Wenn der Geburtskanal für die Geburt ganz geformt ist, wird dem M. puborectalis (ein
Teil des Levators)
eine bedeutende Rolle zugeschrieben. Durch seine vertikal angeordneten Muskeln leitet
er den kindlichen
Kopf Richtung Anus und unterstützt dessen Deflexion. Sobald der kindliche Kopf den
M. bulbospongiosus
dehnt, spüren die Frauen meist ein stark spannendes Gefühl. Die Gebärenden haben jetzt
einen
überragenden, zentralen Drang das Baby zu gebären, um sich von der immensen Spannung
zu befreien.
Durch den unwiderstehlichen Pressdrang, den Instinkt das Kind zu gebären, den Fetus-Ejection-Reflex
und Spitzenwerte an Oxytocin und Adrenalin wird das Kind geboren[[33]].
Als Antwort auf Stress, Kälte, Erschöpfung oder Schock wird über die neuronale Vermittlung
Adrenalin aus
der Nebenniere freigesetzt. Adrenalin hemmt die Freisetzung von Oxytocin. Am Antagonismus
von Adrenalin
und Oxytocin wird deutlich, dass Adrenalin die Bremse ist. Es verhindert jedes Geschehen
im Sexualleben,
sobald sich Individuen bedroht fühlen und darauf angewiesen sind, dass Energie für
Kampf oder Flucht zur
Verfügung steht. Die Analyse dieses Wechselspieles hilft, die elementaren Bedürfnisse
einer Frau in den
Wehen zu verstehen. Reize wie grelles Licht, Lärm oder laute Stimmen sollten vermieden
werden. Hemmend
wirken alle Eingriffe, die den Neokortex anregen, z. B. vaginale Untersuchungen, erzwungene Wechsel
in eine andere Gebärposition oder die Anleitung zum Valsalva-Pressen. Der Geburtsort
sollte hinreichend
warm und sicher sein und ein Gefühl des „Unbeobachtetseins“ sollte vorherrschen [[22]].
Dass Katecholamine auch geburtsfördernd wirken, lässt sich wie folgt erklären: Es
wird nicht nur
Adrenalin, sondern eine Mischung aus Adrenalin und Noradrenalin freigesetzt, dessen
Verhältnis sich
ständig verschiebt. Im Uterus gibt es zwei Zellen, die auf Katecholamine ansprechen.
Dockt Adrenalin an
Beta-Rezeptoren an, drosseln oder blockieren sie die Tätigkeit der Uterusmuskulatur.
Während der
Latenzphase scheint dies der vorherrschende Effekt zu sein. Werden jedoch Alpha-Rezeptoren
durch
Noradrenalin besetzt, erfährt die Uterusmuskulatur eine Stimulation und es kommt zum
Fetus-Ejection-Reflex [[22]].
Intuitives Pressen vs. Valsalva-Pressen
Intuitives Pressen vs. Valsalva-Pressen
Lässt man Frauen ohne die Durchführung von Interventionen wie dem Valsalva-Pressmanöver gebären, so
pressen sie im Durchschnitt vier bis fünf Sekunden lang. Danach erfolgt ein Intervall
von zwei Sekunden, in
dem einige kurze Atemzüge an Luft geholt werden. Diese Sauerstoffaufnahme trägt dazu
bei, den
pO2- und pCO2-Gehalt im mütterlichen Blut zu regulieren. Pro Kontraktion schieben
Frauen intuitiv ca. drei- bis fünfmal mit. Dieses Mitschieben geht meist mit einem
Entweichen der Atemluft
bei geöffneter Glottis einher. Der intrauterine Druck sowie die Anzahl der Pressanstrengungen
und die Dauer
des aktiven Mitschiebens steigen im Verlauf der DP kontinuierlich an [[4],
[34], [30]].
