Symptome
Bezug zur Arbeitswelt | Es gibt keine allgemein gültige Definition für Burnout. Über 160 Symptome werden
damit in Verbindung gebracht [1]; mal werden 3, mal 12 Stadien der Erkrankung beschrieben.
Sicher besteht jedoch ein Bezug zu Problemen mit der eigenen Arbeitswelt, den die
Betroffenen empfinden.
Es kann sich dabei um einen kausalen Zusammenhang handeln oder um eine weit verbreitete
Projektion. Einigkeit besteht über folgende 3 Hauptkriterien:
-
Emotionale Erschöpfung: Diese lässt sich rasch erkennen. Sätze wie „Ich kann nicht
mehr“, „Ich fühle mich völlig leer“, „So kann es nicht weitergehen“ weisen den Weg.
Dieses Ausgelaugtsein trifft häufig gemeinsam mit der Unfähigkeit auf, sich in der
Freizeit zu entspannen.
-
Depersonalisation und Zynismus: Depersonalisation zeigt sich durch die zunehmende
Schwierigkeit, eigene Gefühle differenziert wahrzunehmen. Das Leitgefühl für Burnout
dominiert: die Unzufriedenheit. Dies ist auch einer der wesentlichen Unterschiede
zur Depression. Im ärztlichen Bereich weit verbreitet ist der Zynismus, wenn es z.
B. um die „Lunge auf Zimmer 13“ oder „das alte Muttchen, das ein Lätzchen braucht“
statt um die Patienten geht.
-
Leistungsabnahme
Somatische Hinweise | Diese finden sich in jeder Phase von Burnout, weshalb aus ihnen nicht auf den Krankheitsfortschritt
geschlossen werden kann. Dazu zählen [2]:
-
chronische Schmerzen
-
Schlafstörungen
-
Verspannungen
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Müdigkeit, Abgeschlagenheit
-
Magen-Darm-Beschwerden
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kardiale Symptome wie Herzrasen
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Schwindel
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Tinnitus
-
vermeintlicher Bandscheibenvorfall
-
gehäufte Banalinfektionen
-
Zähneknirschen
Verlauf
Variabler Ablauf | Es gibt keinen sicher reproduzierbaren Ablauf von Burnout. Dennoch zeigt die Praxiserfahrung,
dass folgende 3 Phasen regelhaft auftreten:
Phase I: Anfangsphase | Gerade zu Beginn ist Burnout gut zu erkennen, wenn auf das Leitsymptom geachtet wird:
die Hyperaktivität. In dieser Phase sind die Betroffenen noch überaus aktiv, tun mehr
als sie müssten und aalen sich geradezu in ihrem Erfolg. So z. B. der junge Assistenzarzt,
der am liebsten ununterbrochen in der Klinik weilen würde oder die niedergelassene
Ärztin, die davon überzeugt ist, unverzichtbar zu sein und sich keinen Urlaub gönnt.
Die pathologische Note solcher Einstellungen wird von den Betroffenen negiert, Idealismus
wird hochgehalten.
Aber bereits jetzt manifestieren sich Unzufriedenheit und Stimmungsschwankungen. Oft
suchen und finden die Betroffenen Kompensationsmaßnahmen im Materiellen.
Phase II: Übergangsphase | Das Verhalten wechselt zu einem Rückzug auf vielen Ebenen. Nun werden Menschen und
Kontakte gemieden, Freundschaften aufgegeben. Ziele fehlen, Dienst nach Vorschrift
wird zur Regel – auch in der eigenen Praxis. Konzentrationsschwäche und vermehrte
ärztliche Kunstfehler können auftreten. Die Gefühlswelt wendet sich komplett der Negativseite
zu:
In der Übergangsphase machen sich Erschöpfung und innere Leere breit. Der Zustand
droht, zu einer manifesten Depression zu werden.
Gerade bei Ärzten tritt häufig das Gefühl auf, vom System, der Klinik und den Patienten
ausgenutzt zu werden.
Phase III: Endphase | Bei voller Ausprägung kann Burnout nicht mehr von einer manifesten Depression unterschieden
werden – vermutlich geht es in diese über. Allgemeines Desinteresse an der Umwelt
dominiert und das Denken wird starr. Die Betroffenen empfinden existenzielle Verzweiflung,
Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit.
