Der Klinikarzt 2016; 45(07/08): 334-335
DOI: 10.1055/s-0042-109577
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Krankenhaus-Report 2016 – Stationär vs. ambulant?
Anne Marie Feldkamp
Bochum
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Publication Date:
17 August 2016 (online)

 

Klauber, Geraedts, Friedrich, Wasem (Hrsg.). Krankenhaus-Report 2016. Schwerpunktthema „Ambulant im Krankenhaus“. Mit Online-Zugang. Stuttgart: Schattauer-Verlag 2016, 546 Seiten, 88 Abb., 84 Tab., kart. € 54,99 (D) / € 56,60 (A) ISBN: 978-3-7945-3154 -7 (Print), ISBN 978-3-7945-6980-9 (eBook PDF)

Seit 1993 berichtet das Wissenschaftliche Institut der AOK (Wido) in der Reihe Krankenhaus-Report über aktuelle Hintergründe sowie Entwicklungen, aber auch Fehlentwicklungen im Krankenhaus-Bereich mit jährlich wechselnden Schwerpunktthemen. Schwerpunkt des aktuellen Krankenhaus-Report 2016 sind die zunehmend im Krankenhaus ambulant erbrachten Leistungen. Für die ambulante medizinische Versorgung, auch für die Notfallversorgung, sind in Deutschland die niedergelassenen Ärzte zuständig; der Sicherstellungsauftrag liegt bei den Kassenärztlichen Vereinigungen. Diese, 1955 mit dem Gesetz über Kassenarztrecht geradezu in Stein gemeißelte Trennung wurde durch die Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Leistungen wie das Ambulante Operieren, die vor- und nachstationäre Behandlung oder Einrichtung von diversen Institutsambulanzen immer mehr aufgeweicht.

Ambulant vor stationär im Krankenhaus?

Zwar gilt im deutschen Gesundheitssystem immer noch der Grundsatz „ambulant vor stationär“, aber der Gesetzgeber hat dieses Prinzip in den letzten 25 Jahren sukzessive unterwandert. Heute existiert in den Krankenhäusern ein breites Spektrum ambulanter Leistungen; aber diesem gesundheitspolitischen Trend fehlt ein übergeordnetes Konzept. Das ist die Quintessenz des Kapitel 1 „Ambulante Krankenhausleistungen – ein Überblick, eine Trendanalyse und einige ordnungspolitische Anmerkungen“ der Autoren Leber und Wasem. Sie kritisieren, dass für einzelne Fragen der Gesundheitsversorgung an der Schnittstelle des ambulanten und stationären Sektors jeweils nur ad hoc spezifische Lösungen geschaffen wurden. Im Ergebnis dieser Konzeptlosigkeit ständen daher diverse Versorgungsangebote vergleichsweise inkonsistent nebeneinander; identische Leistungen würden je nach Regelungskreis unterschiedlich vergütet. Notwendig sei ein einheitlicher Ordnungsrahmen für die ambulante fachärztliche Versorgung, der die Bereiche Bedarfsplanung, Qualitätssicherung, Innovationsregeln und Vergütung umfasst.

Allerdings werden in Deutschland – so die Autoren Geissler, Quentin und Busse in 2 Kapiteln über den Vergleich ambulanter Leistungen von Krankenhäusern in Europa – noch vergleichsweise wenig ambulante Leistungen im Krankenhaus durchgeführt; zudem sei der Anteil rückläufig. Das zeige ein internationaler Vergleich der Ausgaben für die ambulante Versorgung im Krankenhaus (in Deutschland 2,8 %, in Portugal 39,8 %), des Anteils der im Krankenhaus beschäftigten Ärzte, den Tagesfällen und der Organisation der fachärztlichen Versorgung.