Hingegen wird beim Valsalva-Pressmanöver die Frau angeleitet, in Rückenlage beide Beine in Knie und
Hüfte zu flektieren, in die Kniekehlen zu fassen und die Beine hoch zu ziehen und
zu spreizen. Der Kopf wird
vom Bett weg gegen die Schwerkraft auf die Brust gehoben und meist vom anwesenden
Partner gehalten. Hinzu
kommt eine die Glottis verschließende Atem- und Pressanleitung nach kostosternal:
„Tief Luft holen und bei
angehaltenem Atem so fest wie möglich mitpressen.“ Diese Presstechnik erfolgt dreimal
pro Presswehe. Dauert
eine Presswehe ca. eine Minute, muss die Gebärende bei dieser Anleitung etwa 15 Sekunden
die Luft anhalten
und mit unökonomischem Einsatz ihrer Körpermuskulatur mitpressen [[20]].
Ursprünglich wurde das Valsalva-Pressmanöver in der Geburtshilfe eingeführt, um das
Tiefertreten des Kindes
zu beschleunigen, die Dauer der Geburtsphase zu verkürzen und somit die Risiken für
den Fetus zu minimieren
und das neonatale Outcome zu verbessern [[26]]. Mittlerweile steht fest, dass
die Anleitung zu forciertem Pressen in Rückenlage negative Auswirkungen aufweist.
Auswirkungen durch Anleitung zu Valsalva
Durch Rückstau der Einatemluft in die unteren Atemwege steigt der intraabdominelle
und intrathorakale
Druck mit der Folge eines verminderten venösen Rückstroms in den Brust- und Bauchraum
und somit in die
rechte Herzkammer. Durch Druckerhöhung im gesamten Thorax strömt mehr Blut aus den Lungenvenen in
die linke Herzkammer, wodurch dort so lange ein erhöhtes Schlagvolumen besteht, bis
der „Vorrat“ in den
Lungenvenen aufgebraucht ist. Danach wird das Herzschlagvolumen vermindert, und zwar
so lange, wie
gepresst wird. Es kommt zu einer verminderten Sauerstoffversorgung des ungeborenen
Kindes, da durch
Abfall des arteriellen Drucks die Blutzufuhr zur Plazenta verringert wird und somit eine
Minderversorgung des Fetus und ein daraus resultierender Herzfrequenzabfall entstehen
[[34]].
Ein herabgesetzter arterieller Blutdruck hat eine hemmende Wirkung auf die Rezeptoren
am Beckenboden. Die
Gebärende verspürt weniger Druck, durch den fehlenden reflektorischen Pressdrang wird
das Pressen noch
anstrengender und die Frau erschöpft schneller [14]. Durch das Pressdruckmanöver entsteht
eine enorme
Belastung des kardiovaskulären Systems der Mutter. Es kann zu Einblutungen im Gewebe und zur
Zyanose kommen. Bei intensiven Pressmanövern kann ein Hyposphagma, eine flächenhafte,
scharf begrenzte
subkonjunktivale Blutung im Auge, vorkommen [[15]].
Studienergebnisse zeigen, dass Frauen, die nicht zum Valsalva-Pressdruckmanöver angeleitet
wurden,
sondern den Pressanstrengungen spontan nachkommen konnten, postpartal einen signifikant
geringeren
Erschöpfungsgrad aufwiesen [[18], [13]].
Ebenfalls wurde untersucht, ob sich Unterschiede hinsichtlich des kindlichen APGAR-Scores und der
Nabelschnur-pH-Werte ergaben. Die Werte jener Kinder, deren Mütter ohne Anleitung zum Pressen
geboren haben, fielen signifikant besser aus als jene der Kinder, deren Mütter zum
Valsalva-Pressen
angeleitet wurden, auch wenn die DP bei den Müttern ohne Anleitung länger dauerte
(Lemos et al. 2011:
68-69; Haseeb et al. 2014: 103).