Spätestens in dieser Phase treten Süchte und Suizidneigung auf.
Ursachen
Berufliche Belastungen | Der Arztberuf bietet reichlich Belastungen wie etwa:
-
abstruse Mischung aus rigiden Vorschriften (Abrechnung, Versicherungsbestimmungen,
Behandlungsschemata) und „Allmachtposition“ am Patienten
-
herausfordernde Themen von Leid und Tod
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hohes seelisches Engagement
-
hohe Wochenarbeitszeit
-
Nachtarbeit und Notdienste
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selten sichtbare Erfolge
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Einzelkämpferdasein
-
Scheinheiligkeit zwischen Kollegialität und Konkurrenz
-
mangelnde Compliance als Sisyphosarbeit
Dennoch darf die etablierte Auffassung, die Arbeitsüberforderung induziere Burnout,
im Einzelfall infrage gestellt werden. Wenn es einen monokausalen Zusammenhang zwischen
Arbeitsbelastung und Burnout gäbe, müsste sich bei markanter Verbesserung der Arbeitsbedingungen
Burnout wieder zurückbilden oder seltener auftreten. Das ist jedoch nicht immer der
Fall.
Burnout und Überforderung | Die Symptome von Burnout – darunter die mit zunehmender Krankheitsdauer oder -schwere
immer häufigeren somatischen Beschwerden (s. o.) – wirken sich auch auf die Belastbarkeit
aus. So entsteht ein sich selbst unterhaltendes Wechselspiel zwischen Burnout und
Überforderung – Burnout ist also nicht nur reaktiv.
Risikofaktoren
Warnhinweise ernst nehmen | Die berufliche Belastbarkeit ist individuell unterschiedlich. Ebenso unterscheiden
sich die beruflichen Ziele wie etwa Selbstverwirklichung, Leistungserwartung oder
Selbstbestätigung [3]. Letztlich kann es nur dann zu einer Überlastung kommen, wenn Warnhinweise nicht
rechtzeitig wahrgenommen werden: Selbstausbeutung und fehlende Selbstwahrnehmung gehören
dazu. Weitere Persönlichkeitsmerkmale sind [2]:
-
emotionale Labilität (Sensitivität)
-
unzureichende Resilienz (seelische Widerstandsfähigkeit)
-
Helfersyndrom
-
Idealismus
-
Perfektionismus
-
Omnipotenzanspruch (alles selbst bestimmen wollen)
-
geringer Kohärenzsinn (mangelndes Urvertrauen)
-
Verkopfung (alles intellektuell lösen wollen)
-
narzisstische Persönlichkeit
Letztlich wären viele der als Auslöser von Burnout bei ausreichender Selbstachtung
handhabbar [4]:
-
zu viele Patientenkontakte
-
überwältigende oder verärgernde Verwaltungsaufgaben
-
Zeitnot
-
seelische belastende Inhalte (Krankheit, Leid, Siechtum und Tod)
-
fehlende soziale Unterstützung
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starre Hierarchien
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unzureichende Honorierung
-
Unterordnung unter öffentliche Instanzen (Gesundheitswesen)
Abgrenzung von Burnout
Psychische Komorbiditäten | Valide Messverfahren für Burnout existieren nicht.
In der Praxis ist es oftmals unmöglich zu entscheiden, ob Burnout Ursache oder Folge
von anderen seelischen Erkrankungen ist.
Löst es also eine depressive Episode aus oder umgekehrt? Neben Depression kommen Angsterkrankungen,
Suchterkrankungen, aber auch (narzisstische) Persönlichkeitsstörungen häufig in Verbindung
mit Burnout vor. Regelhaft kann man (früh)kindliche Traumatisierungen der Betroffenen
erkennen – es wird jedoch häufig versäumt, nach diesen zu forschen.
Gefahr der Gleichsetzung mit Depression | Bei weitem nicht jede psychische Erkrankung, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer
Arbeitsbelastung auftritt, ist Burnout. Burnout ist auch nicht mit einer Depression
bei Arbeitenden gleichzusetzen. Die Anwendung des Diagnoseschlüssels Z 73.0 für Burnout
stieg etwa bis 2011 rasant an, wird aber seitdem immer weniger genutzt. Stattdessen
nimmt dies als Verschlüsselung für Depression zu und lässt daher vermuten, dass viele
eben doch Burnout und Depression gleichsetzen.
