Dialyse aktuell 2016; 20(05): 243-251
DOI: 10.1055/s-0042-109047
Pflegeserie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ganzheitliche Pflege im Dialysezentrum

Wunschdenken oder Wirklichkeit?Integrated care in a dialysis center – Wishful thinking or reality?
Lidia Kowalska
1   Zentrum für Nieren- und Hochdruckkrankheiten Dialyse – Apherese, Immenstadt (Ärztepartnerschaft: Dr. rer. nat. Barbara Nowak, Dr. Amélie Elze)
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24 June 2016 (online)

Der in diesem Artikel vorgestellte Auszug aus einer Studie zeigt, dass das Verständnis für ganzheitliche Pflege im untersuchten Dialysezentrum teilweise mehr intuitiv als theoretisch vorhanden ist. Die Tatsache, dass nur die knappe Mehrheit der befragten Pflegenden eindeutig im Rahmen der Schulausbildung mit der Idee der Ganzheitlichkeit konfrontiert wurde, deutet auf deren Offenheit und Entwicklungspotenzial hin. Es ist die Umsetzung der Idee in die Praxis, die Schwierigkeiten bereitet. Die Pflege im Zentrum wird weitestgehend den individuellen Bedürfnissen des Patienten und entsprechend der jeweiligen pflegerischen Situation angepasst. Die Beziehungsseite des Patienten wird in der Pflege stark berücksichtigt. Zu bemängeln ist, dass sich die Pflege v. a. auf die körperlich-seelische und weniger auf die geistig-spirituelle Ebene des Menschen konzentriert. Etwas ambivalent ist auch zu verstehen, dass man zwar die Individualität und die Würde des Menschen als führende Prioritäten erachtet und dem Wohlergehen des Patienten im Zentrum einen hohen Stellenwert einräumt, jedoch trotzdem zwischen schwierigen und angenehmen Patienten unterschieden wird, was der Idee der Ganzheitlichkeit widerspricht. Positiv ist die reife Sicht der Pflegenden auf sich selbst, die sich durch Verantwortung und Ehrlichkeit sich selbst gegenüber auszeichnet. Ebenfalls indiskutabel ist auch die Rolle des multidisziplinären Teams in der heutigen Pflege. Nicht nur das Verständnis hierfür ist vorhanden, auch die Umsetzung überzeugt. Die positive Bewertung der Teamarbeit durch die Mitarbeiter ist eindeutig. Die befragten Pflegenden verstehen sich als Anwalt des Patienten, indem sie dessen Interessen wahren und Verantwortung für das eigene Tun und Handeln übernehmen. Dies deutet auf eine hohe personale und berufliche Reife der befragten Pflegenden hin. Die Pflegenden verbinden die Zukunft der Pflege mit pflegewissenschaftlicher Entwicklung. Sie bilden sich und nutzen das erworbene Wissen im Pflegealltag. Allerdings müsste die unterstützende und begleitende Pflege noch mehr Platz im pflegerischen Alltag einnehmen sowie die Angehörigen in die Beratung und in die Pflege verstärkt miteinbezogen werden. Insgesamt wird im untersuchten Zentrum eine gute bis professionelle und verantwortliche Pflege geleistet. Dennoch kann, unter Einbeziehung aller Aspekte der ganzheitlichen Pflege nach Juchli, nicht eindeutig resümiert werden, dass im untersuchten Dialysezentrum ganzheitlich gepflegt wird. Das Potenzial hierfür ist jedoch erkennbar vorhanden.

The extract of a study presented in this article shows that the comprehension for integrated care is available partly rather intuitively than theoretically in the examined dialysis center. The fact that only a scarce majority of the interviewed nurses were clearly confronted with the idea of integrated care during their school education points to their openness and potential for development. The transfer of the idea into practice causes difficulties. In-center care is adapted to individual needs and to the situation of the nurses as far as possible. The relationship factor of patients is considered strongly in care. It can be criticized that care concentrates mostly on physical needs and less on mental or spiritual needs. Ambivalently, individualism and dignity of man are ranked highly (as well as addressing the patient’s well-being a high value), but at the same time patients are divided into “difficult” and “comfortable” which contradicts the idea of integrated care. Positive is the mature view of nurses on themselves that presents itself via responsibility and honesty towards themselves. Out of the question is the role of the multidisciplinary team in current care. Not only the understanding for it exists, also the implementation convinces. The positive rating of team work by the interviewed staff is clear-cut. A nurse can be seen as the advocate of the patient by protecting his interests and taking responsibility for her actions. This suggests a high personal and professional maturity of the questioned nurses. The interviewed nurses associate the future of care with a more scientific-based nursing. They educate themselves and use the acquired knowledge in everyday care. However, supporting and accompanying care should take more space in daily nursing, as well as incorporating next of kin more into counseling and care. Overall, good to professional and responsible care can be found in the studied dialysis center. Though, involving all aspects of integrated care according to Juchli, it can not distinctly be concluded that there is integrated care in the investigated dialysis center. But the potential for it is visibly there.

 
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