Einige Studien zeigen, dass es keine relevanten Unterschiede hinsichtlich des kindlichen
Wohlbefindens in
Bezug zur verwendeten Atemtechnik gibt [[25], [2]]. In der Studie von Bloom et al. [[2]] wurde als Atemtechnik
interessanterweise keine reine Valsalva-Pressatmung, sondern eine angeleitete Atmung
verwendet, bei der
nicht nur das Pressen während der Wehe angeleitet, sondern besonderer Wert auf die
Atmung in der
Wehenpause gelegt wurde. Dies lässt darauf schließen, dass der Atmung während der
Wehenpause eine
besondere Bedeutung zukommt.
Andere Untersuchungen zeigen, dass Frauen, die spontanen Pressanstrengungen nachkommen
konnten
(Versuchsgruppe, n = 33), eine signifikant kürzere DP aufwiesen (p = 0,02). Bei vollständigem
Muttermund
äußerten sie mehr Schmerzen (p = 0,04), jedoch eine und vier Stunden nach der Geburt
waren die Schmerzen
signifikant geringer (p = 0,01) als in der Kontrollgruppe (n = 33). Es konnte auch
gezeigt werden, dass
die Frauen der Versuchsgruppe die Geburt positiver erlebten [[6]].
Ebenso wurden Untersuchungen zur mütterlichen Stressinkontinenz durchgeführt. Erhält
die Gebärende keine
Anleitung zum Valsalva-Pressmanöver, so scheint dies mit einem geringeren Risiko für
eine mütterliche
Stressinkontinenz einherzugehen. Drei Monate nach der Geburt wurde die Funktion des
Beckenbodens
untersucht. Frauen, die zu forciertem Pressen angeleitet wurden, hatten eine signifikant verminderte
Blasenkapazität (427 ml vs. 482 ml) und signifikant früher auftretenden Harndrang (160 ml vs. 202
ml). Bei 7,37 % der Frauen, die zum Mitpressen angeleitet worden waren trat eine Stressinkontinenz
auf – im Gegensatz zu 4,2 % der Frauen, die ohne Einsatz des Valsalva-Pressmanövers
geboren hatten [[32]].
Die Druckverstärkung im Bauchraum durch die Bauchpresse Richtung Beckenboden ist effektiver
im Sitzen,
Hocken oder Stehen. Beim Powerpressen in Rückenlage verschließt sich durch die intraabdominelle
Druckerhöhung die gesamte Rumpfkapsel einschließlich des Beckenbodens und der Glottis.
Es werden der
geburtsmechanische Ablauf und der Geburtsfortschritt behindert. Ein weiterer Nachteil der
Rückenlage ist die Kompression der Vena cava inferior durch den schwangeren Uterus
mit einer
nachfolgenden Reduktion des Herzminutenvolumens [[15]].
In der Steinschnittlage weichen viele Gebärende in ein Hohlkreuz aus. Dies führt zu
einer starken
Krümmung der Führungslinie und einer Anspannung des Beckenbodens. Gerade an der Lendenwirbelsäule
ist zur
Begradigung des Geburtsweges eine Flexion erforderlich, um den Verlauf der Geburt
zu erleichtern, die DP
zu verkürzen und den Abwehrreflex auszugleichen. Auch das Einwirken der Schwerkraft
fehlt [15]. Während
des Pressens in Rückenlage muss die Kreißende mit immensem Kraftaufwand das Kind gegen die Schwerkraft
über den engen Bogen der Symphyse gebären [[24]].
Das Diaphragma urogenitale, und zwar der M. transversus perinei profundus, wird durch
die Berührung mit
dem kindlichen Kopf Richtung Schambogen und Sitzbeine zurückgezogen. Während dieser
Phase der Geburt
braucht die Muskulatur Zeit, sich zurückzuziehen, um Schäden am Beckenboden zu minimieren.
Zu früh
angeleitetes Mitpressen verhindert den Rückzug des transversen Muskels, erkennbar an einer „Rolle
aus Vaginalgewebe“ vor dem kindlichen Köpfchen. Das erhöht die Verletzungsgefahr im Bereich der
Beckenbodenmuskulatur. Und die Frauen benötigen mehr Kraft zum Pressen, da der Muskel
den Beckenausgang
blockiert [[29], [23]].