Krankheit oder nicht? | Sich „nur“ erschöpft und überfordert zu fühlen und weitere (psychosomatische) Symptome
aufzuweisen reicht noch nicht, um nach ICD-10 als krank definiert zu werden [3]. Dies ist jedoch eine fragwürdige Regelung, da es die Gesundheitsdefinition der
WHO missachtet und oftmals banalere Umstände einen Krankheitsstatus erhalten.
Die Inhomogenität bezüglich der Symptome, Ursachen und Verläufe ist der Grund, Burnout
nicht als Krankheit zu definieren.
Das Syndrom entzieht sich einer eindeutigen Schublade; vielleicht überfordert Burnout
somit das herkömmliche Denken.
Präventive und therapeutische Ziele
Präventive und therapeutische Ziele
Das Umfeld verändern | Es ist keine Lösung, die Belastbarkeit für inakzeptable Arbeitsbedingungen zu steigern.
Das Ziel muss sein, ein dem Menschen würdiges Umfeld zu schaffen. Da Burnout offiziell
keine Erkrankung ist, kann dessen Prävention kein primäres Ziel des medizinischen,
vertragsärztlichen Systems sein. Stattdessen sind die Sozialpartner, Politiker und
innerbetriebliche Beauftragte, Arbeitsmediziner und Betriebsärzte gefordert. Wer eine
Praxis führt, muss all dies für sich selbst tun.
Spätestens wenn Somatisierungen auftreten, sind ärztliche Interventionen notwendig.
Therapie und Coaching | Wenn Burnout manifest ist, sind Coachingmaßnahmen ebenso sinnvoll wie therapeutische
Begleitung. Allgemein wird Verhaltenstherapie als erste Wahl betrachtet; meiner Erfahrung
entspricht das nicht. Letztlich ist Burnout auch ein Symptom und fordert nach mehr
Maßnahmen als Verhaltensänderungen.
Tipps für ein Leben ohne Burnout
Tipps für ein Leben ohne Burnout
Balance zwischen Einsatz und Selbstachtung | Idealismus, der auch heute noch im Arztberuf eingefordert wird, ist abnormal – er
hat mit einem Omnipotenzanspruch zu tun und bewirkt fundamentale Störungen im Beruf.
Ein Leben ist alles andere als „ideal“, wenn man stetig die eigenen Bedürfnisse negieren
oder unterdrücken muss, Emotionen nicht zulässt und Lösungen immer auf rationale Art
finden will. Mitmenschlichkeit und Empathie sollten Idealismus ablösen, das würde
Ärzte entlasten und Patienten mündiger machen.
Es sollte eine Balance gefunden werden zwischen Einsatz für andere und für die Profession
auf der einen Seite und Selbstachtung auf der anderen.
Dafür wurde ein 12-Stufen-Programm entwickelt [2]:
-
Die Realität annehmen: Ein normaler Mensch und damit auch Patient sein zu müssen,
fällt vielen Ärzten schwer. Ebenso die Symptome der eigenen Seele und des eigenen
Körpers wahrzunehmen und anzunehmen und Grenzen, die einem gesetzt werden, zu akzeptieren.
Das alles erfordert, sich selbst ehrlich zu betrachten.
-
Sich selbst verstehen: Fundiertes Selbstverständnis bildet die Basis für einen Weg
jenseits von Burnout. Dabei geht es vorrangig um die Persönlichkeitsmerkmale, die
zu Burnout führen (s. o.). Die eigenen Eigenschaften hinterfragen und verstehen, um
mit sich selbst und nicht gegen sich selbst zu leben.
-
Energiequellen erschließen: Wer Burnout hat, hat meistens den Anschluss an die eigenen
Stärken verloren. Im Regelfall brauchen diese Menschen einen Spiegel – z. B. einen
Freund, Coach oder Therapeuten – um sich eigene Ressourcen erschließen zu können.