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Nutzung der Notaufnahmen für rasche ärztliche Behandlung

An die 30 unterschiedliche Autoren geben im Krankenhaus-Report 2016 einen fundierten Überblick über die in den letzten Jahrzehnten entstandene Vielfalt der ambulanten Leistungen im Krankenhaus. Ein typisches Beispiel ist da die Notfallversorgung. Diese unzweifelhaft klassische Aufgabe der niedergelassenen Ärzteschaft wird heute aber fast zur Hälfte (mit regionalen Unterschieden) von den Krankenhausambulanzen erbracht. Besonders in Berlin gibt es Krankenhäuser, die mehr ambulante Notfälle als stationäre Fälle behandeln. Dies ist für die Autoren des Kapitels über die Ambulante Notfallversorgung an Krankenhäusern insofern befremdlich, da Berlin bezüglich der Angebotsdichte von Ärzten je Einwohner einen Spitzenplatz einnimmt. Es ist bekannt, dass Notfälle nicht immer „echte“ Notfälle sind. Vielmehr werden die Notaufnahmen der Krankenhäuser oftmals in weniger dringlichen Fällen in der Hoffnung auf eine rasche ärztliche Behandlung genutzt. Innovativen und sektorenübergreifenden Versorgungsstrukturen zur besseren Patientensteuerung, die die Notaufnahmen entlasten würden, stehe in Deutschland jedoch die fehlende Harmonisierung von sektoralen Vergütungs- und Planungsstrukturen entgegen, kritisieren die Autoren des Beitrags.

Eine andere Domäne ambulant erbrachter Leistungen im Krankenhaus sind die Hochschulambulanzen (HSA), die die Autoren Reifferscheid, Wasem und Thomas im Kapitel Hochschulambulanzen untersuchten. Ursprünglich durften HSA nur im „für die Lehre und Forschung erforderlichen Umfang“ Patienten ambulant versorgen. In den letzten Jahren übernahmen sie aber zunehmend die Behandlung von Patienten mit schweren Erkrankungen, bis 2015 der Gesetzgeber mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz diese Entwicklung legitimierte. Im Jahr 2013 waren die HSA mit 3,5 Mio. Fällen und einem Erlösvolumen von gut 0,5 Mrd. € eine der wichtigsten Säulen in der ambulanten universitären Versorgung.


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MVZ als Strukturvariante der ambulanten Versorgung

Eine andere Möglichkeit der Krankenhäuser an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen, sind die Medizinischen Versorgungszentren, die der Gesetzgeber m Jahren 2004 geschaffen hat. Von den 2073 zugelassenen MVZ Ende 2014 wurden 843 durch Krankenhäuser gegründet berichten die Autoren Gibis, Hofmann und Armbruster im Kapitel über die „MVZ am Krankenhaus“ Nach Jahren stetigen Wachstums flache die Kurve der MVZ-Neugründungen zwar ab, das MVZ habe sich jedoch als Strukturvariante der ambulanten Versorgung auch für Krankenhäuser fest etabliert.


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Ambulantes Operieren im Krankenhaus

Auch das Ambulante Operieren gehört zu den Leistungsbereichen, für die der Gesetzgeber die Krankenhäuser geöffnet hat. Das Kapitel über „Ambulantes Operieren am Krankenhaus“ zeigt, dass die Krankenhäuser diese Chance nie richtig ergriffen haben. Sie erbringen nur ungefähr ein Viertel aller AOP, wobei die Top 20 AOP-Leistungen der Krankenhäuser im Jahr 2014 zu unterschiedlichen Anteilen immer noch stationär erbracht wurden. Außerdem spricht der immer noch relevante Anteil von Fällen mit sehr kurzer Verweildauer bei den stationären Krankenhausfällen dafür, dass hier eher der Grundsatz stationär vor ambulant gilt. Auch hier kommen die Autoren Friedrich und Tillmanns zu dem Fazit, dass keine Transparenz bestehe und eine öffentliche Berichterstattung fehle.


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Entwicklung des Krankenhausmarkts und Versorgungsaspekte

Dem umfangreichen Teil I schließt sich Teil II „Zur Diskussion“ an, in dem die Themen „Gemeinsam Klug Entscheiden – eine Initiative für die Gesundheitsversorgung in Deutschland?“, „Qualität der poststationären Arzneimittelversorgung von Patienten mit Herzinsuffizienz“ und „Bedarfsgerechtigkeit zur Vermeidung von Über-, Unter- und Fehlversorgung im Krankenhaussektor“ diskutiert werden. Und wie immer schließt auch der Krankenhaus-Report 2016 mit der „Krankenhauspolitische Chronik“ sowie dem ausführlichen Statistikteil mit Analysen und Daten zur Entwicklung des Krankenhausmarkts unter Versorgungsaspekten und ökonomischen Fragestellungen und dem Krankenhaus-Directory.


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