Nach Walsh könnten diese subjektiven Einzelerfahrungen während der Geburt Hinweise
geben, dass durch
Anleitung zum forcierten Pressen ein Grundvertrauen der Frau in ihre Gebärfähigkeit
zerstört wird.
Frauen, die ihr Kind selbstbestimmt geboren haben, berichten oft über eine tiefe Befriedigung
bezüglich
ihrer Geburt, die mit dem intuitiven und selbstbestimmten Gebären ihres Kindes begründet
wird. Diese
Frauen haben das Gefühl, „geboren zu haben“, nicht „entbunden worden zu sein“ [[37]].
Vorteile aufrechter Gebärpositionen und des Abwartens
Nur in einer vertikalen Körperhaltung ist es möglich, auf eine starke Schmerzempfindung
durch
Tonusminderung oder -erhöhung adäquat zu reagieren. Diese physiologische Tonusregulation schützt vor
Überbelastung, Übermüdung und Schmerzen. Vorausetzung ist uneingeschränkte Mobilität, um Reize aller
Art zu verarbeiten. Um jedoch eine Wirkung auf die geburtshilfliche Situation zu erzielen,
ist nicht die
Wahl einer einzigen Position maßgebend, sondern das Wechseln verschiedener Körperpositionen
[[16]].
Aufrechte Gebärhaltungen zeigen Auswirkungen auf den Hormonhaushalt. Es erfolgt eine
Begünstigung der
Prostaglandin- und Endorphinausschüttung. Beim Wechsel von der Seitenlage zum Stehen
steigt nachweisbar
der Prostaglandinspiegel. Durch Körperkontakt helfender Personen entspannt sich die
Gebärende. Über
Regulationsmechanismen des limbischen Systems werden Endorphine freigesetzt. Es erfolgt
ein Abbau von
Stress, Angst und Spannung. Und die Wirkung des Hormons Oxytocin kann sich besser
entfalten. Ebenfalls
ist es den Gebärenden möglich, aktiver und leistungsfähiger zu sein und die Kontrolle über den eigenen
Körper zu behalten[[16]].
Die selbstbestimmte Wahl aufrechter Gebärpositionen kann sich sowohl auf körperlicher als auch auf
psychischer Ebene positiv auswirken. Jene Frauen, die während der Geburt aufrechte Gebärpositionen
einnehmen konnten, hatten eine kürzere Eröffnungs- und Geburtsphase, erfuhren weniger
Interventionen,
berichteten über weniger starke postpartale Schmerzen und waren generell zufriedener
mit der
Geburtserfahrung als Frauen, die in Rückenlage ihr Kind zur Welt brachten. Als einziger
Nachteil wurde
ein größerer Blutverlust in der Gruppe der Frauen verzeichnet, die aufrechte Gebärpositionen
einnahmen
[[27]].
Es konnte auch eine signifikante Reduktion an vaginal-operativen Entbindungen[[3], [17], [18],
[11], [36], [10]] sowie an Episiotomien festgestellt werden und es zeigten sich weniger abnorme fetale
Herztonveränderungen [[12], [11], [10]].
Aus oben genannten Studien geht klar hervor, dass das Abwarten des reflektorischen
Pressdranges die
Rate an vaginalen Spontangeburten erhöht und vaginal-operative Geburtsbeendigungen seltener
stattfinden. Sofortiges Pressen nach vollständiger Muttermundseröffnung führt zu einer
vermehrten
mütterlichen Erschöpfung in der Postpartalperiode. Diese Erschöpfung kann eine postpartale
Depression
fördern und sich somit negativ auf die Mutter-Kind-Interaktion auswirken. Was die
Geburtsdauer und das
kindliche Outcome betrifft, gehen aus den untersuchten Studien keine klaren Ergebnisse
hervor.