-
Mit Unveränderlichem umgehen: Eine der Grundkonstellationen für Burnout ist, eine
berufliche oder private Situation zugleich als unveränderbar zu werten und zu glauben,
dieser nicht entkommen zu können. Es ist wichtig, sich Alternativen zu erarbeiten
und ihnen zu folgen.
-
Einstellungen und Verhalten optimieren: Es gibt viele Chancen zur Burnout-Prävention,
die auf Änderungen der eigenen Einstellungen beruhen:
-
Muss ich wirklich perfekt sein?
-
Welchen Sinn macht es, stetig an mir zu zweifeln?
-
Wie gehe ich mit meinen Ängsten um?
-
Wie achte ich meine Grenzen und die von anderen wie meinen Patienten?
-
Was tue ich, wenn meine Grenzen verletzt werden?
-
Wie lerne ich es, passendere Entscheidungen zu treffen?
-
Wie nutze ich meine Intuition effektiver?
-
Wie achte ich auf meinen Körper liebevoller?
-
Souveräner Umgang mit der Zeit: Zeit ist eine vollkommen unbeeinflussbare Ressource.
Der Umgang mit ihr kann jedoch verbessert werden:
-
Was muss tatsächlich sofort getan werden?
-
Was kann delegiert werden?
-
Was sollte verschoben werden?
-
Was kann geändert / vermindert werden?
-
Was sollte nicht getan werden?
Wesentlich ist zu erkennen, was einem wie viel Zeit wert ist. Außerdem gibt es eine
Vielzahl von Zeitfressern, die zunächst verstanden und dann verabschiedet werden sollten.
Übrigens:
Bereits durch die Steigerung der normalen Wochenarbeitszeit auf das bei Ärzten übliche
Niveau von ca. 50–60 Stunden verdoppelt sich das Burnoutrisiko [4].
-
Mit Stress richtig umgehen: Übliche Stressminderungsprogramme berücksichtigen die
bei Burnout auftretende Unzufriedenheit nicht ausreichend. Erst die Kombination von
Unzufriedenheit und Stress kann zu Burnout führen. Dennoch ist es sinnvoll, Stress
mittels Methoden wie Embodiment, Achtsamkeit oder Meditation (mindfulness based stress
reduction) anzugehen [2].
-
Kraft aus Beziehungen schöpfen: Ärzte arbeiten stetig in Zweierbeziehungen: sie selbst
und der Patient. Insofern ist Burnout auch eine Beziehungserkrankung. Emotionale Kompetenzen
sind entgegen des Selbstbilds jedoch nicht allen Ärzten gleichermaßen gegeben. Wer
in sozialen Kontexten stetig seinen Willen einsetzen muss, erschöpft irgendwann. Ein
erster, wesentlicher Schritt ist, die eigenen Grenzen und die des Gegenübers
-
Zufriedenheit erreichen: Überdurchschnittliches Engagement führt nicht zwangsläufig
zu Burnout, solange man zufrieden mit seiner beruflichen Situation zufrieden ist.
Mit zunehmender emotionaler Erschöpfung und Depersonalisation wächst jedoch die Unzufriedenheit
– besonders wenn unsere Ansprüche höher sind als es die Bewertung der Realität ergibt.
Um Unzufriedenheit abzubauen, ist es sinnvoll, diese Ansprüche an sich selbst und
seine Leistungen realitätsnäher zu gestalten.
-
Eigene Rollen definieren: Der wahre Grund für die Berufswahl – und die Enttäuschung
über die Realität – sind wichtige Ansatzpunkte weg von Burnout. Nicht selten werden
mit der Berufswahl andere Vorstellungen verbunden als dann erlebt werden. Wie stelle
ich mich darauf ein? Welche Konsequenzen kann ich ziehen?
-
Ziele erkennen und erreichen: Wenn der Beruf oder die Art, ihn auszuüben, nichts oder
zu wenig mit den tatsächlichen Zielen zu tun hat, droht Burnout. Entsprechend sind
die eigenen Ziele zu erarbeiten.
-
Den Sinn finden: Was will ich wirklich? Was kann ich wirklich? Wer diese Fragen authentisch
beantwortet und danach handelt, schenkt sich selbst Erfüllung und Zufriedenheit –
die zwei wichtigsten Antipoden zu Burnout.