Die Zufriedenheit mit dem Geburtserlebnis hängt mit der Selbststeuerung der Geburt, der
Wahrnehmung der Wehenschmerzen, der Erwartungshaltung und der Betreuung während der
Geburt zusammen. Die
Möglichkeit, die Gebärpositionen zu beeinflussen, kann sich positiv auf die Geburtserfahrung,
den
Geburtsverlauf sowie das Geburtserlebnis auswirken. Gesunden Schwangeren mit komplikationslos
verlaufender Geburt sollte deshalb bei vollständig eröffnetem Muttermund ohne Pressdrang
erlaubt werden,
mit aktiven Pressanstrengungen solange zu warten, bis starker Pressdrang auftritt
oder der kindliche Kopf
im Introitus sichtbar wird.
Empfindung und Wahrnehmung der Frauen
Empfindung und Wahrnehmung der Frauen
Im Zuge meiner Bachelorarbeit wurden Frauen zu ihren Empfindungen und Wahrnehmungen
zum reflektorischen
Pressdrang befragt. Folgend werden die wichtigsten Ergebnisse dargestellt [[38]].
Wahrnehmung reflektorischer Pressdrang
Von allen Frauen, die spontanen Pressanstrengungen nachkommen konnten (selbstbestimmte
Gruppe, n = 4),
wird die aktive Geburtsphase als Phase beschrieben, in der man die Kontrolle über
den Körper verliert und
sich dem Rhythmus der Geburt hingeben muss. Befindet man sich im Rhythmus, werden die Wehen als
„bewältigbarer“ empfunden. Es wird als eine Zeit beschrieben, in der man ganz tief
in sich hineingeht,
ganz bei sich ist und die Außenwelt nicht mehr wahrnimmt. Ausdrücke wie wahnsinnige
Kraft, Naturgewalt,
Unbändigkeit, überwältigend und grenzüberschreitend wurden für die Beschreibung des
unwillkürlichen
Pressdranges verwendet.
Durch Anleitung von außen kann der Rhythmus der Geburt nicht bzw. weniger stark wahrgenommen
werden und
somit könnte die Geburtsphase für die Frauen schwerer bewältigbar erscheinen. Dies
zeigt sich auch in den
Aussagen der Frauen, die die Geburt fremdbestimmt erlebten (n = 3). Hinsichtlich der
Wahrnehmungen und
Empfindungen zum reflektorischen Pressdrang wurde er vom Großteil dieser Frauen als
schwer beschreibbar
und schwer erinnerbar geschildert.
Das Veratmen des vorzeitigen Pressdranges wird von den Frauen (n = 2) als schwierig
bzw. unmöglich
durchführbar empfunden und als innerlicher Kampf gegen die wahrgenommenen Empfindungen
beschrieben.
Geburtshilfliche Unterstützung
Um Gebärenden die Zeit des frühen Pressdranges angenehmer zu gestalten, sollten frühe
Pressanstrengungen
durch die Hebamme unterstützt werden, wenn die geburtshilflichen Vorausetzungen für
das Tiefertreten des
Kindes günstig sind:
-
wenn der Muttermund mind. acht bis neun Zentimeter offen ist
-
wenn der Kopf auf ISP + 1 oder tiefer steht
-
und wenn sich die Pfeilnaht in den senkrechten Durchmesser dreht
Gebärende können am Höhepunkt der Wehe, wenn der Pressdrang am stärksten wahrgenommen
wird, dosiert
mitpressen. Es erscheint unwahrscheinlich, dass spontanes Mitschieben in dieser Situation
negative
Auswirkungen hat, solange sich die Frauen nicht verausgaben [[30]].
Gebären mit geöffneter Glottis
Eine interviewte Frau beschreibt eindrücklich, dass das Zurückhalten von lauten Geräuschen
den
Geburtsfortschritt beeinträchtigt hat. Nachdem sie ihre Gefühle und Schmerzen durch
Tönen zum Ausdruck
brachte, schritt die Geburt voran. Die Frauen, die selbstbestimmt geboren haben, waren
über den
Zusammenhang zwischen Kiefermuskulatur und Beckenboden aufgeklärt. Die Presswehen konnten mit
geöffneter Glottis besser kontrolliert und sogar die Regulation der Gebärgeschwindigkeit
konnte
beeinflusst werden.
Anhand dieser Aussagen lässt sich erkennen, dass das Gebären mit geöffneter Glottis
die Wahrnehmungen der
Geburtsphase beeinflussen kann und als wichtiger Aspekt bei der Geburtsbetreuung betrachtet
werden
sollte. Empfehlenswert wäre, den Frauen bereits während der Schwangerschaft den Zusammenhang
zwischen
Glottis und Beckenboden zu vermitteln.
Intuitive Einnahme von Gebärpositionen
Alle interviewten Frauen, die ihr Kind selbstbestimmt geboren haben, nahmen während
der Zeit der
Geburtsphase sowie zur Geburt des Kindes instinktiv eine aufrechte und nach vorne geneigte
Körperposition ein.
Die Auswirkungen der Rückenlage kombiniert mit der Valsalva-Presstechnik zeigten sich
bei einer der
Frauen sehr deutlich. Sie beschreibt, dass das Einatmen und somit die Pressanstrengungen
in dieser
Position nicht möglich waren. Sie konnte keinen Druck aufbauen, um das Kind Richtung
Beckenausgang zu
pressen. Vielmehr wirkte sich diese Anleitung dahingehend aus, dass sie nach der Geburt
in Gesicht und
Augen Petechien aufwies, sogenannte Hyposphagmata. Weiter erklärt sie, dass sie sich
während dieser
Situation lieber umgedreht hätte, haltend an einem von der Decke hängenden Seil, um
sich geschützter von
den außenstehenden Personen zu fühlen. Es scheint, dass Gebärende intuitiv aufrechte
Gebärhaltungen
bevorzugen, um die Wehenschmerzen besser verarbeiten zu können und sich vor äußeren
Einflüssen zu
schützen.
Die Zufriedenheit mit der Geburt
Frauen, die selbstbestimmt geboren haben, berichten durchwegs von einem positiven
Geburtserlebnis. Auch
das Auftreten von Glücksgefühlen nach der Geburt war bei allen Frauen vorhanden. Die
Geburtserfahrung
wurde als bestärkend und heilend im Hinblick auf die erste Geburt beschrieben. Keine
der Frauen wünschte,
bei der nächsten Geburt etwas anders zu machen.
Bei jenen Frauen, die fremdbestimmt geboren haben, wurde das Geburtserlebnis durch
äußere Faktoren
negativ beeinflusst, sei es das Einwirken auf die Gebärposition oder die Anleitung
zu forciertem Pressen
oder beides. Durch die Fremdbestimmung wurde das Gefühl genommen, die Geburt selbst
geschafft zu haben.
Unterstützung und Anleitung durch die Hebamme
Alle der befragten Frauen (n = 7) gaben an, dass sie keine Anleitung durch die Hebamme
zum forcierten
Pressen gebraucht hätten. Zwei der Frauen beschreiben, dass sie nie das Gefühl hatten,
Unterstützung von
außen zu brauchen, da sie sich auf ihren Körper verlassen haben. Bei der Geburt hinkt
man dem Körper
hinterher, d.h. er macht etwas und man versucht so schnell wie möglich darauf zu reagieren.
Eine Hebamme
kann körperliche Prozesse in den Geburtsverlauf einordnen, jedoch kann sie nicht wissen,
was die Frauen
im Moment wirklich brauchen. Die Anleitung zu forciertem Pressen wird daher als unnötig und sogar
kontraproduktiv beschrieben.
Eine Frau äußert, dass sie sich durch die Geburtsumstände (verzögerte Geburtsphase,
schlechte kindliche
Herztöne) in einem Moment der Schwäche und Hilflosigkeit befand und die bestimmte
Anleitung der Hebamme
als Stütze empfand. Eine der Frauen, die den vorzeitigen Pressdrang erlebte, hätte
sich mehr
Unterstützung bei der Bewältigung des vorzeitigen Pressdranges gewünscht, jedoch keine
Anleitung während
der Pressphase benötigt. Ermutigung wird, im Gegensatz zur Anleitung, als wichtiger Aspekt der
Hebammenarbeit gesehen. Darunter fällt die Unterstützung im Finden der bequemsten Gebärposition oder
die Möglichkeit, verschiedene Positionen auszuprobieren. Von zwei der Frauen wurde
dahingehend Anleitung
gewünscht, dass Gebärende ermutigt werden sollen, das Tiefertreten des kindlichen
Kopfes durch eigene
vaginale Untersuchungen zu verfolgen. Dies wird einerseits als Ermutigung gesehen,
andererseits als
Gefühl der Selbstbestimmtheit dargelegt.
Fazit
Evidenzen zum Abwarten des reflektorischen Pressdranges, zu aufrechten Gebärhaltungen
und selbstbestimmtem
Mitschieben während der Geburt gegenüber sofortigem Pressen nach vollständiger Muttermundseröffnung,
horizontalem und angeleitetem Gebären zeigen viele Vorteile für Mutter und Kind, z.
B.:
-
Verkürzung der Geburtsdauer
-
mögliche Reduktion vaginal-operativer Geburtsbeendigungen
-
weniger starke postpartale mütterliche Schmerzen und Erschöpfungszustände
-
weniger abnorme kindliche Herzfrequenzmuster
-
geringeres Ausmaß an Dammverletzungen
Besonders mütterliche Verletzungen und Schmerzen, oftmals hervorgerufen durch vaginal-operative
Entbindungen, aber auch durch Erschöpfung, können eine postpartale Depression triggern
und somit die
Mutter-Kind-Beziehung beeinträchtigen. Die Gebärende spontan mitschieben zu lassen
trägt dazu bei, dem Kind
eine möglichst stressfreie Geburt zu ermöglichen und der Mutter Überanstrengung und
extremes Erschöpftsein
zu ersparen.
Die Anleitung zum forcierten Pressen sollte jenen Gebärenden vorbehalten werden, die
die Anleitung wirklich
brauchen, vielleicht sogar fordern. Allerdings sollte das Vorgehen individuell angepasst
sein. Die
jeweiligen Bedürfnisse und der Zustand von Mutter und Kind sollten miteinbezogen werden.
Bei vielen Frauen
führen positive Stärkung, Zuspruch, Ermutigung und beruhigende Maßnahmen zu einem
Geburtsfortschritt und der
Geburt des Kindes.
Während einer physiologischen Geburtsphase, in der es der Gebärenden zugestanden wird,
nach eigenen
Empfindungen mitzuschieben, wird es kaum notwendig sein, strikte Anweisungen zum „korrekten“
Pressen zu
geben. Eine empathische Begleitung durch die Geburtshelfer, die die Normalität einer
Geburt sowie die
Fähigkeit der Gebärenden zur aktiven und selbstbestimmten Geburt anerkennen und wertschätzen,
ist wichtig.
Dadurch entsteht die Möglichkeit, dass Frauen aus eigener Kraft gebären und nicht
„entbunden“ werden.
Die Geburtsphase stellt für die Hebamme eine besondere Anforderung dar, wenn der Geburtsverlauf
durch die
Bedürfnisse der Gebärenden vorgegeben wird und die Hebamme die Position der Dirigentin
zugunsten der Rolle
einer wachsamen und empathischen Begleiterin abgibt. Wichtig ist, die Stärken, Ressourcen
und Fähigkeiten
des weiblichen Körpers während der Geburt zu fördern. Somit können hebammenrelevante
Fähigkeiten, wie z.B.
die Beobachtungsgabe und die Geduld, gestärkt werden. Das Ziel moderner Hebammen –
als Fachfrauen der
physiologischen Geburt – sollte sein, Gebärende dahingehend zu unterstützen, dass
diese die Geburt als ein
positives Erlebnis erfahren können, geprägt von der eigenen Kompetenz, zu gebären.